Vergütung von Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren; Feststellung der tatsächlichen Kosten; Plausibilitätsprüfung
Gründe:
I. In dem Klageverfahren H.-J. B .../. Deutsche Rentenversicherung Mitteldeutschland (Az.: S 12 RJ 1599/03) teilte der Beschwerdeführer - Facharzt für Orthopädie - auf Anfrage dem Sozialgericht Meiningen unter dem 12. Dezember 2006
mit, er veranschlage für eine Gutachtenserstellung ein Honorar von ca. 1.050,00 Euro. Nach Einzahlung eines Kostenvorschusses
des Klägers in Höhe von 1.200,00 Euro beauftragte der Vorsitzende der 14. Kammer den Beschwerdeführer mit Beweisanordnung
vom 26. Januar 2007 mit der Erstellung des Gutachtens nach §
109 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG). Übersandt wurden ihm die Klageakte, die Verwaltungs- und die medizinische Beiakte der Beklagten (insgesamt ohne Doppelheftungen
101 Blatt).
Sein (undatiertes) Gutachten reichte der Beschwerdeführer am 6. März 2007 beim Sozialgericht ein. In seiner Kostenrechnung
vom 10. Februar 2007 machte er insgesamt 1.195,22 Euro geltend (13 Stunden Zeitaufwand (Durchsicht der Akten 5 Stunden, Erhebung
der Vorgeschichte 2,5 Stunden, körperliche Untersuchung 2 Stunden, Abfassung der schriftlichen Beurteilung 2 Stunden, Diktat
und Korrektur des Gutachtens 1,5 Stunden) zu einem Stundensatz von 85,00 Euro, Beurteilung von MRT-Aufnahmen (GOÄ A 80) 40,22 Euro, Sichten und Sortierung von Aktenunterlagen 10,00 Euro, verbrauchte Stoffe 8,00 Euro, Portoauslagen 7,00
Euro, Schreibauslagen 25,00 Euro). Bezüglich der Einzelheiten wird auf Blatt 3 des Kostenhefts verwiesen. Mit Schreiben vom
26. März 2007 kürzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) die Vergütung auf 558,75 Euro und legte einen Zeitaufwand
von 9 Stunden und einen Stundensatz von 60,00 Euro zugrunde. Die Schreibauslagen seien bei ca. 13.000 Anschlägen mit insgesamt
18,75 Euro anzusetzen. Ansätze für die Sichtung und das Sortieren der Unterlagen sowie Papierverbrauch existierten nicht.
Die GOÄ-Nr. 80 sei nicht nachvollziehbar; zudem werde eine schriftliche gutachterliche Äußerung bereits mit der Sachverständigenentschädigung
beglichen.
Unter dem 19. April 2007 hat der Beschwerdeführer "Beschwerde" eingelegt, die richterliche Festsetzung beantragt und seine
Forderung auf 1.064,97 Euro reduziert. Es sei eine "falsche Aussage", das Gutachten als Zustandsgutachten zu behandeln; tatsächlich
handle es sich um ein Zusammenhangsgutachten. Er akzeptiere eine Gesamtstundenzahl von 12 Stunden, die mit 85,00 Euro anzusetzen
seien und bestehe auf einer Vergütung der MRT-Auswertung. Der Beschwerdegegner hat die Festsetzung von 558,75 Euro beantragt
und sich zur Begründung auf die Ausführungen der UKB bezogen.
Mit Beschluss vom 38. Februar 2012 hat das Sozialgericht die Entschädigung für das erstattete Gutachten auf 558,75 Euro festgesetzt.
Angemessen sei ein Zeitaufwand von 9 Stunden (Aktenstudium 1,75 Stunden, Erhebung der Vorgeschichte/Untersuchung 4,5 Stunden,
körperliche Untersuchung 2 Stunden, Beurteilung 0,6 Stunden, Diktat/Durchsicht/Korrektur 1,8 Stunden), der mit der Honorargruppe
M2 (60,00 Euro) zu vergüten sei. Anhaltspunkte für eine Festlegung als Zusammenhangsgutachten bestünden nicht. Eine Vergütung
der vom Kläger mitgebrachten Röntgen- und MRT-Aufnahmen scheitere daran, dass der Beschwerdeführer sie nicht neu befundet
habe.
Dagegen hat der Beschwerdeführer am 22. Mai 2012 Beschwerde eingelegt und ein "fehlerhaftes Honorar" gerügt. Er habe das Gutachten
in seinem Kostenvoranschlag mit 1.050,00 Euro angeboten. Ein "endgültiges und korrektes Honorarergebnis" sei ihm bisher nicht
bekannt.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Meinigen vom 28. Februar 2912 aufzuheben und die Vergütung für sein Gutachten im Verfahren
Az.: S 12 RJ 1599/03 auf 1.064,97 Euro festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist er auf den Beschluss der Vorinstanz, und seinen Antrag im Erinnerungsverfahren.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Thüringer Landessozialgericht vorgelegt.
II. Die Beschwerde ist nach § 4 Abs. 3 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die
Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG -) zulässig. Zur Vollständigkeit wird darauf hingewiesen, dass die Rechtsmittelbelehrung im Beschluss des Sozialgerichts
fehlerhaft war; eine Fristenregelung für die Beschwerde existiert nicht.
Die Beschwerde gegen den Beschluss (nicht: "Kürzungsbericht") des Sozialgerichts ist unbegründet.
Bei der Entscheidung sind alle für die Bemessung der Vergütung maßgeblichen Umstände zu überprüfen, unabhängig davon, ob sie
der Beschwerdeführer angegriffen hat. Bei der Festsetzung ist der Senat weder an die Höhe der Einzelansätze noch an den Stundenansatz
oder die Gesamthöhe der Vergütung in der Festsetzung durch die UKB oder den Antrag der Beteiligten gebunden; er kann aber
nicht mehr festsetzen als beantragt.
Nach § 8 Abs. 1 JVEG erhalten Sachverständige als Vergütung 1. ein Honorar für ihre Leistungen (§§ 9 bis 11 JVEG), 2. Fahrtkostenersatz (§ 5 JVEG), 3. Entschädigung für Aufwand (§ 6 JVEG) sowie 4. Ersatz für sonstige und besondere Aufwendungen (§§ 7 und 12 JVEG). Soweit das Honorar nach Stundensätzen zu bemessen ist, wird es nach § 8 Abs. 2 JVEG für jede Stunde der erforderlichen Zeit einschließlich notwendiger Reise- und Wartezeiten gewährt (Satz 1); die letzte bereits
begonnene Stunde wird voll gerechnet, wenn mehr als 30 Minuten für die Erbringung der Leistung erforderlich war (Satz 2 Halbs.
1).
Das Honorar eines Sachverständigen errechnet sich entsprechend den §§ 9 Abs. 1 S. 1, 8 Abs. 2 JVEG nach der erforderlichen Zeit. Sie ist nach einem abstrakten Maßstab zu ermitteln, der sich an dem erforderlichen Zeitaufwand
eines Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher
Arbeitsintensität orientiert (vgl. u.a. BVerfG, Beschluss vom 26. Juli 2007 - Az.: 1 BvR 55/07; BGH; Beschluss vom 16. Dezember 2003 - Az.: X ZR 206/98, beide nach juris; Senatsbeschlüsse vom 5. März 2012 - Az.: L 6 SF 1854/11 B und 21. Dezember 2006 - Az.: L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f.; Hartmann in Kostengesetze, 40. Auflage 2010, § 8 JVEG Rdnr. 35). Zu berücksichtigen sind die Schwierigkeiten der zu beantworteten Fragen unter Berücksichtigung der Sachkunde auf
dem betreffenden Gebiet, der Umfang des Gutachtens und die Bedeutung der Streitsache (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Dezember
2003 - Az.: X ZR 206/98; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Auflage 2007, Rdnr. 841). Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die
Angaben des Sachverständigen über die tatsächlich benötigte Zeit richtig sind (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 26. März 2012
- Az.: L 6 SF 132/12 E m.w.N.). Werden die üblichen Erfahrungswerte um mehr als 15 v.H. überschritten (vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 21. Dezember
2006 - Az.: L 6 B 22/06 SF in MedSach 2007, 180 f.), ist eine Plausibilitätsprüfung anhand der Kostenrechnung und der Angaben des Sachverständigen
durchzuführen.
Die Aufteilung der Sachverständigenleistung erfolgt entsprechend dem Thüringer "Merkblatt über die Entschädigung von medizinischen
Sachverständigen" grundsätzlich in fünf Bereichen: a) Aktenstudium und vorbereitende Arbeiten, b) Erhebung der Vorgeschichte,
c) notwendige Untersuchungen, d) Abfassung der Beurteilung, e) Diktat sowie Durchsicht des Gutachtens.
Für das im Hauptsacheverfahren erstattete Gutachten war angesichts der dem Beschwerdeführer übersandten Unterlagen und unter
Berücksichtigung der üblichen Erfahrungswerte nach der Senatsrechtsprechung ein Zeitaufwand von- aufgerundet - 9 Stunden erforderlich.
Dies entspricht im Ergebnis den Ansätzen der Vorinstanz und der UKB.
