Rückwirkende Leistungsgewährung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Die Beschwerdeführerin begehrt im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes die Kostenübernahme für in der Zeit vom 27. August
bis zum 3. September 2009 erbrachte medizinische Leistungen.
Bei der 1961 geborenen Beschwerdeführerin wurde im August 2006 ein Mammakarzinom links diagnostiziert. Dieses wurde mit neoadjuvanter
Chemo- und Antikörpertherapie sowie operativ behandelt. Im Juli 2009 wurde ein großes Rezidiv im Bereich des Sternums diagnostiziert.
Die Beschwerdeführerin bezieht seit dem 30. August 2009 Krankengeld in Höhe von 1.572,30 EUR sowie Kindergeld in Höhe von
164,00 EUR monatlich.
Am 24. August 2009 beantragte sie unter Vorlage der Patientenunterlagen des Dr. N. die Kostenübernahme für eine Immuntherapie
mit dendritischen Zellen. Vom 27. August bis zum 3. September 2009 ließ sie die erste von vier - im Abstand von jeweils vier
bis fünf Wochen - geplanten Vakzinierungen (ein Behandlungszyklus) durch Dr. N. durchführen. Am 3. September 2009 stellte
ihr dieser 6.291,44 EUR in Rechnung. Mit Schreiben vom gleichen Tag erklärte er sich mit einer Ratenzahlung einverstanden.
Er bitte zunächst um Zahlung eines Abschlagbetrages in Höhe von 5.306,22 EUR, der Restbetrag sei in monatlichen Raten von
je 50,00 EUR zu zahlen.
Mit Bescheid vom 1. September 2009 lehnte die Beschwerdegegnerin eine Kostenübernahme der Immuntherapie mit dendritischen
Zellen ab. Im Widerspruchsverfahren reichte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme des Dr. N. vom 8. September 2009 ein,
wonach aufgrund des bisherigen Verlaufs und auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnislage davon ausgegangen werden muss,
dass es sich um Tumorzellen handelt, die sowohl gegenüber der Chemotherapie als auch gegenüber der Antikörpertherapie mit
Herceptin eine Resistenz aufweisen. Somit stehe für die Beschwerdeführerin keine erfolgversprechende konventionelle Therapie
mehr zur Verfügung. Einer wenig wirksamen, jedoch hochtoxischen, erneuten zytostatischen Therapie mit Taxol in Kombination
mit Avastin stehe sie ablehnend gegenüber und wolle eine Immuntherapie mit dendritischen Zellen durchführen lassen. Diese
sei indiziert und biete eine berechtigte Hoffnung, die Tumorerkrankung erfolgreich zu behandeln. Um eine weitere Progression
der Erkrankung zu verhindern, müsse mit der Therapie unverzüglich begonnen werden.
Am 10. September 2009 hat die Beschwerdeführerin beim Sozialgericht Nordhausen beantragt, die Beschwerdegegnerin im Wege des
vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, die Kosten der ärztlichen Behandlung bei Dr. N. entsprechend der Rechnung vom
3. September 2009 zu übernehmen und die weitere Behandlung durch diesen zu genehmigen. Sie habe den ersten Zyklus der Behandlung
bereits durchführen lassen, weil kein anderer Arzt ihr habe helfen können und sie auch nicht weiter habe abwarten wollen.
Den Widerspruch hat die Beschwerdegegnerin nach Einholung eines Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung
(MDK) Thüringen e.V. vom 1. Oktober 2009 mit Widerspruchsbescheid vom 8. Oktober 2009 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Beschwerdeführerin
Klage erhoben.
Mit Beschluss vom 9. Oktober 2009 hat das Sozialgericht die Beschwerdegegnerin im Wege einstweiligen Anordnung verpflichtet,
die ab dem 10. September 2009 angefallenen Kosten der Immuntherapie-Behandlung mit dendritischen Zellen durch Dr. N. zu erstatten,
die Kosten für zwei weitere Vakzinierungen zu übernehmen und im Übrigen den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
abgelehnt. Zur Begründung der Ablehnung hat das Sozialgericht ausgeführt, eine einstweilige Anordnung sei grundsätzlich in
die Zukunft gerichtet. Soweit die Beschwerdeführerin sich ohne gerichtlichen Eilrechtsschutz in die Behandlung begeben habe,
müsse zunächst eine zivilrechtliche Einigung mit dem behandelnden Arzt erfolgen.
