Abschnitt G; Ausschuss; Beitragsübersicht; Bescheidungsklage; D-Heuer; Durchschnittsentgelt; Fiktivberechnung; Fischwirt;
Jahresarbeitsverdienst; JAV; Küstenfischerei; Mindest-Jahresarbeitsverdienst; Ortsüblichkeit; Sachlegitimation; schlüssiges
Konzept; Seeschiff; Verletztengeld; Verwaltungsakt
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger gewährten Verletztenrente, insbesondere über die Höhe des bei der Berechnung
der Verletztenrente zugrunde zu legenden Jahresarbeitsverdienstes (JAV).
Der 1973 geborene Kläger war im Oktober 1994 im ersten Ausbildungsjahr einer Ausbildung zum Fischwirt (Facharbeiter Deck)
beim Fischereibetrieb K____-H_____ W______ in A______ (S_______) beschäftigt. Er erhielt eine Ausbildungsvergütung von monatlich
420,00 DM netto. Die Tätigkeit übte er auf dem Schiff "G______" aus, einem ca. 18 m langen Küstenfischereifahrzeug mit Grundscherschleppnetzen
und einer Bruttoraumzahl (BRZ) von 33 t.
Am 6. Oktober 1994 wurde ihm im Fischerhafen K_______ bei Schweißarbeiten am Förderband ein Schweißgerät mit der Bitte gereicht,
dieses beiseite zu stellen. Bei Berührung des unter Starkstrom stehenden Schweißgeräts bekam er einen Stromschlag. Der Kläger
wurde von Arbeitskollegen in die M_______-Klinik in K_______ gefahren. Der Durchgangsarzt Dr. K_______ diagnostizierte dort
eine hochfrequente Kammertachykardie nach Stromunfall mit unzureichendem Blutauswurf und Angina-Pektoris-Beschwerden. In der
M_______-Klinik kam es nach Anlegen einer Infusion und anschließender Infusion vom 100 ml Natriumcarbonat zur Zunahme von
Beschwerden in beiden Schultern mit Ausstrahlung in die Arme und einem Gefühl des Zusammenziehens in der Enge sowie eines
Gefühls des Bedrohtseins. Nach extrathorakaler Herzmassage kam es zur Erholung, dann wieder zu einer Verschlechterung des
Zustands. Der Kläger wurde von einem Hubschrauberarzt behandelt und dann der besseren Weiterversorgung wegen mit dem Rettungswagen
in das M______-L_______-Krankenhaus in S________ verbracht, wo er zur stationären Weiterbehandlung bis 14. Oktober 1994 verblieb.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Durchgangsarztbericht vom 6. Oktober 1994 und den Nachschaubericht vom 13. Oktober 1994
nebst Anlagen (Bl. 2 ff. der Leistungsakte) Bezug genommen.
Die See-Berufsgenossenschaft, eine Rechtsvorgängerin der Beklagten, gewährte dem Kläger seinerzeit Leistungen aus der gesetzlichen
Unfallversicherung, insbesondere Verletztengeld bis zum 4. Januar 1995. Ein Rentenverfahren führte sie nicht durch.
Der Kläger setzte seine Ausbildung, die planmäßig zum 14. August 1997 geendet hätte, infolge des erlittenen Arbeitsunfalls
nicht fort.
Am 17. Juli 1997 wurde der Kläger mit einem Kollapszustand bei Enteritis und konsekutiver Hyperventilationsstörung stationär
im M______-L_______-Krankenhaus aufgenommen. In dem Befund- und Behandlungsbericht über den Krankenhausaufenthalt vom 17.
bis zum 28. Juli 1997 teilte Prof. Dr. S______ u.a. mit, dass es während des Aufenthalts wiederholt zu Erregungs- und Angstzuständen
mit Verkrampfungen und Hyperventilation gekommen sei. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 304 f. der Leistungsakte Bezug genommen.
Am 11. April 2011 teilte der Kläger Beklagten mit, dass er wegen der Folgen des Arbeitsunfalls immer wieder arbeitsunfähig
sei. Er leide unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Die Beklagte nahm daraufhin medizinische Ermittlungen auf und holte ein psychologisches Gutachten des Diplom-Psychologen G________
ein. Dieser ging in seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 29. September 2011 davon aus, dass der Unfall vom 6.
Oktober 1994 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einem psychischen Primärschaden im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung
(ICD-10: F 43.1) geführt habe. Der weitere Verlauf sei durch eine Ausweitung der Symptomatik gekennzeichnet gewesen, geschuldet
dem Umstand, dass es bis Ende 1997 nicht zu einer gezielten und umfänglichen psychotherapeutischen Intervention gekommen sei.
Die Angst habe schließlich zu einer Panikstörung (ICD-10: F 41.0) sowie zu einer Hypochondrie (ICD-10: F 45.2) und später
zu einer spezifischen Phobie (ICD-10: F 40.2) sowie zu einer Zwangsstörung (ICD-10: F 42.2) geführt. Darüber hinaus hätten
die mit den genannten psychischen Reaktionen in Zusammenhang stehenden Einschränkungen der Lebensqualität zu einer rezidivierenden
depressiven Störung, gegenwärtig in einer leichten Episode (ICD-10: F 33.0) geführt. Eine differenzierte Feststellung der
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sei retrospektiv schwierig. Er empfehle jedoch für den Zeitraum vom 6. Oktober 1994 bis
zum Zeitpunkt der Begutachtung (23. August 2011) eine MdE von 30 v.H., danach von 20 v.H. Wegen der Einzelheiten wird auf
das Gutachten (Bl. 185 ff. der Leistungsakte) Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 23. Februar 2012 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE von 20
v.H. beginnend ab 17. Juli 1997, die sie dem Kläger für Zeiträume ab 1. Januar 2007 auszahlte. Für Zeiträume davor berief
sie sich auf Verjährung. Die Höhe der Rente wurde vorläufig mit 185,14 EUR bemessen. Dabei legte die Beklagte den Mindest-JAV
zugrunde. Wegen der Einzelheiten wird auf den Bewilligungsbescheid (Bl. 455 der Leistungsakte) Bezug genommen. Gegen diesen
Bescheid legte der Kläger keinen Widerspruch ein; ein später wegen der für Zeiträume vor dem 1. Januar 2007 erhobenen Verjährungseinrede
gestellter Überprüfungsantrag blieb ohne Erfolg (Bescheid vom 19. November 2012, Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2013).
Die Beklagte führte im Anschluss an die Erteilung des Bescheids vom 23. Februar 2012 Ermittlungen zum JAV durch. Dabei befragte
sie sowohl den ehemaligen Arbeitgeber des Klägers, Herrn K_____-H_____ W______, als auch die eigene Mitgliederabteilung. Wegen
der Einzelheiten wird auf Bl. 512 der Leistungsakte Bezug genommen.
Mit Bescheid "über endgültige Feststellung des JAV" vom 16. Mai 2012 stellte die Beklagte den JAV endgültig mit 28.224,00
DM fest. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass vorliegend der Mindest-JAV greife, weil die für A______ im Zeitpunkt des
voraussichtlichen Ausbildungsendes ermittelte Heuer mit ca. 22.800,00 DM niedriger gewesen sei. Im Einzelnen wird auf Bl.
517 ff. der Leistungsakte Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 24. Mai 2012 Widerspruch ein und machte im Hinblick auf Auskünfte einzelner Fischereigenossenschaften
(Fischereigenossenschaft Fehmarn-Erzeugergemeinschaft e.G., Küstenfischer Nord e.G. in Heiligenhafen) einen höheren JAV geltend.
Heute seien Bruttogehälter von ca. 30.000,00 EUR erzielbar, wobei die Bruttogehälter erheblich zwischen 2.000,00 EUR und 5.000,00
EUR monatlich variierten, je nach Kuttergröße. Zwar lasse dies nur mittelbar Rückschlüsse auf das im Jahre 1997 zu erzielende
Einkommen zu. Es sei aber jedenfalls von einem fortgeschriebenen JAV in Höhe von jetzt 30.000,00 EUR auszugehen.
Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2013 zurück. Berechnungsgrundlage für eine aus
der gesetzlichen Unfallversicherung gewährte Verletztenrente sei neben dem Grad der MdE auch der JAV des Verletzten. Als JAV
gelte gemäß §
82 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) im Regelfall der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte und Arbeitseinkommen des Versicherten in den zwölf Monaten vor dem Monat,
in dem der Versicherungsfall eingetreten sei. Trete der Versicherungsfall während der Berufsausbildung ein, werde, wenn es
für den Versicherten günstiger sei, der JAV von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall
voraussichtlich beendet worden wäre. Der Neufestsetzung werde das Arbeitsentgelt zugrunde gelegt, das zu diesem Zeitpunkt
für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag vorgesehen sei; bestehe keine tarifliche Regelung,
sei das Arbeitsentgelt maßgebend, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort des Versicherten gelte (§
90 Abs.
1 SGB VII). Diese Regelung sei einschlägig. Der Kläger habe seine Ausbildung wegen der Folgen des Arbeitsunfalls nicht abschließen
können. Ermittlungen hätten ergeben, dass es zum Zeitpunkt der voraussichtlichen Beendigung seiner Ausbildung keine tariflichen
Regelungen zur Entlohnung von voll ausgebildeten Fischwirten (Facharbeiter Deck) gegeben habe, so dass allein auf die ortsübliche
Entlohnung eines vergleichbaren Versicherten abzustellen sei. Diesbezüglich seien Auskünfte der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein,
des Landesfischereiverbandes Schleswig-Holstein und des ehemaligen Arbeitgebers des Klägers eingeholt worden. Die Verbände
hätten jedoch statistisch keine Daten erfasst und der ehemalige Arbeitgeber des Klägers habe im gesamten Jahr 1997 keine Fischwirte
(Facharbeiter Deck) beschäftigt, so dass insoweit keine Vergleichsmöglichkeiten vorlägen. Die Beklagte habe deshalb die für
die Beitragsrechnung gemeldeten Entgelte von vergleichbaren Facharbeitern in vergleichbaren Fischereibetrieben herangezogen.
Dabei habe die Heuer eines vergleichbaren Versicherten in einem vergleichbaren Betrieb (Fischkutter, ca. 17 m lang, Motorisierung
ca. 160 kW, 2-Mann-Besatzung, Schleppnetzfischerei, westliche Ostseebereich, Hafen A_______) im fraglichen Zeitraum in Höhe
von 22.745,59 DM ermittelt werden können. Dieser Betrag liege deutlich unter dem Mindest-JAV. Eine weitere Erhöhung des JAV
bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres am 5. Oktober 2003 gemäß §
90 Abs.
2 SGB VII komme ebenfalls nicht in Betracht. Deshalb sei der JAV endgültig in Höhe des zum Unfallzeitpunkt geltenden Mindest-JAV von
28.224,00 DM festzustellen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid (Bl. 738 der Leistungsakte) Bezug genommen.
Gegen den Bescheid vom 16. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2013 hat der Kläger am 28. März
2013 Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben.
Der Kläger hat zur Begründung der Klage sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft und insbesondere beanstandet, dass
die Beklagte für die Bestimmung des ortsüblichen Arbeitsentgelts den Verdienst lediglich eines einzigen vergleichbaren Versicherten
zugrunde gelegt habe. Er hat die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeregt.
Während des erstinstanzlichen Verfahrens ist aufgrund eines Verschlimmerungsantrags die Verletztenrente mit Bescheid vom 25.
Juni 2013 mit Wirkung vom 1. März 2013 insoweit erhöht worden, als diese seither nach einer MdE von 30 v.H. gezahlt wird.
Grundlage der Neubewertung der MdE ist ein Psychologisches Gutachten des Diplom-Psychologen G________ gewesen, der wegen einer
wesentlichen Verschlimmerung der unfallbedingten Zwangsstörung und der Depression ab dem Zeitpunkt seiner Neubegutachtung
am 3. April 2013 ein MdE von 30 v.H. vorgeschlagen hatte. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten (Bl. 794 ff. der Leistungsakte)
Bezug genommen.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2013 zu ändern und in
der Rentenberechnung zugrunde gelegten Jahresarbeitsverdienst endgültig mit 30.000,00 EUR festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat auf den Inhalt seiner Bescheide Bezug genommen.
Mit Urteil vom 27. Januar 2016 hat das Sozialgericht Schleswig die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe in den angefochtenen
Bescheiden, auf die nach Maßgabe des §
136 Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Bezug genommen werde, ausführlich und nachvollziehbar erläutert, auf welcher Grundlage die endgültige Festlegung des JAV
in Höhe von 28.224,00 DM erfolgt sei. Die Ermittlungen des Gerichts hätten keine weitergehenden Erkenntnisse gebracht und
zu keinem anderen Ergebnis geführt als dem, zu dem die Beklagte bereits im Vorverfahren gekommen sei. Soweit der Kläger einen
JAV von 30.000,00 EUR behaupte, fehle es an einer rechtlich nachvollziehbaren Begründung. Es sei jedoch nach dem Grundsatz
der objektiven Beweislastverteilung Aufgabe des Klägers, die anspruchsbegründenden Tatsachen darzulegen und zu beweisen.
Gegen das ihm am 6. April 2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 26. April 2016 Berufung beim Schleswig-Holsteinischen
Landessozialgerichts erhoben.
Zur Begründung hat er zunächst sein bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft, während sich auch die Beklagte zur Verteidigung
auf den Inhalt ihrer Bescheide und ihr bisheriges Vorbringen Bezug genommen hat.
Nachdem die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 10. Mai 2016 bzw. 4. Februar 2019 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung
durch den Berichterstatter erklärt hatten, hat der Berichterstatter die Sache in der mündlichen Verhandlung vom 11. September
2019 mit der Maßgabe vertagt, dass die Sache durch den Senat entschieden werden solle. Dazu hat er in seiner Hinweisverfügung
vom 12. September 2019 ausgeführt, dass eine Anwendung des §
92 SGB VII und damit die fiktive Festsetzung von Durchschnittsheuern im Raum stehe und dass es alternativ sachgerecht sein könnte, im
Wege einer vergleichsweisen Einigung auf die Heuer einer ungelernten Kraft (des Beschäftigten B______) abzustellen, der in
der zweiten Jahreshälfte 1997 im Fischereibetrieb K_____-H______ W_______ beschäftigt war. Wegen der Einzelheiten auf Bl.
165 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen wird.
Der Kläger schließt sich im Wesentlichen diesen Hinweisen des Berichterstatters an. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum
die Einkünfte des Beschäftigten B______ keinen sicheren Rückschluss auf fiktive Einkünfte zulassen sollten. Die Beklagte gehe
offensichtlich davon aus, dass die Einkünfte aus Fischerei bei Aushilfen höher seien als die Einkünfte ausgebildeter Fachkräfte.
Dies sei abwegig.
Er beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 27. Januar 2016 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2012 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Februar 2013 und den Bescheid vom 25. Juni 2013 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten,
über die Höhe der Verletztenrente unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass Fischwirte zu den Seeleuten im Sinne des §
13 Abs.
1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (
SGB IV) gehörten und Fischkutter Seeschiffe im Sinne des §
13 Abs.
2 SGB IV seien. Dies habe in der Tat zur Folge, dass auch für Seeleute in der Küstenfischerei grundsätzlich §
92 SGB VII Anwendung finde. Dies gelte auch für die nach §
92 Abs.
4 SGB VII zu bildenden Durchschnittsheuern, die vom zuständigen Ausschuss der Vertreterversammlung der Beklagten festgesetzt würden.
