Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren; Berücksichtigung von Wartezeiten bei der Bestimmung der Terminsgebühr
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der anwaltlichen Vergütung. Der Beschwerdeführer war den Klägern (eine Bedarfsgemeinschaft
mit drei Personen) in dem Klageverfahren S 37 AS 1777/12 vor dem Sozialgericht Kiel im Wege der Prozesskostenhilfe als Prozessbevollmächtigter beigeordnet worden. Die Klage war am
8. November 2010 unter Hinweis auf die Begründung im Widerspruchsverfahren erhoben worden. Die mündliche Verhandlung vom 11.
Februar 2013, in dem ein weiteres Verfahren der gleichen Beteiligten verhandelt wurde, endete mit einem teilzusprechenden
Urteil und dauerte von 9.15 Uhr bis 10. 44 Uhr.
In seiner Kostenrechnung vom 22./26. März 2013 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung von 878,82 EUR für das Klageverfahren,
und zwar
Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG
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245,00 EUR
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Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG
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300,00 EUR
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Mehrvertretungsgebühr Nr. 1008 VV-RVG
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147,00 EUR
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Dokumentenpauschale Nr. 7000 VV-RVG
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26,50 EUR
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Postpauschale Nr. 7002 VV-RVG
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20,00 EUR
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Umsatzsteuer
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140,32 EUR
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Endbetrag
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878,82 EUR.
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Zur Begründung ergänzte der Beschwerdeführer seinen Antrag dahin, dass die Sache sehr aufwändig gewesen sei und rechtliche
Probleme enthalten habe, so dass von einem überdurchschnittlichen Aufwand und von einem mehr als durchschnittlichen Schwierigkeitsgrad
auszugehen sei. Hingegen sei die Verfahrensdauer relativ lang gewesen und der Termin mit 1,5 Stunden überdurchschnittlich.
Mit Festsetzungsbeschluss vom 5. April 2013 reduzierte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den beantragten Betrag auf
Verfahrensgebühr Nr. 3013/1008 VV-RVG
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272,00 EUR
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Terminsgebühr/fiktive Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG
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200,00 EUR
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Auslagenpauschale Nr. 7001, 7002 VV-RVG
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20,00 EUR
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Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG
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93,48 EUR
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Gesamtbetrag
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585,48 EUR.
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Zur Begründung führte sie aus, die Kürzung ergebe sich daraus, dass die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr festzusetzen
sei, da der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit durchschnittlich, die rechtliche Schwierigkeit wegen der vielen streitgegenständlichen
Bescheide überdurchschnittlich, die Bedeutung ebenfalls überdurchschnittlich, die Einkommens- und Vermögensverhältnisse jedoch
deutlich unterdurchschnittlich zu bewerten seien. Die Terminsgebühr sei ebenfalls mit der Mittelgebühr festzusetzen, da der
Umfang der anwaltlichen Tätigkeit aufgrund der Terminsdauer von 89 Minuten für zwei Verfahren durchschnittlich und die Schwierigkeit
unterdurchschnittlich gewesen sei. Es sei lediglich die Sach- und Rechtslage erörtert worden und eine Beweisaufnahme habe
nicht stattgefunden. Bedeutung und Einkommensverhältnisse verhielten sich wie bei der Verfahrensgebühr. Die Dokumentenpauschale
sei abzusetzen, da die Kopien vor der bewilligten Prozesskostenhilfe gefertigt worden seien.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Erinnerung des Beschwerdeführers mit der Begründung, dass bei einer Auseinandersetzung
mit einem so hohen Anfall von Bescheiden von einem überdurchschnittlichen Aufwand und überdurchschnittlicher Schwierigkeit
auszugehen sei. Gleiches gelte für die Vorbereitung des Termins. Nicht berücksichtigt worden sei auch die Wartezeit vor dem
Termin.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 11. Dezember 2014 die Erinnerung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, in
dem zugrundeliegenden Rechtsstreit sei es um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Rücknahme und
Erstattung) gegangen. Ausgangspunkt für die Bemessung der Gebühr sei der Durchschnittsfall, welcher die Mittelgebühr rechtfertige.
