Keine Inanspruchnahme des Unterhaltsschuldners über die Grenze der Leistungsfähigkeit hinaus durch Einführung von § 11 Abs.
2 S. 1 Nr. 7 SGB II
Entscheidungsgründe:
I.
Der Kläger begehrt Anhebung titulierten Kindesunterhalts ab Oktober 2005.
Der am ...1993 geborene Kläger ist das Kind des am ....1970 geborenen Beklagten. Er lebt im Haushalt der Mutter. Der Beklagte
ist außerdem Vater der beiden Kinder K... N..., geboren am ...2003, und T... G..., geboren am ...2005. Die Ehe der Mutter
des Klägers mit dem Beklagten wurde durch Urteil des Amtsgerichts vom 6.11.2003 (4 F 6/03) geschieden. Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 14.11.2002 (4 FH 24/02) wurde der Beklagte verpflichtet, für dem Kläger ab 1.8.2002 monatlichen Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrages der
2. Altersstufe zu zahlen.
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger im Hinblick auf die Vollendung des 12. Lebensjahres Unterhalt in Höhe von 100
% des Regelbetrages der 3. Altersstufe.
Durch das angefochtene Urteil vom 8.6.2006 hat das Amtsgericht der Klage in der Weise stattgegeben, dass es unter Abänderung
des Beschlusses vom 14.11.2002 für die Zeit von Oktober 2005 bis Juni 2007 Unterhalt in Höhe von monatlich 269 EUR und ab
1.7.2007 Unterhalt in Höhe von 100 % des Regelbetrages der 3. Altersstufe zuerkannt hat. Wegen der tatsächlichen Feststellungen
wird gemäß §
540 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit der Berufung. Er trägt vor:
Das vom Amtsgericht angenommene erzielbare Einkommen sei zu hoch angesetzt. Er verfüge über keine abgeschlossene Berufsausbildung
und könne sich daher nur auf Tätigkeiten als Hilfsarbeiter oder auf Anlerntätigkeiten bewerben. Seine Einkünfte in der Vergangenheit
hätten bei zwischen 1.200 DM und max. 2.000 DM gelegen. Seit Mai 2001 sei er arbeitsuchend. Ein fiktives Nettoeinkommen aus
Vollzeitbeschäftigung als Hilfsarbeiter liege bei höchstens 900 EUR.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts müssten auch seine weiteren Kinder T... G... und K... N... berücksichtigt werden.
Er erbringe zwar gegenwärtig keine Zahlungen. Es könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass Unterhaltsansprüche für
diese Kinder nicht mehr geltend gemacht würden. In den Rechtswahrungsanzeigen des Landkreises U... sei er davon in Kenntnis
gesetzt worden, dass der Unterhaltsanspruch infolge der Unterhaltsvorschussleistungen auf das Jugendamt übergegangen sei.
Somit müsse er damit rechnen, dass das Jugendamt in diesem Umfang auch rückwirkend Zahlungsansprüche geltend mache. Daher
sei eine Mangelverteilung unter Einbeziehung aller drei Kinder durchzuführen.
Der Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor:
Zu Recht habe das Amtsgericht ein fiktives Einkommen des Beklagten von 1.100 EUR angenommen. Darüber hinaus sei zu berücksichtigen,
dass der Beklagte mit Rücksicht auf § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II zur Erfüllung titulierter Unterhaltsansprüche hinzuverdienen
könne.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Der Senat hat die gesetzliche Vertreterin des Klägers und den Beklagten angehört.
Die gesetzliche Vertreterin des Klägers hat erklärt:
Der Beklagte und ich haben am 1.12.1993 geheiratet. Während unserer Ehe lag das höchste Einkommen, das der Beklagte erzielt
hat, bei etwa 2.000 DM.
Der Beklagte hat erklärt:
Aufgrund einer Nebentätigkeit erziele ich seit November 2006 ein zusätzliches Einkommen in Höhe von 138 EUR monatlich.
II.
Die zulässige Berufung ist begründet. Das angefochtene Urteil ist abzuändern und die Klage abzuweisen. Der Kläger kann höheren
Unterhalt, als durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 14.11.2002 (4 FH 24/02) tituliert, nicht verlangen.
1.
