Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um die vorläufige Versorgung der Antragstellerin mit einem Stehrollstuhl im Wege des einstweiligen
Rechtsschutzes.
Die 1973 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Sie leidet an einer zunehmenden Hirnatrophie
unklarer Ursache mit Beeinträchtigung des Gleichgewichts, der Motorik und der intellektuellen Leistungsfähigkeit. Sie ist
nicht mehr in der Lage, allein zu stehen. Seit 2006 lebt sie in einer Pflegefamilie. Am 15. November 2012 verordnete die Allgemeinarztpraxis
S und K die Versorgung der Antragstellerin mit einem Stehrollstuhl Lifestand LRS mit elektromotorischer Aufrichtung zum therapeutischen
Stehtraining. Unter Vorlage dieser Verordnung beantragte das Sanitätshaus T und Sa in F bei der Antragsgegnerin die entsprechende
Kostenübernahme in Höhe von 8.937,66 EUR. Die Antragsgegnerin holte eine Stellungnahme des MDK Nord (Dr. U ) ein und lehnte
eine entsprechende Versorgung mit Bescheid vom 21. Dezember 2012 ab, weil ein Stehtraining auch mit einem wesentlich wirtschaftlicheren
Stehständer durchführbar sei. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Antragsgegnerin nach erneuter Einschaltung des
MDK (Dr. Ta ) mit Widerspruchsbescheid vom 15. Juli 2013 ab, da das Grundbedürfnis Stehen auch durch ein Stehbrett erfüllt
werde. Hiergegen erhob die Antragstellerin Klage beim Sozialgericht Schleswig. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen S 10 KR 211/13 geführt.
Mit dem am 9. April 2014 beim Sozialgericht Schleswig eingegangenen Eilantrag verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren im
Wege des einstweiligen Rechtsschutzes weiter. Sie begründet ihren Antrag im Wesentlichen damit, dass die Versorgung mit dem
Stehrollstuhl dem Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums und der Teilnahme am gesellschaftlichen
Leben diene, da sie auch gerne im Haushalt helfen wolle. Ein Abwarten im Hauptsacheverfahren sei ihr aufgrund der dreijährigen
Laufzeiten, bis entschieden werde, nicht zumutbar. Die Antragsgegnerin hat vorgetragen, es liege weder ein Anordnungsanspruch
noch ein Anordnungsgrund vor. Der Stehrollstuhl sei nicht erforderlich, da das Stehen auch durch das Stehbrett als kostengünstigere
Alternative sichergestellt werden könne. Außerdem könne dem therapeutischen Erfolg Krankengymnastik, die die Antragstellerin
nicht mehr in Anspruch nehme, dienen. An einem Anordnungsgrund fehle es, da es nicht um die Durchführung einer Behandlung,
die keinen Aufschub dulde, gehe und durch die weitere Behandlungsverzögerung keine ernsthaften gesundheitlichen Schäden zu
befürchten seien.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 16. Mai 2014 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und die Bewilligung
von Prozesskostenhilfe abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, zur Krankenbehandlung sei der Stehrollstuhl nicht erforderlich,
da hierfür ein Stehbrett ausreiche. Dem Behindertenausgleich diene der Stehrollstuhl auch nicht. Zwar sei das Grundbedürfnis
Stehen betroffen, das von der Antragstellerin ohne fremde Hilfe nicht erreicht werden könne. Allerdings sei sie nicht in der
Lage, die Aufstehfunktion des begehrten Stehstuhls zu bedienen, so dass sie auch insoweit auf fremde Hilfe angewiesen wäre.
Sie sei daher nicht in der Lage, sich das Grundbedürfnis Stehen selbst zu erschließen, um ein selbstständigeres Leben zu führen,
so dass sich aus dem Grundbedürfnis Stehen kein Anordnungsanspruch ergebe. Hinsichtlich der Erschließung eines gewissen körperlichen
Freiraums und zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ergebe sich ebenfalls kein Anordnungsanspruch, da hierfür die Antragstellerin
bereits mit einem Rollstuhl versorgt sei. Hinsichtlich der Versorgung als Pflegehilfsmittel bestehe zumindest kein Anordnungsgrund,
da vor Einschaltung der Gerichte zunächst ein entsprechender Antrag bei der Pflegekasse zu stellen wäre.
