Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Versorgung mit einem Schwenksitz einschließlich der Montage des Sitzes in den Pkw
ihrer Eltern.
Die 1975 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Sie leidet an spastischer Tetraplegie, mol.
Aphasie und einem hirnorganischen Psychosyndrom. Die Klägerin verfügt über einen GdB von 100; anerkannt sind die Merkzeichen
"B", "G", "aG", "H", "RF". Sie ist auf ständige Benutzung eines Rollstuhls angewiesen. Im Juli 2005 beantragte sie vertreten
durch ihre Eltern unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 7. Juli 2005 und eines Kostenvoranschlages einer Reha-Technik-Werkstatt
die Versorgung mit einer Hubvorrichtung für Be- und Entladen einer behinderten Person in den Pkw (Schwenksitz "Turny 300").
Laut Kostenvoranschlag verursacht dies Kosten in Höhe von 8.585,16 EUR einschließlich Einbau und TÜV-Abnahme.
Mit Bescheid vom 2. August 2005 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass Schwenksitze zum Umbau eines Pkw
keine Hilfsmittel seien.
Einen hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. Dezember 2005 zurück. Die Klägerin
sei mit einem Scalamobil, einem Elektrorollstuhl, einem Aktivrollstuhl, einem Zimmerrollstuhl sowie einem Liftersystem ausreichend
versorgt.
Hiergegen hat die Klägerin am 26. Januar 2006 Klage erhoben. Mit dem begehrten Hilfsmittel sollten nicht der persönliche Freiraum
für den Gebrauch eines Pkw erweitert, sondern ausschließlich die Auswirkungen der Behinderung gemildert werden. Insbesondere
gehe es um die Ermöglichung der erforderlichen Arzt- bzw. Therapeutenbesuche. Sie befinde sich in ständiger hausärztlicher
und orthopädischer Betreuung. Es seien regelmäßig Physiotherapeuten, Hausarzt, Augenarzt und Optiker aufzusuchen. Mit Hilfe
des Schwenksitzes könne sie ohne fremde körperliche Hilfe das Kraftfahrzeug besteigen und verlassen. Aufgrund unkontrollierter
spastischer Bewegungen der Hände könne sie mit dem Elektrorollstuhl außerhalb der Wohnung nicht allein unterwegs sein. Das
Sozialgericht (SG) hat Auskünfte der behandelnden Ärzte und Therapeuten über die Behandlungshäufigkeit eingeholt. Im sozialgerichtlichen Verfahren
wurde ein weiterer Kostenvoranschlag über einen Schwenksitz "Turny 300" vom 2. März 2007 über einen Gesamtpreis in Höhe von
5.916,50 EUR vorgelegt.
Mit Urteil vom 26. Februar 2008 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. August 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2005
verurteilt, die Klägerin mit einem Autoschwenksitz zu versorgen. Es bestehe ein Anspruch auf Versorgung mit einem schwenkbaren
Autositz gemäß §
33 Abs.
1 Satz 1 3. Alt. des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V). Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens zähle das Bedürfnis bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten
im erforderlichen Umfang aufzusuchen. Mit den vorhandenen Rollstühlen könnten nicht alle Ärzte und Therapeuten aufgesucht
werden. Der Weg zu den Therapeuten werde durch die Benutzung des Pkw erheblich erleichtert. Der schwenkbare Sitz ermögliche
es der Klägerin, das elterliche Fahrzeug zu besteigen und dort sicher transportiert zu werden. Ein kostengünstigeres Hilfsmittel
sei nicht ersichtlich. Es sei davon auszugehen, dass sich der Schwenksitz im Laufe von spätestens vier Jahren im Hinblick
auf die Kosten für ansonsten erforderliche Krankentransporte amortisiere.