Die Abänderungsklage des Klägers, mit der er höheren Unterhalt, als bislang tituliert, geltend macht, ist zulässig. Dabei
kann dahinstehen, ob es sich, wie vom Amtsgericht angenommen, um eine Abänderungsklage nach §
323 ZPO handelt, oder ob mit Rücksicht darauf, dass der bestehende Titel im vereinfachten Verfahren nach §§ 645 ff.
ZPO ergangen ist, eine Abänderungsklage nach § 654
ZPO gegeben ist (für den Vorrang der Klage nach § 654
ZPO als lex specialis OLG Karlsruhe, FamRZ 2003, 1672; Musielak/Borth,
ZPO, 5. Aufl., § 654, Rz. 1). Denn für beide Klagearten ist auf Seiten des Unterhaltsberechtigten eine Zeitschranke nicht zu beachten. Für die
Klage nach §
323 ZPO folgt das daraus, dass die des §
323 Abs.
3 ZPO nur für die Abänderung von Urteilen gilt und ansonsten keine Anwendung findet (vgl. Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf-/Schael,
§
1, Rz. 398). Bei der Abänderungsklage gemäß § 654
ZPO ist nach Abs. 2 der Vorschrift eine Zeitschranke nur bei einer Klage auf Herabsetzung des Unterhalts, also bei einer vom Unterhaltsschuldner
betriebenen Klage, zu beachten. Der Unterhaltsberechtigte hingegen kann auch rückwirkend, d. h. für Zeiträume vor Rechtshängigkeit
seiner Abänderungsklage, Abänderung verlangen, soweit die Voraussetzungen des §
1613 Abs.
1 BGB gegeben sind. Dies ist vorliegend mit Rücksicht auf das Anwaltsschreiben vom 19.10.2005 der Fall.
2.
Die Abänderungsklage ist unbegründet. Der Beklagte ist nicht in der Lage, über den titulierten Unterhalt in Höhe von 100 %
des Regelbetrages der 2. Altersstufe nach § 2 Regelbetrag-VO, das sind derzeit 228 EUR, hinaus Unterhalt für den Kläger zu
leisten.
a)
Allerdings hat sich der Beklagte, der seit Beginn des Unterhaltszeitraumes, seit Oktober 2005, arbeitslos ist, nicht ausreichend
um eine neue Beschäftigung bemüht. Deshalb ist ihm ein fiktives Einkommen aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zuzurechnen.
Das Amtsgericht hat im angefochtenen Urteil die Anforderungen, die gerade im Rahmen der gesteigerten Erwerbsobliegenheit nach
§
1603 Abs.
2 BGB an den Unterhaltsschuldner zu stellen sind, zutreffend dargelegt. Auch im Berufungsverfahren hat der Beklagte keine Erwerbsbemühungen
vorgetragen, die diesen Anforderungen genügen könnten.
b)
Das Einkommen, das dem Beklagten wegen nicht ausreichender Erwerbsbemühungen fiktiv zugerechnet werden muss, ist entgegen
der Auffassung des Amtsgerichts nicht mit 1.100 EUR, sondern allenfalls mit 1.000 EUR anzunehmen.
Verletzt der Unterhaltsschuldner seine Erwerbsobliegenheit, sind ihm fiktive Einkünfte anzurechnen, die er nach seinem Alter,
seiner Vorbildung und dem beruflichen Werdegang erzielen könnte (BGH, FamRZ 1996, 345, 346; Senat, FamRZ 2003, 48, 50; Eschenbruch/Klinkhammer/Mittendorf, Der Unterhaltsprozess, 4. Aufl., Rz. 6341; Bäumel in Bäumel/Büthe/ Poppen, Unterhaltsrecht,
§
1602 BGB, Rz. 10). Nach Anforderung durch den Senat mit der Ladungsverfügung zum Termin vom 19.12.2006 hat der Kläger mit Schriftsatz
vom 11.12.2006 seine Ausbildung und seinen beruflichen Werdegang im Einzelnen dargelegt und belegt. Daraus ergibt sich, dass
der Kläger in den Jahren 1989 und 1990 zwei Berufsausbildungen nicht abgeschlossen hat und danach, wenn er nicht arbeitslos
war, nur jeweils kurzzeitig als ungelernter Arbeiter erwerbstätig war. Von einer Ausnahme abgesehen, lag schon sein monatliches
Bruttoeinkommen aufgrund der Erwerbstätigkeit bei unter 2.000 DM monatlich. Lediglich in der Zeit vom 9.4. bis 19.11.1996
erzielte der Beklagte im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses bei der B... GmbH ein monatliches Bruttoeinkommen von
2.917 DM. Angesichts all dessen muss angenommen werden, dass dem Beklagten aufgrund seiner Erwerbstätigkeit nie mehr als bereinigt
2.000 DM zur Verfügung standen. Dies wird bestätigt durch die Angaben der gesetzlichen Vertreterin des Klägers, die bei ihrer
Anhörung durch den Senat angegeben hat, der Beklagte habe während der gemeinsamen Ehe höchstens ein Einkommen von 2.000 DM
erzielt. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte zuletzt in der Zeit vom 22.5.2000 bis zum 21.5.2001 im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme
einer vollschichtigen Tätigkeit nachgegangen ist und unter Berücksichtigung der gegenwärtigen Lage auf dem Arbeitsmarkt kann
das Einkommen, das der Beklagte auch bei gehörigen Arbeitsplatzbemühungen erzielen könnte, mit nicht mehr als 1.000 EUR angenommen
werden.