Hier stelle sich der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit unter Berücksichtigung der Anmerkung zu Nr. 3103 VV-RVG a. F. im Ergebnis als durchschnittlich dar, ebenso wie die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Die Bedeutung sei überdurchschnittlich,
die Einkommensverhältnisse seien deutlich unterdurchschnittlich. Damit sei die Mittelgebühr billig. Gleiches gelte für die
Terminsgebühr. Wartezeiten des Rechtsanwalts seien nicht zu berücksichtigen, da die Terminsgebühr mit der Eröffnung des Termins
entstehe und beginne. Die Schwierigkeit sei als durchschnittlich anzusetzen, die Bedeutung überdurchschnittlich und die wirtschaftlichen
Verhältnisse deutlich unterdurchschnittlich.
Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 19. Dezember 2014. Die Bewertung des Sozialgerichts
nach dem so genannten Kieler Kostenkästchen sei fehlerhaft, weil Fälle dort nach dem SGB II als unterdurchschnittlich schwierig bewertet würden. Das sei aufgrund der steigenden Anzahl an Fällen in diesem Bereich nicht
haltbar, was auch durch den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 15. Januar 2014 (L 5 SF 92/13 E) bestätigt worden sei. In einem weiteren Schriftsatz führt der Beschwerdeführer im Einzelnen aus, warum die Kriterien des
Kieler Kostenkästchens seiner Auffassung nach nicht geeignet seien, die angemessenen Rechtsanwaltskosten rechtmäßig zu bestimmen.
U. a. werde auch nicht berücksichtigt, dass § 14 RVG, soweit Einkommens- und Vermögensverhältnisse in Bezug genommen würden, ausschließlich das Verhältnis zwischen Auftraggeber
und Rechtsanwalt betreffe. Seien die Einkommensverhältnisse so schlecht, dass die Voraussetzungen für die Bewilligung von
Beratungs- und Prozesskostenhilfe erfüllt seien, werde aus diesem Umstand zu Recht gefolgert, dass diese außer Betracht zu
bleiben hätten. Bei der Terminsgebühr fehle es an einer Begründung dafür, dass Wartezeiten nicht zu berücksichtigen seien.
Die Unterscheidung nach der Anhörung von Sachverständigen sei als Kriterium wenig geeignet. Die Schwierigkeit sei überdurchschnittlich
gewesen.
Der Kostenprüfungsbeamte bei dem Schleswig-Holsteinischen Landessozialgericht hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend.
Ein Schriftwechsel zwischen den Beteiligten habe nicht stattgefunden und Beweis sei nicht erhoben worden. Der dokumentierte
Zeitaufwand liege unter dem, was in einem sozialgerichtlichen Verfahren normalerweise anfalle. Der Umfang der anwaltlichen
Tätigkeit sei als durchschnittlich anzusehen, ebenso wie die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit. Hinsichtlich der Festsetzung
der Terminsgebühr sei auf die Entscheidung des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 12. September 2006 (L 1 B 320/05 SF SK) hinzuweisen, wonach der Durchschnittswert der Verhandlungsdauer in erster Instanz bei 48,47 Minuten liege. Wartezeiten
würden nach der amtlichen Vorbemerkung Nr. 3 Abs. 3 zu Teil 3 des Vergütungsverzeichnisses nicht dazu gezählt. Der Ansatz
der Mittelgebühr sei angemessen.
II.
Der Senat entscheidet gemäß § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG durch den Einzelrichter.
Die Beschwerde ist zulässig. Nach § 1 Abs. 3 RVG in der Fassung ab 1. August 2013 gehen die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen
der für das zugrundeliegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften vor. Aufgrund dieser Ergänzung des § 1 RVG findet die bisherige Rechtsprechung des Senats, nach der wegen des abschließenden Normengefüges der §§
172 ff.
SGG die Beschwerde an das Landessozialgericht gegen die Entscheidung des Sozialgerichts ausgeschlossen ist, keine Anwendung mehr.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die Gebührenfestsetzung im Beschluss des Sozialgerichts vom 11. Dezember 2014 ist nicht
zu beanstanden. Höhere Gebühren als dort festgesetzt, kann der Beschwerdeführer nicht beanspruchen.
