Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren; Zulässigkeit einer stillschweigenden Beiordnung; Vorliegen
einer Divergenz zwischen Ausfertigung und Urschrift eines Beschlusses
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten über die Höhe der aus der Staatskasse zu erstattenden Rechtsanwaltsvergütung für ein Klageverfahren
vor dem Sozialgericht Gotha (S 12 AS 9280/10).
Im Verfahren S 12 AS 9281/10 hatte sich der von den Beschwerdeführern zu 1. vertretene Kläger gegen einen Sanktionsbescheid (Absenkung des Arbeitslosengeldes
II in der Zeit von 1. November 2010 bis 31. Januar 2011 um 10 v.H.) und im Verfahren S 12 AS 9280/10 gegen die Festsetzung des monatlichen Gesamtbetrags im gleichen Zeitraum gewandt. Das Sozialgericht verhandelte beide Verfahren
im Erörterungstermin am 21. August 2013. Dort nahm die die Beschwerdeführer zu 1. vertretende Rechtsanwältin die Klagen zurück,
erklärte "den Rechtsstreit" für erledigt und bat um Entscheidung über die Prozesskostenhilfeanträge. Am 26. August 2013 erließ
das Sozialgericht zwei Beschlüsse, in denen dem Kläger zur Durchführung der Verfahren ab 19. Mai 2011 Prozesskostenhilfe (PKH)
gegen Ratenzahlung in Höhe von monatlich 75,00 bzw. 60,00 Euro bewilligt wurde. Eine Beiordnung der Beschwerdeführer zu 1.
wird dort nicht erwähnt.
In der PKH-Abrechnung vom 19. September 2013 beantragten die Beschwerdeführer zu 1. für das Verfahren S 12 AS 9280/10 folgende Gebühren aus der Staatskasse:
Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG
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170,00 Euro
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Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG
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100,00 Euro
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Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG
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20,00 Euro
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Zwischensumme
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390,00 Euro
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Umsatzsteuer
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74,10 Euro
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Gesamtbetrag
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464,10 Euro
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Mit Beschluss vom 17. Oktober 2013 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) die Vergütung auf 243,95 Euro fest:
Verfahrensgebühr Nr. 3103 VV-RVG
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85,00 Euro
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Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG
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100,00 Euro
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Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG
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20,00 Euro
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Umsatzsteuer
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38,95 Euro
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Gesamtbetrag
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243,95 Euro
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Dagegen haben die Beschwerdeführer zu 1. Erinnerung eingelegt und einen zumindest durchschnittlichen Umfang der anwaltlichen
Tätigkeit, eine zumindest durchschnittliche Schwierigkeit sowie eine weit überdurchschnittliche Bedeutung des Verfahrens für
den Kläger vorgetragen. Der Beschwerdeführer zu 2. hat am 10. Juli 2014 um Übersendung der Verfahrensakte S 12 AS 9280/10 gebeten. Dies ist nicht erfolgt. Mit Beschluss vom 10. Februar 2015 hat das Sozialgericht die Erinnerung hinsichtlich des
Hauptsacheverfahrens S 12 AS 9280/10 zurückgewiesen. Angemessen seien Verfahrens- und Terminsgebühr in Höhe von 1/3 der Mittelgebühr und ein Gesamtbetrag von
170,57 Euro. Nachdem der Erinnerungsführer zu 2. keine Erinnerung eingelegt habe, verbleibe es aufgrund des Verschlechterungsverbots
bei der Festsetzung der UdG.
Gegen den beiden Beteiligten am 12. Januar 2015 zugestellten Beschluss haben die Beschwerdeführer zu 1. am 9. Februar 2015
Beschwerde eingelegt und im Ergebnis ihre Begründung im Erinnerungsverfahren wiederholt. Am 26. März 2015 hat der Beschwerdeführer
zu 2. Beschwerde eingelegt, die unterlassene Akteneinsicht gerügt und die Feststellung beantragt, dass den Beschwerdeführern
zu 1. mangels Beiordnung keine Vergütung zustehe. Hilfsweise werde beantragt, die Vergütung auf 170,57 Euro festzusetzen.
Das Sozialgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen (Verfügungen vom 16. Februar und 9. April 2015) und sie dem Thüringer
Landessozialgericht vorgelegt. Mit Beschluss vom 28. April 2015 hat der Senatsvorsitzende das Verfahren dem Senat übertragen.
II.
Anzuwenden ist das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der Fassung bis 31. Juli 2013 (a.F.), denn die Beauftragung der Beschwerdeführer zu 1. ist vor dem 1. August 2013 erfolgt
(§ 60 Abs. 1 S 1 RVG)
Beide Beschwerden sind nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 15. März 2011 - L 6 SF 975/10 B) und zulässig. Der Beschwerdewert übersteigt 200,00 Euro. Die Beschwerde des Beschwerdeführers zu 2. ist jedenfalls als
unselbständige Anschlussbeschwerde zulässig. Insofern kann dahingestellt bleiben, ob sie auch wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung
(Beschwerdeeinlegung beim Landessozialgericht wahrt die Frist) nicht verfristet ist.
Die Beschwerdeführer zu 1. haben mangels Beiordnung keinen Anspruch auf eine Vergütung durch die Staatskasse.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der
Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG).
Zwar bewilligte das Sozialgericht dem Kläger mit Beschluss vom 26. August 2013 Prozesskostenhilfe (PKH), wobei an dieser Stelle
dahingestellt bleiben kann, ob dies nach Rücknahme der Klage rechtmäßig war (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 12. Februar 2007
- L 6 RJ 918/04; Thüringer LSG, Beschluss vom 11. Dezember 2005 - L 2 B 67/05 R, nach juris; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014 §
73a Rdnr. 11a). Jedenfalls ist der Senat im Rahmen der Kostenfestsetzung auch an einen fehlerhaften Beschluss gebunden. Allerdings
enthält der ausgefertigte Beschluss vom 26. August 2013 keine Entscheidung zur Beiordnung. Die Beiordnung begründet eine bürgschaftsähnliche
Verpflichtung der Staatskasse und enthält die Zusage, für die Verpflichtungen des bedürftigen Beteiligten gegenüber dem Rechtsanwalt
einzustehen (vgl. Pukall in Mayer/Kroiß, RVG, 6. Auflage 2013, § 45 Rdnr. 8). Sie setzt die PKH-Gewährung voraus und wird meistens aber nicht immer mit ihr verbunden. Eine stillschweigende
Beiordnung kommt jedenfalls in Fällen, in denen - wie hier - ein Anwalt nicht zwingend beizuordnen ist, nicht in Betracht
(vgl. Fischer in Musielak,
ZPO, 6. Auflage 2008, §
121 Rdnr. 5; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Auflage 2010, Rdnr. 525).
Das ergibt sich bereits aus § 48 Abs. 4 S. 1 RVG (vgl. Müller-Rabe in Gerold-Schmidt, RVG, 21. Auflage 2014, § 45 Rdnr. 14). Insofern kommt es nicht auf den Einwand der Beschwerdeführer zu 1. an, sie hätten die Beiordnung beantragt und
es handle sich um einen offensichtlichen Fehler.
Diesem Ergebnis stehen nicht die Unterlagen im PKH-Heft entgegen. Allerdings findet sich in der Formularverfügung des Kammervorsitzenden
vom 26. August 2013 der - nicht angekreuzte - Passus "Antragsgemäß wird Rechtsanwalt A. M. in G. beigeordnet (§§ 73a
SGG, 121 Abs. 2
ZPO)." Bei Abweichung der Ausfertigung von der Urschrift ist zwar grundsätzlich nur die Urschrift maßgebend (vgl. OLG Rostock,
Beschluss vom 12. März 2009 - 10 WF 204/08, 10 WF 34/09, OLG Stuttgart, Beschluss vom 22. Oktober 1985 - 8 WF 39/85, beide nach juris; Geimer in Zöller,
ZPO, 30. Auflage 2014, §
121 ZPO Rdnr. 32), denn sie allein enthält die erforderliche richterliche Willensbildung, die der Urkundsbeamte nicht abändern kann.
Gegen die Vorrangigkeit der Formularverfügung spricht hier aber bereits, dass der Kammervorsitzende den o.g. Passus im Gegensatz
zu den anderen Teilen des Beschlusses nicht angekreuzt hatte. Wesentlich ist aber vor allem, dass eine Divergenz nicht feststellbar
ist, denn der Kammervorsitzende hatte die anschließend in der Akte abgeheftete Leseabschrift seines Beschlusses ohne Beiordnungszusatz
nochmals unterschrieben. Mit diesem Inhalt fertigte die Geschäftsstelle den Beschluss aus. Dann ist nicht mehr die - zudem
unklare - Formularverfügung maßgeblich.
Dieses Ergebnis belastet die Beschwerdeführer zu 1. nicht unverhältnismäßig. Zum Einen hätten sie den unvollständigen Beschluss
bei Erhalt überprüfen müssen und damals eine rückwirkende Beiordnung beantragen können. Im Übrigen steht ihnen ein Anspruch
auf Vergütung gegen den Kläger zu, der zumindest in Raten zahlen kann.
Dieser Entscheidung steht nicht das Verschlechterungsverbot (reformatio in peius) entgegen. Nachdem die Vorinstanz dem Beschwerdeführer
zu 2. trotz Anforderung im Erinnerungsverfahren keine Akteneinsicht gewährt hat und dieser damit die Festsetzung der UdG nicht
überprüfen konnte, kann ihm nicht vorgeworfen werden, selbst keine Erinnerung eingelegt zu haben.
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).