Zuweisung von gesetzlich krankenversicherten Patienten zur Behandlung in der fachärztlichen Versorgung
Fortsetzungsfeststellungsklage
Keine Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung durch angestellte Ärzte
Tatbestand:
Streitig ist die - erledigte - Zuweisung von gesetzlich krankenversicherten Patienten zur Behandlung in der fachärztlichen
Versorgung.
Der Kläger ist Facharzt für Augenheilkunde und nimmt in G. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Er beschäftigt eine
Fachärztin für Augenheilkunde, Frau Dr. G., im Umfang von 31 Wochenstunden, deren Anstellung der Zulassungsausschuss mit einem
vollen Versorgungsauftrag genehmigt hat.
Die Beklagte teilte dem Kläger unter dem 21. Juli 2014 Folgendes mit: "Übernahme der Behandlung von Patienten Sehr geehrter
Herr Dr. B., augenärztliche Patienten haben sich an die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen gewandt, da sie selbstständig
keinen Augenarzt für die notwendige ärztliche Behandlung finden können. Die Patienten benötigen eine ärztliche Behandlung,
weil ihnen durch die angespannte augenärztliche Versorgungssituation im Planungsbereich S.-Sch.-M. die Neuaufnahme in allen
Praxen verwehrt wird und eine Augenkontrolle notwendig ist. Die Patienten haben alle Augenärzte des betroffenen Planungsbereiches
selbstständig angefragt und die Behandlung wurde von allen Ärzten abgelehnt. Auch Vermittlungsversuche durch die KV-Thüringen
schlugen fehl. Entsprechend der Zulassung Ihrer angestellten Ärztin, Frau Dr. G., zur vertragsärztlichen Versorgung verfügt
sie über einen Versorgungsauftrag, der nach Überprüfung der Patientenzahlen ergeben hat, dass sie unterdurchschnittlich im
Verhältnis zu ihrem Versorgungsauftrag tätig ist. Diese Auswahl erfolgte durch einen Vergleich der Fallzahlen ihrer Fachgruppe.
Uns liegen keine Informationen vor, dass sie krankheitsbedingt oder aus anderen Gründen eingeschränkt ihrem Versorgungsauftrag
nachgehen kann. Da die Patienten derzeit keine ärztliche Behandlung erhalten, haben wir nachfolgende Patienten in Ihre Praxis
vermittelt. Ehepaar ..., Ehepaar ..., Ehepaar ..., Frau ..., Frau ... und Frau ... Wir haben die Patienten darüber informiert,
dass Frau Dr. G. die ärztliche Behandlung der oben genannten Patienten übernehmen wird. Wir bedauern sehr, dass wir derart
in das Arzt-Patienten-Verhältnis eingreifen müssen. Als Kassenärztliche Vereinigung sind wir jedoch verpflichtet, den Sicherstellungsauftrag
zur ärztlichen Behandlung von Patienten zu erfüllen. Dies geht nur durch die Pflicht des einzelnen zugelassenen Vertragsarztes
oder medizinischen Versorgungszentrums seinem Versorgungsauftrag nachzukommen. Die Patienten werden sich in den nächsten Tagen
zwecks Terminvereinbarung in Ihrer Praxis melden. Mit freundlichen Grüßen ..." (Bescheid/Schreiben vom 21. Juli 2014, vgl.
Blatt 3 und 4 der Gerichtsakte).
Am 22. Juli 2014 teilte wohl der Kläger der Beklagten telefonisch mit, dass er diese Patienten nicht annehme (handschriftlicher
Vermerk: "telefonisch Hr. H. mitgeteilt, dass ich diese Pat. nicht annehme", vgl. Blatt 4 der Gerichtsakte).
Aufgrund dieser Mitteilung wies die Beklagte die Patienten anderen Augenärzten zur Behandlung zu.
Den Widerspruch "gegen den Bescheid vom 21. Juli 2014 über die Zuweisung von Patienten an unseren Mandanten und seine angestellte
Ärztin" begründete der Prozessbevollmächtigte des Klägers im Wesentlichen mit dem Fehlen einer Rechtsgrundlage.
