Festsetzung der Entschädigung für ein Gutachten
Sachverständigengutachten zur Feststellung einer Erwerbsminderung
Kriterien für einen Schwierigkeitsgrad
Gutachtenauftrag nach Einholung eines Kostenvoranschlages
Gründe
I.
Im Klageverfahren mit dem Aktenzeichen L 12 R 802/17 beauftragte der Berichterstatter des 12. Senats mit Beweisanordnung vom 7. Mai 2019 den Erinnerungsführer mit der Erstellung
eines Gutachtens nach §
109 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG).
Am 14. Oktober 2019 erstellte der Erinnerungsführer sein Gutachten. In einer Kostenrechnung der Ärztlichen Verrechnungsstelle
B machte er eine Vergütung i.H.v. 3.123,26 Euro für das Hauptgutachten und von 755,89 Euro für das testpsychologische Zusatzgutachten
geltend. Mit Verfügung vom 12. November 2019 kürzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (UdG) die Vergütungsabrechnung auf
2.379,51 Euro bzw. 577,39 Euro und wies diese Beträge an. Zur Begründung führte er aus, dass ausgehend von der Honorargruppe
M 2 i. H. v. 75 Euro zuzüglich Schreibauslagen, Zweitschriften, Porto und der gesetzlichen Mehrwertsteuer nur die angewiesenen
Beträge erstattungsfähig seien.
Dagegen hat der Erinnerungsführer am 20. November 2019 Erinnerung eingelegt. Die Kürzung der Honorargruppe von M 3 auf M 2
sei nicht haltbar. Das JVEG sehe die Honorargruppe M 3 für Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad vor. Der hohe Schwierigkeitsgrad sei in der Rechnung
ausdrücklich begründet und auf die entsprechenden Passagen im Gutachten hingewiesen worden. Ein Kostenvoranschlag sei auf
Basis der Honorargruppe M 3 erstellt worden.
Der Erinnerungsführer beantragt,
die Vergütung für das Gutachten vom 12. November 2019 auf 3.123,26 Euro und für das testpsychologische Zusatzgutachten auf
755,89 Euro festzusetzen.
Die Erinnerungsgegnerin führt aus, dass das Gutachten zutreffend der Honorargruppe M 2 zugeordnet worden sei. Ein hoher Schwierigkeitsgrad
sei nicht zu erkennen. Die übliche Auseinandersetzung mit Vorgutachten begründe keine Honorierung nach M 3. Die erforderliche
Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Vorbefunden und Vorgutachten bedinge nur einen höheren Zeitaufwand beim Aktenstudium
und bei der Abfassung der Beurteilung. Die differenzialdiagnostischen Erwägungen trügen die gutachterlichen Feststellungern
nicht. Eine Bindung an den Kostenvoranschlag bestehe nicht.
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen.
II.
Zuständig für die Entscheidung ist nach § 4 Abs. 7 S. 1 des Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetzes (JVEG) und dem Geschäftsverteilungsplan des Thüringer Landessozialgerichts in Verbindung mit dem Geschäftsverteilungsplan des 1.
Senats der Berichterstatter.
Auf die nach § 4 Abs. 1 JVEG zulässige Erinnerung wird die Entschädigung für das Gutachten vom 14. Oktober 2019 auf 2.379,51 EUR und für das testpsychologische
Zusatzgutachten auf 577,39 Euro festgesetzt.
Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie
angegriffen worden sind. Bei der Festsetzung ist das Gericht weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz
oder an die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch den UdG oder den Antrag der Beteiligten gebunden; es kann nur
nicht mehr festsetzen, als beantragt ist.
Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung
1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG).
Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits
begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich waren (Satz 2
Halbs. 1).
Die erforderliche Zeit ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand eines Sachverständigen
mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher Arbeitsintensität
orientiert. Nach pflichtgemäßem Ermessen hat das Gericht nachzuprüfen, ob der Zeitansatz erforderlich war (vgl. BVerfG, Beschluss
vom 26. Juli 2007 - 1 BvR 55/07; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – X ZR 206/98, zitiert nach Juris; ThürLSG Beschlüsse vom 5. März 2012 - L 6 SF 1854/11 B und 21. Dezember 2006 - L 6 B 22/06 SF; Hartmann/Toussaint in Kostenrecht, 50. Auflage 2020, § 8 JVEG Rn. 39). Zu berücksichtigen sind die Schwierigkeiten der zu beantwortenden Fragen unter Berücksichtigung der Sachkunde auf
dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember
2003 - X ZR 206/98). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig
sind, wenn sich diese in einem gewissen Toleranzbereich bewegen (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Februar 2018 - L 1 JVEG 1189/16; ThürLSG, Beschluss vom 13. August 2013 - L 6 SF 266/13 E , zitiert nach Juris). Die Toleranzgrenze beträgt 15 v. H. Werden die üblichen Erfahrungswerte allerdings um mehr als 15
v. H. überschritten, ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen durchzuführen
(vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. Februar 2018 - L 1 JVEG 1189/16 und 21. März 2019 -, L 1 JVEG 1072/18 - zitiert nach Juris).