c)
Bei einem bereinigten Einkommen von 1.000 EUR kann der Beklagte höheren Unterhalt, als derzeit mit 228 EUR tituliert, nicht
leisten. Angesichts eines notwendigen Selbstbehalts von 820 EUR (Nr. 21.2 der Unterhaltsleitlinie des Brandenburgischen Oberlandesgerichts,
Stand 1.7.2005) stehen ihm sogar nur 180 EUR für Unterhaltszwecke zur Verfügung.
Eine Herabsetzung des Selbstbehalts im Hinblick auf ein Zusammenleben des Beklagten mit einer Lebenspartnerin kommt nicht
in Betracht. Allerdings geht der Senat dann, wenn der Unterhaltsschuldner mit einem neuen Partner zusammenlebt, eine entsprechende
Leistungsfähigkeit des Partners unterstellt, regelmäßig davon aus, dass eine Haushaltsersparnis von 25 % eintritt, die dazu
führt, dass der notwendige Selbstbehalt sowohl des Unterhaltsschuldners selbst als auch derjenige des Partners um 12,5 % herabzusetzen
ist (vgl. auch BGH, FamRZ 2004, 24; Schael, FuR 2006, 6 ff.; Heistermann, FamRZ 2006, 742 ff. einerseits und OLG Frankfurt, FamRZ 2005, 2090; OLG Karlsruhe, FamRZ 2005, 2091 andererseits; differenzierend OLG Hamm, FamRZ 2006, 809). Ein solcher Fall ist vorliegend aber nicht gegeben.
Den vom Beklagten vorgelegten Bescheiden des Landkreises U... über Leistungen nach dem SGB II ist zwar zu entnehmen, dass
bei der Berechnung der Leistungen zumindest für die Zeit von Januar bis Juni 2005 von einer Bedarfsgemeinschaft des Beklagten
mit einer Frau und einem bzw. zwei Kindern ausgegangen worden ist. Die Bescheide sind zum Teil an den Beklagten selbst, zum
Teil an die Frau, jeweils in der ... Straße in S..., gerichtet. Anders verhält es sich aber mit den Bescheiden, beginnend
mit dem 19.9.2005, mit denen Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab Oktober 2005, also ab Beginn des Unterhaltsabänderungszeitraumes,
gewährt werden. Diese sind an den Beklagten unter der im Rubrum ersichtlichen Anschrift gerichtet und weisen ausdrücklich
Leistungen allein für den Beklagten aus. Dies bestätigt den Vortrag des Beklagten, wonach er jedenfalls ab Oktober 2005 in
einer eigenen Wohnung lebt, sodass eine Bedarfsgemeinschaft nicht mehr besteht. Für den Ansatz einer Haushaltsersparnis ist
somit kein Raum.
d)
Da der Beklagte nach dem Vorstehenden unter Beachtung seines notwendigen Selbstbehaltes schon nicht in der Lage ist, dem Kläger
höheren Unterhalt als bislang tituliert zu leisten, kommt es auf die Frage, ob auch die Unterhaltspflichten des Beklagten
gegenüber den minderjährigen Kindern K... N... und T... G... zu berücksichtigen sind, nicht an. Daher kann dahinstehen, ob
von dem Grundsatz, dass bei Aufeinandertreffen mehrerer Unterhaltsansprüche der Unterhalt so zu errechnen ist, als ob für
alle Ansprüche zugleich entschieden würde (vgl. BGH, FamRZ 1992, 797, 798 f.; FamRZ 2003, 363, 367; Wendl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl., § 2, Rz. 228), Ausnahmen möglich sind.