Dieser Ausschuss habe in seiner Sitzung vom 23. November 1992 beschlossen, die Anwendung des "Abschnitts G" auf die Betriebe
der Kleinen Hochsee- und Küstenfischerei auszudehnen. Die Durchschnittsheuer werde danach auf Basis der tatsächlich gezahlten
Bruttoentgelte jeden Monat neu vom Arbeitgeber nach diesen Berechnungsvorgaben ermittelt. Maßgebend sei demnach der tatsächlich
erzielte Verdienst. Eine Beitragsübersicht entsprechend "Abschnitt A/B" gebe es für die Betriebe der Kleinen Hochsee- und
Küstenfischerei nicht. Hintergrund für die in der Kleinen Hochsee- und Küstenfischerei geltende Durchschnittsheuerregelung
sei die Tatsache, dass in diesem Bereich keine Tarifverträge Anwendung fänden. Die Verdienste schwankten von Betrieb zu Betrieb
erheblich, so dass auch keine allgemein gültigen Durchschnittswerte festgesetzt werden könnten. Die Bruttogehälter würden
in beträchtlichem Umfang durch die Fangerlöse beeinflusst, die wiederum von unterschiedlichen Faktoren abhängig seien. Die
Grundsätze für Unternehmen der Seefahrt, deren Beschäftigte klassische "Festheuern" erhielten, könnten deshalb im Bereich
der Kleinen Hochsee- und Küstenfischerei keine Anwendung finden. Beim Kläger sei eine JAV-Berechnung nach §
90 Abs.
1 i.V.m. §
92 Abs.
1 SGB VII nicht möglich, da letztendlich kein tatsächlich erzielter Verdienst des Versicherten vorliege und deshalb auch kein Durchschnittsentgelt
errechnet werden könne. Wenn auf die Gesetzesbegründung des historischen Gesetzgebers abgestellt werde, müssten die Unterschiede
zwischen der Kleinen Hochsee- und Küstenfischerei einerseits und der Kauffahrtei und Großen Hochseefischerei andererseits
in Betracht gezogen werden. Nur bei letzterer könne es unterschiedliche Verdienste aufgrund in- und ausländischer Häfen geben.
Die Tarifstrukturen, die bei der Festsetzung der Durchschnittsheuer zugrunde zu legen seien, enthielten auch entsprechende
Unterscheidungen nach Fahrgebieten und Schiffsgrößen. Derartige Unterscheidungen gebe es in der Kleinen Hochsee- und Küstenfischerei
nicht. Hier schwankten die Bruttoentgelte bereits monatlich bei ein und demselben Arbeitgeber, so dass ein fester Durchschnittswert
zu erheblichen Ungerechtigkeiten sowohl in der Beitragsberechnung als auch auf der Leistungsseite führen würde. Daher müsse
die Durchschnittsheuer jeden Monat neu aufgrund der tatsächlichen Verdienste im Einzelfall gebildet werden, um der angemessenen
sozialen Absicherung des Seemanns gerecht zu werden. Es könne schließlich auch keine Vergleichbarkeit des von Herrn B______
als Hilfskraft an Deck im Zeitraum 21. August 1997 bis 31. Dezember 1997 erzielten Verdienstes mit einem Verdienst eines fiktiv
im August 1997 angestellten Fischwirts im Unfallbetrieb hergestellt werden. Der fiktive Verdienst eines Fischwirts im Unfallbetrieb
im August 1997 könne aufgrund diverser Umstände vom tatsächlichen Verdienst einer Hilfskraft erheblich abweichen. Letztlich
könnten keine verlässlichen Rückschlüsse aus dem Verdienst des Herrn B_______ für den Kläger gezogen werden, weil der Verdienst
eines Fischwirts in der Küstenfischerei insbesondere von der Größe der Besatzung, der erzielten Fangquote sowie dem Verkaufspreis
für den gefangenen Fisch abhänge. Darüber hinaus sei nicht bekannt, welchen Verdienst Herr B_______ in den jeweiligen Monaten
September bis Dezember 1997 bzw. dem Teilmonat August 1997 gehabt habe. Auch hier habe es zu erheblichen Schwankungen von
Monat zu Monat kommen können.
Dem Senat haben die Leistungsakten der Beklagten vorgelegen. Auf diese Akten und auf die Gerichtsakte wird wegen des der Entscheidung
zugrunde liegenden Sachverhalts ergänzend Bezug genommen. Dem Senat haben ferner vorgelegen die vom Ausschuss der Beklagten
zur Festsetzung der seemännischen Durchschnittsheuern und Durchschnittsjahreseinkommen (§
92 Abs.
4 SGB VII) beschlossenen Beitragsübersichten Kauffahrtei und Große Seeschifffahrt einerseits sowie Kleine Seeschifffahrt und Küstenfischerei
andererseits in der Fassung Stand: 1. Januar 2019, die vom Senat und vom Beklagten zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gemacht worden sind. Dem Senat haben ferner vorgelegen die Niederschriften über die Sitzungen des Ausschusses zur Festsetzung
der seemännischen Durchschnittsheuern vom 23. November 1992 und 8. März 1993. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 204 ff.
der Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet in Vollbesetzung (§
33 Abs.
1 Satz 1
SGG), obwohl sich die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 10. Mai 2016 und 4. Februar 2019 mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter
einverstanden erklärt hatten (§
155 Abs.
3 und
4 SGG) und dieser zunächst auch einen Termin zur mündlichen Verhandlung am 11. September 2019 durchgeführt hatte. Die Entscheidung
in Vollbesetzung ist, worauf der Berichterstatter die Beteiligten bereits im Termin am 11. September 2019 hingewiesen hatte,
wegen der sich stellenden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung zur Gewährleistung des Rechts auf den gesetzlichen Richter
erforderlich.
Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden (§
151 Abs.
1 SGG). Sie ist zulassungsfrei statthaft, weil die Beteiligten - dazu im Einzelnen sogleich - im Höhenstreit über eine laufende
Geldleistung (Verletztenrente) streiten, die für mehr als ein Jahr gezahlt worden ist und wird und auch für diesen Zeitraum
in Streit steht (vgl. §
144 Abs.
1 Satz 2
SGG). Im Übrigen wäre bei überschlägiger Würdigung aber auch die Wertgrenze von 750,00 EUR (§
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG) deutlich überschritten.
Die Berufung ist auch begründet. Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Klage vom 28. März 2013 mit dem angefochtenen Urteil
vom 27. Januar 2016 in vollem Umfang abgewiesen.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens sind zunächst der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 28. Februar 2013 sowie der Anspruch des Klägers auf Neufestsetzung der Höhe des Rentenanspruchs. Gegenstand bereits des
Klageverfahrens ist außerdem der Bescheid der Beklagten vom 25. Juni 2013 über die Erhöhung der Verletztenrente ab 1. März
2013 geworden, weil dieser Bescheid, der nach Erlass des Widerspruchsbescheids ergangen ist, den angefochtenen Bescheid aus
den sogleich noch darzulegenden Gründen abgeändert hat (§
96 Abs.
1 SGG).
Die Klage ist zulässig. Sie ist insbesondere als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1
SGG) statthaft.
Zunächst unterliegen der Bescheid vom 16. Mai 2012 und der Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2013 (sowie der Bescheid vom
25. Juni 2013) der Anfechtung. Zwar hat die Beklagte bei allein wortlautorientierter Auslegung ihres Bescheids vom 16. Mai
2012 (nur) über den JAV entschieden ("Bescheid über die endgültige Feststellung des Jahresarbeitsverdienstes"), obwohl der
JAV nach höchstrichterlicher Rechtsprechung der isolierten Elementenfeststellung nicht zugänglich ist und die Feststellung
oder Neufeststellung eines JAV daher grundsätzlich mangels unmittelbarer Rechtswirkung nach außen kein mit der Anfechtungsklage
anfechtbarer oder mit der Verpflichtungsklage einklagbarer Verwaltungsakt i.S. des § 31 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) sein kann (BSG, Urteile vom 18. September 2012 - B 2 U 14/11 R - juris Rn. 18 und vom 23. Juli 2015 - B 2 U 9/14 R - BSGE 119, 210 = SozR 4-2700 § 82 Nr 1, juris Rn. 11).
Der angefochtene Bescheid ist jedoch der Auslegung zugänglich, der es im Lichte der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art.
