Unzulässiges Begehren der Feststellung von Verfahrensfehlern des vorangegangen sozialgerichtlichen Verfahrens
Keine Bindung des Gerichts an Anträge von Prozessparteien
Keine Umdeutung eines Begehrens entgegen einem ausdrücklich gewünschten Antrag
Tatbestand:
Der Kläger begehrt ausdrücklich die Feststellung von Verfahrensfehlern des vorangegangen sozialgerichtlichen Verfahrens. Die
Beklagte bewilligte dem im Mai 1950 geborenen Kläger antragsgemäß mit Bescheid vom 04. August 2015 eine Altersrente für langjährige
Versicherte ab dem 01. Februar 2014. Der Kläger erhob gegen den Rentenbescheid Widerspruch und begehrte insbesondere, dass
die Beklagte die Rente bereits am 30. September 2015 an ihn auszahlt und die Rente ohne Abschläge berechnet würde. Zudem habe
er die ausfallenden Beitragszeiten von Juni 1999 bis Oktober 2015 nicht zu vertreten. Die Beklagte wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 04. November 2015 zurück. Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht Gotha mit Gerichtsbescheid
vom 06. Juni 2016 abgewiesen. Der angefochtene Rentenbescheid sei nicht fehlerhaft. Bei der Berechnung seien alle nachgewiesenen
bzw. glaubhaft gemachten versicherungsrechtlichen Zeiten berücksichtigt worden. Auch der Rentenabschlag sei zutreffend berechnet
worden. Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger die Feststellung, dass das Sozialgericht bei seiner Entscheidungsfindung Fehler
begangen habe. Erst wenn diese benannt worden seien, könne er sein Begehren in einem eigenständigen Berufungsverfahren weiter
verfolgen.
Der Kläger beantragt ausdrücklich,
festzustellen, dass das Sozialgericht Gotha bei der Urteilsfindung gravierende Rechtsfehler zu seinen Ungunsten begangen hat;
und zwar im Wege der Berufung und der Revision.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen des Gerichtsbescheides. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen. Diese lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen
Verhandlung und der Beratung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung mit dem ausdrücklichen Antrag des Klägers ist unzulässig. Eine Feststellung, "dass das Sozialgericht Gotha bei
der Urteilsfindung gravierende Rechtsfehler zu seinen Ungunsten begangen hat", kommt prozessrechtlich nicht in Betracht. Eine
derartige Feststellung ist im System des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG), insbesondere im Rahmen der Feststellungsklage des §
55 SGG, nicht vorgesehen. Ob dem Sozialgericht bei der Urteilsfindung Rechtsfehler unterlaufen sind, wird inzident im Rahmen des
geltend gemachten Anspruchs geprüft. Einen entsprechenden Antrag wollte der Kläger jedoch trotz Belehrung ausdrücklich nicht
stellen.
Zu einer Auslegung seines Antrags gegen diesen ausdrücklich artikulierten Willen sieht sich das Gericht nicht befugt. Zwar
entscheidet das Gericht nach §
123 SGG über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Bei unklaren Anträgen muss das
Gericht mit den Beteiligten klären, was gewollt ist, und vor allem bei nicht rechtskundig vertretenen Beteiligten darauf hinwirken,
dass sachdienliche und klare Anträge gestellt werden (§
106 Abs.
1, §
112 Abs.
2 Satz 2
SGG). Im Übrigen ist das Gewollte, also das mit der Klage bzw. der Berufung verfolgte Prozessziel, bei nicht eindeutigen Anträgen
im Wege der Auslegung festzustellen. In entsprechender Anwendung der Auslegungsregel des §
133 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) ist der wirkliche Wille zu erforschen. Dabei sind nicht nur der Wortlaut, sondern auch die sonstigen Umstände des Falles,
die für das Gericht und die anderen Beteiligten erkennbar sind, zu berücksichtigen. Im Zweifel ist davon auszugehen, dass
nach Maßgabe des Meistbegünstigungsprinzips alles begehrt wird, was dem Kläger aufgrund des Sachverhalts rechtlich zusteht.
Der Grundsatz, dass im Zweifel von einem umfassenden Rechtsschutzbe-gehren ausgegangen werden muss, ist Ausfluss des verfassungsrechtlichen
Auftrags der Gerichte zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Die Auslegung von Anträgen richtet sich danach, was als Leistung
möglich ist, wenn jeder verständige Antragsteller mutmaßlich seinen Antrag bei entsprechender Beratung angepasst hätte und
keine Gründe zur Annahme eines abweichenden Verhaltens vorliegen; im Zweifel ist davon auszugehen, dass ein Kläger alles zugesprochen
haben möchte, was ihm aufgrund des Sachverhalts zusteht (vgl. BSG, B. v. 1. März 2018 - B 8 SO 52/17 B -).
Diese Grundsätze berechtigen den Senat jedoch nicht dazu, von einem Begehren entgegen dem ausdrücklich gewünschten Antrag
auszugehen. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung dargelegt, dass es ihm im vorliegenden Verfahren ausdrücklich nicht
um die Gewährung einer höheren Altersrente durch die Beklagte geht. Er begehrt allein die Feststellung, dass das Sozialgericht
Verfahrensfehler begangen habe, ohne eine für sich günstigere Entscheidung in der Sache anzustreben. Der Kläger hat erklärt,
das Begehren einer höheren Altersrente nicht im vorliegenden, sondern in einem weiteren - erst noch später zu führenden Verfahren
- verfolgen zu wollen. Auch auf einen entsprechenden Hinweis des Vorsitzenden ist er von seinem Begehren nicht abgerückt und
hat ausdrücklich den protokollierten Antrag gestellt. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht prozessfähig ist, bestehen
für den Senat nicht, zumal er in der Lage war, selbstständig Klage zu erheben, fristgemäß Rechtsmittel einzulegen und den
Rechtsstreit zu führen.
Selbst wenn man nicht den ausdrücklichen Antrag des Klägers zu Grund legte, sondern im Sinne des Meistbegünstigungsprinzips
von einem Begehren auf Gewährung einer höheren Rente (ohne Minderung des Zugangsfaktors) ausginge, bliebe die Berufung ohne
Erfolg. Der Kläger hat keinen Anspruch auf ungekürzte Altersrente. Auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung wird Bezug
genommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.