Die Beklagte wies den Widerspruch als unbegründet zurück. Mit Bescheid vom 21. Juli 2014 habe sie der Praxis des Klägers,
in der neben ihm auch noch Frau Dr. G. als angestellte Ärztin arbeite, namentlich neun Patienten zugewiesen. Die Auswahl der
Praxis sei anhand der Auswertung von Patientenzahlen erfolgt. Diese Überprüfung habe ergeben, dass Frau Doktor G. im Verhältnis
zu ihrem Versorgungsauftrag unterdurchschnittlich tätig sei. Die "Auswahl der Praxis Dr. B. (Frau Dr. G.)" sei anhand von
Fallzahlen aller in der Region tätigen Augenärzte und Augenärztinnen erfolgt und rechtmäßig. Soweit im Widerspruchsschreiben
ausgeführt werde, die Zuweisung der Patienten zu Frau Doktor G. verletze ihr Recht auf Pflege und Erziehung der Kinder, sei
dem zu entgegnen, dass der Umstand, ob die Ärztin Kinder habe oder kinderlos sei, aufgrund des Gleichheitsgebotes aus Art.
3 des
Grundgesetzes (
GG) nicht ausschlaggebend sein könne. Vielmehr habe die Auswahl, wie durchgeführt, durch einen Vergleich der Fallzahlen zu erfolgen.
Die Beklagte habe eine zeitnahe Einstands- und Garantiepflicht gegenüber den Krankenkassen, alles im Rahmen ihrer Aufgaben
und Befugnisse zu tun, dass der Leistungsanspruch der Versicherten erfüllt werde. Dem Sicherstellungsauftrag wohne deshalb
auch eine aktiv-fördernde Komponente inne, die sie durch die Patientenzuweisung umgesetzt habe. Die Pflicht, die Beklagte
bei der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu unterstützen und mitzuwirken (§ 5 Abs. 5a der Satzung der KV Thüringen),
müsse oberste Priorität des Vertragsarztes sein. Die Fallzahlen von Frau Dr. G. seien vergleichsweise niedrig und lägen auch
deutlich unter denen des Klägers (Widerspruchsbescheid vom 26. November 2014).
Der Kläger hat hiergegen am 19. Dezember 2014 Klage erhoben.
Das Sozialgericht hat antragsgemäß festgestellt, dass der Bescheid vom 21. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26. November 2014 rechtswidrig gewesen sei. Das als Verwaltungsakt zu qualifizierende Schreiben der Beklagten vom 21.
Juli 2014 habe sich - bereits vor der Einlegung des Widerspruchs - erledigt, weil die Beklagte die Patienten einem anderen
Augenarzt zugewiesen habe, nachdem der Kläger am 22. Juli 2014 telefonisch mitgeteilt habe, er werde die zugewiesenen Patienten
nicht behandeln. Das erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse folge aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr,
weil die Beklagte erklärt habe, dass weitere Patientenzuweisungen an den Kläger erfolgten. Die Fortsetzungsfeststellungsklage
sei begründet, weil es weder eine ausdrückliche Regelung gäbe, die der Beklagten die Befugnis einräume, einem Vertragsarzt
GKV-Versicherte verpflichtend zur Behandlung zuzuweisen, noch könne eine entsprechende Befugnis aus dem Gesamtzusammenhang
der mit der Erfüllung des Sicherstellungsauftrages im Zusammenhang stehenden Rechtsgrundlagen im Wege der Auslegung gewonnen
werden. Die Regelung des §
75 Abs.
1 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) sei eine (reine) Aufgabenzuweisungsnorm. Eine entsprechende Befugnis lasse sich auch nicht §
95 SGB V i.V.m. dem Versorgungsauftrag des Klägers bzw. der bei ihm angestellten Ärztin sowie §
72 Abs.
1 SGB V entnehmen. Der Vertragsarzt sei durch §
95 Abs.
3 Satz 1
SGB V zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung und grundsätzlich auch zur Behandlung von GKV-Versicherten verpflichtet.
