Statthaftigkeit der Berufung im sozialgerichtlichen Verfahren bei einem neuen Streitgegenstand; Bedarfszeitpunkt bei einmaligen
Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Bedarfe des Klägers für Unterkunft und Heizung nach § 22 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) hinsichtlich des Monats September 2011.
Der 1967 geborene, erwerbsfähige und hilfebedürftige Kläger bewohnte - jedenfalls im streitigen Zeitraum - ein ihm gehörendes
Einfamilienhaus, dessen Heizung mit Öl betrieben wurde. Mit Bescheid vom 6. Mai 2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Juni bis zum 30. November 2011. Mit Änderungsbescheid
vom 23. Juni 2011 gewährte der Beklagte zusätzlich einen monatlichen Mehrbedarf aufgrund dezentraler Warmwassererzeugung in
Höhe von 8 Euro.
Im September 2011 ließ der Kläger seinen (nahezu) leeren Heizöltank mit 995 Liter Heizöl betanken. Der Öllieferant stellte
ihm daraufhin eine auf den 26. September 2011 datierte Rechnung in Höhe von 899,88 Euro aus. Diese Rechnung enthielt den Passus:
"Zahlbar ohne Abzug bis zum 10.10.2011". Nachdem der Kläger die Rechnung bei dem Beklagten zur Erstattung einreichte, erließ
dieser den Änderungsbescheid vom 14. Oktober 2011 betreffend den Bescheid vom 11. Juli 2011. Mit diesem Änderungsbescheid
wurden neben anderen Änderungen nunmehr auch die Heizkosten berücksichtigt und zwar derart, dass ein Betrag von maximal 757
Euro im Oktober 2011 (Zahlungstermin) bedarfserhöhend berücksichtigt wurde. Mit weiterem Änderungsbescheid (3. November 2011)
erfolgte für den Monat September 2011 eine geringere Anrechnung von Einkommen (453,92 Euro statt zuvor 474,87 Euro), so dass
die dem Kläger bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung auf 131,22 Euro anstiegen (zuvor 110,27 Euro). Mit seinem Widerspruch
vom 9. November 2011 macht der Kläger u.a. geltend, die Heizölrechnung sei bereits im September, "dem Monat der Fälligkeit",
zu berücksichtigen gewesen. In der weiteren Folge hat der Beklagte dann zwar die vollen Heizkosten anerkannt, diese aber weiterhin
im Monat Oktober berücksichtigt, wobei der Beklagte feststellte, dass aufgrund Einkommensbezug für den Monat Oktober 2011
auch bei Berücksichtigung der vollen Heizkosten in Höhe von 899,88 Euro kein Leistungsanspruch besteht (endgültige Festsetzung
des Leistungsanspruchs für Oktober 2011 - Bescheid vom 25. November 2011). Mit Widerspruchsbescheid vom 30. November 2011
wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Maßgeblich für die Berücksichtigung als Bedarf sei die Fälligkeit
und nicht die Lieferung. Hiergegen hat der Kläger unter dem 8. Dezember 2011 Klage beim Sozialgericht Gotha erhoben und schriftsätzlich
beantragt, "die eingereichte Heizölrechnung vom 26. September 2011 der R. A. GmbH in Höhe von 899,88 Euro im Monat September
durch den Beklagten zu bewilligen". Der Kläger ist der Auffassung, dass die Rechnung bereits im September fällig gewesen wäre.
Insbesondere hätte die Rechnung ausgewiesen: "zahlbar bis zum 10.10.2011" und nicht zahlbar "am" oder "ab 10.10.2011". Die
Rechnung sei daher auch im September als entsprechender Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen.
