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OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.02.2008 - I-1 U 128/07
Schadensersatz bei Pflegebedürftigkeit des jugendlichen Unfallopfers; Abgeltung von unentgeltlich erbrachten Pflegeleistungen der Eltern; Höhe des Schmerzensgeldes bei nahezu vollständiger Lähmung
1. Der Schädiger ist verpflichtet, dem Geschädigten im Rahmen des Ersatzes der vermehrten Bedürfnisse auch die ihm gegenüber unentgeltlich erbrachte Pflegetätigkeit angemessen abzugelten. Dazu gehört auch der Aufbau einer angemessenen Altersversorgung der Pflegekraft.
2. Vermehrte elterliche Zuwendung gegenüber einem unfallgeschädigten Kind ist, auch wenn sie mit erheblichem Zeitaufwand verbunden ist, dem Begehren materiellen Schadensersatzes nicht zugänglich.
3. Wer von einem Verwandten verletzt wird, kann kein so hohes Schmerzensgeld verlangen wie ein von einem Fremden Verletzter, da aufgrund der engen familiären Verbundenheit die Genugtuungsfunktion des Schmerzensgelds entfällt.
4. 325000 EUR Schmerzensgeld, eine monatliche Schmerzensgeldrente von 255 EUR (auszubezahlen in Vierteljahresraten) sowie immaterieller Vorbehalt für ein zum Unfallzeitpunkt 15 Monate altes, im Urteilszeitpunkt 15-jähriges Mädchen, das - in dem von ihrer Mutter gesteuerten PKW sitzend - eine motorisch-funktionell komplette hohen Halsmarklähmung unterhalb des 7. Halsmarksegmentes mit Tetraplegie erlitt mit der Folge, dass es lediglich in der Lage ist, die Arme zu bewegen.
Die Lähmungserscheinungen erstrecken sich bis in ihre Finger, so dass sie mit ihren Händen nicht greifen kann und über keinerlei Spreizfunktion verfügt. Die Benutzung der Hände ist in erster Linie nur über den Einsatz der Handballen möglich. Das Mädchen ist nur unter Zuhilfenahme mechanischer Unterstützungsmittel in der Lage, alltägliche Verrichtungen, wie etwa das Schneiden von Lebensmitteln, das Verfassen von Handschriften, die Bedienung einer Computertastatur oder das Putzen der Zähne, durchzuführen. Die Körperpflege ist ihm nur in eingeschränktem Umfang möglich. Besonders beeinträchtigt wird das sich zur Zeit im pubertären Entwicklungsstadium befindliche Mädchen, die ihren Unterkörper nicht selbständig ent- und bekleiden kann, durch die Tatsache, dass sie von einer unkontrollierbaren Darm- und Blasenentleerung betroffen ist. Sie muss bis zu siebenmal täglich katheterisiert werden, wobei sie noch vollständig auf fremde Hilfe angewiesen ist.
Bei der Bestimmung der Schmerzensgeldhöhe wurde berücksichtigt, dass dieser körperlichen Zustand der Klägerin mit gesundheitlichen Zukunftsrisiken einhergeht: Wegen der Querschnittslähmung kann es bei lähmungsbedingt eingeschränkter Atemmechanik zu chronisch rezidivierenden Atemwegsentzündungen kommen, die eine entsprechende Schädigung des Lungengewebes nach sich ziehen können (z.B. Emphysem-Bronchitis). Trotz aller medizinischen Vorsorgemaßnahmen kann als Folge der Lähmung eine deutliche Verkrümmung der Wirbelsäule - eine sog. Skoliose - eintreten, die möglicherweise chirurgische Eingriffe erforderlich macht. Sollten diese aus medizinischen Gründen nicht durchführbar sein, besteht die Gefahr einer Schädigung der Herz- und Lungenfunktion. Bei dem Zustand bestehender Blasenlähmung kann es zu wiederkehrenden und aufsteigenden Infekten sowie zu Schädigungen an Nieren und dem ableitenden Harnsystem kommen, die gegebenenfalls operative Eingriffe notwendig machen oder aber zu einer Einschränkung der Nierenfunktion bis hin zur Dialysepflicht führen können.
Normenkette:
BGB § 253 Abs. 2 (redaktionell eingefügt aufgrund der am 01.08.2002 in Kraft getretenen Rechtsänderung)
,
BGB § 823 Abs. 1
,
BGB § 843 Abs. 1 2. Alternative
,
BGB § 843 Abs. 2
,
BGB § 847 Abs. 1
,
PflVG § 3 Nr. 1
,
SGB VI § 3 Satz 1 Nr. 1a
, ,
StVG § 7 Abs. 1
,
StVG 18 Abs. 1
,
ZPO § 287 Abs. 1
Vorinstanzen: LG Düsseldorf 18.04.2007
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung ihres weitergehenden Rechtsmittels das am 18. April 2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Unter Klageabweisung im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin ei-ne vierteljährliche Rente von 765,-- €, zahlbar in je drei gleichen monatlichen Raten jeweils am 3. Werktag eines jeden Monats, erstmals am 6. Oktober 2003, zu zahlen.
Darüber hinaus wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 120.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 16. März 2004 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus dem Unfall vom 30. November 1994 nach dem 28. März 2007 entstanden sind und künftig entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
Die im ersten Rechtszug angefallenen Kosten werden zu 1/3 der Klägerin und zu 2/3 der Beklagten auferlegt.
Die im Berufungsrechtszug angefallenen Kosten fallen zu 83 % der Klägerin und zu 17 % der Beklagten zur Last. Davon ausgenommen ist die Verpflichtung der Beklagten zur Übernahme von Gerichtskosten in Höhe von 1.256,-- € sowie ihre Verpflichtung, der Klägerin außergerichtliche Kosten in Höhe von 2.199,35 € zu erstatten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 4.000,-- € abzumindern, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 155.000,-- € abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Sicherheitsleistung kann durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse erbracht werden.

Entscheidungstext anzeigen: