Zu den Voraussetzungen eines Anspruchsübergangs auf den Träger der Sozialhilfe wegen unbilliger Härte
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagte aus übergegangenen Unterhaltsansprüchen ihres Vaters für die Zeit vom 01. Mai bis 31. August
2000 in Höhe von 4.124,- DM aufgrund von erbrachten Sozialhilfeleistungen in Anspruch.
Die am 13.02.1939 geborene Beklagte ist das einzige noch lebende Kind aus der seit dem 07. Dezember 1971 geschiedenen Ehe
ihrer Eltern. Ihre Mutter ist verstorben. Die Klägerin ist verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann im Güterstand der Gütergemeinschaft.
Sie ist Rentnerin und verfügte im Zeitraum ab Mai 2000 über Einkünfte aus zwei Renten, die sich nach Abzug von Kosten für
Kranken- und Pflegeversicherung auf zusammen 2.482,09 DM belaufen. Hinzu kamen Zinseinkünfte von monatl. 11,30 DM. Sie wohnt
zusammen mit ihrem Ehemann in einem der gemeinsamen Tochter gehörenden Haus in einer Wohnung, an der ihnen ein dingliches
Wohnrecht zusteht. Mit Darlehensvertrag vom 08.05.2000 hat sie ein Darlehen über 30.000,- DM aufgenommen, welches sie in Monatsraten
von 530,- DM zurückzahlt. Teilweise diente das Darlehen der Ablösung anderer Verbindlichkeiten.
Der Ehemann der Beklagten hatte ab Mai 2000 Renteneinkünfte in Höhe von 2.158,96 DM und Zinseinkünfte von 11,30 DM monatlich.
Der Vater der Beklagten diente als Soldat der deutschen Wehrmacht im zweiten Weltkrieg. Er kam nach mehreren Lazarettaufenthalten
psychisch erkrankt aus dem Krieg zurück und befand sich seit August 1949 ununterbrochen in einer psychiatrischen Klinik in
Goddelau. Seit 1998 lebt er in einem Alten- und Pflegeheim in.
Bis zum Mai 2000 war ein Sparguthaben des Vaters der Beklagten bis auf einen Betrag von 4.500,- DM aufgebraucht. Seitdem erbringt
der Kläger Sozialhilfeleistungen für den Vater der Beklagten. In den Monaten Mai bis August 2000 hat er monatlich Beträge
zwischen 1.368,22 DM und 1.838,- DM an Heimpflegekosten gezahlt.
Mit Wahrungsanzeige vom 10.05.2000, der Beklagten zugestellt am 12.05.2000, teilte der Kläger der Beklagten die Sozialhilfeleistung
für ihren Vater mit und forderte sie zur Auskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse auf. Mit der Klage macht
der Kläger übergegangene Unterhaltsansprüche des Vaters der Beklagten in Höhe von monatlich 1.031,- DM für die Zeit von Mai
bis einschließlich August 2000 geltend.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.124,- DM nebst 6 % Zinsen seit 01.08.2000 sowie 6,25
% Zinsen seit 15.09.2000 zu zahlen. Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen.
Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlich gestellten Anträge weiter. Für den Fall, dass das Berufungsgericht
den Einwand der Beklagten für erheblich hält, das ihr Vater vorrangig auf das vorhandene Barvermögen von 4.500,- DM zur Deckung
seines Unterhaltsbedarfs zu verweisen sei, beantragt der Kläger hilfsweise,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger rückständigen Unterhalt in Höhe von 9.853,70 DM für die Zeit von August 2000 bis
Juni 2001 nebst 6 % Zinsen hieraus ab Zustellung dieses Antrags zu zahlen.
Er stützt diesen Antrag auf übergegangene Unterhaltsansprüche in Höhe von monatlich 1.031,- DM für die Zeit von August bis
Juni 2001.
Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.
Sie macht im wesentlichen geltend, dass ihre Inanspruchnahme im Hinblick darauf, das ihr Vater unheilbar krank aus dem Krieg
zurückgekehrt sei, unbillig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen
Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist unbegründet.
Unterhaltsansprüche des Vaters der Beklagten gegen diese sind nicht auf den Kläger übergegangen, da der Anspruchsübergang
eine unbillige Härte für die Beklagte bedeuten würde (§ 91 Abs. 2 S. 2 HS. 1 BSHG).
Die Klägerin ist allerdings ihrem Vater gegenüber nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zum Unterhalt verpflichtet
(§
1601
BGB). Sie ist auch in der Lage, ohne Gefährdung ihres angemessenen Unterhalts zum Unterhalt ihres Vaters beizutragen (§
1603
BGB). Aufgrund der zwischen ihr und ihrem Ehemann bestehenden Gütergemeinschaft ist für die Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit
gem. §
1604 S. 1
BGB auch das Einkommen ihres Ehemanns heranzuziehen. Die Leistungsfähigkeit beurteilt sich dann allerdings unter Berücksichtigung
des angemessenen Eigenbedarfs der Beklagten und ihres Ehemannes. Auch unter Berücksichtigung der Kreditverbindlichkeiten könnte
die Klägerin danach noch zum Unterhalt ihres Ehemannes beitragen. Wegen der Berechnung im einzelnen wird auf das den Parteien
übersandte, Votum vom 20.08.2001 verwiesen.