19 Abs.
4 Grundgesetz [GG]) angesichts der Umstände des Einzelfalls auch bedarf. Der Senat vermag den Bescheid vom 16. Mai 2012 nur so zu verstehen,
als dass die Beklagte damit die mit Bescheid vom 23. Februar 2012 - wegen der noch nicht abgeschlossenen Ermittlungen über
den JAV - der Höhe nach zunächst nur vorläufig bewilligte Verletztenrente wegen der inzwischen durchgeführten Ermittlungen
zum JAV endgültig festsetzen wollte und sich lediglich untechnisch auf Ausführungen zum JAV als dem einzigen für sie noch
offenen Merkmal des Anspruchs beschränkt hat. Dafür spricht ganz maßgeblich auch, dass die Beklagte selbst im Laufe des Verfahrens
wiederholt auf die Einbeziehung des Bescheids vom 25. Juni 2013 gedrungen hat, mit dem sie dem Kläger (wegen der Anerkennung
einer inzwischen höheren MdE von 30 v.H.) eine höhere Rente gewährt hat. Die Einbeziehung nach §
96 Abs.
1 SGG kommt aber nur in Betracht, wenn der neue Bescheid während des Klageverfahrens den angefochtenen Bescheid ändert oder ersetzt.
Diese Voraussetzungen sind indes nur dann gegeben, wenn auch der angefochtene Bescheid bereits die Höhe der Verletztenrente
geregelt hat, denn der JAV ist durch den Bescheid vom 25. Juni 2013 nicht geändert worden.
Soweit der Kläger über die Aufhebung der angefochtenen Bescheide hinaus der Sache nach letztlich eine höhere Verletztenrente
begehrt, ist hingegen ausnahmsweise nicht die (unechte) Leistungsklage (§
54 Abs.
4 SGG), sondern (nur) die Verpflichtungsklage in Gestalt der Verpflichtungsbescheidungsklage (§
54 Abs.
1 Satz 1
SGG) statthaft. Dem Senat ist es hier ausnahmsweise verwehrt, die Höhe der Verletztenrente selbst zu bestimmen, weil - dies wird
im Einzelnen später ausgeführt - eines der beiden Berechnungselemente, der JAV, vorliegend aufgrund eines Durchschnittsentgelts
zu bestimmen ist, das gemäß §
92 Abs.
4 SGB VII von einem von der Vertreterversammlung der Beklagten zu bildenden Ausschuss festzusetzen ist. Der Senat sieht sich außerstande,
sich über diese Befugnis zur autonomen Rechtssetzung hinwegzusetzen und das für die hier in Rede stehende Fiktivbemessung
erforderliche Durchschnittsentgelt selbst zu ermitteln. Es kann deshalb nur die Verpflichtung der Beklagten begehrt werden,
über die Höhe der Verletztenrente unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
In diesem Sinne ist die Klage auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 16. Mai 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 28. Februar 2013 und der Bescheid vom 25. Juni 2013 sind rechtswidrig und beschweren den Kläger. Er hat gegen die Beklagte
einen Anspruch darauf, dass diese - nach vorheriger Festsetzung des monatlichen Durchschnittsentgelts durch den von der Vertreterversammlung
der Beklagten gebildeten Ausschuss zur Festsetzung der seemännischen Durchschnittsheuern und zur Festsetzung des Durchschnitts
der Jahreseinkommen, der die rechtlichen Vorgaben aus diesem Urteil zu beachten haben wird - über die Höhe seiner Verletztenrente
erneut entscheidet.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Verletztenrente folgt aus §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII. Diese Vorschrift findet nach Maßgabe des §
214 Abs.
3 Satz 1
SGB VII Anwendung, obwohl der Versicherungsfall (hier: der Arbeitsunfall vom 6. Oktober 1994) vor Inkrafttreten des
SGB VII zum 1. Januar 1997 eingetreten ist. Denn die Rente war zur Überzeugung des erkennenden Gerichts erst zum 17. Juli 1997 und
damit nach Inkrafttreten des
SGB VII erstmals festzusetzen. Der Senat folgt damit der gutachterlichen Bewertung des Diplom-Psychologen G_______, der den Nachweis
der von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen erst mit dem Befundbericht von Prof. Dr. S______ über den Krankenhausaufenthalt
vom 17. bis zum 28. Juli 1997 für gegeben erachtet.
Nach §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall
hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist, Anspruch auf eine Rente. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Kläger erlitt nach Überzeugung des erkennenden Senats am 6. Oktober 1994 einen versicherten Arbeitsunfall, als er das
unter Starkstrom stehende Schweißgerät berührte. Die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls (§
8 Abs.
1 SGB VII) sind gegeben: Die Schweißarbeiten am Förderband standen in innerem Zusammenhang mit der versicherten Beschäftigung (§
2 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Das Entgegennehmen des Schweißgeräts führte infolge des Stromschlags zu einer körperlichen Einwirkung (Wirkursache) und
diese wiederum zu einem Gesundheitserstschaden (hochfrequente Kammertachykardie). Versicherte Tätigkeit, Einwirkung und Gesundheitserstschaden
sind nach Überzeugung des Senats im Vollbeweis, die Ursachenzusammenhänge - im Sinne der Theorie von der wesentlichen Bedingung
- zumindest mit Wahrscheinlichkeit gesichert. Dies alles steht zwischen den Beteiligten letztlich außer Streit.
Die Erwerbsfähigkeit des Klägers ist durch den Arbeitsunfall auch über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus um mindestens
20 v.H. gemindert. Auch insoweit folgt der Senat dem schlüssigen und in jeder Hinsicht nachvollziehbaren Sachverständigengutachten
des Diplom-Psychologen G_______ vom 29. September 2011, der als Unfallfolge eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
(ICD-10: F 43.1), eine Panikstörung (ICD-10: F41.0), eine Hypochondrie (ICD-10: F45.2), eine spezifische Phobie (ICD-10: F
40.2) sowie Zwangsgedanken und -handlungen, gemischt (ICD-10: F 42.2) rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig in einer
leichten Episode (ICD-10: F 33.0) festgestellt und angesichts dieser Gesundheitsstörungen über den gesamten Zeitraum hinweg
von einer MdE von wenigstens 20 v.H. ausgegangen ist. Herr G_______ hat dabei nachvollziehbar insbesondere auf die Wiederinszenierung
der Durchströmung sowie der darauf folgenden intensivmedizinischen Behandlung (PTBS) und die sich in der Folge entwickelnde
Angst abgehoben, an plötzlichem Herzversagen sterben zu können. Er hat seine Einschätzung zudem mit den Zwangshandlungen begründet,
denen die Funktion zukomme, kurzzeitig die Angst vor einer erneuten Durchströmung zu kontrollieren. Angesichts der in der
Literatur vertretenen Richtwerte, die bei dem üblichen Störungsbild einer PTBS von einer MdE bis 30 v.H., bei einer Panikstörung
mit zeitlich begrenzten Angstattacken mit mäßiggradiger Auswirkung von einer MdE von 20 v.H. und bei spezifischen Phobien
von einer MdE zwischen 10 und 30 v.H. ausgehen - hier dürfte ein Wert von 15 v.H. nachvollziehbar sein - (vgl. zum Ganzen
Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 170 f.), ist die Einschätzung einer MdE
in rentenberechtigendem Grade absolut nachvollziehbar.
Besteht danach dem Grunde nach Anspruch auf eine Verletztenrente, bestimmt sich die Höhe von §
56 Abs.
3 SGB VII. Danach wird bei Verlust der Erwerbsfähigkeit Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes.
Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente
festgesetzt, der dem Grad der MdE entspricht. Ob der Kläger danach Anspruch auf eine höhere als die ihm mit den angefochtenen
Bescheiden bewilligte Verletztenrente hat, kann der Senat nicht abschließend entscheiden. Er kann lediglich Feststellungen
zur Höhe der MdE treffen. Für die eigenständige Feststellung des JAV, dessen Ermittlung von einer autonomen Entscheidung des
Ausschusses der Beklagten abhängig ist, fehlt ihm die Sachlegitimation. Der Senat ist allerdings davon überzeugt, dass die
Bestimmung des JAV durch den Beklagten nicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Die Beklagte wird deshalb unter Beachtung
der Rechtsauffassung des Gerichts über die Höhe des JAV neu zu entscheiden haben.
