Unterhaltsansprüche eines Arbeitslosengeld II Empfängers bei bedarfsgemeinschaftlicher Umverteilung
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte begehrt Prozesskostenhilfe für eine Berufung, die er gegen ein Urteil des Familiengerichts einzulegen beabsichtigt,
mit dem er zur Zahlung von Kindesunterhalt verurteilt worden ist.
I.
Die Klägerin, die den im Tenor zu I. genannten minderjährigen Kindern Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) seit dem 1. März 2002 gewährt, nimmt den Beklagten, den Kindesvater, auf Zahlung von rückständigem sowie laufenden Kindesunterhalt
in Anspruch.
Der Beklagte ist der Vater folgender Kinder: F. , geboren am 17. Dezember 1989, S. , geboren am 23. Juni 1991, J. , geboren
am 11. November 1994, und Y. F. , geboren am 3. Dezember 1998. F. lebt seit Juli 2003 beim Beklagten; die übrigen Kinder leben
bei ihrer Mutter. Mit der beabsichtigten Berufung wendet sich der Beklagte allein gegen die Unterhaltsansprüche von J. und
Y. F. für die Zeit ab 1. Januar 2005.
Das Amtsgericht - Familiengericht - Bremen hat den Beklagten zur Zahlung von rückständigem und laufendem Kindesunterhalt verurteilt
und dabei sowohl sein gesamtes Renteneinkommen als auch das ihm ergänzend gewährte Arbeitslosengeld II als Einkommen berücksichtigt.
Wegen der Einzelheiten wird auf das Urteil vom 3. Mai 2006 verwiesen (Bl. 129 ff. d.A.).
Der Beklagte meint, seit Januar 2005 nicht mehr leistungsfähig zu sein und damit keinen Unterhalt mehr zu schulden, weil sein
Renteneinkommen bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II teilweise dem bei ihm lebenden Sohn F. zugerechnet worden
sei.
II.
Die beabsichtigte Berufung bietet nur in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang hinreichende Aussicht auf Erfolg,
§
114 ZPO. Im Übrigen war der Prozesskostenhilfeantrag zurückzuweisen.
Die Berufung ist nur insoweit Erfolg versprechend, als das Familiengericht bei der Einkommensermittlung auf Seiten des Beklagten
für die Zeit ab Januar 2005 Leistungen nach dem SGB II berücksichtigt hat. Soweit es das Renteneinkommen der Unterhaltsberechnung
in voller Höhe zugrunde gelegt hat, ist dies entgegen der Auffassung des Beklagten nicht zu beanstanden.
Maßgeblich für die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung ist die Leistungsfähigkeit des Beklagten, §
1603 BGB. Um diese beurteilen zu können, ist zum einen die vom Beklagten aufgeworfene Frage zu beantworten, ob die Verteilung eines
Teils seines Renteneinkommens auf den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Sohn zu einer auch unterhaltsrechtlich
relevanten Einkommensreduzierung gegenüber den außerhalb dieser Gemeinschaft lebenden unterhaltsberechtigten Kindern führt;
diese Frage ist zu verneinen - 1. -. Zudem ist zu klären, ob das an den Beklagten ausgezahlte Arbeitslosengeld II als unterhaltsrechtlich
relevantes Einkommen zu qualifizieren ist, obgleich er seinen nach dem SGB II bestehenden Bedarf nur deshalb nicht decken
kann, weil ein Teil seines Einkommens dem Sohn zugeteilt wird; diese Frage ist ebenfalls zu verneinen - 2. -. Aus der hiernach
durchzuführenden Einkommensberechnung ergibt sich die (teilweise) Leistungsfähigkeit des Beklagten und daraus folgend der
auf die Klägerin übergegangene beziehungsweise von ihr für die Zukunft geltend gemachte Unterhaltsanspruch der Kinder - 3.
-.
1. Dass die vom Beklagten erzielte Rente grundsätzlich als unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen zu qualifizieren ist,
steht außer Frage (vgl. nur Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl. 2004, Rn. 531;
800; Ziffer 1.1. der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien der Familiensenate des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen).
Probleme tauchen allerdings auf, wenn - wie hier - das (unterhaltsrechtlich relevante) Einkommen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft
aufgeteilt wird und dadurch die Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen tangiert wird.
Ausweislich § 9 Abs. 2 des zum 1. Januar 2005 - im Zuge von Hartz IV - in Kraft getretenen Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches
(Grundsicherung für Arbeitsuchende, SGB II) wird das zur Verfügung stehende Einkommen - jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden
- auf die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft verteilt. Danach wird der -sozialrechtlich noch offene - Bedarf der
jeweiligen Mitglieder ermittelt.