Lediglich unter engen Voraussetzungen (z.B. § 13 Abs. 7 BMV-Ä) sei er berechtigt, die Behandlung eines GKV-Versicherten abzulehnen. Aus dieser Verpflichtung des Vertragsarztes könne jedoch
nicht spiegelbildlich abgeleitet werden, dass die Kassenärztliche Vereinigung befugt sei, bestimmte GKV-Versicherte verpflichtend
zur Behandlung zuzuweisen. Für das gefundene Ergebnis spreche auch die zum 23. Juli 2015 in Kraft getretene Regelung des §
75 Abs. la
SGB V, die von einer konsensualen bzw. einvernehmlichen Vermittlung eines Facharzttermins getragen sei. Dies ergebe sich neben
dem Gesetzestext auch deutlich aus der amtlichen Begründung zu der Vorschrift, der entnommen werden könne, dass Grundlage
für die Vermittlung eines Facharzttermins an einen Versicherten, eine Abstimmung zwischen dem Vertragsarzt und der Kassenärztlichen
Vereinigung sein solle und der Gesetzgeber in Kenntnis der Probleme im Zusammenhang mit Erfüllung des Naturalleistungsanspruchs
der Versicherten auf Gewährleistung eines Facharzttermins in angemessener Frist auf eine stärkere Inpflichtnahme der Vertragsärzte
etwa durch die zwangsweise Zuweisung von Patienten verzichtet habe (Urteil vom 14. Juni 2017, der Beklagten am 29. September
2017 zugestellt).
Die Beklagte hat hiergegen am 25. Oktober 2017 Berufung eingelegt. Rechtsgrundlage für die Zuweisung der Patienten an die
bei dem Kläger angestellte Ärztin seien die §§ 73 Abs. 2,
75 Abs.
1 Sätze 1 und 2, 105 Abs.
1 Satz 1
SGB V i. V. m. dem Versorgungsauftrag des Klägers und seiner angestellten Ärztin nach §
95 Abs.
3 Satz 1
SGB V in Verbindung mit §
72 Abs.
1 SGB V. Eine Berechtigung des Klägers und seiner angestellten Ärztin, die Patienten nicht zu behandeln, sei nicht gegeben gewesen.
Es habe kein von der Rechtsprechung anerkannter Ablehnungsgrund bestanden. Die Beklagte sei aufgrund der tatsächlich prekären
Versorgungssituation in G. nach wie vor gehalten, der klägerischen Praxis Patienten zuzuweisen. Dies sei zuletzt im November
2017 geschehen. Insofern bestehe ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 14. Juni 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angegriffene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet, soweit sich die Fortsetzungsfeststellungsklage gegen den Widerspruchsbescheid richtet; im Übrigen
ist sie unbegründet. Das Fortsetzungsfeststellungsbegehren bezüglich des Widerspruchsbescheides vom 6. November 2014 ist in
Ermangelung einer Erledigung des verfahrensbeendenden Widerspruchsbescheides unstatthaft. Die Beklagte war nach Erledigung
der Heranziehung durch den Bescheid vom 21. Juli 2014 nicht mehr berechtigt, durch Widerspruchsbescheid sachlich zu entscheiden.
An einem Anfechtungsbegehren hat der Kläger aber ausdrücklich nicht mehr festgehalten, sondern vielmehr dieses zugunsten einer
auch den Widerspruchsbescheid umfassenden Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage (§
131 Abs.
1 Satz 3 des
Sozialgerichtsgesetzes,
SGG) bezüglich des Bescheides vom 21. Juli 2014 ist indes zulässig, insbesondere statthaft erhoben worden. Sie ist auch begründet.
Die Vorschrift des §
131 Abs.
1 Satz 3
SGG lautet: Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch
Urteil aus, dass der Verwaltungsakt rechtswidrig ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist, wie hier, auch nach Erledigung des Verwaltungsaktes vor Klageerhebung zulässig (vgl.
Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl. 2017, §
131 Rz. 7d mit weiteren Nachweisen).
Das Schreiben der Beklagten vom 21. Juli 2014, das als Verwaltungsakt nach § 35 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) zu qualifizieren ist, weist zwar (nur) der angestellten Ärztin Dr. G. krankenversicherte Patienten zur Behandlung zu. Doch
ist hierdurch zugleich auch der Kläger selbst beschwert. Denn die Verfügung im Schreiben der Beklagten enthält (konkludent)
die Verpflichtung des Klägers, die Behandlung der krankenversicherten Patienten durch Frau Dr. G. in seiner Praxis zu dulden.
Darüber hinaus ist der Kläger als Arbeitgeber der angestellten Ärztin, als Inhaber der Praxis und allein zugelassener und
abrechnungsberechtigter Vertragsarzt von der Entscheidung der Beklagten ohnehin mindestens mittelbar betroffen.