Dagegen hat die Beschwerdeführerin am 9. November 2009 Beschwerde erhoben und vorgetragen, eine Stundung sei nur über einen
Betrag in Höhe von 985,22 EUR möglich. Den Betrag in Höhe von 5.306,22 EUR könne sie als alleinerziehende Mutter nicht aufbringen.
Seit ihrer Scheidung trage sie die Kreditverbindlichkeiten und alle anderen Verpflichtungen für das Grundstück in S., K. E.
23, alleine. Dr. N. habe ihr eine Mahnung für Ende Januar angedroht.
Die Beschwerdeführerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Nordhausen vom 9. Oktober 2009 abzuändern und die Beschwerdegegnerin im Wege einer einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, die für den Zeitraum vom 27. August bis zum 3. September 2009 entstanden Kosten in Höhe von 5.302,22
EUR vorläufig bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu übernehmen.
Die Beschwerdegegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf ihre bisherigen Ausführungen im Verfahren sowie auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses.
Auch unter Berücksichtigung des in Artikel
19 Abs.
4 des Grundgesetzes (
GG) verankerten Gebots eines effektiven Rechtsschutzes könne es der Beschwerdeführerin, die vorläufigen Rechtsschutz für einen
abgelaufenen Zeitraum begehre, zugemutet werden, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der
beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung war.
II. Die Beschwerde ist nach §§
172 Abs.
1,
173 des Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) statthaft und zulässig.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch unbegründet.
Nach §
86 b Absatz
2 Satz 2
SGG in der ab dem 2. Januar 2002 gültigen Fassung kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug
auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind
auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
Das Sozialgericht hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bezüglich der Übernahme der in dem Zeitraum vom
27. August bis zum 3. September 2009 entstandenen Kosten zu Recht abgelehnt. Die Beschwerdeführerin hat weder einen aus Artikel
19 Abs.
4 GG noch aus §
86 b Absatz 2
SGG abgeleiteten Anspruch auf vorläufige Gewährung einer Kostenerstattung.
Der von der einstweiligen Anordnung erfasste Regelungszeitraum reicht grundsätzlich vom Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags
bei Gericht längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache. Die tatbestandliche Herleitung des Beginns der
vorläufigen Leistung folgt für die Regelungsanordnung des §
86 b Absatz
2 Satz 2
SGG aus dem Tatbestandsmerkmal der "Abwendung" eines wesentlichen Nachteils. Die Beeinträchtigung darf also noch nicht eingetreten
sein, sondern muss zukünftig noch bevorstehen. Abzustellen ist dabei grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Eingangs des Eilantrags
bei Gericht (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21. September 2009 - Az.: L 8 AS 585/09 B ER m.w.N., nach juris). Im Hinblick auf in diesem Sinn in der Vergangenheit liegende Rechtsbeeinträchtigungen ist eine
Leistungsanordnung damit grundsätzlich ausgeschlossen (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 21. September 2009,
aaO.). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellen die Fälle dar, in denen ein sogenannter Nachholbedarf besteht. Nachholbedarf
ist gegeben, wenn bei nicht rückwirkender Leistungsgewährung, also bei "Nichtnachholung" der in der Vergangenheit liegenden
Leistungen, erhebliche Rechtsverletzungen für die Zukunft drohen (vgl. Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 20. Juni
2005 - Az.: L 7 AL 100/05 ER, nach juris). Dies wäre zum Beispiel der Fall, wenn die Beschwerdeführerin glaubhaft gemacht hätte, dass Dr. N. gegen
sie wegen der Nichtzahlung der Rechnung vom 3. September 2009 Vollstreckungsmaßnahmen einleitet.
Eine solche oder vergleichbare Notlage hat sie nicht glaubhaft gemacht. Der Gläubiger des Rechnungsbetrages in Höhe von 6.291,44
EUR (Dr. N.) hat bisher keine Vollstreckungsmaßnahmen gegen sie eingeleitet. Insoweit ist nochmals darauf hinzuweisen, dass
es nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes in Verfahren wie dem vorliegenden ist, einen Rechtsanspruch auf Kostenerstattung
bereits erbrachter medizinischer Leistungen zur Krankenbehandlung abschließend zu prüfen und zuzuerkennen oder zu verneinen.
Dies ist im Hauptsacheverfahren endgültig zu klären.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).