Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Aufnahme des Vorlesesystems "..." als Hilfsmittel unter der Produktgruppe 07 "Blindenhilfsmittel"
in das Hilfsmittelverzeichnis.
Die Klägerin produziert und vertreibt das Vorlesesystem "...", bei dem es sich um ein System handelt, das Sehbehinderten ermöglichen
soll, Texte zu erfassen. Es besteht laut der Darstellung der Klägerin aus einem Computer, einem Flachbettscanner, einer numerischen
Tastatur und Lautsprechern sowie dem Betriebssystem, einer Texterkennungssoftware und einer Sprachausgabesoftware. Der Sehbehinderte
legt dabei einen Text auf den Flachbettscanner, der Text wird eingescannt, mittels einer Texterkennungssoftware erkannt und
dann durch die Sprachausgabesoftware als gesprochener Text über die Lautsprecher ausgegeben.
Den Antrag der Klägerin auf Aufnahme des Vorlesesystems "..." in das Hilfsmittelverzeichnis lehnten die Spitzenverbände der
Krankenkassen als Funktionsvorgänger des Beklagten mit Bescheid vom 18. März 2004 ab, da es sich nicht um ein Hilfsmittel
im Sinne von §
33 Abs. l des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) handele und daher eine Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis nicht erfolgen könne. Den hiergegen am 2. April 2004 eingelegten
Widerspruch wiesen die Spitzenverbände der Krankenkassen mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2005 zurück.
Die Klägerin hat am 2. März 2005 beim Sozialgericht Köln Klage erhoben (Az.: S 19 KR 35/05). Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 12. April 2005 an das Sozialgericht Altenburg (SG) verwiesen. Die Klägerin hat zur Begründung ihrer Klage die Ansicht vertreten, dass das Vorlesesystem "..." ein Hilfsmittel
im Sinne von §
33 Abs. l
SGB V darstelle, welches es Sehbehinderten ermögliche, Texte selbständig zu erfassen und zu verstehen. Somit gleiche das von ihr
hergestellte Vorlesesystem "..." eine Behinderung aus und sei als Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen. Die
beklagten Spitzenverbände der Krankenkassen haben demgegenüber die Auffassung vertreten, dass die Aufnahme des Vorlesesystems
"..." in das Hilfsmittelverzeichnis nicht möglich sei, da es sich dabei nicht um ein Hilfsmittel im Sinne von §
33 Abs. l
SGB V handele. Außerdem sei die Klage schon unzulässig, da das Vorlesesystem am Markt nicht verfügbar sei. Zum 1. Juli 2008 ist
die Führung des Hilfsmittelverzeichnisses im Wege der Funktionsnachfolge auf den Beklagten übergegangen. Dieser hat den Rechtsstreit
fortgeführt.
Das SG hat die Klage sodann mit Urteil vom 16. Juli 2009 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin
habe keinen Anspruch gegen die Beklagte auf die Aufnahme des Vorlesesystems "..." als Hilfsmittel im Sinne von §
33 Abs. l
SGB V in das Hilfsmittelverzeichnis, da es aus Bestandteilen bestehe, bei denen es sich um allgemeine Gebrauchsgegenstände des
täglichen Lebens handele, sodass auch das Vorlesesystem insgesamt als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens gemäß §
33 Abs. l Satz l
SGB V und damit nicht als Hilfsmittel anzusehen sei. Zwar könnten auch Computer bzw. spezielle Umbauten oder Zubehörteile grundsätzlich
unter den Hilfsmittelbegriff des §
33 Abs. l Satz l
SGB V fallen, aber nur dann, wenn es sich um speziell für eine spezifische Behinderung ausgelegte oder umgebaute Geräte handele,
die mit dem "normalen" Computer nichts mehr gemein hätten. Nach den von der Klägerin selbst vorgelegten Unterlagen handele
es sich bei den Geräten, aus denen das Vorlesesystem "..." bestehe, um handelsübliche Geräte, die auch von Gesunden eingesetzt
würden. Es seien keine Unterlagen vorgelegt worden, die belegten, dass es sich um speziell für eine spezifische Erkrankung
bzw. Behinderung ausgelegte oder umgebaute Geräte handele. Auch die zum Vorlesesystem "..." gehörende Software stelle keine
Software dar, welche speziell für die Nutzung von Behinderten entwickelt worden sei. Sowohl die Texterkennungs- als auch die
Sprachausgabesoftware würden ebenso von Gesunden genutzt und stellten keine besondere Software für Behinderte dar. Texterkennungssoftware
werde z.B. auch bei Gerichten genutzt. Für die Sprachausgabesoftware ergebe sich der Charakter als allgemeiner Gebrauchsgegenstand
z.B. aus der Website der Firma ..., auf der Sprachausgabesoftware für eine Vielzahl von Anwendungen dargestellt werde, wobei
die Nutzung dieser Sprachausgabesoftware nicht ausschließlich für Behinderte vorgesehen sei. Selbst wenn man zu Gunsten der
Klägerin unterstellen wollte, dass die zum Vorlesesystem gehörende Software speziell für Behinderte konfiguriert worden sei,
wäre nur diese besonders konfigurierte Software nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, z.B. Urteil vom 22. Juli 2004 - Az.: B 3 KR 13/03 R, zitiert nach juris) als Hilfsmittel gemäß §
33 Abs. l
SGB V anzusehen, aber nicht das Vorlesesystem "..." insgesamt. Damit handele es sich bei dem Vorlesesystem "..." nur um eine besondere
Zusammenstellung von handelsüblichen Geräten und größtenteils handelsüblicher Software, die in dieser Form auch von Gesunden
angeschafft und benutzt werden könne, und stelle damit insgesamt einen allgemeinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens
dar, welcher nicht als Hilfsmittel im Sinne von §
33 Abs. l
SGB V anzusehen sei. Auf die Frage, ob das Vorlesesystem "..." überhaupt auf dem Markt verfügbar sei, komme es damit nicht mehr
an.
