Verfügungsgrund bei einstweiliger Verfügung auf Zahlung von Unterhalt für Vergangenheit und Zukunft
1. Soweit ein Unterhaltsberechtigter nicht nur vorübergehend Leistungen der Sozialhilfe erhält, fehlt für eine einstweilige
Verfügung auf Zahlung von Unterhalt für Vergangenheit und Zukunft ein Verfügungsgrund.
2. Entscheidend ist insofern nicht die Subsidiarität der öffentlichen Hilfe sondern allein die prozessuale Frage, ob eine
einstweilige Verfügung auf Leistung zulässig sein soll, wenn rein tatsächlich keine Not zu wenden ist.
3. Zudem ist es auch angesichts knapper Ressourcen bei der Justiz und in den öffentlichen Kassen prozeßökonomischer, wenn
das Sozialamt gleich in eigener Regie die übergegangenen und die zukünftigen Unterhaltsansprüche in einem Hauptsacheprozeß
geltend macht.
Gründe:
Zu 1)
Die beabsichtigte Berufung der Verfügungsklägerin gegen das abweisende Urteil des Amtsgerichts -Familiengericht- Darmstadt
vom 03.12.1996 bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg i.S. der §§
114,
119
ZPO.
Es kann dahinstehen, ob die Verfügungsklägerin einen Verfügungsanspruch auf Leistung von Unterhalt gegen den Verfügungsbeklagten
hat - entscheidend ist vielmehr, dass sie keinen Verfügungsgrund, also eine Notlage, glaubhaft gemacht hat.
Es entspricht der seit einiger Zeit ständigen Rechtsprechung der Frankfurter Familiensenate, die sich in Übereinstimmung mit
der veröffentlichten Mehrheit anderer Oberlandesgerichte befindet, dass es an einem Verfügungsgrund dann fehlt, wenn der oder
die Unterhaltsberechtigten rein tatsächlich deswegen keine Not leiden, weil ihre elementaren Unterhaltsbedürfnisse durch laufende
Sozialhilfe abgedeckt werden (vgl. Gießler, Vorläufiger Rechtsschutz in Ehe-, Familien- und Kindschaftssachen, 2. Aufl., 1993,
Rdn. 533). Die gegenläufige Argumentation, insbesondere auch der Verfügungsklägerin stellt demgegenüber auf die Subsidiarität
der öffentlichen Hilfe ab. Das ist aber nicht der Punkt. Es geht allein um die prozessuale Frage, ob eine einstweilige Verfügung
auf Leistung zulässig sein soll, wenn rein tatsächlich keine Not zu wenden ist, sie also nicht notwendig ist, ist doch die
Leistungsverfügung ein von der Rechtsprechung in die §§
935,
940
ZPO hineininterpretierter Rechtsbehelf, der angesichts seines summarischen Charakters, insbesondere wegen der begrenzten Beweismittel,
für den Unterhaltsschuldner recht gefährlich ist, eben dann, wenn im Falle seines Obsiegens im anschließenden Hauptsacheverfahren
beim Unterhaltsgläubiger nichts zurückzuholen ist. Soweit es um bereits fällige und vom Sozialamt abgedeckte Unterhaltsansprüche
geht, ist also der Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht notwendig. Im Gegensatz zu Gießler, aaO., m.w.N. und zur Verfügungsklägerin,
aber in Übereinstimmung mit dem Familienrichter des Amtsgerichts Darmstadt und der von diesem zitierten Entscheidung des OLG
Nürnberg in FamRZ 1995, 184 Nr. 102 hält auch der beschließende Senat nunmehr folgenden Rechtssatz für gesetzeskonform: Soweit ein Unterhaltsberechtigter
nicht nur vorübergehend Leistungen der Sozialhilfe erhält, fehlt für eine einstweilige Verfügung auf Zahlung von Unterhalt
für Vergangenheit und Zukunft ein Verfügungsgrund. Soweit also zu erwarten ist, dass die Sozialhilfe - wie hier s.u. - auch
für die nähere Zukunft geleistet werden wird, besteht ein Bedürfnis für den Erlass einer einstweiligen Leistungsverfügung
nicht (mehr). Zu dieser neueren Auffassung sieht sich der Senat auch deswegen veranlasst, weil aufgrund der Änderung des §
91
