Zahlung von Verletztengeld aufgrund einer anerkannten Berufskrankheit
Konkurrierende Kausalität mit einer anderen Erkrankung
Tatbestand:
Der Kläger begehrt weitere Zahlungen von Verletztengeld aufgrund einer anerkannten Berufskrankheit (BK) Nummer 2113 der Anlage
1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV).
Der 1960 geborene Kläger arbeitete zuletzt als Fließbandarbeiter in der Automobilindustrie. Seit Oktober 2014 arbeitet der
Kläger nicht mehr. Mit Schreiben vom 30. März 2015 zeigte die Krankenversicherung des Klägers wegen einer Wirbelsäulenerkrankung
und eines Carpaltunnelsyndroms den Verdacht auf eine Berufskrankheit an. Am 21. Januar 2014 erfolgte die operative Versorgung
des Carpaltunnelsyndroms linksseitig und am 8. Oktober 2014 rechtsseitig. Arbeitsunfähigkeit bescheinigte der behandelnde
Hausarzt vom 22. Januar bis 20. April 2014 sowie vom 1. Oktober bis 18. November 2014. Anschließend bestanden weitere Zeiten
der Arbeitsunfähigkeit aufgrund diverser Erkrankungen.
Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 20. Januar 2017 zunächst die Anerkennung einer BK Nr. 2113
BKV abgelehnt hatte, erkannte sie mit Bescheid vom 15. September 2017 die Berufskrankheit an. Folge dieser Berufskrankheit sei
ein nach operativer Versorgung folgenlos ausgeheiltes Carpaltunnelsyndrom beidseits. Die hiergegen gerichtete Klage mit dem
Ziel einer Rentengewährung blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 12. November 2018 - S 9 U 2035/17 sowie Urteil des Senats vom 21. November 2019 - L 1 U 1523/18).
Mit Schreiben vom 30. November 2018 beauftragte die Beklagte die gesetzliche Krankenversicherung des Klägers mit der Auszahlung
von Verletztengeld für die Zeiträume 22. Januar 2014 bis 20. April 2014 sowie 1. Oktober 2014 bis 18. November 2014. Nachdem
der Kläger dieses Schreiben zur Kenntnis erhielt, legte er hiergegen Widerspruch ein, der erfolglos blieb (Widerspruchsbescheid
vom 24. Januar 2019).
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2018 stellte die Beklagte fest, dass die über den 18. November 2014 hinausgehende Arbeitsunfähigkeit
nicht Folge der anerkannten BK Nr. 2113 sei. Deshalb ergebe sich auch kein Anspruch auf Verletztengeld über den 18. November
2014 hinaus. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb ebenfalls ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 12. Februar
2019).
Gegen die Widerspruchsbescheide vom 24. Januar 2019 und 12. Februar 2019 hat der Kläger Klage erhoben. Er habe sich zu Lasten
der D vom 7. Juli bis 4. August 2015 zu einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der M Klinik B befunden. Von dort sei
er als arbeitsunfähig entlassen worden. Zu den aufgeführten Diagnosen gehörten ein beidseitiges Carpaltunnelsyndrom. Insoweit
ständen ihm weiter das Verletztengeld sowie eine Verletztenrente zu. Auch seien weitere Berufskrankheiten anzuerkennen. Auf
Hinweis der Beklagten, dass eine Verletztenrente sowie die Anerkennung weiterer Berufskrankheiten nicht Gegenstand des Verfahren
seien und den Hinweis des Gerichts, dass das konkrete Klagebegehren noch unklar sei, erklärte der Kläger mit Schreiben vom
7. Mai 2019 sowie 13. Mai 2019 sinngemäß, es ginge ihm um die Anerkennung seiner Arbeitsunfähigkeit von Oktober 2014 bis November
2015 und darüber hinaus und die Zahlung von Verletztengeld ab 19. November 2014, weil weiterhin Arbeitsunfähigkeit vorliege.
