Gründe:
I.
Gegenstand des Erinnerungsverfahrens sind die Gerichtsgebühren (Pauschgebühren) für ein Beschwerdeverfahren vor dem Thüringer
Landessozialgericht (L 9 AS 1489/13 NZB). Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Erinnerungsführerin und Beklagte hatte auf den Widerspruch der Klägerin
mit Bescheid vom 8. Januar 2013 ihre Anforderung einer Mahngebühr vom 1. Oktober 2012 in Höhe von 0,80 Euro aufgehoben und
sich bereit erklärt, die notwendigen Aufwendungen zu erstatten; die Zuziehung eines Rechtsanwalts wurde als notwendig anerkannt.
Gegen die Festsetzung von Gebühren und Auslagen in Höhe von 57,12 Euro legte die Klägerin erfolglos Widerspruch ein. Auf die
Klage setzte das Sozialgericht Nordhausen (SG) mit Gerichtsbescheid vom 8. August 2013 (S 31 AS 1278/13) die im Widerspruchsverfahren zu erstattenden Kosten auf 114,24 Euro fest. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung
der Berufung wies der 9. Senat des Thüringer Landessozialgerichts mit Beschluss vom 27. Januar 2014 (L 9 AS 1489/13 NZB) zurück.
Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) übersandte der Erinnerungsführerin unter dem 25. Februar 2015 einen "Auszug aus
dem Verzeichnis der Rechtsstreite (§
189 SGG)", in dem für das Beschwerdeverfahren Pauschgebühren in Höhe von 112,50 Euro aufgeführt sind und bat sie, diesen Betrag binnen
eines Monats zu überweisen. Gegen die Festsetzung könne binnen eines Monats nach Empfang das Thüringer Landessozialgericht
angerufen werden, das endgültig entscheide.
Gegen die Anforderungen hat die Erinnerungsführerin am 2. März 2015 Erinnerung eingelegt. Sie trägt vor, es habe sich um Mahngebühren
auf Forderungen eines Jobcenters nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gehandelt. Mit § 44b Abs. 4 SGB II sei eine gesetzliche Grundlage dafür geschaffen worden, die Aufgabe des Forderungseinzugs auf die Träger der gemeinsamen
Einrichtungen zu übertragen. Sie sei damit in Angelegenheiten der Grundsicherung für Arbeitssuchende tätig gewesen. Pauschgebühren
aufgrund § 64 Abs. 3 S. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) könnten nicht entstehen, wie diverse Sozialgericht, u.a. das SG Potsdam (Beschluss vom 15. Dezember 2014 - S 1 SF 150/14 E), SG Magdeburg (Beschluss vom 23. September 2014 - S 4 SF 2/14), SG Berlin (Beschluss vom 3. Juni 2013 - S 180 SF 404/12), SG Braunschweig (Beschluss vom 30. Mai 2013 - S 48 SF 163/13 E) und das SG Gotha (Beschluss vom 10. April 2013 - S 1 SF 13/13) entschieden hätten. Der Erinnerungsgegner ist dem entgegen getreten und hat auf den Senatsbeschluss vom 19. Februar 2015
- L 6 SF 70/14 E verwiesen. Er könne den eingereichten Unterlagen eine wirksame Übertragung der Aufgabe "Forderungseinzug" nicht entnehmen.
Die UdG hat der Erinnerung nicht abgeholfen (Verfügung vom 27. April 2015). Der Senatsvorsitzende hat u.a. die Niederschrift
der Trägerversammlung am 30. Januar 2012, die Beschlussvorlage 2/2012 und die Verwaltungsvereinbarung zwischen der Bundesagentur
für Arbeit (BA) und dem Jobcenter vom 31. Januar 2012 beigezogen und das Verfahren mit Beschluss vom 9. Juni 2015 dem Senat
wegen grundsätzlicher Bedeutung übertragen.
II.