Die Beklagte hat gegen das ihr am 27. Mai 2008 zugestellte Urteil am 10. Juni 2008 Berufung eingelegt. Das Bedürfnis, bei
Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen, werde in aller Regel durch die Erschließung des Nahbereichs
mit einem Rollstuhl erfüllt. Durch die bestehende Hilfsmittelversorgung sei die Klägerin in der Lage, die erforderlichen Behandlungen
wahrzunehmen. Die Hausarztpraxis sei z.B. zirka 500 Meter von ihrem Wohnort entfernt. Sie erhalte ferner Leistungen der Pflegestufe
2. Damit sei die Unterstützung durch eine Pflegeperson sichergestellt. Unabhängig davon seien Hausbesuche und Krankentransporte
im Einzelfall bei medizinischem Erfordernis möglich. Zudem würden Beförderungskosten übernommen, solange hierfür ärztliche
Verordnungen vorgelegt würden und die Notwendigkeit nicht streitig sei. Seit Juni 2010 seien Fahrtkosten in einer Höhe von
2.880,98 EUR übernommen worden. Eine Abwägung zwischen den entstehenden Taxi- oder Beförderungskosten und den Kosten für das
Hilfsmittel sei nach der Rechtsprechung nicht möglich. Der Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten entfalle nicht nach Versorgung
mit dem begehrten Schwenksitz.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 26. Februar 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Berufung unter Bezugnahme auf das erstinstanzliche Vorbringen entgegengetreten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte, die Gegenstand der Beratung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§
151 SGG). Die Berufung ist begründet, denn die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung
mit dem begehrten Autoschwenksitz.
Der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 2. August 2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Dezember 2005 ist rechtmäßig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Rechtsgrundlage des Leistungsanspruchs ist §
33 SGB V in der zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geltenden Fassung. Nach Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift haben Versicherte
Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen oder anderen Hilfsmitteln, die im Einzelfall erforderlich
sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen,
soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach §
34 Abs.
4 SGB V ausgeschlossen sind. Wie in allen anderen Bereichen der Leistungsgewährung der gesetzlichen Krankenversicherung gelten auch
hier die Grundsätze der Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit der Leistungen nach §§
2 Abs.
1,
4 und 12 Abs.
1 SGB V. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.
Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen Leistungserbringer
nicht bewirken und Krankenkassen nicht bewilligen.
In Anwendung dieser Grundsätze besteht ein gegen die Beklagte gerichteter Anspruch auf Versorgung mit einem Autoschwenksitz
als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung weder unter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs noch der Vorbeugung
einer drohenden Behinderung, noch der Sicherung des Erfolgs einer Krankenbehandlung.
Der von §
33 Abs.
1 Satz 1 3. Alt.
SGB V beabsichtigte Behinderungsausgleich hat zwei Zielrichtungen: Gegenstand des Behinderungsausgleiches sind zunächst solche
Hilfsmittel, die auf den Ausgleich der Behinderung selbst gerichtet sind, also zum unmittelbaren Ersatz der ausgefallenen
Funktionen dienen. Bei diesem sogenannten unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst weitgehenden
Ausgleichs des Funktionsdefizits und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen und technischen Forschung.
In diesem Zusammenhang ist es nicht möglich, die Versorgung mit einem fortschrittlicheren Hilfsmittel mit der Begründung abzulehnen,
der bisher erreichte Versorgungsstandard sei ausreichend, solange ein Ausgleich der Behinderung nicht vollständig im Sinne
des Gleichziehens mit einem nichtbehinderten Menschen erreicht ist. Ebenso entfällt die Prüfung, ob mit der vorgesehenen Verwendung
ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist, weil sich die unmittelbar auszugleichende Funktionsbeeinträchtigung
immer schon auf ein Grundbedürfnis bezieht.
Der mit §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V verfolgte Zweck des Behinderungsausgleichs umfasst ferner solche Hilfsmittel, die die direkten und indirekten Folgen einer
Behinderung ausgleichen. Ein Hilfsmittel ist von der gesetzlichen Krankenversicherung immer dann zu gewähren, wenn es die
Auswirkung der Behinderung im täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein Grundbedürfnis betrifft. Im Rahmen dieses
sogenannten mittelbaren Behinderungsausgleichs geht es nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens mit
den letztlich unbegrenzten Möglichkeiten eines nichtbehinderten Menschen. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich
ist daher von der GKV nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder
mildert und ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betroffen ist (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2011 - Az.: B 3 KR 9/10 R, zitiert nach Juris). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gehören zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens das Gehen, Stehen, Greifen, Sehen, Hören, die Nahrungsaufnahme, das
Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbständige Wohnen, sowie das Erschließen eines körperlichen Freiraums im Nahbereich
der Wohnung und das Bedürfnis bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten aufzusuchen (vgl. BSG, Urteil vom 16. September 2004 - Az.: B 3 KR 19/03 R = BSGE 93,176-182). Weiterhin zählt hierzu die Erschließung eines gewissen geistigen Freiraums sowie die Aufnahme von Informationen,
die Kommunikation mit anderen Menschen sowie das Erlernen eines lebensnotwendigen Grund- bzw. Schulwissens.