BSHG im Sommer 1993 die vom Sozialamt befriedigten Unterhaltsansprüche in der Regel ohne weiteres (ex lege, cessio legis) auf
diese Behörde übergehen, und zwar ständig von Monat zu Monat. Je nach erst- und/oder- zweitinstanzlicher Verfahrensdauer muss
in der jeweils letzten mündlichen Verhandlung der Antrag vom Verfügungskläger auf Leistung an das zuständige Sozialamt umgestellt
werden, welche Behörde sich naturgemäß nicht in Not befindet. Aber auch nach Erlass einer einstweiligen Verfügung bis zur
einer eventuellen Zwangsvollstreckung gehen die Ansprüche weiterhin auf das Sozialamt über - kurz: es verbleibt eigentlich
nur ein recht schmaler Zeitraum, in dem die angeordnete Leistungsverfügung direkt an den unterhaltsgläubiger zu erbringen
wäre. Es ist daher auch angesichts knapper Ressourcen bei der Justiz und in den öffentlichen Kassen prozessökonomischer, wenn
das Sozialamt gleich in eigener Regie einen entsprechenden Hauptsacheprozess anstrengt, und zwar auch auf künftige Leistung,
was § 91 Abs. 3 Satz 2 BSHG ausdrücklich zulässt (auf die Problematik der Zulässigkeit einer eventuellen Rückabtretung auf den Unterhaltsgläubiger, wie
sie der neue Absatz 4 des BSHG ab dem 01.08.1996 grundsätzlich zulässt, braucht der Senat hier mangels Veranlassung nicht einzugehen).
Das OLG Köln (FamRZ 1996, 1430) sieht diese vorstehend wiedergegebene Rechtsauffassung im Widerspruch zu der Tatsache stehen, dass bei Anhängigkeit einer
Ehesache ohne weiteres der Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Leistung von Ehegatten- und Kindesunterhalt gemäß § 620
ZPO zulässig ist. Aber: während die einstweilige Leistungsverfügung lediglich Richterrecht darstellt, also auch von der Rechtsprechung
geändert werden kann, ist der in § 620
ZPO normierte vorläufige Rechtsschutz eine Spezialregelung, die von der Rechtsprechung, eben weil Gesetz, zu respektieren ist.
Aber auch hier gelten bei Sozialhilfebezug zumindest für inzwischen jeweils abgelaufene Zeiträume die gleichen Bedenken bezüglich
ihrer Notwendigkeit wie bei der einstweiligen Leistungsverfügung (aber auch dies muss hier nicht weiter vertieft werden).
Um auf den konkreten Fall zurückzukommen, wie er dem Senat unterbreitet worden ist: in dem Sozialhilfebescheid der Sozialverwaltung
der Stadt ... vom 23.12.1996 zugunsten der Verfügungsklägerin und ihres Kindes heißt es, dass die bewilligte Sozialhilfe "uneingeschränkt
ohne Antrag weitergewährt wird, solange die gesetzlichen Voraussetzungen ... weiterhin vorliegen". Damit ist für die Verfügungsklägerin
gesorgt, sie leidet keine Not, ein Verfügungsgrund ist also nicht gegeben, der Erlass einer einstweiligen Leistungsverfügung
scheitert also an der besonderen Prozessvoraussetzung des mangelnden Verfügungsgrundes.
Zu II.
Die vorstehenden Ausführungen gelten auch bezüglich der von der Verfügungsklägerin eingelegten Beschwerde, die dementsprechend
zurückzuweisen war. Das Amtsgericht hatte noch rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung vom 03.12.1996 am 25.11.1996 die
Prozesskostenhilfe versagt, so dass die Verfügungsklägerin sich mit ihrer Antragstellung darauf noch vor der mündlichen Verhandlung
einstellen konnte. Im Hinblick darauf, dass, wie auch der Beschwerdeschriftsatz vom 03.1.2.1996 hervorhebt, die Verfügungsklägerin
"nach wie vor" Sozialhilfe erhielt/erhält, bestand für das Amtsgericht keine Notwendigkeit, noch schneller zu agieren.
Damit erweist sich das erst- und zweitinstanzliche Begehren der Antragstellerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe als unbegründet.