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten hat das Sozialgericht am 7. September 2012 ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Es hat ausgeführt, dass die Beteiligten um die Höhe der Bedarfe des Klägers für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II im Monat September 2011 streiten. Insoweit konnte der Kläger den Streitgegenstand allein auf die Leistung für den Monat September
und die Kosten der Unterkunft in zulässiger Weise beschränken. Im Monat September 2011 bestünde indes kein Einspruch des Klägers
auf Anerkennung der Heizölrechnung vom 26. September 2011 als (weiteren) Bedarf für Kosten der Unterkunft und Heizung. Maßgeblich
sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) die Fälligkeit. Diese sei nach §
271 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB) vorliegend in zeitlicher Hinsicht bestimmt, nämlich auf den 10. Oktober 2011. Eine Fälligkeit (bereits) im September 2011
habe damit nicht bestanden.
Gegen das ihm am 27. September 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger unter dem 24. Oktober 2012 Berufung eingelegt. Er ist
nunmehr der Auffassung, dass auf die Fälligkeit der Rechnung nicht abgestellt werden kann. Abzustellen sei hier auf den Monat
September, denn in diesem Monat sei zum einen das Heizöl geliefert und zum anderen auch tatsächlich bezahlt worden. Im Übrigen
käme es anderenfalls zu einer Ungleichbehandlung zwischen Hauseigentümern und Mietern.
Er beantragt (sinngemäß),
1. den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Gotha vom 7. September 2012 und unter entsprechender Änderung
des Änderungsbescheides vom 14. Oktober 2011 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 3. November 2011 und des Widerspruchsbescheides
vom 30. November 2011 zu verurteilen, für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 31. Oktober 2011 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen und auszuzahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, für die Zeit vom 1. September 2011 bis zum 30. September 2011 einen weiteren Bedarf für Unterkunft
und Heizung in Höhe von 899,88 Euro zu bewilligen und auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält die angegriffene Entscheidung, sowie die Entscheidung des Sozialgerichts für rechtmäßig.
Der Senat hat die Beteiligten hinsichtlich einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angehört.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsakte, die Gegenstand
der geheimen Beratung waren, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte vorliegend ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt haben
(§
124 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes -
SGG).
Die Berufung ist nur zum Teil zulässig (vgl. unter 1.). Soweit sie zulässig ist, ist sie jedoch unbegründet (vgl. unter 2.).
1. Hinsichtlich des Berufungsantrages zu 1) (vollumfänglicher Leistungsanspruch betreffend den Zeitraum Juni 2011 bis Oktober
2011) ist die Berufung nicht zulässig. Nach §
143 SGG findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung an das Landessozialgericht statt. Voraussetzung dessen ist jedoch,
dass das Sozialgericht über den entsprechenden Gegenstand, der zum Gegenstand der Berufung gemacht wird, auch tatsächlich
entschieden hat. Soweit der Berufungskläger in erster Linie einen neuen Anspruch geltend macht, ist die Berufung insoweit
unzulässig (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG-Kommentar 10. Aufl., Vor §
143 Rn. 3). Gleiches gilt, soweit das Sozialgericht über einen Streitgegenstand, der schon erstinstanzlich anhängig war, tatsächlich
nicht entschieden hat. Auch dann ist der jeweilige Streitgegenstand noch erstinstanzlich anhängig, so dass das Berufungsgericht
hierfür instanziell nicht zuständig ist. Eine Ausnahme kann dann gelten, sofern die Grundsätze des "Heraufholens von Prozessrechten"
vorliegen (vgl. hierzu Leitherer, aaO., § 143 Rn. 1b m.w.N.). Solches ist hier jedoch zweifelsfrei nicht gegeben, da es sich
bei den jeweiligen einzelnen Leistungsmonaten sowie auch den unterschiedlichen Leistungen (Regelbedarf bzw. Kosten der Unterkunft)
keineswegs um "Prozessreste", sondern um eigenständige und "vollwertige" Ansprüche handelt. Unabhängig davon, ob nunmehr ein
neuer, weiterer Antrag gestellt wurde oder ob das Sozialgericht nicht umfassend über den erstinstanzlichen Antrag entschieden
hat, ergibt sich für das Berufungsverfahren jedenfalls die gleiche Konsequenz, nämlich die Unzulässigkeit der Berufung insoweit.