Entsprechend diesen Grundsätzen ist hier der mittelbare Behinderungsausgleich einschlägig, weil durch das begehrte Hilfsmittel
nicht das Gehen selbst ermöglicht wird, sondern lediglich die Folgen einer Funktionsbeeinträchtigung der Beine ausgeglichen
werden sollen.
Das hier in Rede stehende Grundbedürfnis auf Erschließung eines körperlichen Freiraums umfasst die Bewegungsmöglichkeit in
der eigenen Wohnung und den umliegenden Nahbereich (vgl. BSG Urteil vom 7. Oktober 2010 - Az.: B 3 KR 13/09 R, zitiert nach Juris). Angeknüpft wird dabei an den Bewegungsradius den ein Nichtbehinderter üblicherweise zu Fuß zurück legen
kann. Dies entspricht dem Umkreis, der mit einem von behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden
kann. Für die Bestimmung des Nahbereiches gilt ein abstrakter, von den Besonderheiten des jeweiligen Wohnortes unabhängiger
Maßstab (ständige Rechtsprechung des BSG vgl. nur BSG, Urteil vom 19. April 2007 - Az.: B 3 KR 9/06 R = BSGE 98,213/219 und zuletzt BSG, Urteil vom 18. Mai 2011- Az.: B 3 KR 12/10 R, zitiert nach Juris). Dem kann weder entgegen gehalten werden, dass §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V die Gewährung von Hilfsmitteln anordnet, wenn sie "im Einzelfall" erforderlich sind, noch dass nach §
33 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB I) bei der Ausgestaltung von Rechten nach dem SGB "die persönlichen Verhältnisse" des Berechtigten berücksichtigt werden müssen.
Ob ein Hilfsmittel der Sicherung menschlicher Grundbedürfnisse dient, betrifft dessen Eignung und Erforderlichkeit zur Erreichung
der in §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V genannten Versorgungsziele. Diese Eignung und Erforderlichkeit zählt zu den objektiven, dass heißt unabhängig vom konkreten
Einzelfall zu beurteilenden Anspruchsvoraussetzungen. In diesem Zusammenhang ist allein die Zielsetzung des §
33 SGB V und somit die Abgrenzung der Leistungspflicht der GKV von der anderer Träger nach einem abstrakt aufgabenbezogenen Maßstab
ausschlaggebend. Die Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung "im Einzelfall" ist dagegen ebenso wie deren Wirtschaftlichkeit
eine subjektbezogene Anspruchsvoraussetzung, die nach einem konkret individuellen Maßstab zu beurteilen ist. Der in §
33 SGB I enthaltene Individualisierungsgrundsatz ist für den die Anspruchsvoraussetzungen des §
33 SGB V betreffenden Nahbereich bereits deshalb ohne Bedeutung, weil er ausschließlich für die Ausgestaltung sozialer Rechte gilt,
seine Anwendung mithin auf die Rechtsfolgenseite einer im SGB geregelten Anspruchsgrundlage beschränkt ist (vgl. BSG Urteile vom 18. Mai 2011 - Az.: B 3 KR 7/10 R und Az.: B 3 KR 12/10 R, zitiert nach Juris).
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG wurde der Nahbereich nicht im Sinne einer Mindestwegstrecke, sondern beispielhaft dahin gehend konkretisiert, dass der Versicherte
in der Lage sein muss, sich in der eigenen Wohnung zu bewegen und die Wohnung zu verlassen, um bei einem kurzen Spaziergang
an die frische Luft zu kommen oder um die üblicherweise im Nahbereich der Wohnung liegenden Stellen zu erreichen, an denen
Alltagsgeschäfte zu erledigen sind. Der zu gewährleistende Basisausgleich erfasst hingegen nicht die Fähigkeit, weitere Wegstrecken,
vergleichbar einem Radfahrer oder Wanderer, zu bewältigen. Für die Bestimmung des zu erschließenden Nahbereichs ist allein
der Zweck des §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V ausschlaggebend. Dieser besteht in der Sicherstellung der in Satz 1 formulierten Versorgungsziele. Zweck des Behinderungsausgleiches
