Übernahme von Kosten eines Gutachtens auf die Staatskasse
Nicht fristgebundener Antrag
Gründe:
I.
Im Hauptsacheverfahren L 1 U 1207/07 stritten die Beteiligten über die Folgen eines Schulunfalls am 7. Januar 2002. Unter dem 27. November 2008 beantragte der
Prozessbevollmächtigte des Klägers die Einholung eines Gutachtens nach §
109 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) bei Prof. Dr. F ... Nach Einzahlung eines Vorschusses in Höhe von 1.900,00 Euro beauftragte der damalige Berichterstatter
des 1. Senats den Sachverständigen unter dem 25. Februar 2009 mit der Gutachtenserstattung. Dieser erstattete unter dem 11.
August 2009 sein Gutachten und setzte sich dort mit den im Verwaltungs- und Klageverfahren eingeholten Gutachten auseinander.
In seiner Kostenrechnung berechnete er dafür 2.152,43 Euro, die ihm vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle überwiesen wurden.
Nach gerichtlicher Aufforderung zahlte die Rechtsschutzversicherung des Klägers den Restbetrag von 252,43 Euro nach.
Nach weiterem Schriftverkehr erkannte die Beklagte im gerichtlichen Vergleich vom 29. Oktober 2010 folgende Folgen des Arbeitsunfalls
vom 7. Januar 2002 an: "1. Trauma des lateralen Kompartiments des linken Kniegelenks mit Kapselausriss an der hinteren Tibiaepiphyse,
2. Mikrofrakturen an der lateralen Femur- und Tibiaepiphyse, Außenmeniskushinterhornriss." Sie sei bereit, 50 v.H. der außergerichtlichen
Kosten des Klägers zu tragen.
Am 3. Juli 2018 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers vorgetragen, das Gutachten des Prof. Dr. F. habe zur Sachverhaltsaufklärung
beigetragen und das Verfahren einem vergleichsweisen Abschluss zugeführt.
Er beantragt sinngemäß,
die Kosten für das nach §
109 SGG eingeholte Gutachten auf die Staatskasse zu übernehmen.
II.
Der Antrag des Klägers ist nicht verfristet.
Der Antrag auf Übernahme der Gutachtenskosten auf die Staatskasse ist nicht an die Einhaltung bestimmter gesetzlicher Fristen
gebunden. Eine analoge Anwendung des § 5 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes scheidet bereits deshalb aus, weil diese Vorschrift voraussetzt, dass der materiell-rechtliche Anspruch besteht, was bei
der Rückerstattung aber erst mit der Beschlussfassung durch das Gericht der Fall ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2017, §
109 Rdnr. 16; F. Keller in jurisPR-SozR 1/2006 Anm. 6).
Das Antragsrecht wurde auch nicht verwirkt. Dieses Rechtsinstitut wurde im bürgerlichen Recht aus dem Grundsatz von Treu und
Glauben (§
242 BGB) entwickelt und findet auch im Sozial- und Kostenrecht Anwendung (vgl. BSG, Urteil vom 10. August 1999 - B 2 U 30/98 R, Thüringer LSG, Beschluss vom 9. Dezember 2014 - L 6 SF 723/14 E, beide nach juris). Das Antragsrecht nach §
109 Abs.
1 S. 2
SGG ist ein subjektives Recht, das auch verwirkt werden kann (vgl. F. Keller in jurisPR-SozR 1/2006 Anm. 6).
Eine Verwirkung kommt nur in Betracht, wenn der Kläger von seinem Antragsrecht über längere Zeit keinen Gebrauch macht und
weitere besondere Umstände hinzutreten, die - nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebiets
- sein verspätetes Geltendmachen nach Treu und Glauben dem Verpflichteten gegenüber als illoyal erscheinen lassen (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 - B 13 R 67/09 R, nach juris, Thüringer LSG, Beschluss vom 27. November 2012 - L 6 R 1045/12 B ER). Eine Verwirkung allein durch bloßes Schweigen ohne Umstandsmoment scheidet im Normalfall aus (vgl. BGH, Urteil vom
14. November 2002 - VII ZR 23/02, nach juris; F. Keller in jurisPR-SozR 1/2006 Anm. 6). "Besondere Umstände" sind dann anzunehmen, wenn der Verpflichtete
(hier: Staatskasse) infolge des Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das
Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage), tatsächlich darauf vertraute, dass das Recht nicht mehr ausgeübt
wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten),
dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde. Dabei sind strenge Anforderungen
an das Verwirkungsverhalten zu stellen (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Juli 2018 - L 1 SF 497/16 B, Thüringer LSG, Beschluss vom 10. März 2014 - L 6 SF 1846/13 E, nach juris). Hier hatte der Kläger nach Abschluss des Verfahrens lediglich keinen Antrag gestellt und damit gerade keine
Vertrauenslage geschaffen. Bloßer Zeitablauf begründet in Antragsverfahren wie hier auch nach knapp acht Jahren kein die Verwirkung
begründendes Verhalten. Für einen Verstoß gegen Treu und Glauben gibt es keinen Anhalt.
In der Sache hat hier das Gutachten des Prof. Dr. F. die Sachaufklärung wesentlich gefördert. Dafür spricht bereits, dass
dessen Ausführungen zu dem Vergleich vom 29. Oktober 2010 geführt haben (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Auflage 2017, §
109 Rdnr. 16a). Es kommt dagegen nicht darauf an, dass die Beklagte dem Gutachten nur in Teilen gefolgt ist und ob es in allen
Teilen überzeugend ist, was Dr. L. in seiner Stellungnahme vom 21. September 2009 in Frage gestellt hatte.
Die Entscheidung ist nach §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar.