Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Anhörung im sozialrechtlichen Verwaltungsverfahren; Aufhebung der Bewilligung
wegen Änderung der Verhältnisse
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten betreffend Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Der Kläger bezog seit dem 22. Februar 2005 laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von dem Beklagten (für den
hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt mit Bescheid vom 24. Januar 2008 für die Zeit ab 1. März 2008). Im Formular "Einkommenserklärung/Selbsteinschätzung"
zum Antrag vom 22. Februar 2005 hatte der Kläger in der Rubrik "Rente/Pension (Bitte Rentenart angeben und letzten Rentenbescheid
beifügen)" keine Angaben gemacht; mit der Unterschrift hatte er die Richtigkeit der Angaben bestätigt. Dies war auch in den
Folgeanträgen der Fall.
Im Rahmen eines Datenabgleichs wurde dem Beklagten im Februar 2008 bekannt, dass der Kläger laufende Rentenzahlungen aus der
gesetzlichen Unfallversicherung bezog. Auf die Aufforderung des Beklagten legte der Kläger die Rentenbescheide vor und übersandte
eine Kopie aus dem Buch "Hartz IV und Arbeitslosengeld II - Ein Fall für Escher", wonach die Unfallrente einem anderen Zweck
als das Alg II diene und damit grundsätzlich nicht angerechnet werden dürfe. Daraufhin teilte der Beklagte dem Kläger mit
Schreiben vom 2. April 2008 mit, dass er in der Zeit vom 22. Februar 2005 bis 30. April 2008 Leistungen in Höhe von 12.298,97
EUR (die im Einzelnen aufgeschlüsselt sind, für die Zeit ab 1. Januar 2008 in Höhe von 343,66 EUR monatlich) zu Unrecht bezogen
habe, weil er Einkommen aus der gesetzlichen Unfallversicherung erzielt habe. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen
sei er nicht in bisher bewilligter Höhe hilfebedürftig. Er sei nach § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch verpflichtet, alle Änderungen
in den Verhältnissen mitzuteilen, die für die Leistung erheblich seien. Dieser Verpflichtung sei er zumindest grob fahrlässig
nicht rechtzeitig nachgekommen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Außerdem habe er Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt habe (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Er erhalte Gelegenheit zur Äußerung. Daraufhin beantragte der Kläger Akteneinsicht. Mit Schreiben vom 7. Mai 2008 korrigierte
der Beklagte die Rückforderungssumme auf 11.706,25 EUR und gab erneut Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Kläger äußerte sich
nicht.
Mit Bescheid vom 10. Juli 2008 hob der Beklagte "die Entscheidung über die Bewilligung von Leistungen (...) vom 22. Februar
2005 bis 30. April 2008" teilweise in Höhe von 11.706,25 EUR auf. Die Begründung entspricht der in den Anhörungsschreiben
enthaltenen.
Den dagegen am 11. August 2008 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass er weder vorsätzlich noch fahrlässig
gehandelt habe. Bis zur Veröffentlichung der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) über die Anrechnung von gesetzlichen Unfallrenten habe er sich auf die Aussage im Buch "Escher" verlassen, wonach die Unfallrente
nicht als Einkommen anzugeben gewesen sei. Er habe die Leistungen für den laufenden Lebensunterhalt verwendet.