nach §
33 Abs.
1 Satz 1 3. Alt.
SGB V ist es grundsätzlich eine Gleichstellung des behinderten Menschen mit Nichtbehinderten zu erreichen. Im Bereich des mittelbaren
Behinderungsausgleichs ist dabei allerdings kein Gleichziehen mit den nahezu unbegrenzten Möglichkeiten eines gesunden Menschen
zu gewährleisten. Ausgehend von dieser Zielsetzung sind dem Nahbereich beim mittelbaren Behinderungsausgleich solche Wege
zuzuordnen, die räumlich einen Bezug zur Wohnung und sachlich einen Bezug zu den Grundbedürfnissen der physischen und psychischen
Gesundheit bzw. einer selbständigen Lebensführung aufweisen. In räumlicher Hinsicht ist der Nahbereich des Weiteren auf den
unmittelbaren Umkreis der Wohnung des Versicherten beschränkt. Diese ist Ausgangs- und Endpunkt der zum Nahbereich zählenden
Wege, sodass die Mobilität für den Hin- und Rückweg durch Leistungen der GKV sicher zu stellen ist. Hierfür sind allerdings
nicht die konkreten Wohnverhältnisse des behinderten Menschen maßgebend, weil der Nahbereich ein allgemeines Grundbedürfnis
des täglichen Lebens konkretisiert und somit die Eignung und Erforderlichkeit des Hilfsmittels als objektive Anspruchsvoraussetzung
betrifft (vgl. BSG, Urteile vom 18. Mai 2011 - Az.: B 3 KR 7/10 R und B 3 KR 12/10 R, jeweils zitiert nach Juris). Der Sache nach unterteilt der Nahbereich sich nach der genannten Rechtsprechung des BSG in gesundheitserhaltende Wege, Versorgungswege sowie elementare Freizeitwege. Zu den gesundheitserhaltenden Wegen zählen
Entfernungen, die zur Aufrechterhaltung der physischen und psychischen Existenz, wie zum Beispiel den notwendigen Arztbesuch,
erforderlich sind. Der Versorgungsweg meint dagegen die Fähigkeit, die Wohnung zu verlassen, um die für die Grundbedürfnisse
einer selbständigen Existenz und des selbständigen Wohnens notwendigen Verrichtungen vornehmen und Geschäfte aufsuchen zu
können. Die Mobilität für Freizeitwege ist in Abgrenzung zu anderen Leistungsträgern, deren Aufgabe es ist, die Teilhabe am
Leben in der Gemeinschaft sicherzustellen, nur in dem Umfang von der GKV sicherzustellen, soweit diese Wege von besonderer
Bedeutung für die physische und psychische Gesundheit sind. Daher sind unter Freizeitwege nur diejenigen Entfernungen zu messen,
die bewältigt werden, um die körperlichen Vitalfunktionen aufrecht zu erhalten, wie zum Beispiel ein kurzer Spaziergang an
der frischen Luft, und um einen für die seelische Gesundheit elementaren geistigen Freiraum zu erschließen, wie zum Beispiel
der Gang zum Nachbarn zwecks Führung zwischenmenschlicher Kommunikation.
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Klägerin mit einem Aktiv-, einem Elektro- und einem Zimmerrollstuhl ausreichend zur
Erschließung des Nahbereichs versorgt. Dies gilt auch für das Bedürfnis bei Krankheit oder Behinderung Ärzte und Therapeuten
aufzusuchen. Dieses Bedürfnis wird regelmäßig durch die Erschließung des Nahbereichs ausreichend erfüllt. Da die Beklagte
rechtlich gemäß den Vorgaben des §
60 SGB V in Verbindung mit der Krankentransport-Richtlinie verpflichtet ist, die Kosten für Fahrten zu übernehmen, die aus medizinischen
Gründen notwendig sind, kann es nicht darauf ankommen, ob die Klägerin die sie behandelnden Ärzte und Therapeuten mit Hilfe
ihrer Eltern und den vorhandenen Hilfsmitteln zumutbar erreichen kann oder ob sie möglicherweise wegen ihres komplexen Krankheitsbildes
spezialisierte Fachärzte und Therapeuten aufsuchen muss und ob hierfür die Erschließung des Nahbereiches ausreicht. Nach §
60 Abs.1 S.3
SGB V i.V.m. §
8 Abs.3 der Krankentransport-Richtlinie kann die Fahrt zur ambulanten Behandlung für Versicherte verordnet und genehmigt werden,
die einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen "aG", "BI" oder "H" oder ein Einstufungsbescheid nach
SGB XI in die Pflegestufe 2 oder 3 bei der Verordnung vorlegen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin verfügt über einen
über Schwerbehindertenausweis mit den Merkzeichen "aG" und "H". Eine Einstufung in die Pflegestufe 2 nach dem
Neunten Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) liegt ebenfalls vor.