Mit Gerichtsbescheid vom 27. Januar 2020 hat das Sozialgericht die auf die Abänderung der Bescheide vom 30. November 2018
und 19. Dezember 2018 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 24. Januar 2014 und 12. Februar 2014 (richtig 2019) und
Zahlung weiteren Verletztengeldes gerichtete Klage abgewiesen. Ausweislich der vorliegenden Unterlagen sei dem Kläger Arbeitsunfähigkeit
vom 9. Januar bis 20. April 2014 wegen einer Polyarthritis sowie wegen eines Zervikobrachialsyndroms und ab 20. Januar 2014
bis 20. April 2014 wegen eines Carpaltunnelsyndroms bescheinigt worden. Weitere Arbeitsunfähigkeiten seien wie folgt bescheinigt
worden: Vom 3. bis 19. September 2014 wegen einer Polyarthrose und eines Zervikobrachialsyndroms, vom 1. Oktober 2014 bis
13. Mai 2015 wegen einer Spinalkanalstenose und eines Carpaltunnelsyndroms, vom 1. Oktober bis 18. November 2014 wegen einer
Infektion, einer Gelenkkrankheit, einer Mononeuropathie der unteren Extremitäten, einer Knochenentzündung und einer Erkrankung
des Rückens und schließlich vom 30. November 2015 bis 2. Dezember 2016 wegen einer Spondylose im Lumbalbereich. Arbeitsunfähigkeitszeiten
aufgrund eines Carpaltunnelsyndroms erstreckten sich nur vom 20. Januar bis 20. April 2014 sowie 1. Oktober bis 18. November
2014. Nur für diese Zeiträume könne der Kläger Verletztengeld nach §
45 Abs.
1 des
Siebten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB VII) beanspruchen. Nichts anderes ergebe sich aus der Bescheinigung aufgrund der Kur in B, woraus sich eine Entlassung bei Arbeitsunfähigkeit
wegen des Carpaltunnelsyndroms ergebe. Am 19. November 2014 sei die Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit wegen eines nicht
näher bezeichneten Rückfallfiebers auszumachen und eine danach zeitlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit wegen des Carpaltunnelsyndroms
nicht gegeben. Im Übrigen ergebe sich aus dem Auszahlschein für das Krankengeld vom 18. November 2014, dass der Kläger ab
dem 19. November 2014 wegen einer gesicherten Borreliose arbeitsunfähig erkrankt sei. Für die Anwendung der Regelung des §
45 Abs.
2 SGB VII bestünden keinerlei Anhaltspunkte, da dem Kläger keine Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt worden seien.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er weiterhin die Zahlung des Verletztengeldes begehrt und zudem darauf
hinweist, dass ihm durch die D Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt worden seien.
Er beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Meiningen vom 27. Januar 2020 und Abänderung der Bescheide
der Beklagten vom 24. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2020 und des Bescheides vom 19.
Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2019 zu verpflichten, Verletztengeld auch für den
Zeitraum ab September 2013, vom 21. April 2014 bis zum 30. September 2014 sowie über den 18. November 2014 hinaus nach den
gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die getroffene Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.
Der Senat hat die Verfahrensakte zu dem Rechtsstreit L 1 U 1523/18 beigezogen. In diesem Verfahren wurde während des sozialgerichtlichen Verfahrens durch die Beklagte ein Sachverständigengutachten
durch die Neurologin J eingeholt. Diese hat mit ihrem Sachverständigengutachten vom 20. April 2018 festgestellt, dass die
Diagnose des beidseitigen Carpaltunnelsyndroms im September 2013 als gesichert anzusehen sei, nach der Operation des Carpaltunnelsyndroms
beidseits im Jahr 2014 jedoch folgenlos ausgeheilt sei. Die vom Kläger beschriebenen Schmerzen und Sensibilitätsstörungen
seien bei völlig unauffälligen elektrophysiologischen und sonografischen Befunden des Nervus Medianus und auch unauffälligen
objektivierbaren neurologischen Befunden nicht auf ein Carpaltunnelsyndrom zurückzuführen. Es bestehe eine konkurrierende
Kausalität in Form des HWS-Syndroms mit bildmorphologisch beschriebenen degenerativen Veränderungen, die zu einer Wurzelreizsymptomatik
im Dermatom C6 links, C7 beidseits und C5 beidseits führen könnten. Mit ergänzender Stellungnahme hat die Sachverständige
J ausgeführt, dass bzgl. der bereits im Januar operierten linken Hand von einer folgenlosen Ausheilung für den Zeitraum bis
zur weiteren OP im Oktober auszugehen sei. Für den Zeitraum ab Oktober 2014 sei davon auszugehen, dass das Carpaltunnelsyndrom
nach beidseitigen Operationen ausgeheilt sei.