Hinsichtlich der für die Gutachtenserstellung angegebenen Zeit sind keine Bedenken seitens des Senats ersichtlich. Insoweit
ist von einem Stundenansatz von insgesamt 25 Stunden für das Hauptgutachten und 6 Stunden für das Zusatzgutachten auszugehen.
Die Vergütung erfolgt in der Honorargruppe M2 (75,00 Euro). Sie wird wie folgt definiert: Beschreibende (Ist-Zustand) Begutachtung
nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer Verlaufsprognose und
mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad, zum Beispiel Gutachten in Verfahren nach dem Schwerbehindertengesetz oder zur Minderung der Erwerbsfähigkeit und zur Invalidität. Die Honorargruppe M3 erfordert dagegen Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad.
Als Beispiel nennt die Anlage 1 zu § 9 JVEG Begutachtungen spezieller Kausalitätszusammenhänge und/oder differenzialdiagnostischer Probleme und/oder Beurteilungen der
Prognose und/oder Beurteilung strittiger Kausalitätsfragen und führt 17 Beispielsfälle auf.
In der Honorargruppe M2 werden die typischen in der Sozialgerichtsbarkeit eingeholten Gutachten mit durchschnittlicher Schwierigkeit
vergütet (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Mai 2018 – L 1 JVEG 434/16 –, zitiert nach Juris). Nach dem Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 22. September 2004 (L 12 RJ 3686/04 KO-A; zitiert nach Juris) erfordern Gutachten der Gruppe M3 umfassende und vielseitige bzw. vielschichtige Überlegungen; die
Schwierigkeiten können mit den diagnostischen oder ätiologischen Fragen zusammenhängen (vgl. u.a. ThürLSG, Beschlüsse vom
15. März 2010 - L 6 B 209/09 SF und vom 03. November 2008 – L 6 SF 48/08 –, Juris ). Auch andere Gründe sind denkbar, z. B. eine Vielzahl unklarer oder widerspruchsvoller Befunde oder anamnestischer
Angaben. Es genügt nicht, wenn - wie in den meisten Gutachten erforderlich - differentialdiagnostische Überlegungen angestellt
werden, sie müssen einen hohen Schwierigkeitsgrad haben (vgl. Keller „Die Liquidation von Schmerzgutachten“ in Egle/Kappis/Schairer/Stadtland
<Hrs.>, Begutachtung von Schmerzen, 1. Auflage 2014, S. 175, 179). Dafür besteht hier kein ausreichender Anhalt. Ein medizinisches
Sachverständigengutachten zur Feststellung einer Erwerbsminderung im Sinne von §
43 SGB VI ist grundsätzlich der Honorargruppe M 2 zuzuordnen. Vor dem Hintergrund des Begriffs der verminderten Erwerbsfähigkeit (§
43 SGB VI) ist – ausgehend von festgestellten medizinischen Diagnosen – eine Feststellung und Beurteilung des qualitativen und quantitativen
Leistungsvermögens des jeweiligen Klägers vorzunehmen. Über die Feststellung des Gesundheitszustands hinausgehende Fragen
des Kausalzusammenhangs zwischen den einzelnen festgestellten Gesundheitsstörungen und schädigenden Ereignissen oder Einwirkungen,
die typisierend Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad begründen können, sind dagegen nicht zu erörtern. Die Ätiologie der
Gesundheitsstörungen bzw. deren trennscharfe Abgrenzung ist rentenrechtlich nicht bedeutsam. Maßgeblich sind vorrangig die
mit der Gesundheitsstörung einhergehenden Funktionseinschränkungen, d. h. die Beurteilung der Auswirkungen der Gesundheitsstörung
auf das berufliche Leistungsvermögen.
Dem Gutachten des Erinnerungsführers lässt sich nichts für das Vorliegen eines Ausnahmefalls entnehmen. Sein Gutachten umfasst
58 Seiten. Am Ende des Gutachtens erfolgt eine Einordnung der bei der Klägerin vorliegenden Erkrankungen auf psychiatrischem
Fachgebiet und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit. Ab Seite 35 werden die verschiedenen Diagnosen diskutiert. Ihre
Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin werden ab Seite 50 unten erörtert. Dem kann nicht entnommen werden, dass
durch den Sachverständigen äußerst umfangreiche bzw. komplexe differentialdiagnostische Erwägungen angestellt werden mussten.