Gegen das ihren Bevollmächtigten am 24. Juli 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. August 2009 Berufung eingelegt.
Zur Begründung vertritt sie die Ansicht, dass das streitgegenständliche Vorlesesystem kein Gebrauchsgegenstand des täglichen
Lebens darstellt, da nur die Zusammenstellung der einzelnen Komponenten in der Summe das Vorlesesystem ergibt. Überdies sei
auch die notwendige Systemtastatur kein solcher Gebrauchsgegenstand, da diese über eine eigens aufgebrachte Blindentastatur
verfüge. Zudem sei das von ihr hergestellte und vertriebene Vorlesesystem "..." bereits in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen
worden. Das Vorlesesystem "..." unterscheide sich davon nur durch die einfacheren und damit günstigeren Systemkomponenten.
Die Bezeichnung "..." habe die Vorläuferbezeichnungen "..." und "..." ohne technische Änderungen abgelöst. Die Klägerin hat
u.a. eine CE-Konformitätserklärung vom 4. Februar 2007 und das Handbuch für das Vorlesesystem "..." (Stand Dezember 2009)
vorgelegt und Kopien von Lieferscheinen, ein Preisverhandlungsprotokoll mit der Thüringen, Herstellererklärungen für die indikations-/einsatzbezogenen
Qualitätsanforderungen sowie für die Qualitätsanforderungen hinsichtlich des Wiedereinsatzes und ein Typenschildbeispiel übersandt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 16. Juli 2009 aufzuheben und den Beklagten unter
Aufhebung seines Bescheids vom 18. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2005 zu verpflichten,
das von ihr produzierte Vorlesesystem "..." in das Hilfsmittelverzeichnis, Produktgruppe "Blindenhilfsmittel", aufzunehmen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, dass es ungeachtet der Frage, inwieweit es sich bei den einzelnen Bestandteilen des streitgegenständlichen
Vorlesesystems "..." um allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handele, an dem Nachweis fehlt, dass die Klägerin
das "Produkt überhaupt (noch) herstellt und dass die Anforderungen des §
139 Abs.
4 SGB V erfüllt" seien. Im Gegensatz dazu werde das Produkt "..." tatsächlich hergestellt und vertrieben. Die Klägerin habe keine
Belege für die tatsächliche Herstellung und den Vertrieb erbracht. So sei das streitgegenständliche Produkt nicht in der im
Internet ersichtlichen Produktpalette der Klägerin enthalten. Zudem fehle es an der Vorlage von Unterlagen zum Nachweis der
Funktionstauglichkeit, etwa in Form von Stellungnahmen von Blindeneinrichtungen. Außerdem sei ihm, dem Beklagten, zur Prüfung
der Funktionstauglichkeit ein Produktmuster zur Verfügung zu stellen. Dies sei bislang nicht geschehen. Dass ein ergänzender
Nachweis der Funktionstauglichkeit jedenfalls bei "Nicht-Medizinprodukten" zu den Voraussetzungen für die begehrte Aufnahme
des Produkts in das Hilfsmittelverzeichnis gehöre, ergebe sich unmittelbar aus §
139 Abs.
4 i.V.m. Abs.
5 Satz 1
SGB V.
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 11. Dezember 2013 (Klägerin) sowie 9. Januar 2014 (Beklagter) ihr Einverständnis
mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakten, die Gegenstand
der geheimen Beratung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten nach §
124 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch Urteil entscheidet, ist nicht begründet, denn ihre Klage ist unbegründet.