Mit Bescheid vom 24. August 2010 änderte der Beklagte die Rückforderungssumme auf 11.496,21 EUR und wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 25. August 2010 zurück. Zur Begründung ist ausgeführt: Zwar sei die angegebene Rechtsgrundlage falsch,
weil der Kläger schon seit Beginn des Alg II-Bezugs Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung bezogen habe. Die fehlerhafte
Begründung schade jedoch nicht, weil als taugliche Rechtsgrundlage § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X in Betracht komme. Dem Kläger habe es im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten oblegen, wahrheitsgemäße Angaben zu seinen Einkommensverhältnissen
zu machen. Allein der Behörde sei es überlassen zu bewerten, was als Einkommen nach dem Gesetz zu berücksichtigen sei. Das
BSG habe entschieden, dass Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung als Einkommen anzurechnen sei. Mithin habe
der Kläger durch das vorsätzliche bzw. zumindest grob fahrlässige Verschweigen der Rentenbezüge deren Berücksichtigung bei
der Leistungsberechnung verhindert. Verschiedene Rechtsmeinungen zur einer Streitfrage entbänden einen Leistungsempfänger
nicht von seinen Mitwirkungspflichten.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger u. a. vorgetragen, dass er weder vorsätzlich noch grob fahrlässig gehandelt
habe. Während der Antragsaufnahme beim Beklagten habe er angegeben, dass er Verletztenrente erhalte, die Mitarbeiterin habe
ihm jedoch mitgeteilt, dass dies keine Rolle spiele. Der Aufhebungsbescheid sei auch inhaltlich nicht hinreichend bestimmt,
weil die Bescheide nicht im Einzelnen aufgeführt seien.
Mit Urteil vom 15. August 2011 hat das Sozialgericht Nordhausen der Klage stattgegeben, weil der Bescheid mangels hinreichender
Anhörung formell rechtswidrig sei, wie sich aus dem BSG-Urteil vom 9. November 2010 - B 4 AS 37/09 R - ergebe.
Dagegen wendet sich der Beklagte mit der am 28. November 2011 fristgemäß eingegangenen Berufung. Entgegen der Ansicht des
Sozialgerichts sei eine nochmalige Anhörung nicht erforderlich gewesen. Eine Anhörung habe sich schon nach § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X erübrigt. Unbeschadet dessen sei sie aber auch wirksam erfolgt, zumal die Rechtsgrundlage bei der Anhörung nicht mitgeteilt
werden müsse. Der Kläger habe auch im Widerspruchsschreiben zu den maßgeblichen Tatsachen Stellung genommen. Ein Auswechseln
der Rechtsgrundlage im Widerspruchsbescheid sei zulässig, weil es vorliegend um eine gebundene Entscheidung gehe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 15. August 2011 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
In der mündlichen Verhandlung am 27. September 2012 hat der Kläger seine Bereitschaft erklärt, den auf die Monate Januar bis
April 2008 entfallenden Betrag zu erstatten, und die Klage entsprechend eingeschränkt. Im Termin wurde der Kläger zu weiteren
Einzelheiten befragt; insoweit wird auf die Niederschrift über die öffentliche Sitzung Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
Bezug genommen. Die Verwaltungsakte lag vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die - nach der teilweisen Klagerücknahme nur noch hinsichtlich des Zeitraums ab 22. Februar 2005 bis Dezember 2007 zu entscheidende
- Berufung des Beklagten ist unbegründet, denn das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen ist im Ergebnis rechtmäßig. Allerdings
ergibt sich die Rechtswidrigkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheids nicht aus einem Anhörungsmangel, sondern daraus,
dass die Voraussetzungen des § 45 SGB X hier nicht vorlagen.
Entgegen der Auffassung des SG ist der Bescheid vom 10. Juli 2008 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 24. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 25. August 2010 nicht bereits deshalb rechtswidrig und nach § 24 Abs. 1 SGB X iVm § 42 Satz 2 SGB X aufzuheben, weil der Kläger nicht ordnungsgemäß angehört worden wäre. Denn der Beklagte hat seine Entscheidung im Widerspruchsbescheid
im Hinblick auf die für den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit iS des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X entscheidungserheblichen Tatsachen nicht auf eine neue Tatsachengrundlage gestützt.
Nach § 24 Abs. 1 SGB X ist, bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, diesem Gelegenheit zu geben, sich
zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Diese Vorschrift dient der Wahrung des rechtlichen Gehörs und
soll das Vertrauensverhältnis zwischen dem Bürger und der Sozialverwaltung stärken und den Bürger vor Überraschungsentscheidungen
schützen (vgl. BSG, Urteil vom 25. März 1999 - SozR 3-1300 § 24 Nr 14) sowie sicherstellen, dass die Beteiligten alle für sie günstigen Umstände vorbringen können (BSG, Urteil vom 4. November 1981 - SozR 1300 § 24 Nr 2). Der Betroffene soll Gelegenheit erhalten, durch sein Vorbringen zum entscheidungserheblichen Sachverhalt die vorgesehene
Entscheidung zu beeinflussen (BSG, Urteil vom 26. September 1991, BSGE 69, 247, 252). Hierzu ist es notwendig, dass der Verwaltungsträger die entscheidungserheblichen Tatsachen dem Betroffenen in einer
Weise unterbreitet, dass er sie als solche erkennen und sich zu ihnen, ggf nach ergänzenden Anfragen bei der Behörde, sachgerecht
äußern kann (BSG, Urteil vom 22. November 1984; BSG, Urteil vom 26. September 1991, aaO.). Welche Tatsachen für die Entscheidung erheblich und dem Betroffenen zur Äußerung mitzuteilen
sind, richtet sich nach Art und Inhalt der im Einzelfall in Betracht kommenden Entscheidung (BSG, Urteil vom 30. März 1982 - SozR 1300 § 24 Nr 4; BSG, Urteil vom 28. April 1999 - SozR 3-1300 § 24 Nr 15). Entscheidungserheblich sind grundsätzlich alle Tatsachen, die zum Ergebnis der Verwaltungsentscheidung beigetragen
haben, auf die sich die Verwaltung also zumindest auch gestützt hat (BSG, Urteil vom 26. September 1991, aaO.; BSG, Urteil vom 14. Juli 1994 - SozR 3-4100 § 117 Nr 11).
Eine Ausnahme vom Anhörungserfordernis (§ 24 Abs. 2 SGB X) war hier nicht gegeben; insbesondere lag entgegen der in der Berufung geäußerten Ansicht des Beklagten kein Fall des § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X vor, denn es handelte sich nicht um die Anpassung von Leistungen an geänderte Verhältnisse (vielmehr waren diese lediglich
dem Beklagten erst nachträglich bekannt geworden).
Gemessen an den o. a. Kriterien ist davon auszugehen, dass dem Ausgangsbescheid vom 10. Juli 2008 mit den Schreiben vom 2.
April 2008 und 7. Mai 2008 eine ordnungsgemäße Anhörung vorausgegangen ist. Denn durch das Anhörungsschreiben war der Kläger
über die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen hinreichend informiert, sodass er Gelegenheit hatte, hierzu sachgerecht
Stellung zu nehmen. Er musste danach wissen, dass ihm die SGB II-Leistungen wegen der gewährten Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht in der bewilligten Höhe zustanden und
dass die Behörde davon ausging, dass er es grob fahrlässig unterlassen habe, bei der Antragstellung entsprechende Angaben
zu machen.