Entscheidungsgründe:
Soweit mit der Berufung die Zahlung von Verletztengeld auch für den Zeitraum ab September 2013 verfolgt wird, ist sie bereits
unzulässig. Die Bescheide der Beklagten vom 24. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. November 2020
sowie vom 19. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2019 betreffen lediglich die Verletztengeldzahlung
für den Zeitraum vom 21. April 2014 bis zum 30. September 2014 sowie über den 18. November 2014 hinaus, nicht hingegen den
Zeitraum bereits ab September 2013. Mit der Klage wurde sodann auch nur der Zeitraum vom 21. April 2014 bis zum 30. September
2014 sowie über den 18. November 2014 hinaus angegriffen. Nur über diesen Zeitraum hat in der Folge auch das Sozialgericht
entschieden. Hinsichtlich des Zeitraumes ab September 2013 hingegen liegt weder eine Verwaltungsentscheidung der Beklagten
noch eine erstinstanzliche Entscheidung des Sozialgerichts vor. Damit ist dem Senat eine Entscheidung hierüber verwehrt.
Die im Übrigen zulässige Berufung ist nicht begründet. Die angegriffenen Bescheide der Beklagten sind nicht rechtswidrig und
verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
Streitgegenständlich ist die Verletztengeldzahlung für den Zeitraum vom 21. April 2014 bis zum 30. September 2014 sowie über
den 18. November 2014 hinaus. Insoweit ist neben dem Bescheid vom 19. Dezember 2018 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 12. Februar 2019 betreffend den Zeitraum über den 18. November 2014 hinaus) zwar nicht ein Bescheid vom 30. November 2018
(in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 24. Januar 2019) jedoch der Bescheid vom 24. Januar 2019 (in der Gestalt des
Widerspruchbescheides vom 5. November 2020 betreffend den Zeitraum 21. April 2014 bis zum 30. September 2014) Gegenstand des
Verfahrens. Das Schreiben der Beklagten vom 30. November 2018, mit welchem die Krankenkasse mit der Verletztengeldzahlung
beauftragt wurde, stellt gegenüber dem Kläger keinen Verwaltungsakt (§ 31 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch - SGB X) dar. Deswegen ist ein Widerspruch hiergegen unzulässig. Der gleichwohl unter dem 24. Januar 2019 erlassene Widerspruchsbescheid,
der sodann mit Klage angegriffen wurde, stellt für sich jedoch den belastenden Ausgangsbescheid dar. Zwar hat die Beklagte
einen Widerspruchsbescheid weder im Vorverfahren noch erstinstanzlich erlassen. Der damit aus rechtlicher Sicht fehlende Abschluss
des Vorverfahrens hindert jedoch nicht an einer Entscheidung in der Sache, da das Widerspruchsverfahren nunmehr mit Erlass
des Widerspruchbescheides vom 5. November 2020 im Berufungsverfahren nachgeholt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 3. März 2009 - B 4 AS 37/08 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 15, Rn. 18 m.w.N., nach juris) wurde. Darüber hinaus ließe es mit der Rechtsprechung des BSG (vgl. nur BSG, Urteil vom 3. März 2009 - B 4 AS 37/08 R, Rn. 18 f. m.w.N., nach juris) die besondere Gestaltung des Falles das Vorverfahren ausnahmsweise ohnehin als entbehrlich
erscheinen.
Nach §
153 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) sieht der Senat von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und verweist auf die Entscheidung des Sozialgerichts.