Unterhaltsansprüche des Vaters der Beklagten sind ihr gegenüber auch nicht verwirkt. Ihr Vater ist weder durch sittliches
Verschulden bedürftig geworden, noch hat er seine eigene Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihr gröblich vernachlässigt, noch
hat er sich vorsätzlich einer schweren Verfehlung gegen die Beklagte oder einen ihrer nahen Angehörigen schuldig gemacht (§
1611
BGB). Denn ihr Vater ist unverschuldet in eine Situation geraten, in der er sich während der Kindheit der Beklagten nicht um
sie kümmern und ihren Unterhalt sichern konnte.
Der Unterhaltsanspruch ihres Vaters ist jedoch auf den Kläger nicht übergegangen. Der Senat teilt die Auffassung des Amtsgerichts,
dass der Übergang des Unterhaltsanspruchs auf den Kläger als Sozialhilfeträger eine unbillige Härte für die Beklagte bedeuten
würde.
Es ist anerkannt, das eine Härte im Sinne des § 91 Abs. 2 S. 2 HS. 1 BSHG (allgemeine Härteregelung) vorliegt, wenn durch die Heranziehung des Unterhaltspflichtigen soziale Belange vernachlässigt
werden müssten (BVerwGE, Band 58, Seite 209; Fichtner - Schäfer BSHG, 1. Auflage 1999, Randnummer 41; Schellhorn und andere BSHG, 15. Auflage 1997, § 91 Randnummer 88). Die Beeinträchtigung sozialer Belange ist in vielfältigen Fallkonstellationen denkbar. In der Rechtsprechung
werden die Fälle erörtert, in denen
- die Höhe des Heranziehungsbetrages in keinem Verhältnis zu einer etwa heraufbeschworenen nachhaltigen Störung des Familinfriedens
steht,
- die Heranziehung das weitere Verbleiben des Hilfeempfängers im Familienverband gefährdet,
- der Unterhaltsverpflichtete vor dem Eintreten der Sozialhilfe den Hilfeempfänger in einem über das Maß seiner Unterhaltspflicht
hinausgehenden Weise betreut und gepflegt hat.
Der vorliegende Fall lässt sich zwar unter keiner dieser Fallgruppen subsumieren. Er ist jedoch dadurch gekennzeichnet, das
bei einer Heranziehung der Beklagten in ähnlicher Weise soziale Belange beeinträchtigt würden. Dies folgt daraus, dass der
Beklagten, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, bereits ein besonderes Opfer dadurch auferlegt wurde, dass sie aufgrund
der Kriegsfolgen, von denen ihr Vater betroffen war, während eines erheblichen Zeitraums ihrer Kindheit emotionale und materielle
Zuwendung ihres Vaters entbehren musste. Zwar war es für die Angehörigen der Generation der Beklagten nichts ungewöhnliches,
dass sie über Jahre hinweg den Vater wegen dessen Teilnahme am zweiten Weltkrieg entbehren mussten. Die Situation der Beklagten
war aber zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass ihr Vater psychisch gestört aus dem Krieg zurückkam, die Familie nicht versorgen
konnte und der Beklagten nicht die Zuwendung zukommen lassen konnte, die ein Kind unter gewöhnlichen Umständen von seinem
Vater erfährt. Unter diesen Umständen wäre es sozial ungerechtfertigt, wenn die Beklagte heute von der öffentlichen Hand für
den Unterhalt ihres Vaters in Anspruch genommen würde, nachdem der damalige Unrechtsstaat ihr die Zuwendung und Versorgung
durch ihren Vater in wesentlichen Teilen genommen hatte. Daran, dass die Kriegserlebnisse des Vaters ursächlich für die psychische
Erkrankung waren, besteht anhand des zeitlichen Ablaufs nach der Lebenserfahrung kein Zweifel.
Angesichts dieser Sach- und Rechtslage bestand auch kein Ermessensspielraum für den Kläger bei der Frage der Geltendmachung
von Unterhaltsansprüchen gegen die Beklagte. Die Änderung des § 91
BSHG durch Gesetz vom 23.06.1993 (Bundesgesetzblatt I Seite 944, 952) hat die bis dahin bestehende Soll- Vorschrift, die ihrerseits eine früher bestehende Kann- Vorschrift abgelöst hatte,
durch eine zwingende Vorschrift ersetzt. Der Forderungsübergang beruht nicht mehr auf einem Verwaltungsakt der Behörde, die
insoweit einen Ermessensspielraum hatte. Der Forderungsübergang erfolgt nunmehr kraft Gesetzes, wobei es sich bei der Härteregelung
um einen unbestimmten Gesetzesbegriff handelt, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt (Fichtner - Schäfer aaO
Randnummer 41).
Der Hilfsantrag des Klägers ist gegenstandslos, da er nur für den Fall gestellt war, das die Entscheidung darauf gestützt
würde, der Beklagte müsse sein Sparguthaben von 4.500,- DM vorrangig angreifen. Hierauf ist die Entscheidung indessen nicht
gestützt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
97
ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§
108,
708 Nr. 10,
711
ZPO.
Der Senat hat die Revision zugelassen, da die Frage ob die vorliegende Fallkonstellation zum Ausschluss des Forderungsübergangs
nach § 91 Abs. 2 S. 2 1. HS BSHG führt, grundsätzliche Bedeutung hat (§§ 546 Abs. 1 S. 2. Nr.
1, 621 d Abs. 1
ZPO).