Gegen den ihr am 20. Mai 2014 zugestellten Beschluss, mit dem das Sozialgericht auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
abgelehnt hat, richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, eingegangen beim Sozialgericht Schleswig am 19. Juni 2014.
Ferner beantragt sie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren. Am 31. Juli 2014 begründet die Antragstellerin
die Beschwerde damit, dass das streitige Hilfsmittel zur Teilnahme an täglichen Aktivitäten erforderlich sei. Durch die Aufstehfunktion
könne ihrem Bedürfnis, eine stehende Position an unterschiedlichen Orten einzunehmen, Rechnung getragen werden. Insoweit sei
die Versorgung auch eilbedürftig, da sich ihr Zustand verschlechtere. Auch wenn sie den Multifunktionsrollstuhl nicht selbst
bedienen könne, könne ihr Wille, aufzustehen, von der Pflegeperson wahrgenommen werden. Der geltend gemachte Anspruch und
die Eilbedürftigkeit seien darüber hinaus im Lichte der Behindertenkonvention und der Grundrechte auszulegen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, es fehle bereits an der Eilbedürftigkeit im Hinblick auf die späte Abgabe einer Beschwerdebegründung.
Auch werde zur Eilbedürftigkeit in der Beschwerdebegründung nichts vorgetragen. Das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs habe
das Sozialgericht zutreffend verneint. Der Stehrollstuhl biete gegenüber einer Stehhilfe keinen wesentlichen funktionellen
Gebrauchsvorteil, weil sich die Antragstellerin auch mit dem Stehrollstuhl das Grundbedürfnis Stehen nicht ohne fremde Hilfe
erschließen könne. Die Verordnung sei ausschließlich zum therapeutischen Stehtraining ausgestellt worden. Das Stehtraining
könne auch mit dem Stehbrett durchgeführt werden.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.
Zutreffend hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss auf die maßgeblichen Rechtsgrundlagen des vorläufigen Rechtsschutzes,
hier §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG), hingewiesen. Voraussetzungen sind danach für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs
im Sinne der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des geltend gemachten Anspruchs und eines Anordnungsgrundes im Sinne der besonderen
Eilbedürftigkeit der Regelung. Beide Voraussetzungen müssen glaubhaft gemacht werden. Darüber hinaus ergibt sich bereits aus
der Bezeichnung der "einstweiligen" Anordnung, dass die Entscheidung in einem solchen Verfahren die Hauptsache grundsätzlich
nicht vorwegnehmen darf (z. B. Beschluss des Senats vom 29. Juli 2014 - L 5 KR 94/14 B ER; Keller in Meyer-Ladewig u. a.,
SGG-Kommentar, §
86b Rz. 31). Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt etwa dann vor, wenn eine begehrte Sachleistung aufgrund einer einstweiligen
Anordnung erbracht wird. Darauf ist hier der Antrag gerichtet. Das bedeutet allerdings nicht, dass einstweilige Anordnungen,
die auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sind, stets ausgeschlossen sind. Da der einstweilige Rechtsschutz
als verfassungsrechtliche Notwendigkeit in jedem Verfahren gewährt werden muss, darf eine einstweilige Anordnung in solchen
Fällen dann ausnahmsweise getroffen werden, wenn der Antragsteller eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr rechtzeitig
erwirken kann. In dem Fall ist allerdings ein strenger Maßstab an Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund anzulegen (vgl. Beschluss
des Senats a. a. O.).
Den bei einer Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Grad an Wahrscheinlichkeit für ein Obsiegen der Antragstellerin
im Hauptsacheverfahren und damit einen Anordnungsanspruch vermag der Senat nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage,
wie sie im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geboten ist, nicht zu erkennen.