Das Sozialgericht hat zutreffend ausgeführt, dass hinsichtlich einer Arbeitsunfähigkeit wegen des als Berufskrankheit anerkannten
Carpaltunnelsyndroms nur in den von der Beklagten bereits gewährten Zeiten ein Verletztengeldanspruch besteht. Insoweit hat
das Sozialgericht zutreffend auf die in der Akte befindlichen Zeiten der festgestellten Arbeitsunfähigkeit bzgl. eines Carpaltunnelsyndroms
abgestellt. Dem ist abschließend hinzuzufügen, dass im Rechtsstreit L 1 U 1523/18 die dort beauftragte Sachverständige J (zur Verwertbarkeit des Gutachtens vom 20. April 2018 vgl. bereits die Senatsentscheidung
vom 21. November 2019 - L 1 U 1523/18) mit ihrem Sachverständigengutachten ausgeführt hat, dass nach der OP an der linken Hand im Januar 2014 eine Besserung bzw.
eine Heilung des Syndroms eingetreten ist. Für den Zeitraum nach der zweiten Operation im Oktober 2014 hat die Sachverständige
dargelegt, dass wegen der ebenfalls erfolgreich verlaufenen Operation ein Carpaltunnelsyndrom nicht (mehr) vorgelegen hat.
Die Diagnose eines Carpaltunnelsyndroms kann seit dem folgenlos verheilten operativen Eingriff nicht mehr gestellt werden.
Dies bekräftigt, dass eine sich hieraus ergebende weitere Arbeitsunfähigkeit nicht vorgelegen hat. Wie der Senat schon im
Verfahren L 1 U 1523/18 zur Bestimmung einer MdE festgestellt hat, gilt auch für die Feststellung von Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, dass kein Automatismus
existiert, dass eine Diagnose zwangsläufig eine entsprechende Arbeitsunfähigkeit begründet. Andererseits gilt jedoch die Feststellung,
dass, wenn - wie hier - eine entsprechende Diagnose nicht (mehr) gestellt werden kann, eine Gesundheitsbeeinträchtigung in
diesem Sinn also nicht (mehr) vorliegt, sich hieraus auch keine Arbeitsunfähigkeit ergeben kann.
Wie auch bereits im Senatsurteil vom 21. November 2019 festgestellt, bleibt ohne Belang, dass in Arztberichten oder im ärztlichen
Entlassungsbericht der D vom 18. September 2015 beim Kläger weiterhin ein Carpaltunnelsyndrom als Diagnose genannt wird. Insoweit
hat der Senat in der genannten Entscheidung wie folgt ausgeführt: "Die Beklagte hat entsprechende medizinische Ermittlungen
veranlasst, die der Senat durch eine ergänzende Nachfrage bei J vertieft hat. Es ist nicht ersichtlich, dass der Gutachter
M, der Beratungsarzt L und sodann J in unzutreffender Weise von einem entsprechenden Diagnoseausschluss ausgegangen sind (
). Vielmehr ist bei den vom Kläger vorgelegten Befundunterlagen das Carpaltunnel-Syndrom ersichtlich auch nur als (Neben-)Diagnose
auszumachen, ohne dass es einen Behandlungswert erlangt. Soweit ein Zustand nach Dekompression eines Carpaltunnel-Syndroms
diagnostiziert wird, kann sich der Kläger hierauf ohnehin nicht mit Erfolg berufen. Diese Feststellung, die im engeren Sinne
keine Diagnose ist, bestätigt letztendlich die Dekompression des Carpaltunnel-Syndroms, mithin also die Ausheilung dieser
Erkrankung." Dem ist nichts hinzuzufügen.
Zutreffend hat schließlich das Sozialgericht auch den Tatbestand des §
45 Abs.
2 SGB VII ausgeschlossen. Hiernach ergibt sich ein Zahlungsanspruch auf Verletztengeld unter anderem, soweit eine Leistung zur Teilhabe
am Arbeitsleben erforderlich ist. Eine Erforderlichkeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn und solange der Unfallversicherungsträger
überprüft, ob die Voraussetzungen für eine Teilhabeleistung vorliegen, er eine solche Maßnahme vorbereitet oder eine solche
nach der Auftragserteilung an die jeweiligen Bildungsträger nicht sofort begonnen werden kann (Schurr in Hauck/Noftz,
SGB VII, §
45 Rn. 17). Dieser Sachverhalt ist vorliegend nicht gegeben. Die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt, Teilhabeleistungen
zu gewähren. Die später durch die D gewährten Teilhabeleistungen bleiben insofern ohne Belang.
Die Kostenentscheidung folgt nach §§
183,
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 SGG liegen nicht vor.