Der Kläger hat - nachdem sich der Zuweisungsbescheid erledigt hat (vgl. § 39 Abs. 2 SGB X), weil die namentlich genannten Patienten anderen Ärzten zugewiesen wurden - ein besonderes Feststellungsinteresse, weil
die Beklagte ihm bzw. seiner angestellten Ärztin erneut Patienten zugewiesen hat (Wiederholungsgefahr). Dahinstehen kann hier,
ob der Bescheid vom 21. Juni 2014 auch unter formellen Fehlern litt, beispielsweise einer fehlenden Anhörung (§ 24 Abs. 1 SGB X) oder mangelnden Begründung (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X), oder die Beklagte ein Entschließungs- und/oder Auswahlermessen bei der Zuweisung hatte, das sie nicht erkannt hat mit der
Folge, dass der Bescheid bereits deshalb auch materiell rechtswidrig ergangen ist.
Der Kläger musste die Zuweisung der namentlich benannten gesetzlich krankenversicherten Patienten an seine angestellte Ärztin
Dr. G. bereits deshalb nicht dulden, weil der Bescheid der Beklagten über die Zuweisung der Patienten zur Behandlung an die
angestellte Ärztin des Klägers keine ausreichende rechtliche Grundlage hatte.
Der rechtmäßige Erlass eines Verwaltungsaktes (vgl. § 31 SGB X) setzt die Befugnis der Behörde voraus, gerade auf diese Weise handeln zu dürfen, d.h. Regelungen bestimmten Inhalts zu treffen
(vgl. BSG vom 22. Mai 2002 - B 8 KN 11/00 R).
Allein das Vorhandensein einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage reicht nicht aus. Es muss - gerade im Bereich der Eingriffsverwaltung,
wenn, worauf die Beklagte in ihrem Schreiben selbst hinweist, das Arzt-Patient-Verhältnis betroffen ist und somit ein Eingriff
in die Berufsausübung im Sinne von Art.
12 Abs.
1 des
Grundgesetzes (
GG) in Rede steht, auch eine spezielle Verwaltungsaktbefugnis gegeben sein (Vorbehalt des Gesetzes, vgl. auch §
32 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch,
SGB I). Denn speziell mit der Umsetzung des Gesetzes durch Verwaltungsakt erlangt die Behörde im Zuge der Bindungs- und Vollstreckungsfunktion
von Verwaltungsakten einen Machtzuwachs, der allein durch die gesetzlich normierte Verwaltungsaufgabe nicht hinreichend legitimiert
ist (vgl. Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 31 SGB X, Rn. 15).
An einer solchen Eingriffsbefugnis fehlt es hier indes. Dies ergibt sich bereits daraus, dass einer solchen Zuweisung der
Status als angestellte Ärztin entgegensteht.
Nach §
95 Abs.
1 Satz 1
SGB V, der die Pflicht zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung dem anstellenden und zugelassenen Arzt und nicht angestellten
Ärzten überträgt (vgl. BSG vom 11. Dezember 2013 - B 6 KA 39/12 R), sind unmittelbare Teilnehmer an der vertragsärztlichen Versorgung nur zugelassene Ärzte und zugelassene medizinische Versorgungszentren
sowie ermächtigte Ärzte und ermächtigte Einrichtungen. Die angestellte Ärztin des Klägers unterfällt dieser Norm somit nicht.
Auch sind ihr Status als angestellte Ärztin und die daraus folgenden Pflichten und Rechte im Bereich der Sicherstellung der
vertragsärztlichen Versorgung nicht mit denen des zugelassenen Vertragsarztes identisch (vgl. BSG GesR 2014, 354, 355). So kann der angestellte Arzt gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung nicht abrechnen, hat für seine
Tätigkeit kein wirtschaftliches Risiko, verfügt über keine eigene Praxis und ist für die Wahrnehmung des Versorgungsauftrages
nicht persönlich verantwortlich (vgl. Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 2. Aufl. 2015, S. 503, Rn. 1270).
Nichts anderes folgt aus der Regelung des §
77 Abs.
3 SGB V. Hiernach sind die zugelassenen Ärzte, die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung in den zugelassenen medizinischen
Versorgungszentren tätigen angestellten Ärzte, die bei Vertragsärzten nach §
95 Abs.
9 und
9a SGB V angestellten Ärzte, die in eigenen Einrichtungen nach §
105 Absatz
1 Satz 2 und Abs.
5 Satz 1
SGB V angestellten Ärzte und die in der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden ermächtigten Krankenhausärzte Mitglieder der
für ihren Arztsitz zuständigen kassenärztlichen Vereinigung, soweit sie mindestens halbtags beschäftigt sind.