Sie hat (derzeit) keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Aufnahme des streitgegenständlichen Vorlesesystem in das Hilfsmittelverzeichnis.
Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Aufnahme von Hilfsmitteln in das Hilfsmittelverzeichnis war bis zum 31. März 2007 §
128 Satz 2
SGB V und ist seit dem 1. April 2007 die in der Sache im Wesentlichen inhaltsgleiche Bestimmung des §
139 Abs.
1 Satz 2 i.V.m. Abs.
4 SGB V. Danach erstellt der beklagte Spitzenverband Bund der Krankenkassen ("GKV-Spitzenverband") ein systematisch strukturiertes
Hilfsmittelverzeichnis, in dem "von der Leistungspflicht umfasste Hilfsmittel aufzuführen" sind (§
139 Abs.
1 Satz 2
SGB V). Gestützt hierauf hatte der Hersteller eines Hilfsmittels nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. z.B. Urteil vom 15. März 2012 - Az.: B 3 KR 6/11 R, zitiert nach juris) allerdings schon zur alten Rechtslage Anspruch auf dessen Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis, soweit
es den gesetzlichen Anforderungen entsprach. Das ist nunmehr in §
139 SGB V auch ausdrücklich festgeschrieben. Danach "ist" ein Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen, "wenn der Hersteller
die Funktionstauglichkeit und Sicherheit, die Erfüllung der Qualitätsanforderungen nach Absatz 2 und, soweit erforderlich,
den medizinischen Nutzen nachgewiesen hat und es mit den für eine ordnungsgemäße und sichere Handhabung erforderlichen Informationen
in deutscher Sprache versehen ist" (§
139 Abs.
4 SGB V). An diesen Anspruchsvoraussetzungen fehlt es hier.
Zwar fehlt dem streitgegenständlichen Vorlesesystem "..." nicht bereits, wie vom Beklagten bezweifelt, die Hilfsmitteleigenschaft
nach §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V, weil es nur als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens anzusehen wäre. Hierfür kommt es nach der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 24. Januar 2013 - Az.: B 3 KR 22/11 R, zitiert nach juris) ausschließlich darauf an, ob der Gegenstand bereits seiner Konzeption nach den Zwecken des §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V dienen soll oder - falls dies nicht so ist - den Bedürfnissen erkrankter oder behinderter Menschen jedenfalls besonders entgegenkommt
und von körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt wird. Das Vorlesesystem "..." wird aber nach Überzeugung
des Senats ganz offenkundig von körperlich nicht beeinträchtigten Menschen praktisch nicht genutzt. Gegenteiliges hat auch
der Beklagte nicht dargelegt.
Ob der Aufnahme des streitgegenständlichen Vorlesesystems "..." die vom Beklagten darüber hinaus geäußerten Zweifel an der
tatsächlichen Herstellung und am Vertrieb des Produkts entgegenstehen, kann der Senat dahinstehen lassen, denn die Klägerin
hat jedenfalls den Nachweis der Funktionstauglichkeit (zumindest derzeit) nicht erbracht. Entsprechende Unterlagen, z.B. wie
die vom Beklagten vorgeschlagenen Stellungnahmen von Blindeneinrichtungen, hat die Klägerin dem Beklagten ebenso wenig zur
Prüfung übersandt, wie ihm ein Produktmusters zur Verfügung gestellt. Entsprechenden Anforderungen hat die Klägerin vielmehr
mit dem Hinweis entgegnet, dass ihr Vorlesesystem "..." inzwischen in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen wurde. Dies ersetzt
jedoch nach Überzeugung des Senats nicht den Nachweis der Funktionstauglichkeit des im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen
Vorlesesystems "...", denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 15. März 2012 aaO.) können die erforderlichen Feststellungen nur produktbezogen getroffen werden. Nach eigener
Einlassung der Klägerin besteht das streitgegenständliche Vorlesesystem aber aus "einfacheren" Komponenten, so dass allein
von der Funktionstauglichkeit des Vorlesesystem "..." nicht auf die des streitgegenständlichen Vorlesesystems "..." geschlossen
werden kann. Insbesondere die Zurverfügungstellung eines Produktmusters wäre aber nach Auffassung des Senats erforderlich,
damit der Beklagte die Funktionstauglichkeit überprüfen kann.
Nach alledem hat die Klägerin damit (noch) nicht alle Aufnahmevoraussetzungen erfüllt, so dass es der Beklagte zu Recht abgelehnt
hat, das Vorlesesystem "..." derzeit in das Hilfsmittelverzeichnis aufzunehmen.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.2 Nr.1, 2
SGG).