Durch die Verpflichtung der Beklagten, sowohl die medizinisch notwendigen Transporte sicherzustellen als auch für eine entsprechende
Rollstuhlbeschaffenheit zwecks Ermöglichung dieser Transporte aufzukommen, stehen für das Bedürfnis, Ärzte und Therapeuten
aufzusuchen, hinreichende Leistungen zur Verfügung (vgl. hierzu LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. Februar 2010 - Az: L 10 KR 47/07, zitiert nach Juris, Rn. 25). Die Beklagte und nicht die Eltern der Klägerin sind rechtlich verpflichtet, ihr das Aufsuchen
von Ärzten und Therapeuten durch die Übernahme der Transportkosten der entsprechenden Fahrdienste zu ermöglichen. Durch den
Einbau eines Hubschwenksitzes in den Pkw der Eltern wird daher ein Transport zu Ärzten und Therapeuten im Rechtssinne nicht
sichergestellt. Auch in diesem Fall hätte sie weiterhin einen Anspruch gegen die Beklagte auf Kostenübernahme, soweit dies
aus medizinischen Gründen notwendig ist. Die Klägerin ist auch mit den zur Verfügung gestellten schwenkbaren Autositz nicht
in der Lage, selbständig Ärzte oder Therapeuten aufzusuchen. Sie bleibt diesbezüglich auf fremde Hilfe angewiesen, da sie
einen Pkw nicht ohne fremde Hilfe nutzen kann. Besondere qualitative Momente, welche im Einzelfall der Klägerin die Versorgung
mit einem Hubschwenksitz zu Lasten der GKV rechtfertigen könnten, sind daher nicht ersichtlich. Insbesondere ist ihr Fall
nicht mit dem vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall der Wachkomapatientin (vgl. BSG, Urteil vom 16. September 2004 - Az.: B 3 KR 19/03 R = BSGE 93,176 - 182) vergleichbar. Im Fall der Wachkomapatientin verhielt es sich so, dass der Weg zu Ärzten und Therapeuten
erst durch die Benutzung des Pkw ermöglicht wurde. Nur durch den Transport im vertrauten Fahrzeug und in Gegenwart der Eltern
wurden der Wachkomapatientin Angstzustände genommen und spastische Anfälle vermieden. Die Möglichkeit der Durchführung professioneller
Krankentransporte hat das BSG in diesem Fall aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles nicht als Alternative angesehen. Daher waren in diesem Fall
ausnahmsweise die Möglichkeiten für einen Pkw-Transport der Patientin zu schaffen.
Vorliegend verhält sich die Situation jedoch anders. Der Klägerin ist ein Transport in einem Taxi oder mittels Krankentransport
zumutbar. Sie hat dies in der Vergangenheit bereits regelmäßig in Anspruch genommen. Ausweislich einer Aufstellung der Beklagten
hat sie im Zeitraum Juni 2010 bis März 2012 Taxikosten für Fahrten überwiegend zur Physiotherapie, aber vereinzelt auch zu
Ärzten in Höhe von 2.880,98 EUR übernommen. Daher ist es der Klägerin zumutbar, Taxifahrten weiterhin in Anspruch zu nehmen.
Eine Gegenüberstellung dieser Fahrtkosten und der Kosten für einen Schwenksitz ist nicht zulässig. Die Versorgung mit einem
Schwenksitz lässt den Anspruch auf Übernahme der Fahrtkosten nicht entfallen.
Anhaltspunkte dafür, dass die Zurverfügungstellung des schwenkbaren Autositzes der Vorbeugung einer drohenden Behinderung
im Sinne von §
33 Abs.
1 Satz 1 2. Alternative
SGB V dienen könnte, liegen nicht vor.
Es besteht auch kein Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit einem schwenkbaren Autositz unter dem Gesichtspunkt der
Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung nach §
33 Abs.
1 Satz 1 1. Alt.
SGB V. Dies setzt nach der Rechtsprechung voraus, dass das Hilfsmittel spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung
eingesetzt werden muss, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Voraussetzung ist daher, dass mit dem Hilfsmittel ein therapeutischer
Erfolg angestrebt wird. Dies ist hier ersichtlich nicht der Fall.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 Nr.
1,
2 SGG).