Im vorliegenden Fall führt diese sozialrechtliche Einkommensberücksichtigung - beispielhaft für den Zeitraum von Januar bis
April 2005 (vgl. Bescheid der BAGIS vom 2. Dezember 2004, Bl. 168 ff. d.A.; für die sich anschließenden Zeiträume gilt im
Ergebnis nichts anderes) - zu folgendem Resultat: F. wird ein Einkommen von 482,46 EUR angerechnet. Zieht man hiervon sein
persönliches Einkommen von 154 EUR (Kindergeld) ab, ergibt sich mit 328,46 EUR der Betrag, der von dem Renteneinkommen des
Beklagten F. zugewiesen worden ist. Zwar lag das - dem Beklagten danach noch verbliebene - Einkommen über dem für ihn mit
386 EUR festgestellten Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II). Unter Berücksichtigung der ihm - ausweislich
des genannten Bescheids - zustehenden Kosten für Unterkunft und Heizung von 270 EUR war jedoch ein noch ungedeckter Bedarf
in Höhe von 106,32 EUR festzustellen (vgl. Seite 6 des Bescheids der BAGIS vom 2. Dezember 2004, Bl. 170 Rs. d.A.). Zöge man
den auf F. umverteilten Betrag von 328,46 EUR von dem Einkommen des Beklagten ab, welches das Familiengericht für diesen Zeitraum
mit 1.014,46 EUR zugrunde gelegt hat, bliebe ihm mit 686 EUR ein deutlich unter seinem notwendigen Selbstbehalt liegender
Betrag. Er wäre unterhaltsrechtlich mithin nicht leistungsfähig.
Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die Einkommensermittlung nach dem SGB II jedenfalls dann zu Verwerfungen mit dem
Unterhaltsrecht führt, wenn - wie hier - ein unterhaltsberechtigtes Kind und der Unterhaltspflichtige gemeinsam in einer Bedarfsgemeinschaft,
die anderen unterhaltsberechtigten Kinder aber außerhalb dieser Gemeinschaft leben (vgl. auch Stellungnahme der Ständigen
Fachkonferenz 3 des deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. vom 30. Juli 2004 >im Folgenden: Stellungnahme
der Ständigen Fachkonferenz<, FuR 2005, 162, 163; Streicher, FPR 2005, 438, 441). Hinzu kommt, dass vom SGB II (§ 11 Abs. 2) bei der Ermittlung des Einkommens bestehende Unterhaltspflichten gegenüber
außerhalb der Bedarfsgemeinschaft lebenden Unterhaltsberechtigten nicht erfasst werden (Klinkhammer, FamRZ 2004, 1909, 1910; Stellungnahme der Ständigen Fachkonferenz, FuR 2005, 162, 163). Ausnahmen sollen - wohl im Wege ergänzender Verwaltungsvorschriften - namentlich nur dann gelten, wenn der Verpflichtete
titulierten Unterhalt an Unterhaltsberechtigte (tatsächlich) zahlt, die mit denjenigen in der Bedarfsgemeinschaft lebenden
Unterhaltsgläubiger zumindest gleichrangig sind (Streicher, FPR 2005, 438, 442). Zu Recht weist der Beklagte in diesem Kontext zwar darauf hin, dass seine Renteneinkünfte "nach den sozialrechtlichen
Bestimmungen anteilig für die Existenzsicherung von F. verbraucht worden" sind (vgl. Seite 4 des Schriftsatzes vom 23. Juni
2006, Bl. 166 d.A.). Maßgebend sind hier indes nicht die sozial-, sondern allein die unterhaltsrechtlichen Vorschriften. Diese
sehen eine Einkommensreduzierung aufgrund einer bedarfsgemeinschaftsinternen Umschichtung - gleichsam als Rechengröße für
den nach SGB II noch offenen Bedarf - nicht vor. Würde man die Auswirkungen des Sozialrechts auf das Unterhaltsrecht durchschlagen
lassen, führte dies im Übrigen zu einer rangmäßigen Benachteiligung der außerhalb der Bedarfsgemeinschaft lebenden (zumindest)
gleichrangigen Unterhaltsberechtigten. Hier ist der Gesetzgeber aufgerufen, das Sozial- und das Unterhaltsrecht zu harmonisieren,
um solche, den Betroffenen nicht mehr zu vermittelnde Verwerfungen zu vermeiden (ebenso Streicher, FPR 2005, 438, 442; vgl. auch Stellungnahme der Ständigen Fachkonferenz, FuR 2005, 162, 163). Das hier gefundene Ergebnis ist für den Beklagten trotz der genannten Verwerfungen auch noch hinnehmbar. Denn - wie
oben bereits dargelegt - ist davon auszugehen, dass die Sozialbehörde den titulierten Kindesunterhalt als - sozialrechtlich
relevante - Einkommensreduzierung anerkennen und demgemäß dem Beklagten erhöhte Leistungen zubilligen wird. Dies müsste nach
Auffassung des Senats - entgegen der Ansicht des Beklagten - auch für den titulierten rückständigen Unterhalt gelten, soweit
er künftig vollstreckt wird; abschließend wird diese Frage jedoch die zuständige Behörde (gegebenenfalls die zuständigen Gerichte)
zu entscheiden haben.