Hinsichtlich des Anordnungsanspruchs verweist der Senat zunächst auf die Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen
Beschluss gemäß §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG. Ergänzend ist noch Folgendes auszuführen:
Mit Beschluss vom 19. Juni 2013 (L 5 KR 72/13 B ER) hatte der beschließende Senat in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Antragsgegnerin zwar vorläufig verpflichtet,
die Antragstellerin mit einem Rollstuhl mit Aufstehfunktion zu versorgen, dabei allerdings wesentlich darauf abgestellt, dass
die dortige Antragstellerin in der Lage war, die Aufstehfunktion selbst zu bedienen und sich damit ein Grundbedürfnis selbst
erschließen konnte. Der Verweis des behinderten Menschen auf die Hilfe Dritter steht der Zielsetzung der Hilfsmittelversorgung
entgegen. Ziel der Hilfsmittelversorgung ist es u. a., den behinderten Menschen von der Hilfe anderer weitgehend unabhängiger
zu machen. Unstreitig ist die Antragstellerin jedoch nicht in der Lage, die Aufstehfunktion des streitigen Rollstuhls selbst
zu bedienen, so dass insoweit kein wesentlicher Unterschied zum Stehbrett besteht.
Ebenso folgt auch nicht aus dem Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums und der Teilnahme am
gesellschaftlichen Leben ein Anordnungsanspruch für die vorläufige Versorgung mit dem Stehrollstuhl. Die Antragstellerin ist
mit einem Rollstuhl versorgt und damit, wenn auch in Grenzen, mobil. Eine wesentlich darüber hinausgehende Mobilität wird
durch den Stehrollstuhl nicht erreicht.
Das ursprünglich allein verfolgte Ziel des therapeutischen Stehtrainings, auf das sich die ärztliche Verordnung vom 15. November
2012 ausschließlich bezog und deren Notwendigkeit auch Dr. Ta vom MDK nachvollzogen hat, wird vollumfänglich durch das Stehbrett
erfüllt, ggf. ergänzt um Krankengymnastik. Dem widersprechen weder die Antragstellerin noch ihr behandelnder Arzt. Den alleinigen
Unterschied zwischen dem Stehrollstuhl mit einem geringeren Aufwand für die Pflegekräfte und dem Stehbrett vermag der Senat
darin zu sehen, dass mit dem Stehrollstuhl die Stehfunktion mobil an mehreren Orten durchgeführt werden kann. Dies ist jedoch
weder aus therapeutischen Gründen noch aus Gründen der Erfüllung eines allgemeinen Grundbedürfnisses notwendig.
Es widerspricht auch weder dem
Grundgesetz noch der Behindertenkonvention, wenn der Gesetzgeber, wie im
SGB V geschehen, vorsieht, dass die Leistungen der GKV ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich zu sein haben und nicht das Notwendige
überschreiten dürfen. Gerade im Gesundheitswesen hat der Kostenaspekt für gesetzgeberische Entscheidungen erhebliches Gewicht.
Fehlt es mithin bereits an einem Anordnungsanspruch, ist eine Verpflichtung der Antragsgegnerin im einstweiligen Rechtsschutz
ausgeschlossen. Ob ein Anordnungsgrund damit vorliegt, kann letztlich dahingestellt bleiben, wenngleich auch der Senat im
Hinblick auf die Erkrankung der Antragstellerin und die späte Begründung der Beschwerde nicht erkennen kann, worin die besondere
Eilbedürftigkeit der Versorgung liegt. Ein Anordnungsgrund liegt nur vor, wenn der Antragstellerin ein Abwarten bis zur Entscheidung
in der Hauptsache nicht zumutbar ist, weil die Verwirklichung eines Rechts ohne die beantragte Anordnung vereitelt oder wesentlich
erschwert wird, wenn etwa zu befürchten ist, dass sich das gefährdete Recht, weil vollendete Tatsachen geschaffen worden sind,
im Hauptsacheverfahren nicht mehr durchsetzen lässt oder aber weitgehend entwertet wird. Die mit jedem Hauptsacheverfahren
zwingend verbundenen zeitlichen Nachteile reichen für den Erlass einer Regelungsanordnung nicht aus (vgl. etwa LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 3. November 2011 - L 3 KA 104/10 B ER).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG analog.
Mangels Anordnungsanspruchs fehlt es auch an der Erfolgsaussicht des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens als Voraussetzung
für die beantragte Gewährung von Prozesskostenhilfe (§
73a SGG i. V. m. §
114 ZPO). Aus diesem Grund ist Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren nicht zu bewilligen. Soweit sich die Beschwerde auch
gegen die Nichtgewährung der Prozesskostenhilfe in erster Instanz richtet, ist diese Beschwerde ebenfalls zurückzuweisen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).