Gründe:
Das Familiengericht hat durch Beschluss vom 22.04.2002 im Wege der vorläufigen Anordnung den Verbleib des Kindes bei dem Pflegevater
und die Rückkehr in seinen Haushalt angeordnet. Hiergegen richten sich die Beschwerde des Jugendamtes und die der Kindesmutter,
denen das Familiengericht nicht abgeholfen hat.
Die statthaften und formgerecht eingelegten Beschwerden (§§ 621 Abs. 1 Nr. 3, 621 a Abs. 1
ZPO, 19, 20 Abs. 1, 21 FGG) sind zulässig, aber nicht begründet.
Das Familiengericht war gemäß §
1632 Abs.
4 BGB, 621 Abs. 1 Nr. 3
ZPO befugt zum Erlass der einstweiligen Anordnung. Dem stand - wie das Familiengericht zutreffend ausgeführt hat - nicht entgegen,
dass D vom Pflegevater getrennt wurde (Palandt-Diederichsen, 61. Aufl., § 1632, Rz. 12, 20 m, w. N.). Dem stand auch nicht
entgegen, dass das Tatbestandsmerkmal "seit längerer Zeit" nicht vorgelegen hätte. Das Familiengericht hat diesen Rechtsbegriff
zutreffend ausgelegt und gewertet.
Dem Antrag des Pflegevaters auf Erlass einer Verbleibensanordnung wurde zu Recht stattgegeben. Es kann gegenwärtig nicht festgestellt
werden, dass D durch den Wechsel vom Pflegevater in eine Wohngruppe einer größeren Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe
nicht in seinem Wohl beeinträchtigt wird. Insoweit wird Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen des Familiengerichts.
Da D nicht in den Haushalt seiner Mutter zurückkehren sollte und zurückgekehrt ist, war eine Wegnahme vom Pflegevater nur
unter der Voraussetzung zulässig, dass "mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass die Trennung ... mit
psychischen oder physischen Schäden verbunden" ist. insoweit gelten andere Voraussetzungen als bei einer Rückkehr zu den leiblichen
Eltern, deren Recht nur dann zurücktreten muss, wenn die Aufenthaltsänderung bei dem Kind zu nicht unerheblichen körperlichen
oder seelischen Schäden führt (Bay0bLG, FamRZ 2000, 633, 634; OLG Rostock, FamRZ 2001, 1633; Palandt-Diederichsen, 61. Aufl., § 1632, Rz. 15, 16).
Zwar behauptet das Jugendamt in seiner Beschwerde, es sei eine Rückführung zur leiblichen Mutter beabsichtigt. Diese Behauptung
entbehrt aber jeglicher Darlegung dazu, dass und wie dies in absehbarer Zeit umzusetzen ist. Die Verhältnisse bei der Mutter,
die wegen ihrer Drogenabhängigkeit D Dritten zur Betreuung und Erziehung überlassen hatte, sind völlig ungeklärt. Nach ihrem
eigenen Vortrag wird sie zur Zeit substituiert. Seit Beginn dieses Monats lebt sie in einer Wohngruppe der Bremer Hilfe zur
Selbsthilfe, die sozialtherapeutisch betreut wird und deren Ziel die Wiedereingliederung in den Lebensalltag und die weitere
Stabilisierung ihres Lebens ist (Schriftsatz der Kindesmutter vom 12.04.2002, Bl. 66 d. A.). Sie selbst hat in ihrer Anhörung
vor dem Familiengericht am 17.04.2002 erklärt, sie möchte, dass D in der Einrichtung bleibe. Im übrigen ist nicht nachvollziehbar,
weshalb die Rückführung nicht vorbereitet werden könnte - und in diesem Zusammenhang nicht auch Umgangskontakte mit der Herkunftsfamilie
etabliert werden könnten -, wenn D sich weiter beim Pflegevater aufhält, auch wenn die Situation "augenblicklich stark emotional
angereichert" ist. Angesichts der oben dargestellten Lebensumstände der Mutter dürfte eine Rückführung ohnehin nicht in absehbarer
Zeit erfolgen können.
Eine Wegnahme D' s vom Pflegevater war auch nicht geboten. Es kann nicht festgestellt werden, dass D's Wohl dort gefährdet
war. Zwar ist einzuräumen, dass das Verhalten der Pflegeeltern in der Vergangenheit Zweifel an deren Geeignetheit erwecken.
Dies gilt aber in erster Linie in Bezug auf die Pflegemutter, bei der der Verdacht auf Alkoholmissbrauch ebenso wenig von
der Hand zu weisen ist wie der auf psychische Instabilität. Dieser Verdacht beruht nicht nur auf Anschuldigungen des Pflegevaters.
Dem liegen auch Wahrnehmungen Dritter zugrunde wie die der Mitarbeiterinnen des Kindergartens und der Mitarbeiterin des Jugendamtes,
auf deren Berichte Bezug genommen wird. Demgegenüber kann dem Pflegevater allenfalls vorgeworfen werden, er habe das Jugendamt
nicht unverzüglich über die problematische Situation seiner Ehefrau und die Zerrüttung der Ehe informiert. Dafür, dass sich
dies negativ auf D's Wohl ausgewirkt hätte, bestehen aber - wie das Familiengericht bereits ausgeführt hat - keine Anhaltspunkte.