Dies wird nach der vom Amtsgericht geteilten Auffassung dann für möglich gehalten, wenn der Unterhaltsschuldner trotz bestehender
Unterhaltspflicht für ein Kind keinen Unterhalt zahlt und eine Zahlungspflicht für die Vergangenheit ausscheidet, da es nicht
auf die Gleichrangigkeit, sondern auf die effektive Belastung ankomme, weil dem Berechtigten sonst mehr als der notwendige
Selbstbehalt bliebe (so Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl., Rz. 102). Ob dieser
Rechtsauffassung, der der Senat in der Vergangenheit zugeneigt hat, zu folgen ist, bedarf keiner Entscheidung. Gleiches gilt
für die Frage, ob dann, wenn man sich der genannten Ansicht anschließt, auch im vorliegenden Fall die Unterhaltspflicht des
Beklagten gegenüber den beiden anderen Kindern außer Betracht bleiben kann. Allerdings zahlt der Beklagte für die beiden Kinder
unstreitig keinen Unterhalt. Im Hinblick auf die nun vom Beklagten vorgelegten Rechtswahrungsanzeigen der Unterhaltsvorschusskasse
des Landkreises U... und, soweit es das Kind K... N... betrifft, des Jugendamtes des Landkreises U... als Beistand bestehen
jedenfalls Zweifel daran, dass eine Zahlungspflicht des Beklagten für die beiden Kinder auch für die Vergangenheit ausscheidet.
Dies kann aber auf sich beruhen.
e)
Von einer größeren Leistungsfähigkeit des Beklagten kann entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht unter Berücksichtigung
des tatsächlichen Einkommens des Beklagten und der Hinzurechnung eines fiktiven Einkommens aus Nebentätigkeit ausgegangen
werden.
aa)
Soweit der Beklagte nach seinen eigenen Angaben im Senatstermin vom 19.12.2006 seit November 2006 eine Nebentätigkeit tatsächlich
ausübt, reichen seine Einkünfte bei weitem nicht aus, um den vom Kläger verlangten höheren Unterhalt zu zahlen. Setzt man
den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II, die seit Juli 2006 rd. 541 EUR monatlich betragen, das
Einkommen aus Nebentätigkeit von 138 EUR hinzu, ergeben sich 679 EUR. Auf dieser Grundlage ist der Beklagte nicht in der Lage,
höheren Unterhalt, als bislang tituliert, zu zahlen.
bb)
Nichts anderes gilt, wenn man, wie es der Kläger verlangt, die Vorschrift des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II in der seit
dem 1.8.2006 geltenden Fassung berücksichtigt. Eine Leistungsfähigkeit des Beklagten in größerem Umfang ergibt sich daraus
nicht.
Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II sind bei der Ermittlung des für die Leistungsbemessung zu berücksichtigenden Einkommens
Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell
beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag abzusetzen. Mit dieser Vorschrift hat der Gesetzgeber sicherstellen
wollen, dass Unterhaltsansprüche, die ein Unterhaltsverpflichteter aufgrund eines titulierten Unterhaltsanspruches oder einer
notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung zu erbringen hat, von seinem Einkommen abzuziehen sind, da der festgelegte Betrag
dem Betroffenen nicht als "bereites", d. h. einsatzfähiges Einkommen zur Verfügung stehe (vgl. Bundestags-Drucksache16/1410,
S. 20). Eine ähnliche Handhabung gab es schon vor In-Kraft-Treten der gesetzlichen Neuregelung am 1.8.2005 aufgrund fachlicher
Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 11 SGB II vom 20.4.2005 (vgl. OLG Koblenz, FamRZ 2006, 1296; SG Dortmund, JAmt 2005, 144, 145; Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3. Aufl., § 11 SGB II, Rz. 3). Demnach
wäre der Beklagte trotz des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II grundsätzlich in der Lage, den titulierten Unterhalt von
derzeit 228 EUR aufgrund einer Nebentätigkeit anrechnungsfrei hinzuzuverdienen.