Als Mitglied unterliegt der angestellte Arzt zwar der Disziplinargewalt der KV (§
81 Abs.
5 Satz 1
SGB V), wobei für Pflichtverletzungen daneben auch der zugelassene Arzt einzustehen hat. Deshalb hat er den angestellten Arzt zur
Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten anzuhalten (§ 32b Abs. 3 Ärzte-ZV) und haftet für die Erfüllung der vertragsärztlichen Pflichten wie für die eigene Tätigkeit (§ 14 Abs. 2 BMV-Ä). Dies ist konsequent, weil die Leistungen dem Vertragsarzt als eigene Leistungen zugerechnet werden (so Pawlita in: Schlegel/Voelzke,
jurisPK-
SGB V, 3. Aufl. 2016, §
95, Rn. 588).
Allerdings kann der angestellte Arzt trotz Mitgliedschaft in der KV nicht zum Notdienst herangezogen werden (vgl. BSG vom 11. Dezember 2013 - B 6 KA 39/12 R; so auch Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 3. Aufl. 2016, §
95 SGB V, Rn. 588; vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht vom 24. Juli 2015 - L 12 KA 55/15 B ER; Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 3. Aufl. 2018, S. 440, Rz. 1457). Dies gilt jedenfalls dann,
wenn er nicht in speziellen Notdienstpraxen durchgeführt wird. Denn der Notdienst kann in der Regel nur sinnvoll geleistet
werden, wenn die Infrastruktur der ärztlichen Praxis zur Verfügung steht (vgl. auch BSG SozR 4-2500 § 75 Nr. 3).
Über die Betriebsmittel und die Infrastruktur der Praxis des zugelassenen Arztes kann nämlich, wie im Falle von MVZ, nicht
der angestellte Arzt, sondern allein der zugelassene Arzt befinden (vgl. BSG SozR 4-2500 § 95 Nr. 24). Der bei einem zugelassenen Arzt angestellte Arzt kann überdies auch nicht eigenverantwortlich über seine Arbeitszeit
verfügen, sondern hat als Arbeitnehmer neben arbeitsvertraglichen Vorgaben Anordnungen zu beachten, zu denen sein Arbeitgeber
im Rahmen seines Direktionsrechts befugt ist.
Das unterscheidet ihn vom zugelassenen Vertragsarzt. Nach der Rechtsprechung ist die Zulassung ein statusbegründender Akt,
der eine höchstpersönliche Rechtsposition des Vertragsarztes schafft (so ausdrücklich im Hinblick auf ein MVZ: BSG SozR 4-2500 § 95 Nr. 24 Rz. 21). Die Folge hieraus ist die Berechtigung und Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung
(§
95 Abs.
3 SGB V) sowie die Teilnahme an der Honorarverteilung (vgl. §
85 Abs.
4 SGB V) notwendig verbunden. Hiermit hat sich der Vertragsarzt freiwillig einer Reihe von Einschränkungen seiner ärztlichen Berufsausübung
unterworfen, die mit der Einbeziehung in ein öffentlich-rechtliches Versorgungssystem notwendig verbunden sind. Zu diesen
der Berufsausübung im vertragsärztlichen Bereich immanenten Einschränkungen gehört auch die Pflicht zur Versorgung der Patienten
(vgl. BSG 11. Dezember 2013 - B 6 KA 39/12 R). Diese Teilnahme - auch am Bereitschaftsdienst - hat der Gesetzgeber aber als Annex zur Niederlassung in freier Praxis ausgestaltet
(vgl. BSG SozR 4-2500 § 75 Nr. 13 Rz. 23; BSG SozR 4-2500 § 75 Nr. 3 Rz. 22). In diesem Zusammenhang hat das BSG dargelegt, dass der Bereitschaftsdienst - jedenfalls wenn er nicht in speziellen Notdienstpraxen durchgeführt wird - in der
Regel nur sinnvoll geleistet werden, wenn die Infrastruktur der ärztlichen Praxis zur Verfügung steht. Dieser Rechtsprechung
dürfte auch die Beklagte folgen wollen. Denn nach § 4 Nr. 1 Satz 2 ihrer Bereitschaftsdienstordnung vom 13. Juni 2018, die
am 1. Juli 2018 in Kraft getreten ist (vgl. § 16 Bereitschaftsdienstordnung), nehmen Vertragsärzte mit angestellten Ärzten
am ärztlichen Bereitschaftsdienst teil. Für Vertragsärzte, die angestellte Ärzte beschäftigen, gilt die Regelung des § 4 Nr.