Für das Aktenstudium ist ein Arbeitsaufwand von 1,4 Stunden für das Studium von 101 Blatt Akten anzusetzen; die Doppelheftungen
sind nicht zu berücksichtigen. Nach der Senatsrechtsprechung wird unterstellt, dass ein Sachverständiger für das Aktenstudium
und vorbereitende Maßnahmen einschließlich der Fertigung von Notizen und Exzerpten einen Zeitaufwand von etwa einer Stunde
für etwa 80 Blatt mit ca. 1/4 medizinischem Inhalt benötigt (vgl. u. a. Senatsbeschluss vom 11. Februar 2003 - Az.: L 6 B 6/03 SF); ist der medizinische Anteil - wie hier - höher, sind die Akten mit allgemeinem und mit medizinischem Inhalt getrennt
zu erfassen und unterschiedlich zu bewerten (vgl. Senatsbeschluss vom 1. August 2003 - Az.: L 6 SF 220/03 in MedSach 2004, 102 f.), nämlich medizinische Unterlagen mit ca. 1 Stunde für 50 Blatt und sonstige Unterlagen mit ca. 1
Stunde für 100 Blatt. Dies ergibt hier 1,4 Stunden. Es ist kein Grund für die von der Vorinstanz angenommenen 1,75 Stunden
ersichtlich. Die vom Beschwerdeführer selbst angesetzten 5,0 Stunden entsprechen nicht dem erforderlichen Zeitaufwand eines
Sachverständigen mit durchschnittlicher Befähigung und Erfahrung bei sachgemäßer Auftragserledigung mit durchschnittlicher
Arbeitsintensität. Eine Ausnahme hat er nicht begründet; Anhaltspunkte für sie sind nicht ersichtlich. Nicht zu akzeptieren
sind auch seine Ansätze für die Ermittlung der Vorgeschichte und die Untersuchung (insgesamt 4,5 Stunden); insgesamt kommen
hier unter Berücksichtung der üblichen Erfahrungswerte allenfalls 3 Stunden in Betracht. Eine orthopädische Untersuchung von
2 Stunden ist angesichts der Ausführungen auf Blatt 5 bis 7 des Gutachtens deutlich überhöht; angesichts der Aktenunterlagen
und Ausführungen waren für die Vorgeschichte keine 2,5 Stunden erforderlich.
Akzeptiert wird angesichts der aktuellen Senatsrechtsprechung (vgl. Beschluss vom 26. März 2012 - Az.: L 6 SF 132/12 E) der beantragte Ansatz für die Abfassung der schriftlichen Beurteilung (2 Stunden).
Keine Bedenken bestehen gegen die 1,8 Stunden für Diktat und Korrektur der Reinschrift durch die Vorinstanz; ihr Ansatz übersteigt
den des Beschwerdeführers geringfügig. Zusätzlich zu berücksichtigen ist zudem ein Zeitansatz von 25 Minuten (vgl. Senatsbeschluss
vom 19. Dezember 2007 - Az.: L 6 B 172/07 SF) für die Nachbefundung der Magnetresonanztomographie der LWS vom 30. Januar 2007. Dass sie erfolgt ist, ergibt sich aus
den (allerdings sehr kurzen) Ausführungen des Beschwerdeführers auf Blatt 3 seines Gutachtens.
Der Vergütungsberechnung ist die Honorargruppe M2 (60,00 Euro) zugrunde zu legen. Sie wird wie folgt definiert: Beschreibende
(Ist-Zustands-)Begutachtung nach standardisiertem Schema ohne Erörterung spezieller Kausalzusammenhänge mit einfacher medizinischer
Verlaufsprognose und mit durchschnittlichem Schwierigkeitsgrad. In den weiter aufgeführten Beispielsfallgruppen werden die
Gutachten zur Feststellung einer Erwerbsminderung nicht genannt. Diese Zustandsgutachten sind aber im Regelfall in die Honorargruppe
M2 einzuordnen (ganz h.M.; vgl. u.a. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2007 - Az.: L 6 B 172/07 SF; Reyels in jurisPR-SozR 18/210 Anm. 6). Zu Recht weist die Vorinstanz darauf hin, dass ein Zusammenhangsgutachten weder
beauftragt noch erstattet wurde. Damit ist es auch unerheblich, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers - offensichtlich
fehlerhaft - in seinem Schriftsatz vom 29. November 2006 die Einholung einer "Zusammenhangsbegutachtung" beantragt hatte.
Das Schreiben des Beschwerdeführers vom 12. Dezember 2006, in dem er auf Anfrage des Gerichts sein Honorar mit 1.050,00 Euro
veranschlagt hatte, ist für die tatsächliche Höhe der Kostenerstattung ohne rechtlichen Belang; ein Vertrauensschutz kann
aus ihm nicht hergeleitet werden (so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 14. Mai 2012 - Az.: L 15 SF 276/10 B E; nach juris). Im Übrigen steht ein gerichtlich bestellter Sachverständiger nicht in vertraglicher Beziehung zum Gericht
und macht diesem kein Angebot zum Abschluss eines Vertrages sondern wird von ihm nach §
404 der
Zivilprozessordnung (ggf. auch gegen seinen Willen) bestellt.
Zusätzlich zu erstatten sind die von der Vorinstanz akzeptierten Kosten für Schreibauslagen und Kopierkosten in Höhe von 18,75
Euro.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§ 4 Abs. 4 S. 3 JVEG).