Die Mitarbeiterin des Jugendamtes teilt in ihrem Bericht vom 17.07.2001, der nach einjährigem Aufenthalt von D in der Pflegefamilie
erstellt wurde, mit, dass D altersgemäß entwickelt sei (mit Ausnahme der Sprachentwicklung) und sich in einem guten Gesundheitszustand
befinde. Weiter heißt es: "Insgesamt hat D im zurückliegenden Jahr eine ganz erhebliche Entwicklung durchgemacht und Entwicklungsrückstände
aufgeholt." (Bl. 23 f. d. A.). Auch nach Bekanntwerden der Problematik in der Pflegefamilie führt die Mitarbeiterin des Jugendamtes
in ihrem Bericht vom 24.01.2002 noch aus, dass sie den Eindruck habe, dem Pflegevater gelinge es weiterhin gut, den Alltag
mit den Kindern zu gestalten. Es bestehe keine Veranlassung, die Kinder aus ihrer vertrauten Umgebung heraus zu nehmen (Bl.
48 d. A.). Vom Kindergarten wurde berichtet, dass D immer pünktlich und gepflegt erschienen sei und den Eindruck erweckt habe,
dass er emotional "gut versorgt" werde (Bl. 85 d. A.). Diese Darstellung wird auch nicht dadurch entkräftet, dass der Kindergarten
sich nicht mit dem Jugendamt in Verbindung gesetzt hat, als Mitarbeiterinnen Alkoholausdünstungen bei der Pflegemutter feststellten.
Zwar mag gegenüber diesem Problem nicht die notwendige Sensibilität vorhanden gewesen sein. Angesichts der Tatsache, dass
zutreffender Weise der Pflegevater als Hauptbetreuungsperson gesehen wurde, die Pflegemutter selten die Kinder abgeholt hat,
dann nicht jedes Mal festgestellt werden konnte, dass die Pflegemutter nach Alkohol roch und im übrigen bei ihr auch keine
Ausfallerscheinungen feststellbar waren, lässt ein in diesem Zusammenhang mangelndes Engagement nicht den Schluss darauf zu,
die übrigen von den Mitarbeitern im Kindergarten gemachten Wahrnehmungen entsprächen nicht den Tatsachen, dies umso weniger,
als die mit dem Kindergarten in unmittelbarem Kontakt stehende Sozialarbeiterin offensichtlich keinen Anlass gesehen hat,
die Angaben der Kindergärtnerinnen zu bezweifeln. In diesem Zusammenhang sei noch angemerkt, dass der Senat in der Tatsache,
dass der Pflegevater die Kinder anlässlich des Gesprächs beim Jugendamt am 07.02.2002 in der Obhut der Pflegemutter gelassen
hat, kein so gravierendes Fehlverhalten des Pflegevaters zu erkennen vermag, dass eine Herausnahme D's gerechtfertigt gewesen
wäre, zumal nach den vorliegenden Berichten davon ausgegangen werden muss, dass die Pflegemutter zu diesem Zeitpunkt jedenfalls
nicht alkoholisiert war.
Soweit das Jugendamt behauptet, der Alkoholkonsum des Pflegevaters selbst sei offensichtlich nicht unerheblich, handelt es
sich um bloße Spekulation. Tatsachen, die einen solchen Schluss rechtfertigen, sind nicht ersichtlich. Diese Behauptung des
Jugendamtes beruht lediglich auf der Erklärung der Sozialarbeiterin im Anhörungstermin am 17.04.2002, die Pflegemutter habe
ihr gegenüber geäußert, der Pflegevater trinke regelmäßig viel Alkohol. Die Erklärung der Sozialarbeiterin hat die im Termin
anwesende Pflegemutter umgehend korrigiert und relativiert.
Auch der weitere, dem Pflegevater gemachte Vorwurf, er habe D keine angemessene Bekleidung mitgegeben, als er ihn nach Bremen
gebracht habe, ist nicht geeignet, ihm die Fähigkeit, D angemessen zu betreuen und zu erziehen, abzusprechen. in diesem Zusammenhang
kann nicht außer Acht gelassen werden, dass der Pflegevater zu dem Zeitpunkt, zu dem er D herausgeben sollte, unter einem
enormen Druck gestanden haben dürfte. In einer Situation, in der sich alles Bestehende aufzulösen scheint, ist das hier zum
Ausdruck gekommene Versagen nicht überzuwerten, zumal im dadurch kein dauerhafter Schaden zugefügt worden sein dürfte.
Der Senat vermag auch von dem geschilderten sexualierten Verhalten D's nicht auf eine Erziehungsungeeignetheit des Pflegevaters
oder gar auf eine Gefährdung D's durch den Pflegevater zu schließen. Zwar kann sexuaiisiertem Verhalten eine Indikatorfunktion
für Missbrauchserfahrungen zukommen. Andererseits ist aber auch anerkannt, dass nicht missbrauchte Kinder ebenfalls sexuelles
Verhalten zeigen können und sich aus dem Auftreten eines sexuellen Verhaltens bei einem Kind allein kaum ein Hinweis oder
gar ein Beleg für einen stattgefundenen sexuellen Missbrauch ableiten lässt (vgl. Offe/Offe in Rutschky/Wolff, Handbuch Sexueller
Missbrauch, S. 279; Volbert in Aman & Wippinger: Sexueller Missbrauch, S. 15 ff.). Welche Bedeutung dem von der Betreuerin
in der Wohngruppe wahrgenommenen und geschilderten Verhalten D's zukommt, wird erst zu beantworten sein, wenn dies im Zusammenhang
mit der Gesamtsituation D's auf der Basis des von der Familienrichterin bereits angeordneten Sachverständigengutachtens gewertet
werden kann. Die bisherigen Wahrnehmungen erfordern jedenfalls nicht die Trennung des Kindes von seiner Hauptbetreuungs- und
vermutlich auch Hauptbezugsperson.
Zwar ist richtig, dass nach Bekanntwerden der problematischen Situation in der Pflegefamilie dem Jugendamt die Verpflichtung
oblag, intervenierend tätig zu werden. Dabei hätte aber das Jugendamt auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten
müssen. Es ist nicht ersichtlich, dass eine sofortige Herausnahme D's aus der Pflegefamilie erforderlich gewesen wäre. Dies
folgt auch nicht aus dem Streit der Pflegeeltern um den Lebensmittelpunkt D's. Aufgabe des Jugendamtes wäre es gewesen, hier
beratend und helfend tätig zu werden. Zur Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie, bei der sich D mit Zustimmung der
personensorgeberechtigten Mutter befand, wäre das Jugendamt gemäß § 43 SGB VIII nur befugt gewesen, wenn Tatsachen bekannt geworden wären, die die Annahme gerechtfertigt hätten, dass die Voraussetzungen
des §
1666 BGB vorliegen und wenn Gefahr im Verzug gewesen wäre. Dass dies der Fall war, kann nicht festgestellt werden. Es kann auch nicht
festgestellt werden, dass eine Rückkehr in den Haushalt des Pflegevaters D stärker gefährdet als ein Verbleib in der Wohngruppe.
Offensichtlich geht das Jugendamt ebenfalls nicht davon aus, dass ein hohes Risiko im Hauhalt des Pflegevaters besteht, denn
es hat die Pflegeschwester bis heute beim Pflegevater belassen und ohne vorschnelle Veränderung von deren Lebensmittelpunkt
eine Überprüfung der Situation eingeleitet.
Die Berechtigung des Jugendamtes, D aus der Pflegefamilie herauszunehmen, ergab sich auch nicht daraus, dass nach dem Vorbringen
des Jugendamtes Bremen das Pflegeverhältnis zwischen den Pflegeeltern und dem Jugendamt zum 11.02.2002 beendet worden sein
soll, wobei dies jedenfalls nicht aus der Tatsache folgt, dass der Pflegevater sich zunächst den Anweisungen des Jugendamtes
Bremen beugte. Aber selbst wenn das Pflegeverhältnis beendet sein sollte, ergibt sich daraus nicht, dass der Erlass einer
Verbleibens- und Rückkehranordnung nicht gerechtfertigt gewesen wäre. Für den Erlass einer derartigen Anordnung ist weder
die Wirksamkeit des Pflegevertrages noch das Vorliegen einer Pflegeerlaubnis Voraussetzung (Palandt-Diederichsen, 61. Aufl.,
§ 1632, Rz. 12).
Bei dieser Sachlage erscheint es geboten, dass D so schnell wie möglich in den Haushalt des Pflegevaters zurückkehrt, damit
sodann mit der angeordneten Begutachtung begonnen werden kann. Angesichts dessen, dass eine Entscheidung in der Hauptsache
kaum vor Ablauf weiterer sechs Monate ergehen dürfte, ist es nicht vertretbar, D in der Einrichtung zu belassen, um ihm einen
weiteren Wechsel zu ersparen. Dem steht auch nicht entgegen, dass D in der Wohngruppe mit seiner leiblichen Schwester zusammenlebt.
Die Bindung an die Pflegeschwester ist in diesem Zusammenhang ebenfalls zu berücksichtigen und wiegt schwerer.
Dem steht ebenfalls nicht entgegen, dass nunmehr die Mutter als alleinige Inhaberin der elterlichen Sorge mit dem Aufenthalt
bei dem Pflegevater nicht mehr einverstanden ist. Nach dem oben Ausgeführten kommt eine Rückführung in den Haushalt der Mutter
zurzeit nicht in Betracht. Durch den Erlass der Verbleibensanordnung ist der Mutter die Befugnis zur Bestimmung des Aufenthaltes
von am entzogen worden. Eine solche Anordnung ersetzt eine Maßnahme nach §
1666 BGB und war als milderes Mittel (Palandt-Diederichsen, 61. Aufl., §
1632, Rz. 10) hier geboten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 13a Abs. 1. S. 2 FGG. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 8 Abs. 2 S. 3 BRAGO.