2 Sätze 1 bis 4 der Bereitschaftsdienstordnung entsprechend (§ 4 Nr. Satz 5 Bereitschaftsdienstordnung) mit der Folge, dass
nicht die Beklagte den angestellten Arzt selbst bestimmt, sondern der beschäftigende Vertragsarzt den angestellten Arzt bzw.
die angestellte Ärztin melden muss, der/die den Bereitschaftsdienst leisten soll (§ 4 Nr. 2 Satz 5 i. V. m. § 4 Nr. 2 Satz
4 Bereitschaftsdienstordnung, vgl. auch Bayerisches Landessozialgericht vom 24. Juli 2015 - L 12 KA 55/15 B ER). Aus den von der Beklagten als hinreichende Ermächtigung herangezogenen Vorschriften folgt nichts anderes. Sie lauten
wie folgt:
§
75 Abs.
1 Satz 1 u. 2
SGB V: Die kassenärztlichen Vereinigungen und die kassenärztlichen Bundesvereinigungen haben die vertragsärztliche Versorgung in
dem in § 73 Abs. 2 SGB II bezeichneten Umfang sicherzustellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass
die vertragsärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Die Sicherstellung umfasst
auch die angemessene und zeitnahe Zurverfügungstellung der fachärztlichen Versorgung und die vertragsärztliche Versorgung
zu den sprechstundenfreien Zeiten (Notdienst), nicht jedoch die notärztliche Versorgung im Rahmen des Rettungsdienstes, soweit
Landesrecht nichts anderes bestimmt;
§
105 Abs.
1 Satz 1
SGB V: Die kassenärztlichen Vereinigungen haben mit Unterstützung der kassenärztlichen Bundesvereinigungen entsprechend den Bedarfsplänen
alle geeigneten finanziellen und sonstigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung
zu gewährleisten, zu verbessern oder zu fördern; zu den möglichen Maßnahmen gehört auch die Zahlung von Sicherstellungszuschlägen
an Vertragsärzte in Gebieten oder in Teilen von Gebieten, für die der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Feststellung
nach §
100 Abs.
1 und
3 SGB V getroffen hat.
§
95 Abs.
3 Satz 1
SGB V: An der vertragsärztlichen Versorgung nehmen zugelassene Ärzte und zugelassene medizinische Versorgungszentren sowie ermächtigte
Ärzte und ermächtigte Einrichtungen teil.
§
72 Abs.
1 SGB V: Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, medizinische Versorgungszentren und Krankenkassen werden zur Sicherstellung der vertragsärztlichen
Versorgung der Versicherten zusammen.
Dem Wortlaut der zuvor genannten Regelungen lässt sich weder einzeln noch in einer Zusammenschau eine Ermächtigung, durch
Bescheid Ärzten bestimmte Patienten zuweisen zu können, entnehmen. Auch rechtssystematisch liegen keine Anhaltspunkte dafür
vor, dass die Beklagte durch Zuweisungsbescheid vorgehen darf, was sich in anderem Zusammenhang beispielsweise der Regelung
des §
81 Abs.
5 Satz 4
SGB V entnehmen lässt, wenn dort formuliert wird, dass ein Vorverfahren nach dem
Sozialgerichtsgesetz nicht erforderlich ist.
Für das Fehlen der erforderlichen Ermächtigung spricht weiter, dass den von der Beklagten herangezogenen Reglungen nicht einmal
in Grundzügen die allgemeinen und individuellen Voraussetzungen für eine - zwangsweise - Zuweisung von Patienten entnommen
werden können.
Auch die seit dem 23. Januar 2016 geltende Regelung des §
75 Abs.
1a SGB V spricht gegen die Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides. Andernfalls hätte der Gesetzgeber der Beklagten die streitige
Befugnis, durch Verwaltungsakt zu entscheiden, wieder genommen. Hierfür gibt es aber keinen Anhaltspunkt. Die Verpflichtung
zur Einrichtung von Terminservicestellen nach §
75 Abs.
1a SGB V sieht nämlich nur ein Vermittlungsverfahren für Patienten vor, die nach näherer Maßgabe der Regelung keinen Behandlungstermin
bei einem Leistungserbringer erhalten.