Ob diese sozialrechtliche Handhabung, wie der Kläger meint, auch dazu führen kann, sein Heraufsetzungsbegehren zu stützen,
weil dem Beklagten fiktiv ein Einkommen aus Nebentätigkeit in Höhe des verlangten Unterhalts von 269 EUR zuzurechnen sei,
kann dahinstehen (vgl. zur Problematik OLG Koblenz, FamRZ 2006, 1296, allerdings für den Fall eines Herabsetzungsbegehrens des Unterhaltsschuldners; OLG Brandenburg - 1. Senat für Familiensachen
-, FamRZ 2006, 1297, 1299; Götsche, FamRB 2006, 373). Insbesondere kann, ausgehend von dieser Rechtsauffassung, die Frage offen bleiben, ob die
Zurechnung eines solchen fiktiven Einkommens aus Nebentätigkeit schon rückwirkend möglich ist, weil der Unterhaltsschuldner
in der Lage sei, eine Jugendamtsurkunde über den höheren Unterhalt in Abänderung des bisher bestehenden Titels errichten zu
lassen und ihn etwa eine Obliegenheit treffe, dies zu tun oder ob eine fiktive Zurechnung des höheren anrechnungsfreien Nebeneinkommens
im Abänderungsrechtsstreit erst für die Zeit nach Schluss der mündlichen Verhandlung in Betracht kommt, weil erst durch das
diesen Rechtsstreit abschließende Urteil eine Titulierung höheren Unterhalts erfolgen könne.
Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstellt, dass der Beklagte zumindest mit In-Kraft-Treten der Neuregelung des § 11
Abs. 2 S. 1 Nr. 7 SGB II am 1.8.2006 in der Lage gewesen wäre, einen Unterhaltstitel in Höhe von 100 % des Regelbetrages der
3. Altersstufe, also derzeit 269 EUR, zu errichten mit der Folge, dass dieser Betrag bei der Berechnung der Leistung nach
dem SGB II anrechnungsfrei geblieben wäre, würde dies nicht zu einer höheren Leistungsfähigkeit des Beklagten führen. Ausweislich
der vorgelegten Leistungsbescheide hat der Beklagte in der Zeit von Oktober 2005 bis Juni 2006 monatliche Leistungen nach
dem SGB II von rd. 527 EUR und seit Juli 2006 von rd. 541 EUR bezogen. Setzt man dem Betrag von 541 EUR weitere 269 EUR fiktiv
aus anrechnungsfreier Nebentätigkeit hinzu, ergeben sich 810 EUR. Selbst wenn man für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit
trotz des fiktiven Einkommens aus Nebentätigkeit den notwendigen Selbstbehalt für Nichterwerbstätige von 710 EUR heranzieht,
stehen für Unterhaltszwecke nur 100 EUR zur Verfügung. Damit kann schon der bestehende Titel nicht bedient werden. Erst recht
kann kein höherer Unterhalt geleistet werden.
Die vom Kläger vertretene Auffassung, derartige Entgelte aus Nebentätigkeit seien ohne Berücksichtigung der Selbstbehaltsätze
der Unterhaltsleitlinien an das unterhaltsberechtigte Kind auszuzahlen, findet im Gesetz keine Stütze. Insbesondere ergibt
sich aus den bereits angeführten Gesetzgebungsmaterialien kein Hinweis darauf, dass die Einführung des § 11 Abs. 2 Satz 1
Nr. 7 SGB II die Stellung der unterhaltsberechtigten Kinder in der Weise stärken sollte, dass sie auf Einkünfte des Unterhaltsschuldners
auch Zugriff nehmen können, wenn dessen notwendiger Selbstbehalt nicht gewährleistet ist. Vielmehr ist die Leistungsfähigkeit
des Unterhaltsschuldners stets zu beachten. Sie ist sogar grundrechtlich geschützt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.12.2006
- 1 BvR 236/06). Das Existenzminimum muss dem Unterhaltsschuldner stets verbleiben (vgl. hierzu auch Klinkhammer, FamRZ 2007, 85 ff.).
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
91 Abs.
1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§
708 Nr.
10,
711 ZPO.
Die Revision ist mit Rücksicht auf den noch nicht abschließend geklärten Einfluss von § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 SGB II in der
seit dem 1.8.2006 geltenden Fassung auf Unterhaltsstreitigkeiten zuzulassen, §
543 Abs.
2 ZPO.