Allein die Benennung und Prüfung z. B. von einschlägigen Leitlinien oder der Kriterien, die für die Bejahung von Erkrankungen
auf psychiatrischem Fachgebiet im Gutachten abzuprüfen sind, begründet nicht die Annahme eines hohen Schwierigkeitsgrades.
Der Sachverständige ist immer gehalten, sein Gutachten auf der Grundlage des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes
unter Berücksichtigung der jeweiligen Leitlinien, Fachbücher und Standardwerke zu erstellen. Anhaltspunkte für eine vertiefende
Diskussion und Würdigung des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes sind nicht vorhanden. Allein der mehrfach im Gutachten
enthaltene Hinweis auf differenzialdiagnostische Schwierigkeiten bei der Abgrenzung bzw. Diagnose psychiatrischer Erkrankungen
begründet keinen derart hohen Schwierigkeitsgrad, welcher eine Einstufung in M3 rechtfertigt. Den Ausführungen im Textteil
des Gutachtens kann nur entnommen werden, dass differenzialdiagnostische Erwägungen angestellt worden sind. Es ist aber nichts
dafür ersichtlich, dass diese derart umfangreich und schwierig waren, dass eine Gleichsetzung vom Schwierigkeitsgrad mit einer
Kausalitätsbeurteilung gerechtfertigt wäre. Daher ist entgegen dem Vergütungsfestsetzungsantrag die Einstufung in die Honorargruppe
M 2 vorzunehmen.
Unerheblich ist, dass der Erinnerungsführer in einem Kostenvoranschlag die Honorargruppe M 3 angesetzt hat und der Kostenvorschuss
auf dieser Basis angefordert worden ist. Es ist anerkannt, dass eine Mitteilung des Sachverständigen, sein Gutachten werde
unter Zugrundelegung eines bestimmten Stundensatzes voraussichtlich Kosten in einer bestimmten Höhe verursachen, für die spätere
Bemessung seiner Entschädigung ohne Bedeutung ist (vgl. Bayer. LSG, Beschluss v. 14.05.2012, L 15 SF 276/10 B E; OLG Hamburg, Beschluss v. 29.12.1982, 8 W 260/82). Ein Gutachtenauftrag in Kenntnis der voraussichtlichen Kosten beinhaltet genauso wie die Mitteilung des Gerichts an den
Sachverständigen, dass über einen bestimmten Höchstbetrag (ohne vorherige Mitteilung und Genehmigung durch das Gericht) nicht
hinausgegangen werden dürfe, keine verbindliche Zusage einer Honorierung in oder bis zu dieser Höhe. Die Anforderung eines
Kostenvoranschlags hat lediglich den Sinn und Zweck, zum einen der Klägerin eine Entscheidungsgrundlage zu liefern, ob sie
ihren Antrag gemäß §
109 SGG auch in Kenntnis des Umstands aufrecht erhält, welche Kosten dies voraussichtlich verursacht und ob sie dieses Kostenrisiko
eingehen will. Zum anderen wird dem Gericht eine verlässliche Grundlage für die Anforderung des Kostenvorschusses im Rahmen
eines Antrags gemäß §
109 SGG gegeben, um sicherzustellen, dass bei einer möglicherweise eintretenden Zahlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der Klägerin
kein Kostenrisiko für den Staatshaushalt entsteht.
Der Erinnerungsführer ist zudem im Gutachtenauftrag darauf hingewiesen worden, dass sich die Vergütung nach dem Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz richtet. Dass eine Entschädigung außerhalb des gesetzlich vorgesehen Vergütungsrahmens nicht in Betracht kommt und dass die
Festsetzung der Vergütungshöhe erst nach der Erstellung des Gutachtens erfolgt, müsste dem Erinnerungsführer durch andere
Gerichtsgutachten bekannt sein. Erst nach Erstellung des Gutachtens kann verlässlich dessen Schwierigkeitsgrad festgestellt
werden. Dies gilt umso mehr bei einem Rentengutachten, welches grundsätzlich der Honorargruppe M 2 zuzuordnen ist und nur
im Ausnahmefall bei Bejahung eines hohen Schwierigkeitsgrades der Honorargruppe M 3.
Zusätzlich hat der Erinnerungsführer einen Anspruch auf Erstattung seiner Auslagen.
Danach errechnet sich die Vergütung wie folgt:
Sachverständigenentschädigung 25 Stunden x 75 Euro 1.875,00 Euro Schreibauslagen 77,40 Euro 50 Zweitschriften á 0,50 Euro
25,00 Euro 74 Zweitschriften á 0,15 Euro 11,10 Euro Porto 11,09 Euro 19 % Mehrwertsteuer 379,92 Euro Gesamtsumme: 2.379,51
Euro.
Die Vergütung für das Zusatzgutachten errechnet sich auf 577,39 Euro (vgl. zur Höhe die Ausführungen der Urkundsbeamtin).
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 Satz 3 JVEG).