Daher konnte der Senat hier offen lassen, ob der Kläger - wofür hier einiges spricht - seinen Anspruch bereits von Anfang
an nur auf den Monat September und auf die entsprechenden Kosten der Unterkunft (vgl. insoweit die Klageschrift und auch den
insoweit klarstellenden Hinweis des Sozialgerichts mit Verfügung vom 19. Dezember 2011, dem der Kläger nicht explizit entgegengetreten
ist) zulässigerweise beschränkt hat (vgl. zur grundsätzlichen Möglichkeit der Beschränkung des Streitgegenstandes bereits
Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R).
2. Hinsichtlich des Berufungsantrags zu 2) (höhere Kosten der Unterkunft für den Monat September 2011) ist die Berufung unbegründet.
Das BSG hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass es hinsichtlich des Vorliegens eines Bedarfs im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II auf die Fälligkeit der Forderung ankommt. Erst mit der tatsächlichen Fälligkeit der Forderung ent- bzw. besteht die tatsächliche
Bedarfslage, die für Leistungen nach dem SGB II entscheidend ist. Nur Forderungen im Monat der Fälligkeit sind als tatsächliche Aufwendungen zu berücksichtigen (vgl. insoweit
beispielhaft BSG, Urteil vom 22. August 2012 - B 14 AS 1/12 R, Urteil vom 24. Februar 2011 - B 14 AS 61/10 R, Urteil vom 15. April 2008 - B 14/7b AS 58/06 R, Urteil vom 22. März 2010 - B 4 AS 62/09 R und letztlich Beschluss vom 16. Mai 2007 - B 7 B AS 40/06 R). Mit der Entscheidung des BSG vom 22. März 2010 (vgl. aaO.) ergibt sich auch, dass grundsätzlich ohne Relevanz ist, ob - worauf der Kläger offenbar hinaus
will - vom Leistungsberechtigten vor oder nach dem Fälligkeitszeitpunkt gezahlt wird - mithin hat die Erfüllung keine eigenständige
bedarfsbezogene Bedeutung gegenüber der Fälligkeit. Die Fälligkeit der hier streitigen Forderung ist erst zum 10. Oktober
2011 gegeben. Insoweit wird auf die ausführlichen Darlegungen der erstinstanzlichen Entscheidung verwiesen (§
153 Abs.
2 SGG). Im Übrigen ist der Kläger im Berufungsverfahren - anders als noch erstinstanzlich - der Bestimmung des Zeitpunktes der
Fälligkeit als solcher nicht mehr entgegengetreten, sondern nun vielmehr dem Grundsatz, dass überhaupt auf die Fälligkeit
abzustellen sei. Diese Auffassung wiederrum widerspricht der ständigen Rechtsprechung des BSG (s.o.).
Soweit der Kläger eine Ungleichbehandlung von Mietern und Wohneigentümern ausmachen will, kann dem nicht gefolgt werden. Auch
Mieter erhalten dann keine Kosten der Unterkunft als Bedarf anerkannt, soweit im jeweiligen Bewilligungsmonat eigenes Einkommen
oder Vermögen in ausreichendem Maße vorhanden ist. Soweit der Kläger auf eine Ungleichbehandlung zwischen denjenigen, die
laufende Kosten der Unterkunft und denjenigen, die unregelmäßig anfallende Kosten der Unterkunft haben, hinaus will, ist die
vorgetragene Ungleichbehandlung gleichfalls nicht zu erkennen. In jedem Fall wird auf den tatsächlichen Bedarf abgestellt.
So sich denn unter Berücksichtigung der Rechtslage ein entsprechender Anspruch ergibt, sind Leistungen zu gewähren; ergibt
sich mangels Bedarfes kein Anspruch, sind auch keine Leistungen zu gewähren.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 SGG), sind nicht ersichtlich.