Eine erneute Anhörung vor Erlass des auf § 45 SGB X gestützten Widerspruchsbescheids war nicht erforderlich: Zwar gilt § 24 SGB X unstreitig auch im Widerspruchsverfahren. Hat eine ordnungsgemäße Anhörung indes bereits stattgefunden, so ist eine erneute
Anhörung nur dann geboten, wenn der Betroffene ansonsten an einer sachgerechten Rechtsverteidigung gehindert ist. Der Beteiligte
soll nicht durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen er sich nicht
äußern konnte. Dies aber ist nicht bereits dann der Fall, wenn die zu Grunde gelegten Tatsachen im Ausgangs- und Widerspruchsbescheid
nicht voll und ganz identisch sind. Aus dem dargestellten Sinnzusammenhang folgt vielmehr, dass eine nochmalige Anhörung nur
unter bestimmten Voraussetzungen erforderlich ist. Diese sind namentlich dann als gegeben zu erachten, wenn die Verwaltung
auf Grund des Vorbringens des Beteiligten oder aus anderen Gründen neu ermittelt und sie sich infolge der durchgeführten Ermittlungen
auf neue erhebliche Tatsachen stützen will, wenn die Widerspruchsbehörde ihrer Entscheidung - ggf ohne ergänzende Ermittlungen
durchgeführt zu haben - einen anderen Sachverhalt zu Grunde legen will als die Ausgangsbehörde oder wenn die Behörde die beabsichtigte
Maßnahme in dem eingreifenden Verwaltungsakt gegenüber dem bisher geplanten und angekündigten Inhalt nicht unerheblich ändert
oder den Wesensgehalt des Verwaltungsakts abwandelt (BSG, Urteil vom 15. August 2002 - B 7 AL 38/01 R - mwN).
Eine solche wesentliche Änderung der Tatsachengrundlage oder wesentliche Änderung des Bescheidinhalts liegt hier jedoch nicht
vor. Denn der Beklagte hat weder neue Ermittlungen angestellt und dem Kläger dabei gewonnene neue Ermittlungsergebnisse vorenthalten,
noch ist die Entscheidung auf einen anderen Sachverhalt gestützt oder inhaltlich abgeändert worden. Der Wechsel der Ermächtigungsgrundlagen
allein reicht dafür nicht aus. Wie aus der Widerspruchsbegründung eindeutig hervorgeht, waren dem Kläger die Aspekte bewusst,
auf die es für eine sachgerechte Rechtsverteidigung ankam. Dementsprechend hat er ausdrücklich ausgeführt, dass er nicht grob
fahrlässig gehandelt habe, weil er sich auf die Angaben in dem Alg II - Ratgeber verlassen habe.
Der Bescheid war ferner auch inhaltlich hinreichend bestimmt; insbesondere bedurfte es nicht der Angabe der Daten der einzelnen
Bewilligungsbescheide, die mit dem angegriffenen Bescheid aufgehoben worden sind.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid ist jedoch materiell rechtswidrig, denn die Rücknahmevoraussetzungen des § 45 Abs. 2 SGB X lagen nicht vor.
Nach § 45 Abs. 1 SGB X gilt: Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender
Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter Einschränkungen ganz oder
teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein rechtswidriger begünstigender
Verwaltungsakt darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut hat und
sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 45 Abs 2 Satz 1 SGB X), wobei Schutzwürdigkeit in der Regel dann vorliegt, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen
getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs 2 Satz 2 SGB X). Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte allerdings u. a. dann nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht,
die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (§
45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) oder wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Liegen die Voraussetzungen des § 45 Abs 2 Satz 3 SGB X vor, ist der Verwaltungsakt abweichend von den allgemeinen Regelungen zwingend mit Wirkung auch für die Vergangenheit zurückzunehmen
(§ 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit §
330 Abs
2 SGB III).
Die Voraussetzungen der Rücknahme nach § 45 SGB X liegen hier nicht vor. Dies gilt insbesondere unter dem Gesichtspunkt des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 als auch des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte
vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Dabei ist im Hinblick
auf die Obliegenheit des §
66 Abs.
1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) das vorsätzliche oder grob fahrlässige Unterlassen einer für die Leistung maßgeblichen Mitteilung von Umständen dem aktiven
Tun gleichzustellen (BSG, Urteil vom 1. Juni 2006 - B 7a AL 76/05 R -). Dies gilt vornehmlich dann, wenn das Unterlassen einer Mitteilung dazu führt,
dass frühere Angaben (im Weiterbewilligungsantrag) unrichtig oder unvollständig werden (BSG SozR 1300 § 45 Nr 29 S 93 f).
Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge
grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt hat. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende
Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (BSGE 42, 184, 187 = SozR 4100 § 152 Nr 3; BSGE 62, 32, 35); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen
des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSGE 35, 108, 112; 44 264, 273 = SozR 5870 § 13 Nr 20). Bezugspunkt für das grobfahrlässige Nichtwissen ist schon nach dem Wortlaut des
§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes - also das Ergebnis der Tatsachenfeststellung und Rechtsanwendung durch die Behörde.
Allerdings können "Fehler im Bereich der Tatsachenermittlung oder im Bereich der Rechtsanwendung", auch wenn sie nicht Bezugspunkt
des grobfahrlässigen Nichtwissens sind, Anhaltspunkt für den Begünstigten sein, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes
selbst zu erkennen. Voraussetzung dafür ist aber, dass sich die tatsächlichen oder rechtlichen Mängel aus dem Bewilligungsbescheid
oder anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne weiteres erkennbar sind (BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -).
Hier darf sich der Kläger zu Recht darauf berufen, auf den Bestand der Bewilligungsbescheide vertraut zu haben. Keine der
Varianten des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ist im vorliegenden Fall gegeben. Im Hinblick auf die dort genannten Nr. 2 und 3 ergibt sich dies bei einer Gesamtschau der
Umstände des Einzelfalls unter maßgeblicher Berücksichtigung des Verständnishorizonts des Bescheidadressaten, der als Berufskraftfahrer
tätig war. Insoweit ist auf die vom Kläger gemachten Angaben - insbesondere in der mündlichen Verhandlung - abzustellen. Hier
hat der Kläger angegeben, dass die ARGE-Mitarbeiterin, die ihm beim Ausfüllen geholfen habe, erklärt habe, dass er die Unfallrentenbescheide
nicht angeben müsse; er habe sich mit der Frage der Berücksichtigung bis dahin nicht befasst gehabt. Wenn er gefragt werde,
ob er die Diskussion um die Unfallrente weiter verfolgt habe, so müsse er sagen, dass er sich zunächst nicht darum gekümmert
habe. Erst nach einer Fernsehsendung im MDR habe er sich den "Escher"-Ratgeber gekauft. Das mag so ungefähr ein halbes Jahr
nach der Erstantragsstellung gewesen sein. In diesem Buch habe er auch gezielt noch einmal nachgelesen, wie es sich mit der
Frage der Anrechnung der Unfallrente verhält. Dort habe er seine Ansicht bestätigt gefunden. Im Laufe des Jahres 2007 habe
er dann erfahren, dass die Frage der Anrechnung der Verletztenrente wieder in der Diskussion ist. Schließlich sei ja dann
auch das BSG Urteil ergangen. Wann er genau davon Kenntnis erhalten habe, wisse er nicht mehr. Als er das ARGE-Schreiben vom Februar 2008
bekommen habe, habe er zunächst gedacht, dass er vom Glauben abfalle. Er sei dann zur ARGE und habe das "Escher"-Buch mitgenommen.
Der Mitarbeiter, der seine Stellungnahme entgegengenommen habe, habe dann eine Kopie der entsprechenden Seiten gemacht und
zur Akte genommen. Bei der persönlichen Vorsprache vor Ort habe er auch angegeben, dass er das Schreiben der ARGE vom Februar
2008 nicht verstehe, weil ihm doch seinerzeit die ARGE-Mitarbeiterin selbst gesagt habe, dass er die Unfallrente nicht angeben
müsse.
Auf der Grundlage dieser Angaben, die der Senat für glaubhaft hält und gegen die auch der Beklagte keine Einwendungen vorgebracht
hat, ist das Gericht nicht der Auffassung, dass dem Kläger bei seinen nach dem persönlichen Eindruck in der mündlichen Verhandlung
anzunehmenden subjektiven Erkenntnismöglichkeiten die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 oder Nr. 3 SGB X erfüllt. Er kann sich damit wegen der verbrauchten Leistungen auf Vertrauensschutz berufen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht erfüllt sind.