Mit seiner Beschwerde wendet er sich gegen die Reduzierung der Kosten für die Verfahrensgebühr und die Terminsgebühr. Die
Verfahrensgebühr der hier anzuwendenden Nr. 3103/1008 VV-RVG in der damaligen Fassung ist in sozialgerichtlichen Streitigkeiten eine Rahmengebühr und betrug damals 20,00 bis 320,00 EUR,
hier unter Berücksichtigung der Nr. 1008 VV-RVG (zwei weitere Auftraggeber) 32,00 bis 512,00 EUR. Die Mittelgebühr lag mithin bei 272,00 EUR, wie von dem Beschwerdegegner
festgesetzt. Die Verfahrensgebühr deckt das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information ab. Setzt man die Kriterien
des § 14 RVG im Verhältnis zur Rahmengebühr, dann ist die Mittelgebühr immer dann angebracht, wenn der zeitliche Aufwand und die Intensität
der Arbeit für den Rechtsanwalt einen durchschnittlichen Aufwand erfordert haben und die übrigen Kriterien des § 14 RVG entweder für sich oder zusammen dem Durchschnitt entsprechen. Das war hier der Fall.
Das normale sozialgerichtliche Verfahren läuft so ab, dass der Kläger durch seinen Anwalt eine Klageschrift einreicht und
sich dann ein Schriftwechsel zwischen den Beteiligten entwickelt. Sehr häufig erfolgen im sozialgerichtlichen Verfahren gerichtliche
Ermittlungen, zu denen die Beteiligten Stellung beziehen können. Solche Ermittlungen sind hier nicht durchgeführt worden.
Von Bedeutung ist darüber hinaus u. a., welchen Einsatz der Rechtsanwalt im Einzelnen in Erfüllung seiner Aufgaben notwendigerweise
erbringen musste. Dabei ist nach dem Zusatz zur Nr.3103 VV-RVG a. F. bei der Bemessung der Gebühr nicht zu berücksichtigen, dass der Umfang der Tätigkeit infolge der Tätigkeit im Verwaltungsverfahren
oder im weiteren, der Nachprüfung des Verwaltungsakts dienenden Verwaltungsverfahren geringer ist. Zutreffend weist der Kostenprüfungsbeamte
darauf hin, dass sich die intensive rechtliche Beschäftigung mit dem Streitstoff nach außen durch Schriftsätze dokumentieren
muss und die Dauer eines Rechtsstreits nur dann gebührenerhöhend wird, wenn der Streitstoff ständig bearbeitet wird, erkennbar
etwa an einem entsprechenden Schriftwechsel während des gesamten Rechtsstreits.
Das zugrundegelegt ist hier zu berücksichtigen, dass die Klage lediglich unter Hinweis auf die Begründung im Widerspruchsverfahren
erhoben wurde. Eine weitergehende Begründung oder ein weitergehender Schriftwechsel mit dem Beklagten erfolgte im gesamten
Klageverfahren nicht. Selbst unter Berücksichtigung der damals geltenden Anmerkung zu der Nr. 3103 VV-RVG a. F. führt dies hinsichtlich der Gebührenbemessung dazu, dass allenfalls - im Hinblick auf die zahlreichen angefochtenen
Bescheide - die Mittelgebühr anzusetzen ist. Denn wenn auch bei der Bemessung der Gebühr der Umfang der Tätigkeit infolge
der Tätigkeit im Verwaltungsverfahren geringer ist und dieses unberücksichtigt zu bleiben hat, so findet § 14 RVG gleichwohl auch auf diese Vorschrift Anwendung (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 40. Auflage VV 3103 Rz 3) und im Ergebnis dazu,
dass Umfang und Schwierigkeit bei einer allein auf die Begründung im Widerspruchsverfahren bezogene Klagerhebung eine Gebühr
über die Mittelgebühr unangemessen wäre.