Die Erinnerung ist zulässig. Sie ist innerhalb der Monatsfrist des §
189 Abs.
2 S. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) eingelegt worden. Zur Vollständigkeit weist der Senat darauf hin, dass der "Auszug aus dem Verzeichnis der Rechtsstreite
(§
189 SGG)" angesichts der Fristsetzung nach §
63 Abs.
1 S. 1
SGG zuzustellen ist.
Die Erinnerung ist begründet. Die Erinnerungsführerin ist nicht verpflichtet, Pauschgebühren für das Beschwerdeverfahren L
9 AS 1278/13 zu zahlen.
Nach §
184 Abs.
1 S. 1
SGG haben Kläger und Beklagte, die nicht zu den in §
183 SGG genannten Personen gehören, für jede Streitsache eine Gebühr zu entrichten. Sie wird fällig, sobald die Streitsache durch
Vergleich, Anerkenntnis, Beschluss oder durch Urteil erledigt ist (§
185 SGG). Die Höhe der Gebühr beträgt vor den Landessozialgerichten 225 Euro (§
184 Abs.
2 SGG) und ermäßigt sich auf die Hälfte, wenn die Sache - wie hier - nicht durch Urteil erledigt wird.
Die Erinnerungsführerin gehört nicht zu den nach §
183 SGG kostenprivilegierten Personen. Ihre Kostenbefreiung ergibt sich allerdings aus § 64 Abs. 3 S. 2 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach sind in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit u.a. die Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende
von den Gerichtskosten befreit. Die Erinnerungsführerin hat in dieser Eigenschaft das Beschwerdeverfahren vor dem 9. Senat
des Thüringer Landessozialgerichts geführt.
Nach § 6 Abs. 1 S. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) sind Träger der Grundsicherung für Arbeitssuchende die Bundesagentur für Arbeit (BA) und die kreisfreien Städte und Kreise.
In eigener Zuständigkeit konnte die Beklagte zwar nicht tätig werden, denn nach § 44 Abs. 1 S. 1 SGB II bilden die Träger im Gebiet jedes kommunalen Trägers zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitssuchende
nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II eine gemeinsame Einrichtung (= Jobcenter). Deren Aufgabe des Forderungseinzugs hatte die Erinnerungsführerin wahrgenommen.
Dazu war sie berechtigt, denn die Trägerversammlung des Jobcenters hatte am 30. Januar 2012 ein entsprechendes Dienstleistungsangebot
der BA angenommen und damit konkludent entschieden, dass der Erinnerungsführerin die Aufgabe "Forderungseinzug" (Inkasso)
übertragen wird.
Die Übertragung einzelner Aufgaben kollidiert grundsätzlich mit dem Grundsatz der einheitlichen Wahrnehmung der Aufgaben nach
dem SGB II und bedarf deshalb einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung; ein Selbsteintrittsrecht existiert nicht (vgl. BSG, Urteil vom 26. Mai 2011 - B 14 AS 54/10 R, nach juris). Eine entsprechende Regelung existiert seit dem 1. Januar 2011 mit § 44b Abs. 4 SGB II, nach dem die gemeinsame Einrichtung einzelne Aufgaben - u.a. den Forderungseinzug (vgl. BT-Drucksache 17/1555 S. 24) - durch
die Träger wahrnehmen lassen kann. Nach § 44b Abs. 5 SGB II stellt die BA der gemeinsamen Einrichtung Angebote an Dienstleistungen zur Verfügung. Die Entscheidung, ob einzelne Aufgaben
nach § 44b Abs. 4 SGB II durch die Träger wahrgenommen werden sollen, liegt im Ermessen der gemeinsamen Einrichtung (vgl. Weißenberger in Eicher,
SGB II, 3. Auflage 2013 § 44b Rdnr. 30). Entscheidungsbefugt hierfür und für die davon rechtlich zu trennende Entscheidung über die Übertragung ist nach
§ 44c Abs. 2 S. 3 Nr. 4 SGB II die Trägerversammlung. Die rechtsgeschäftliche Übertragung selbst (vgl. BT-Drucksache 17/1555 S. 24) erfolgt dann durch öffentlich-rechtlichen
Vertrag nach § 53 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X). Die Vorschriften des Dienstleistungsvertragsrechts (§ 61 SGB X, 611 ff. des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB)) sind entsprechend anwendbar (vgl. Weißenberger in Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013 § 44b Rdnr. 28).
Dem Erinnerungsgegner ist zuzugestehen, dass sich den Unterlagen eine ausdrückliche wirksame Aufgabenübertragung nicht entnehmen
lässt. Nur dies ist hier tatsächlich problematisch. Die Erinnerungsführerin hatte ihr Serviceangebot "Forderungseinzug" unter
"operative Aufgaben" zusammen mit anderen Angeboten ("Serviceangebote") dem Jobcenter nach § 44b Abs. 5 SGB II angeboten. Die Entscheidung über die Annahme traf auch die zuständige Trägerversammlung nach § 44c Abs. 2 S. 2 Nr. 4 SGB II. Dies ergibt sich aus der Niederschrift der 6. Trägerversammlung vom 30. Januar 2012 und den entsprechenden Beilagen. In
der Niederschrift findet sich unter "6.1 Verwaltungskostenhaushalt" folgender Hinweis: "Die Verwaltungsvereinbarung zu den
von der BA eingekauften Servicedienstleistungen ist separat abzuschließen. Der Beginn der Gültigkeit des Beschlusses wird
auf den 01.01.2012 geändert." Danach sind eine Datei "II-5010.1 Beschlussvorlage" und der Zusatz "Der Beschluss Nr. 2/2012
wird einstimmig angenommen." gespeichert. Die Beschlussvorlage 2/2012 lautete wie folgt: "Die Trägerversammlung möge beschließen:
Die Planung der Verwaltungskosten 2012 einschließlich der Inanspruchnahme von Dienstleistungen wird genehmigt" und enthält
weiter zwei PDF-Dateien "Planung Verwaltungskosten 2012" und "PVK SGBII 2012.xlsm.pdf". In letzterer findet sich eine Tabelle
von "Serviceangeboten" und "operativen Aufgaben". Unter "Inkasso" ist ein "Abnahmewert" von 75.000,00 Euro eingetragen.
Keine der Unterlagen enthält eine ausdrückliche Entscheidung zur rechtsgeschäftlichen Übertragung der Aufgabe "Forderungseinzug"
auf die Erinnerungsführerin. Die Forderung nach einer entsprechenden Entscheidung mag formalistisch klingen, ist aber insbesondere
in der vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 20. Dezember 2007 - 2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04BVerfGE (nach juris) geforderten hinreichend klaren Zuordnung von Verwaltungszuständigkeiten und Transparenz
und der Gesetzesbegründung zu § 44b Abs. 4 SGB II (BT-Drucksache 17/1555, 2. 24) begründet. Eine entsprechende Entscheidung ist allerdings auch durch eine Willenserklärung
in Form schlüssigen Verhaltens (konkludent) möglich. Das Gewollte findet dann nicht unmittelbar in einer Erklärung seinen
Ausdruck, der Erklärende nimmt vielmehr Handlungen vor, die mittelbar einen Schluss auf einen bestimmten Rechtsfolgewillen
zulassen (vgl. Ellenberger in Palandt,
BGB, 74. Auflage 2015, Vor §
116 Rdnr. 6). Eine entsprechende konkludente Entscheidung liegt hier vor. Dies zeigt sich in dem Hinweis unter 6.1 "Verwaltungskostenhaushalt",
dass die Verwaltungsvereinbarung mit den "eingekauften Servicedienstleistungen" separat abzuschließen sei, was dann mit Abschluss
des Übergabevertrags ("Verwaltungsvereinbarung") vom 31. Januar 2012 erfolgte. In dessen § 1 Abs. 1 wird erstmals § 44 Abs. 4 und 5 SGB II erwähnt und es werden dort weitere Einzelheiten über die Erbringung der Aufgaben (z.B. die Sonderkündigung) geregelt. Dies
hält der Senat für (noch) ausreichend, einen entsprechenden Rechtsfolgewillen zu bejahen.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§
177 SGG).