Auch wenn unter Terminvermittlung im Sinne dieser Vorschrift nicht zu verstehen ist, dass nur ein grundsätzlich leistungsbereiter
Arzt benannt wird, sondern vielmehr eine konkrete Terminzusage i.S. einer Behandlungsübernahmeverpflichtung eines konkreten
Arztes des ärztlichen Fachgebiets vorliegen muss (Hesral in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 3. Aufl. 2016, §
75 SGB V, Rn. 61), lässt die Regelung in keiner Weise erkennen, dass die Kassenärztliche Vereinigung die Leistungserbringer durch
Verwaltungsakt zu einer Behandlung heranziehen kann. Findet die kassenärztliche Vereinigung nämlich keinen leistungsbereiten
Arzt, muss sie eine Krankenhausbehandlung anbieten.
Gegebenenfalls kommen nur Sanktionsmaßnahmen (§
81 Abs.
5 SGB V) in Betracht (vgl. BT-Drs. 18/4095, S. 106 zu Buchstabe b: Nach § 95 Absatz 3 bewirkt die Zulassung einer Vertragsärztin
bzw. eines Vertragsarztes, dass diese bzw. dieser zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung im Umfang des sich aus
der Zulassung folgenden zeitlich vollen oder hälftigen Versorgungsauftrags nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet
ist. Entsprechendes gilt für die Zulassung von MVZ. Zur Unterstützung des mit der Errichtung einer Terminservicestelle (vgl.
§ 75 Absatz 1a - neu-) verfolgten Ziels einer Reduzierung der Wartezeiten für Patientinnen und Patienten wird zusätzlich klargestellt,
dass die Kassenärztlichen Vereinigungen insbesondere anhand der ihnen vorliegenden Leistungsdaten zu prüfen haben, ob Vertragsärztinnen
und Vertragsärzte und MVZ den sich aus ihrer Zulassung ergebenden Versorgungsauftrag erfüllen. Die Regelung gilt entsprechend
für angestellte Ärztinnen und Ärzte. Bei Verstößen gegen vertragsärztliche Pflichten kommt eine Verhängung der in den Satzungen
der Kassenärztlichen Vereinigungen geregelten Sanktionsmaßnahmen in Betracht (§ 81 Absatz 5). Hierdurch wird sichergestellt,
dass Vertragsärztinnen und Vertragsärzte und MVZ in dem ihnen (gesetzlich) vorgegebenen Umfang zur Versorgung der Versicherten
zur Verfügung stehen).
Soweit die Satzung der Beklagten nach §
81 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 und Nr.
10 SGB V die Rechte und Pflichten ihrer Organe und Mitglieder sowie die vertragsärztlichen Pflichten zur Ausfüllung des Sicherstellungsaustrages
enthalten muss, hat die Beklagte, was sie auch nicht behauptet, auch dort keine rechtliche Grundlage für Patientenzuweisungen
an angestellte Ärzten geschaffen.
Aber selbst wenn die Beklagte den Kläger als Behandler herangezogen hätte oder ihm die interne organisatorische Abwicklung
der Behandlung der zugewiesenen Patienten überlassen hätte, wäre eine solche zwangsweise Zuweisung durch Verwaltungsakt unzulässig
gewesen.
Zwar ist mit der Zulassung des Klägers zur vertragsärztlichen Versorgung auch die Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen
Versorgung (§
95 Abs.
3 SGB V) verbunden (s.o.). Hiermit hat sich der Kläger als Vertragsarzt freiwillig einer Reihe von Einschränkungen seiner ärztlichen
Berufsausübung unterworfen, die mit der Einbeziehung in ein öffentlich-rechtliches Versorgungssystem notwendig verbunden sind.
Dennoch hätte die Beklagte auch vor diesem Hintergrund dem Kläger gegenüber als an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmendem
Arzt nicht die erforderliche Ermächtigung gehabt, gerade durch Verwaltungsakt handeln zu dürfen (s.o.). Insbesondere die von
der Beklagten herangezogenen Vorschriften (s.o.) hätten auch insoweit keine Ermächtigungsgrundlage geboten.
Abgesehen davon, dass ärztliches Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Pflicht zur Versorgung von Patienten regelmäßig im
Wege der Disziplinarordnung zu ahnden ist (vgl. §
81 Abs.
5 SGB V), sieht die Satzung der Beklagten auch für zugelassene Ärzte gerade keine Eingriffsermächtigung für zwangsweise verfügte
Zuweisungen von Patienten vor.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil ihre gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen (vgl. §
160 Abs.
SGG).