Hinsichtlich der Bedeutung der Angelegenheiten und der Bewertung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger geht
der Senat von einer zusammengefasst durchschnittlichen Angelegenheit aus. Damit sprechen diese Kriterien weder für eine Über-
oder Unterschreitung der Mittelgebühr. Dass die Bewertung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger auch in dem
Verfahren Berücksichtigung findet, in denen Prozesskostenhilfe bewilligt wurde, entspricht der ständigen Rechtsprechung des
Senats (vgl. u. a. Beschluss vom 24. März 2015 - L 5 SF 285/14 B E). Diese Rechtsprechung entspricht auch der des Bundessozialgerichts (Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R = SozR 4-1935 § 14 Nr. 2). Vor diesem Hintergrund ist der Ansatz der Verfahrensgebühr durch den Beschwerdeführer unbillig
und mit der Mittelgebühr in Höhe von 272,00 EUR festzusetzen. Der Einwand des Beschwerdeführers, lägen die Voraussetzungen
der Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor, hätte das Kriterium der Einkommensverhältnisse außer Betracht zu bleiben, findet
im Gesetz, insbesondere in § 14 RVG, keine Stütze. Zudem werden häufig schlechte Eigentumsverhältnisse durch die Bedeutung des Rechtsstreits für die Kläger wie
hier kompensiert und die Mittelgebühr ist erreichbar. Das vom Beschwerdeführer genannte Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen
vom 23. April 2007 (L 19 AS 54/06) wird im Übrigen vom BSG (a. a. O.) als andere Auffassung genannt und dort offensichtlich auch nicht mehr vertreten (s. Beschluss des dortigen 19.
Senats vom 25. Oktober 2010 - L 19 AS 1513/10 B unter Bezugnahme des Urteils des BSG; wie hier s. zudem auch Beschluss des LSG NRW vom 5. Februar 2015 - L 2 AS 2149/14 B).
Hinsichtlich der Terminsgebühr ist der angefochtene Beschluss des Sozialgerichts ebenfalls zu bestätigen und die Festsetzung
auch hier der Mittelgebühr durch die Urkundsbeamtin gerechtfertigt. Ob die Wartezeit bei der Bewertung des Umfangs der anwaltlichen
Tätigkeit vor dem Termin zu berücksichtigen ist, wie der Beschwerdeführer meint (so z. B. auch SG Kassel, Beschluss vom 26.
Juni 2014 - S 10 SF 50/14 E m. w. N.) oder Wartezeiten nicht berücksichtigungsfähig sind (Sächsisches Landessozialgericht, Beschluss vom 8. Januar
2014 - L 8 AS 585/12 B KO ebenfalls m. w. N.), braucht hier nicht entschieden zu werden. Denn in der sozialgerichtlichen Ladungsverfügung war als Beginn
der Verhandlung am 11. Februar 2013 9.00 Uhr angesetzt, die Verhandlung begann lediglich 15 Minuten später, um 9.15 Uhr. Damit
betrug die gesamte Verhandlungsdauer einschließlich der Wartezeit 104 Minuten und lag damit mit einer Dauer von 52 anrechenbaren
Minuten noch im Bereich des Durchschnitts.
Eine besondere Schwierigkeit der mündlichen Verhandlung wird durch die Sitzungsniederschrift nicht dokumentiert. Danach erfolgte
eine Ergänzung des Sachverhalts durch Erklärungen des Klägers. Der angefochtene Beschluss geht von einer hälftigen Aufteilung
des gesamten Termins auf beide Verfahren aus. Dagegen trägt der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung nicht begründet
vor, sondern weist nur auf die Gesamtdauer des Termins von 9.15 Uhr bis 10.44 Uhr hin. Zusammengefasst ist damit der Ansatz
der Terminsgebühr mit 300,00 EUR durch den Beschwerdeführer und damit mehr als 3/4 der Höchstgebühr nicht angemessen und der
Ansatz der Mittelgebühr durch die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle zutreffend mit der Mittelgebühr festgesetzt.
Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner Entscheidung des Senats darüber, ob das von dem Beschwerdeführer angegriffene "Kieler
Kostenkästchen" zu einer fehlerhaften Bewertung führt. Im hier vorliegenden Fall ist das jedenfalls im Ergebnis nicht so.
Der Beschluss ergeht nach § 56 Abs. 2 Satz 2 RVG gebührenfrei.
Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 3 RVG).
Die Entscheidung ist unanfechtbar (§
177 SGG).