Die MdE ist für den Zeitraum ab Rentenbeginn bis März 2013 nach Überzeugung des Senats mit 20 v.H., für Zeiträume ab April
2013 mit 30 v.H. zu bemessen. Der Senat folgt auch insoweit grundsätzlich den schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten
des Sachverständigen G_______ vom 29. September 2011 und 10. Juni 2013. Wegen des Zeitraums bis März 2013 wird auf die obigen
Ausführungen zum Gutachten vom 29. September 2011 Bezug genommen. Wie die Beklagte vermag allerdings auch der Senat dem Diplom-Psychologen
G_______ nicht in der Einschätzung zu folgen, dass die MdE von 1997 bis zum Tag der Begutachtung im August 2011 30 v.H. und
danach 20 v.H. betragen habe. Für eine derartige Differenzierung finden sich in den Akten keine hinreichend aussagekräftigen
Befunde. Deshalb kann nicht ohne Weiteres, und ohne dass Tatsachen eine signifikante Verbesserung der Erwerbsfähigkeit belegen
würden, für die Vergangenheit eine höhere MdE anerkannt werden als die, die in der Begutachtungssituation festgestellt worden
ist. Nachvollziehbar ist Herr G_______ dagegen im Rahmen der Neubegutachtung am 10. Juni 2013 zu einer MdE von 30 v.H. seit
seiner Untersuchung am 3. April 2013 gelangt, weil er bei im Wesentlichen unveränderten Auswirkungen der PTBS, der Panikstörung,
der allgemeinen Krankheitsangst und der spezifischen Phobie eine Verschlimmerung der Zwangssymptomatik mit zunehmender Beeinträchtigung
von Aktivität und Teilhabe und einer Verschlimmerung auch im Bereich der Depressivität (derzeit mittelgradige depressive Episode)
ausgegangen ist. Auch dies lässt sich anhand der Erfahrungs- bzw. Richtwerte (Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O., S. 170
f.) sehr gut nachvollziehen.
Soweit die Beklagte den JAV in Höhe des Mindest-JAV zugrunde gelegt hat, entspricht dies jedenfalls in der Art und Weise der
Ermittlung nicht den gesetzlichen Vorgaben. Dies ist deshalb erheblich und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen
als rechtswidrig, weil nicht auszuschließen ist, dass bei einer den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden Bemessung ein höherer
JAV zu berücksichtigen und dem Kläger folgerichtig eine höhere Verletztenrente zu gewähren wäre.
Auch für die Bemessung des JAV gelten die Bestimmungen des
SGB VII (§§
81 ff.
SGB VII) und nicht diejenigen der
Reichsversicherungsordnung (
RVO), obwohl der Versicherungsfall am 6. Oktober 1994 und damit zu einer Zeit eingetreten ist, in der noch die
RVO galt. Gemäß §
214 Abs.
2 Satz 1
SGB VII sind die Regelungen des
SGB VII über den JAV anzuwenden, wenn die erstmalige Festsetzung des JAV nach Inkrafttreten des
SGB VII zum 1. Januar 1997 erfolgt ist. Das ist hier mit der erstmaligen Feststellung durch den Bescheid vom 23. Februar 2012 bzw.
den angefochtenen Bescheid vom 16. Mai 2012 der Fall.
Nach §
82 Abs.
1 Satz 1
SGB VII ist der JAV grundsätzlich der Gesamtbetrag der Arbeitsentgelte (§
14 Sozialgesetzbuch Viertes Buch [SGB IV]) und Arbeitseinkommen (§
15 SGB IV) des Versicherten in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat, in dem der Versicherungsfall eingetreten ist. Für Zeiten, in
denen der Versicherte in dem in Absatz 1 Satz 1 genannten Zeitraum kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen bezogen hat,
wird gemäß §
82 Abs.
2 Satz 1
SGB VII das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde gelegt, das seinem durchschnittlichen Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen
in den mit Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen belegten Zeiten dieses Zeitraums entspricht. Der JAV beträgt gemäß §
85 Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGB VII jedoch für Versicherte, die - wie vorliegend der Kläger - im Zeitpunkt des Versicherungsfalls das 18. Lebensjahr vollendet
haben, mindestens 60 v.H. der im Zeitpunkt des Versicherungsfalls maßgebenden Bezugsgröße (Mindest-JAV). Tritt der Versicherungsfall,
wie im Falle des Klägers, während einer Schul- oder Berufsausbildung ein, wird der JAV, wenn es für die Versicherten günstiger
ist, von dem Zeitpunkt an neu festgesetzt, in dem die Ausbildung ohne den Versicherungsfall voraussichtlich beendet worden
wäre oder bei einem regelmäßigen Verlauf der Ausbildung tatsächlich beendet worden ist. Der Neufestsetzung wird das Arbeitsentgelt
zugrunde gelegt, das in diesem Zeitpunkt für Personen gleicher Ausbildung und gleichen Alters durch Tarifvertrag vorgesehen
ist; besteht keine tarifliche Regelung, ist das Arbeitsentgelt maßgebend, das für derartige Tätigkeiten am Beschäftigungsort
der Versicherten gilt (§
90 Abs.
1 Sätze 1 und 2
SGB VII).
Nach Maßgabe dieser Kriterien hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden den JAV in Höhe des Mindest-JAV (28.224,00
DM) berücksichtigt, weil nach ihren Ermittlungen das ortsübliche Arbeitsentgelt in A_______ für einen Facharbeiter Deck im
Zeitpunkt des voraussichtlichen Ausbildungsendes des Klägers im August 1997 unter diesem Betrag gelegen habe. Dabei hat die
Beklagte die Anwendbarkeit des §
92 SGB VII verkannt.
Nach §
92 Abs.
1 Satz 1
SGB VII gilt als JAV für Versicherte, die an Bord eines Seeschiffs beschäftigt sind, das Zwölffache des nach Abs. 2 oder 4 festgesetzten
monatlichen Durchschnitts des baren Entgelts einschließlich des Durchschnittssatzes des Werts der auf Seeschiffen gewährten
Beköstigung oder Verpflegungsvergütung (Durchschnittsentgelt) zur Zeit des Versicherungsfalls. Diese Vorschrift ist vorliegend
anwendbar mit der Folge, dass der nach Maßgabe des Durchschnittsentgelts bestimmte JAV der vorliegend vorzunehmenden Fiktivberechnung
nach §
90 Abs.
1 SGB VII zugrunde zu legen ist.
Der Kläger ist als Versicherter an Bord eines Seeschiffs beschäftigt gewesen. Als deutsche Seeschiffe gelten gemäß §
13 Abs.
2 SGB IV alle zur Seefahrt bestimmten Schiffe, die berechtigt sind, die Bundesflagge zu führen. Ein Schiff ist jeder schwimmfähige
Hohlkörper von nicht ganz unbedeutender Größe, der fähig und dazu bestimmt ist, auf oder auch unter dem Wasser fortbewegt
zu werden und dabei Personen oder Sachen zu tragen (vgl. Grimmke in: jurisPK-
SGB IV, 3. Aufl. 2016, §
13 Rn. 19 m.w.N.). Seeschiffe sind nach § 1 Abs. 1 Flaggenrechtsgesetz (FlaggRG) alle Kauffahrteischiffe und sonstigen zur Seefahrt
bestimmten Schiffe. Davon ausgenommen sind lediglich festliegende Feuer- oder Museumsschiffe (Grimmke, a.a.O.). Daran gemessen
ist auch der Kutter, auf dem der Kläger beschäftigt gewesen ist, sowohl Schiff als auch Seeschiff, weil er zur Seefahrt, d.h.
zur Fahrt auf dem Meer und nicht lediglich auf Binnengewässern, bestimmt gewesen ist. Dass der Kutter lediglich der Küsten-
und nicht der Hochseefischerei gedient hat, ist für die Eigenschaft als Seeschiff unerheblich. Auch die Beklagte geht deshalb
inzwischen ohne Weiteres von der Anwendbarkeit des §
92 SGB VII aus.
Das für die Personengruppe der auf Seeschiffen beschäftigten Versicherten für den JAV zu Grunde zu legende Durchschnittsentgelt
wird gemäß §
92 Abs.
4 SGB VII von einem Ausschuss festgesetzt, den die Vertreterversammlung bildet. Die Festsetzung erfolgt im Bereich gleicher Tätigkeiten
einheitlich für den Geltungsbereich des
SGB VII (§
92 Abs.
5 Satz 1
SGB VII). Bei der Festsetzung werden die zwischen Reedern und Vereinigungen seemännischer Arbeitnehmer abgeschlossenen Tarifverträge
berücksichtigt (§
92 Abs.
5 Satz 2 Halbsatz 1
SGB VII). Für die in §
92 Abs.
1 SGB VII genannten Versicherten, die neben dem baren Entgelt, der Beköstigung oder Verpflegungsvergütung regelmäßige Nebeneinnahmen
haben, wird auch deren durchschnittlicher Geldwert bei der Festsetzung des Durchschnitts eingerechnet (§
92 Abs.
5 Satz 3
SGB VII).
Die durch den Ausschuss zur Festsetzung der seemännischen Durchschnittsheuern und zur Festsetzung des Durchschnitts der Jahreseinkommen
(§
92 Abs.
4 SGB VII) der Beklagten erfolgte Umsetzung dieses Regelungsauftrags ist nach Überzeugung des Senats nicht ermächtigungskonform.
Anders als in der Kauffahrtei und in der Großen Hochseefischerei, für die die Beklagte "echte" Durchschnittsheuern festsetzt
(vgl. Beitragsübersicht Kauffahrtei und Große Hochseefischerei, Stand 1. Januar 2019, S. 30 ff.), hat sich der Ausschuss zur
Festsetzung der seemännischen Durchschnittsheuern und zur Festsetzung des Durchschnitts der Jahreseinkommen (§
92 Abs.
4 SGB VII) für die Kleine Hochsee- und die Küstenfischerei für ein anderes System entschieden. Dort werden seit dem Beschluss des Ausschusses
vom 23. November 1992 die Durchschnittsheuern nach "Abschnitt G" der Beitragsübersicht zur Grundlage (auch) für die leistungsrechtliche
Bestimmung der Durchschnittsheuern zur Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes erhoben (vgl. Beitragsübersicht Kleine Hochseefischerei
und Küstenfischerei Stand 1. Januar 2019, S. 7 ff. und 28 ff.). Die beitragsrechtlichen Bestimmungen werden ohne Modifikation
in den leistungsrechtlichen Kontext der Bestimmung des JAV übertragen. Angeknüpft wird dabei an den tatsächlichen Verdienst
des jeweils individuell Beschäftigten in einem regelmäßig mindestens dreimonatigen Zeitraum. Die in der Beitragsübersicht
geregelten Berechnungsmodalitäten erlauben es der sachbearbeitenden Person, für diesen Zeitraum ein - beschäftigtenindividuelles
- Durchschnittsentgelt zu berechnen, das die sachbearbeitende Person dann mit einer in der Beitragsübersicht abgebildeten
Tabelle abgleichen kann, die bestimmte Einkommenskorridore und für jeden dieser Korridore jeweils wieder einen mittelnden
Durchschnittswert vorsieht, um auf diese Weise zu einem pauschalierten Durchschnittswert zu gelangen. Die so gebildete Durchschnittsheuer
hängt damit sehr stark vom individuellen Verdienst des Beschäftigten und vom durch den Arbeitgeber gewählten Beitragsabrechnungszeitraum
ab.
Diese Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben steht weder mit dem Wortlaut des §
92 SGB VII noch mit der Systematik des Dritten Abschnitts des Dritten Kapitels des
SGB VII noch mit der Entstehungsgeschichte der Vorschrift des §
92 SGB VII und dessen Sinn und Zweck in Einklang.
Zunächst verlangt es bereits der Wortlaut des §
92 Abs.
4 SGB VII, dass das monatliche Durchschnittsentgelt durch den Ausschuss "festgesetzt" wird. Die Festsetzung erfolgt nach §
92 Abs.
5 Satz 1
SGB VII "im Bereich gleicher Tätigkeiten einheitlich für den Geltungsbereich dieses Gesetzes." Beiden Anforderungen wird "Abschnitt
G" der Beitragsübersicht nicht gerecht.
So findet bereits eine Beitragsfestsetzung nicht statt. Die Beitragsübersicht bestimmt lediglich abstrakte Berechnungsfaktoren
und -modalitäten für die Festsetzung eines Durchschnittsentgelts durch die Sachbearbeitung im Einzelfall, wobei die in der
Beitragsübersicht geregelte D-Heuer auch keinen Durchschnitt abbildet, sondern lediglich eine beitragsrechtlichen Interessen
geschuldete monatliche Pauschalierung.
Es findet auch keine einheitliche Festsetzung im Bereich gleicher Tätigkeiten statt. Die Kommentarliteratur verlangt insoweit
eine Differenzierung nach der Art der Tätigkeit und benennt als Differenzierungskriterien beispielhaft die Größe des Schiffs,
den Fahrbereich, die Dienststellung der Besatzungsmitglieder und deren Fahrzeit (Schmitt,
SGB VII, 4. Aufl. 2009, §
92 Rn. 10; Keller in: Hauck/Noftz,
SGB VII, §
92 Rn. 10; Woelki in: jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl. 2014, §
92 Rn. 17).
Eine solche Differenzierung gibt es für die Kleine Hochseefischerei und Küstenfischerei nach "Abschnitt G" nicht und sie würde
nach der Konzeption der Beklagten für diesen Bereich auch keinen Sinn machen, da die Bildung des (vermeintlichen) "Durchschnittsentgelts"
ja nach dem jeweils individuellen Verdienst bemessen wird. Folglich gilt die herangezogene Tabelle im "Abschnitt G" denn auch
unterschiedslos für alle Fahrzeuge im Bereich der Kleinen Hochsee- und der Küstenfischerei ohne Rücksicht auf Größe und Ausstattung
und für alle Arbeitnehmer von Kapitän über Nautischen und Technischen Offizier, Bestmann, Fischwirt, Matrose, Gehilfe, Deckshelfer,
Motoren- und Maschinenwärter, Netzmacher, Koch, Leichtmatrose bis zum Auszubildenden. Dieses System mag im Rahmen der Beitragserhebung,
für die es originär geschaffen worden ist, sachgerecht erscheinen; mit dem Wortlaut des §
92 Abs.
4 SGB VII geht es nicht konform.
Das Durchschnittsentgelt auf diese Weise zu bestimmen, läuft auch der Systematik des den JAV betreffenden Dritten Abschnitts
des Dritten Kapitels zuwider. Zunächst ist eine Sonderregelung, als die sich der §
92 SGB VII darstellt ("Vierter Unterabschnitt. Besondere Vorschriften für die Versicherten der See-Berufsgenossenschaft und ihre Hinterbliebenen")
nur dann überhaupt sinnvoll, wenn mit ihr vom Regelsystem signifikant abgewichen wird. Dies ist bei der Bestimmung des JAV
auf Grundlage eines nach "Abschnitt G" der Beitragsübersicht gebildeten JAV aber gerade nicht der Fall. Auch §
82 Abs.
1 SGB VII knüpft an das in den letzten zwölf Kalendermonaten vor dem Versicherungsfall versichertenindividuell erzielte Arbeitsentgelt
an. Auch hier wird nach §
82 Abs.
2 Satz 1
SGB VII das in diesem Zeitraum erzielte monatliche Durchschnittseinkommen fiktiv auch für Zeiträume zugrunde gelegt, in denen kein
Arbeitsentgelt erzielt worden ist. Die Beitragsübersicht nach "Abschnitt G" unterscheidet sich davon nicht grundlegend; wo
sie sich unterscheidet, kommt sie allerdings (bei für die Beitragsergebung billigen Ergebnissen) zu leistungsrechtlich eher
unbilligen, weil willkürlichen Ergebnissen.
Insoweit ist im systematischen Kontext insbesondere zu berücksichtigen, dass die Berechnung des fiktiven JAV nach Maßgabe
des §
90 Abs.
1 SGB VII mit dem seitens der Beklagten in dieser Weise ermittelten JAV nicht möglich ist - dies räumt grundsätzlich auch die Beklagte
ein -; es ist aber davon auszugehen, dass der Gesetzgeber ein zumindest innerhalb eines Abschnitts konsistentes System hat
schaffen wollen.