2. Die an den Beklagten nach dem SGB II als Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II ausgezahlten Beträge sind
nicht als unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen zu qualifizieren, erhöhen seine Leistungsfähigkeit also nicht.
Die Frage, ob Arbeitslosengeld II, das gemäß § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II auch die Kosten für Unterkunft und Heizung umfasst,
generell als unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen zu qualifizieren ist, obgleich ihm anders als bei der Arbeitslosenhilfe
keine Lohnersatzfunktion zukommt, es vielmehr lediglich der Unterhaltssicherung dient, bedarf hier keiner eingehenden Erörterung
(bejahend: Götsche, FamRB 2006, 53, 55, 56; Ziffer 2.2. der Unterhaltsrechtlichen Leitlinien - unter anderen - der Familiensenate
des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen; verneinend: Eschebruch/Klinkhammer/Mittendorf, Der Unterhaltsprozess, 4. Aufl.,
Rn. 6148a; Stellungnahme der Ständigen Fachkonferenz, FuR 2005, 162, 163; offen gelassen von: Klinkhammer, FamRZ 2004, 1909, 1913 f.).
Denn Leistungen nach dem SGB II können jedenfalls dann nicht als unterhaltsrechtlich relevantes Einkommen qualifiziert werden,
wenn diese dem Unterhaltspflichtigen nur deswegen gewährt werden, weil sein an sich vorhandenes - und unterhaltsrechtlich
zu berücksichtigendes - Einkommen innerhalb der Bedarfsgemeinschaft umverteilt worden ist mit der Folge, dass er seinen sozialrechtlich
bestehenden Bedarf nicht mehr selbst decken kann. Wenn er einerseits unterhaltsrechtlich so behandelt wird, als verfüge er
über sein gesamtes (originäres) Einkommen, dann kann ihm andererseits nicht noch zusätzlich der Teil zugerechnet werden, den
er nur wegen seiner bedarfsgemeinschaftsinternen Einkommensreduzierung nach dem SGB II beanspruchen kann. Diese Leistungen
sind dem Pflichtigen - unterhaltsrechtlich - letztlich nicht mehr zurechenbar.
3. Mithin ist hier für die durch die beabsichtigte Berufung zur Disposition gestellten Zeiträume ohne Berücksichtigung der
Leistungen nach SGB II von folgendem monatlichen Netto-Einkommen des Beklagten auszugehen:
- ab Januar 2005 bis einschließlich Juni 2005 von 908,14 EUR und
- ab Juli 2005 von 905,68 EUR.
Dies führt in Abänderung der vom Familiengericht ansonsten zutreffend durchgeführten Mangelfallberechnung, auf die ergänzend
verwiesen wird (vgl. Seite 13 ff. des Urteils vom 3. Mai 2006), zu folgenden Unterhaltsansprüchen, wobei der sich bei der
Berechnung des Unterhalts ergebende Betrag gemäß §
1612a Abs.
2 Satz 2
BGB auf volle Euro aufzurunden ist:
- Unterhalt für J. für die Zeit von Januar 2005 bis einschließlich Juni 2005: 41 EUR monatlich; ab Juli 2005: 32 EUR monatlich.
Das Familiengericht hat den Unterhaltsanspruch für J. zutreffend bis November 2006 befristet. Denn sie wird am 11. November
2006 12 Jahre alt und hat mithin nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UVG keinen Anspruch mehr auf Unterhaltsvorschuss, der also für die Zeit danach auch nicht mehr gemäß § 7 Abs. 4 Satz 1 UVG von der Klägerin eingeklagt werden kann.
- Unterhalt für Y. F. von Januar 2005 bis einschließlich Juni 2005: 41 EUR monatlich; ab Juli 2005: 32 EUR monatlich.
Mithin schuldet der Beklagte für die vorgenannten Kinder für die Zeit von Januar bis einschließlich Dezember 2005 einen rückständigen
Unterhalt von jeweils 438 EUR und ab Januar 2006 einen monatlichen Unterhalt von jeweils 32 EUR.
4. Soweit der Beklagte mit seiner in Aussicht gestellten Berufung einen darüber hinausgehenden Wegfall seiner Unterhaltspflicht
begehrt, fehlt es an der gemäß §
114 ZPO erforderlichen Erfolgsaussicht.