Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren; Höhe der Vergütung nach einem Vergleich
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Gotha (SG) streitig (Az.: S 15 AS 2364/11). Dort hatten die von der Beschwerdeführerin vertretenen drei Kläger begehrt, ihnen unter Abänderung der Bescheide der Beklagten
weitere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 166,76 Euro wegen rechtswidriger Kürzung der Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren. Mit Beschluss vom
25. Juli 2012 bewilligte das SG den Klägern Prozesskostenhilfe (PKH) und ordnete die Beschwerdeführerin bei. Mit Schriftsatz vom 27. September 2012 nahmen
diese den Vergleichsvorschlag der Beklagten vom 20. Juli 2012 (Zahlung von 16,76 Euro, Kostentragung zu 1/10) an.
In ihrer "PKH-Abrechnung" vom 8. November 2012 machte die Beschwerdeführerin für dieses Verfahren Gebühren in Höhe von 573,58
Euro geltend:
Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG
|
170,00 Euro
|
Erhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG
|
102,00 Euro
|
Einigungsgebühr Nr. 1006 VV-RVG
|
190,00 Euro
|
Post- und Telekommunikation
|
20,00 Euro
|
Zwischensumme
|
482,00 Euro
|
Umsatzsteuer
|
91,58 Euro
|
Gesamtbetrag
|
573,58 Euro
|
Nach Einholung einer Stellungnahme der Beklagten setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle mit Beschluss vom 14. Februar
2013 die Rechtsanwaltsgebühren auf 366,28 Euro fest. Die Verfahrens- und Erledigungsgebühr seien in Höhe von 2/3 der Mittelgebühr
angemessen. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien ebenso wie die Bedeutung als unterdurchschnittlich zu
bewerten. Das Gerichtsverfahren sei nur in Höhe eines Betrags von 16,76 Euro erfolgreich gewesen.
Mit ihrer Erinnerung hat die Beschwerdeführerin auf die Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger hingewiesen. Das SG hat sie ohne Anhörung des Beschwerdegegners mit Beschluss vom 19. September 2013 zurückgewiesen. Die Verfahrensgebühr sei
in Gesamtschau aller Umstände auf ½ der Mittelgebühr (85,00 Euro) festzusetzen. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit sei
mit drei Schriftsätzen im Vergleich mit den übrigen bei Sozialgericht anhängigen Verfahren deutlich unterdurchschnittlich.
Die Schwierigkeit und die Bedeutung der Angelegenheit seien durchschnittlich. Für die Bedeutung komme es auf den geltend gemachten
Anspruch (166,76 Euro) an. Es sei unerheblich, dass die Kläger ihre Forderung im Verlauf des Verfahrens weitgehend fallen
ließen. Die Einkommensverhältnisse seien als unterdurchschnittlich und das Haftungsrisiko minimal einzuschätzen. Die Einigungsgebühr
sei angesichts durchschnittlichen Umfangs und durchschnittlicher Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, überdurchschnittlicher
Bedeutung und unterdurchschnittlicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Kläger auf 2/3 der Mittelgebühr (127,50 Euro)
festzusetzen. Somit stünden der Beschwerdeführerin eigentlich nur 336,77 Euro zu. Eine Absenkung erfolge nicht, da der Beschwerdeführer
keine Erinnerung eingelegt habe. Nach der Rechtsmittelbelehrung können "die Erinnerungsführer" innerhalb von zwei Wochen nach
Zustellung des Beschlusses beim Sozialgericht Gotha Beschwerde einlegen.
Gegen den formlos übersandten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 21. Oktober 2013 beim Thüringer Landessozialgericht
Beschwerde eingelegt und u.a. vorgetragen, die Bedeutung der Angelegenheit sei für die Kläger angesichts des geltend gemachten
Anspruchs von 166,76 Euro überdurchschnittlich gewesen. Die Beschwerde ist beim Sozialgericht am 9. Dezember 2013 eingegangen.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 19. September 2013 aufzuheben und die Vergütung auf 573,58 Euro festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf die Festsetzung vom 14. Februar 2013 und den Beschluss des Sozialgerichts vom 19. September
2013.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 9. Dezember 2013) und sie dem Thüringer Landessozialgericht
vorgelegt.
II.
Rechtsanwältin W. hat - entgegen den fehlerhaften Rubren im Kostenfestsetzungsbeschluss vom14. Februar 2013 (Rechtsanwalt
M.) und im Beschluss der Vorinstanz vom 19. September 2013 (Rechtsanwälte M. & W.) - allein den Vergütungsanspruch und ist
Erinnerungs- und Beschwerdeführerin. Sie wurde den Klägern im Rahmen des PKH-Verfahrens mit Beschluss vom 25. Juli 2012 beigeordnet
und hat damit allein einen Anspruch auf Vergütung aus der Staatskasse. Deshalb war das Rubrum entsprechend zu berichtigen.
Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 14. Februar 2011 - L 6 SF 1376/10 B m.w.N.) und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro. Die Beschwerde ist auch nicht verfristet,
obwohl der Beschwerdeführerin der Beschluss vom 19. September 2013 am 14. Oktober 2013 zugegangen (nicht "zugestellt") und
die Beschwerde bei der Vorinstanz erst am 9. Dezember 2013 eingegangen ist. Die Einlegung der Beschwerde beim Thüringer Landessozialgericht
am 21. Oktober 2013 wahrt die Frist nicht (vgl. Senatsbeschluss vom 7. Oktober 2013 - L 6 SF 840/13 B), denn nach dem eindeutigen Wortlaut der §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 7 S. 3 RVG ist sie bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird. Allerdings hat die Vorinstanz ihren Beschluss entgegen
§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 3 RVG formlos übersandt. Damit begann die Frist nicht zu laufen und die Beschwerde war zulässig.
Die Beschwerde ist teilweise begründet. Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf eine Vergütung in Höhe von 390,32 Euro. Im
Übrigen ist sie unbegründet.
Zur Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass die Festsetzung der Urkundsbeamtin vom 14. Februar 2013 einen Additionsfehler
enthält (366,28 Euro statt 386,28 Euro). Der Tenor des Beschlusses vom 19. September 2013 ist hinsichtlich des Datums der
Festsetzungsbeschlusses und Aktenzeichens des zugrunde liegenden Hauptsacheverfahrens unrichtig; aus Gründe I. ergeben sich
allerdings das richtige Beschlussdatum und das richtige Aktenzeichen. Auch hätte der Beschwerdegegner im Erinnerungsverfahren
angehört werden müssen.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der
Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Das SG hatte den Klägern mit Beschluss vom 25. Juli 2012 PKH gewährt; sie waren auch kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. §
183 S. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§
197a Abs.
1 S. 1
SGG).
Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem
Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten
zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm
nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss 14. Februar 2011 - Az.:
L 6 SF 1376/10 B); dann erfolgt - wie hier - eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.
Die Beschwerdeführerin hat Anspruch auf 2/3 der Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG. Zuzustimmen ist der Vorinstanz, dass der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit im Vergleich mit den übrigen sozialgerichtlich
Verfahren (vgl. Senatsbeschluss vom 18. August 2011 - L 6 SF 872/11 B) insbesondere angesichts des Inhalts der drei eingereichten Schriftsätze unterdurchschnittlich war. In einem Schriftsatz
wurde lediglich auf die Klagebegründung verwiesen, in einem der Vergleichsvorschlag der Beklagten angenommen. Im Ergebnis
vertretbar ist die Ansicht der Vorinstanz, dass eine durchschnittliche Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit hier angenommen
werden kann. Angesichts der Höhe des geltend gemachten Anspruchs (einmalig 166,76 Euro) hat diese zu Recht eine überdurchschnittliche
Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger als Bezieher von Leistungen nach dem SGB II zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums angenommen (so auch Senatsbeschluss vom 15. März 2011 - L 6 SF 975/10 B). Zu Recht weist die Vorinstanz darauf hin, dass es nicht auf die Höhe des Vergleichs ankommt. Sie kann nur dann als Anhaltspunkt
für die Bedeutung herangezogen werden, wenn der Klageantrag nicht beziffert wird oder sich die Höhe der begehrten Leistung
nicht aus den Umständen ohne weitere Ermittlungen ergibt (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2013 - L 6 SF 792/13 B). Die unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse werden durch die überdurchschnittliche Bedeutung kompensiert
(vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R). Ein besonderes Haftungsrisiko ist nicht ersichtlich.
Bedenken gegen die Feststellung der Einigungsgebühr Nr. 1006 VV-RVG in Höhe von 2/3 der Mittelgebühr im Beschluss der Vorinstanz bestehen nicht. Insoweit wird auf deren Ausführungen verwiesen.
Zusätzlich zu erstatten sind die Pauschale nach Nr. 7002 VV-RVG und die Umsatzsteuer nach Nr. 7008 VV-RVG.
Danach errechnen sich die Gebühren der Beschwerdeführerin wie folgt:
Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG
|
113,33 Euro
|
Erhöhung nach Nr. 1008 VV-RVG
|
68,00 Euro
|
Einigungsgebühr Nr. 1006 VV-RVG
|
126,67 Euro
|
Post- und Telekommunikation
|
20,00 Euro
|
Zwischensumme
|
328,00 Euro
|
Umsatzsteuer
|
62,32 Euro
|
Gesamtbetrag
|
390,32 Euro
|
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).