Gegen die Bestimmung des Durchschnittsentgelts nach dem individuellen Durchschnitt der monatlichen Heuern der jeweiligen Person
und für die Bestimmung nach dem Durchschnitt innerhalb der jeweiligen Berufsgruppe spricht auch die Entstehungsgeschichte
der Vorschrift. §
92 SGB VII geht wie seine Vorgängervorschriften (§§ 841 Abs. 1, 842 Abs. 1
RVO in der letzten Fassung, § 1067
RVO 1911; § 10 Gesetz, betreffend die Unfallversicherung der Seeleute und anderer bei der Seeschiffahrt betheiligten Personen [SUVG] 1900)
zurück auf § 6 SUVG in der Fassung des Gesetzes vom 13. Juli 1887 (RGBl. 1887, S. 329). Der historische Gesetzgeber des SUVG
1887 hat in der Gesetzesbegründung die mit der Vorschrift verfolgte Zwecksetzung wie folgt zusammengefasst (Verhandlungen
des Reichstags 1887, 1, Aktenstück Nr. 6, S. 51 f.):
"Der Grund hierfür [für die Einführung von Durchschnittsheuern] liegt aber nicht, wie bei der Land- und Forstwirthschaft,
in der durchschnittlichen Gleichheit der gezahlten Löhne, sondern umgekehrt in der außerordentlichen Verschiedenheit der in
den verschiedenen Seestädten des Inlandes und des Auslandes an Seeleute derselben Kategorie gezahlten Heuer. (...) Es wäre
unbillig, bei einem Betriebsunfall die Jahresrenten auf einer so unsicheren, dem Zufall unterliegenden Grundlage, wie es hiernach
der thatsächliche Verdienst des Verunglückten zu sein pflegt, zu berechnen. Durchschnittssätze dagegen stellen wenigstens
annährend denjenigen Betrag dar, auf welchen bei normalen Verhältnissen Seeleute rechnen können."
Diese Gesetzesbegründung lässt erkennbar darauf schließen, dass die Durchschnittsheuern nach dem Durchschnittsverdienst in
der jeweiligen Berufsgruppe gebildet werden sollten, und zwar für den Bereich der gesamten deutschen Küste einheitlich. Hintergrund
sind soziale Beweggründe gewesen. Es sollte für die Versorgung nach einem Arbeitsunfall nicht vom Zufall abhängen, ob der
Seemann zufällig gerade auf dem Schiff eines gut oder eines schlecht zahlenden Reeders angeheuert hatte.
Zwar galt das SUVG 1887 nicht für die Küstenfischerei, wie insgesamt Fischer in dieses Gesetz noch nicht einbezogen waren.
Der Grund dafür lag aber nicht in den andersartigen Arbeitsbedingungen oder Verdienstverhältnissen bei den Fischern, sondern
im Wesentlichen an Finanzierungsfragen (vgl. Abgeordneter Graf von Holstein in der Dritten Lesung des Gesetzes am 18. Juni
1887, Verhandlungen des Reichstags 1887, 2 S. 1139). Folgerichtig erfolgte die Einbeziehung der Fischer mit dem SUVG 1900
(vgl. § 152 SUVG 1900, eingefügt durch Gesetz betreffend die Abänderung der Unfallversicherungsgesetze vom 30. Juni 1900 [RGBl.
1900, S. 335]), das für diese Versicherten zunächst einen Fiktiv-JAV in Höhe des Dreihundertfachen eines ortsüblichen Tagelöhnerverdienstes
vorsah (§ 154 SUVG 1900). Bereits mit Einführung der
RVO durch Gesetz vom 19. Juli 1911 (RGBl. 1911, S. 509) wurde dann auch für die Beschäftigten auf Schiffen in der Küstenfischerei
der JAV nach der Durchschnittsheuer bestimmt (§ 1067
RVO), wobei die Gesetzesbegründung ausdrücklich davon ausging, dass "ein wesentlicher Unterschied zwischen Seeleuten der einen
Art und Seeleuten der anderen Art und ihren Heuern ... nicht mehr vor[liege]" (Verhandlungen des Reichstags 1911, 12, S. 346).
Der Sinn und Zweck, den der historische Gesetzgeber der Regelung des § 6 SUVG 1887 (und später auch dem § 1067
RVO 1911) beigemessen hat, beansprucht auch heute noch Geltung. Die Regelung des §
92 SGB VII dient nach wie vor dem Ziel, die relative Verschiedenheit der gezahlten Heuern leistungsrechtlich nicht durchschlagen zu
lassen bzw. entsprechende Effekte abzudämpfen. Dies verkennt die Beklagte, wenn sie dafür, dass ihr Ausschuss im Bereich der
Kauffahrtei und der Großen Hochseefischerei "echte" Durchschnitteinkommen bildet, die dort festen Tarifstrukturen argumentativ
ins Feld führt. Sie begrenzen heute gerade die "außerordentliche Verschiedenheit" der Heuern, die (auch) dort - im Bereich
der Kauffahrtei - im Jahr 1887 in Ermangelung entsprechender Tarifverträge noch geherrscht hat. Demgegenüber führt die Beklagte
selbst aus, dass die Bruttoentgelte in der Küstenfischerei bereits bei demselben Arbeitgeber monatlich so stark schwankten,
dass die Festlegung fester Durchschnittswerte zu erheblichen Ungerechtigkeiten führe. Genau diese Situation oder zumindest
eine damit sozial vergleichbare hatte aber der historische Gesetzgeber im Blick. Dass die Situation der von der Beklagten
dargestellten entspricht, zeigt gerade der vorliegende Fall anschaulich: So hat im hier streitgegenständlichen Zeitraum selbst
in einem Kleinsthafen wie A______ der mögliche Verdienst von Kutter zu Kutter so erheblich geschwankt, dass eine ungelernte
Kraft auf dem einen Kutter erheblich mehr verdient hat als ein ausgebildeter Fischwirt auf einem anderen. Geht man davon aus,
dass die Verletztenrente in abstrakter Form die Einbußen an Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen
soll, spricht auch dies teleologisch für die Bildung von echten Durchschnittswerten, sofern eine Sondervorschrift wie §
92 Abs.
1 SGB VII gerade dies anordnet.
Wenn die Beklagte in Umsetzung der Entscheidung ihres Ausschusses zur Festsetzung der seemännischen Durchschnittsheuern und
zur Festsetzung des Durchschnitts der Jahreseinkommen (§
92 Abs.
4 SGB VII) das Durchschnittsentgelt für die Kleine Hochseefischerei und die Küstenfischerei gleichwohl nach "Abschnitt G" der Beitragsübersicht
nach dem über mehrere Monate gemittelten Durchschnittsverdienst des jeweiligen Versicherten bemisst, während der Ausschuss
für die Kauffahrtei und die Große Hochseefischerei "echte" Durchschnittsentgelte selbst festsetzt, hat dies nach Überzeugung
des Senats allein verwaltungspraktische Gründe. Das bestehende System erlaubt es der Beklagten, ohne eigene Erhebungen, die
mit entsprechenden Verwaltungskosten verbunden wären, auf Bestandsdaten zurückzugreifen, sei es für die Kleine Hochseefischerei
oder die Küstenfischerei auf die im Rahmen der Beitragserhebung von den Mitgliedunternehmen mitgeteilten Daten oder im Rahmen
der Kauffahrtei bzw. der Großen Hochseefischerei auf bestehende Tarifverträge. Auch dabei wird allerdings verkannt, dass Tarifverträge
nach §
92 Abs.
5 Satz 2
SGB VII bei der Festsetzung der monatlichen Durchschnittsentgelte (nur) zu berücksichtigen sind; auch dort, wo Tarifverträge vorhanden
sind, wäre grundsätzlich zu ermitteln, in welchem Umfang eine Tarifgebundenheit der Versicherten tatsächlich besteht und -
insbesondere bei einem geringeren Anteil tarifgebundener Seeleute - wie hoch die durchschnittliche Heuer bei nicht tarifgebundenen
Seeleuten ausfällt, um auf dieser Tatsachenbasis unter wertender Berücksichtigung tariflicher und nichttariflicher Entgelte
insgesamt zu einer angemessenen Bestimmung des monatlichen Durchschnittentgelts zu gelangen. Andererseits rechtfertigt es
das Fehlen von Tarifverträgen in der Kleinen Hochsee- und Küstenfischerei gerade nicht, von dem für die Große Fahrt gewählten
System abzuweichen. Denn Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der Vorschrift des §
92 SGB VII zeigen, dass das sozialpolitische Bedürfnis für die Bildung von Durchschnittsentgelten, dem der Gesetzgeber mit dieser Vorschrift
Rechnung getragen hat, umso größer ist, je weniger der individuelle Verdienst durch tarifliche Strukturen vorgeprägt ist und
je größer deshalb die Unterschiede zwischen den Heuern ausfallen.
Das erkennbare Ziel der Beklagten, den Verwaltungsaufwand bei der Bestimmung des monatlichen Durchschnittsentgelts auf ein
Minimum zu reduzieren, vermag das gewählte Verfahren nach allem nicht zu legitimieren. Die Festsetzung des monatlichen Durchschnittsentgelts
nach "Abschnitt G" der Beitragsübersicht verstößt nach Wortlaut, Systematik, Entstehungsgeschichte und Sinn und Zweck der
Vorschrift gegen die gesetzlichen Vorgaben des §
92 Abs.
4 und
5 SGB VII.
Dem Senat ist es allerdings verwehrt, das monatliche Durchschnittsentgelt selbst festzustellen. §
92 Abs.
4 SGB VII weist diese Aufgabe explizit einem von der Vertreterversammlung gebildeten Ausschuss zu. Es bedarf keiner abschließenden
Entscheidung darüber, welche Rechtsqualität die Entscheidung des Ausschusses hat, ob dem Beschluss insbesondere der Charakter
einer Satzung zuzubilligen ist. Es handelt sich jedenfalls um einen Akt autonomer Rechtssetzung (so Keller in: Hauck/Noftz,
SGB VII, §
92 Rn. 11a) bzw. Rechtsgestaltung im weiteren Sinne, der im Selbstverwaltungsbereich getroffen wird. Ein solcher Akt unterliegt
zwar der richterlichen Rechtmäßigkeitskontrolle; für eine Ersetzung des Beschlusses im Wege eigener richterlichen Überzeugungsbildung
fehlt es dem Gericht angesichts des der Verwaltung insoweit erkennbar eingeräumten Gestaltungsspielraums, der sich auch daran
zeigt, dass an seinem Erlass Vertreter der Arbeitnehmer zu beteiligten sind (vgl. Schmitt, a.a.O., § 92 Rn. 8 m.w.N.), an
der erforderlichen Sachlegitimation.
Dass dem Bundesamt für soziale Sicherung (bis 31. Dezember 2019: Bundesversicherungsamt) nach §
92 Abs.
6 Satz 2
SGB VII im Rahmen seiner Rechtsaufsicht eine Ersatzvornahmebefugnis gesetzlich eingeräumt ist, ändert daran nichts. Dabei kann der
Senat dahinstehen lassen, ob dem Bundesamt für soziale Sicherung neben einer Rechtmäßigkeits- auch eine Zweckmäßigkeitskontrolle
obliegt (so Schmitt, a.a.O., § 92 Rn. 11; Woelki, a.a.O., § 92 Rn. 45; Keller, a.a.O., § 92 Rn. 12 mit Rücksicht auf BSG, Urteil vom 7. November 2000 - B 1 A 4/99 R - SozR 3-3300 § 47 Nr 1, juris Rn. 12), was allerdings mit dem grundsätzlichen Verständnis der Rechtsaufsicht im Selbstverwaltungsbereich
schwer zu vereinbaren wäre. Zugunsten des Gerichts ist eine Ersetzungsbefugnis jedenfalls nicht kraft Gesetzes eingeräumt
und ohne entsprechende Ermächtigung vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich gewährleisteten Gewaltenteilung (Art.
20 Abs.
2 Satz 2
GG) auch nicht zu begründen.
Der zuständige Ausschuss zur Festsetzung der seemännischen Durchschnittsheuern und zur Festsetzung des Durchschnitts der Jahreseinkommen
(§
92 Abs.
4 SGB VII) wird daher nach den folgenden, den rechtlichen Rahmen für die gesetzmäßige Bestimmung des monatlichen Durchschnittsentgelts
skizzierenden Maßgaben, das monatliche Durchschnittsentgelt für die Versicherten in der Kleinen Hochsee- und in der Küstenfischerei
- vorliegend insbesondere auch für das Jahr 1997 - zunächst selbst neu festzusetzen haben. Wie er diese Festsetzung im Einzelnen
trifft, obliegt seiner autonomen Entscheidung, die gerichtlich nur auf die Vereinbarkeit mit höherrangigem Gesetzesrecht hin
überprüfbar ist. Um dies zu gewährleisten, wird der Ausschuss seiner Festsetzung des monatlichen Durchschnittsentgelts ein
schlüssiges Konzept zugrunde zu legen haben.
Ein Konzept ist ein planmäßiges Vorgehen des Ausschusses im Sinne der systematischen Ermittlung und Bewertung genereller,
wenngleich orts- und zeitbedingter Tatsachen für sämtliche Anwendungsfälle und nicht nur ein punktuelles Vorgehen von Fall
zu Fall (vgl. zur Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende BSG, Urteil vom 22. September 2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30, juris Rn. 19). Schlüssig ist das Konzept, wenn es mindestens die folgenden Voraussetzungen erfüllt:
- Die erforderliche Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum
erfolgen, der vorliegend die gesamte deutsche Küstenlinie umfasst. Dabei ist zu beachten, dass die Festsetzung nach §
92 Abs.
5 Satz 1
SGB VII im Bereich gleicher Tätigkeiten einheitlich für den Geltungsbereich dieses Gesetzes zu erfolgen hat.
- Es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, es ist z.B. festzulegen, zwischen welchen
Tätigkeiten bzw. Dienststellungen der Besatzungsmitglieder, Kutter- bzw. Schiffsgrößen, und Fahrbereichen (kleine Hochsee-
und/oder Küstenfischerei) differenziert werden soll.
- Es bedarf überprüfbarer Angaben über den Beobachtungszeitraum.
- Art und Weise der Datenerhebung sind festzulegen und Erkenntnisquellen (z.B. Tarifverträge, Befragungen von Reedern/Fischereibetrieben)
sind zu dokumentieren.
- Die Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten und die Validität der Datenerhebung sind zu gewährleisten.
- Dabei ist die Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung zu gewährleisten.
Unter Anwendung dieser Festsetzungen wird die Beklagte dann im Weiteren über die Höhe der Verletztenrente des Klägers neu
zu entscheiden haben. Dabei wird sie der Berechnung eine MdE von 20 v.H. bis März 2013 sowie eine MdE von 30 v.H. beginnend
ab April 2013 zugrunde zu legen haben. Da die Beklagte mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 25. Juni 2013 eine Verletztenrente
nach einer MdE von 30 v.H. selbst bereits ab 1. März 2013 gewährt hatte, darf sie davon allerdings nicht zum Nachteil des
Klägers abrücken. Sie wird lediglich - sollte es zur Berücksichtigung eines höheren JAV kommen - dem Anspruch des Klägers
auf höhere Verletztenrente für den Monat März 2013 die insoweit niedrigere zu berücksichtigende MdE entgegenhalten können.
Die Kostenentscheidung ergeht nach §
193 Abs.
1 Satz 1
SGG. Sie orientiert sich zunächst am Ausgang des Verfahrens und berücksichtigt zudem Veranlassungsgesichtspunkte, weil der Rechtsstreit
durch die fehlerhafte Bestimmung des Durchschnittsentgelts wesentlich verursacht worden ist.
Die Revision ist gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Es gibt zur Auslegung des §
92 SGB VII bisher keine höchstrichterliche Rechtsprechung, allein die Ermächtigung des §
92 Abs.
4 SGB VII zur Festsetzung des monatlichen Durchschnittsentgelts wirft aber - wie zuvor umfangreich dargelegt - eine Reihe grundsätzlich
klärungsbedürftiger und in einem Revisionsverfahren auch klärungsfähiger Rechtsfragen auf. Die erforderliche Breitenwirkung
besteht deshalb, weil das Durchschnittsentgelts für Versicherte auf Seeschiffen in jedem Einzelfall - und damit insgesamt
in einer Vielzahl von Fällen - ein relevantes Berechnungsparameter für eine zu gewährende Verletztenrente ist bzw. sein kann.