Übergang von Unterhaltsansprüchen des Hilfeempfängers auf Sozialhilfeträger - Anrechnung fiktiver Einkünfte - Leistungen der
Unterhaltsvorschusskasse - Geltendmachung des Unterhaltsanspruch durch Hilfeempfänger - Pflichten des Unterhaltsverpflichteten
- Initiative zur Arbeitssuche - Überstunden und Nebenbeschäftigung - Schulden
1. Aus dem Grundsatz, dass niemand durch die Erfüllung einer Unterhaltspflicht selbst sozialhilfebedürftig werden darf, folgt,
dass der Übergang eines Unterhaltsanspruchs eines Hilfeempfängers auf den Träger der Sozialhilfe ausgeschlossen ist, soweit
der Anspruch darauf beruht, dass der Unterhaltspflichtige sich fiktive Einkünfte zurechnen lassen muss, die er durch zumutbare
Erwerbstätigkeit erzielen könnte.
2. Dies gilt auch bei Leistungen der Unterhaltsvorschusskasse, auch wenn § 7 UVG keine dem § 91 Abs. 2 S. 1 BSHG entsprechende Schutzvorschrift für den Schuldner enthält.
3. Soweit der Unterhaltsanspruch nicht auf den Träger der Sozialhilfe bzw. der Unterhaltsvorschusskasse übergeht, ist der
Unterhaltsberechtigte trotz laufender öffentlicher Leistungen berechtigt, den Unterhalt gegen den Unterhaltspflichtigen geltend
zu machen, da die Gewährung von Sozialhilfe oder Unterhaltsvorschuss im Rechtssinn nicht als unterhaltsrechtlich bedarfsdeckende
Leistung zu behandeln ist.
4. Wer als Arbeitsloser minderjährigen Kindern zu Unterhalt verpflichtet ist, muss sich neben der Meldung beim Arbeitsamt
persönlich durch Vorsprachen und schriftliche Bewerbungen um Arbeit bemühen, nötigenfalls auch über den örtlichen Bereich
hinaus. Insgesamt ist eine bestmögliche Privatinitiative zu entfalten.
5. Im Rahmen einer bestehenden Beschäftigung müssen zur Deckung des Mindesunterhalts Überstunden geleistet und gegebenenfalls
auch eine Nebentätigkeit aufgenommen werden.
6. Schulden, die bereits die ehelichen Lebensverhältnisse geprägt haben, sind grundsätzlich zu berücksichtigen, da Kinder
wirtschaftlich unselbständig und von den Einkommensverhältnissen der Eltern und deren Konsumverhalten abhängig sind. Minderjährige
Kinder müssen jedoch wenigstens den Regelbetrag erhalten, da bei ihnen mindestens bis zum Ende der Schulzeit von vornherein
die Möglichkeit ausscheidet, durch eigene Anstrengung zur Deckung des Unterhaltsbedarfs beizutragen, und sie anders als der
Ehegatte keinen Einfluss auf die Entstehung von Schulden hatten.
Tatbestand:
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §
543 Abs.
1
ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache zum Teil Erfolg.
Die Klägerin kann von dem Beklagten für die gemeinsamen Kinder den Mindestunterhalt nach der Hammer Leitlinie gemäß §§ 1601,
1602 Abs.
1,
1603 Abs.
2,
1610
BGB verlangen.
1.
Obwohl das Urteil des Amtsgericht an einem erheblichen Verfahrensfehler leidet, hält es der Senat für sachdienlich gemäß §
540
ZPO in der Sache selbst zu entscheiden.
Die fehlerhafte Behandlung von Parteivorbringen, insbesondere der Verstoß gegen §
308 Abs.
1
ZPO, stellt einen schwerwiegenden Verfahrensfehler gemäß §
539
ZPO dar: Gemäß §
308 Abs.
1 Satz 1
ZPO darf das Gericht einer Partei nicht mehr zusprechen, als beantragt worden ist. Diese Vorschrift hat das Amtsgericht verletzt,
indem es einen Kindesunterhalt von jeweils 424,00 DM bzw. 431,00 DM pro Monat zugesprochen hat, obschon die Klägerin nur einen
monatlichen Kindesunterhalt von jeweils 272,49 DM begehrt hat.
2.
Die Klägerin kann die Zahlung der Unterhaltsbeträge an sich verlangen, obwohl sie in der mündlichen Verhandlung vom 15.03.1999
beantragt hat, ab Mai 1999 bis einschließlich März 2000 den Unterhalt an das Land Nordrhein-Westfalen zu zahlen. Dieser der
Auslegung (§
133
BGB) zugängliche Antrag ist unter Einbeziehung der Begründung dahingehend zu verstehen, dass die Klägerin hilfsweise Zahlung
an sich selbst fordern wollte.
3.
Die Klägerin ist im Hinblick auf die gesetzlichen Unterhaltsansprüche der beiden Kinder gemäß §
1629 Abs.
3
BGB prozessführungsbefugt; darüber hinaus sind die Kinder aktiv legitimiert.
Trotz der Leistung von Unterhaltsvorschuss und Sozialhilfe ist der Unterhaltsanspruch in Höhe der geleisteten Aufwendungen
nicht kraft Gesetzes auf das Land als Träger der Sozialleistung und auf die Stadt ... als Träger der Sozialhilfe übergegangen.
Allerdings bestimmt § 7 Abs. 1
UVG, dass ein bürgerlichrechtlicher Unterhaltsanspruch bei Gewährung von Unterhaltsleistungen durch das Land auf dieses übergeht;
auch gibt es im UVG keine dem § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG entsprechende Schutzvorschrift für den Schuldner. Indes muss der Grundsatz, dass niemand durch die Erfüllung einer Unterhaltspflicht
selbst sozialhilfebedürftig werden darf, auch im Rahmen des § 7
UVG gelten, da er letztlich aus dem Verfassungsrecht herzuleiten ist. Aus diesem Grund sind fiktive Einkünfte kein Einkommen
im Sinne des Sozialhilferechts. Daher ist der Übergang eines nach bürgerlichem Recht bestehenden Unterhaltsanspruches eines
Hilfeempfängers auf den Träger der Sozialhilfe ausgeschlossen, soweit der Anspruch darauf beruht, dass der Unterhaltspflichtige
sich fiktive Einkünfte zurechnen lassen muss, die er durch zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könnte. Auch das Land, das
den Unterhaltsvorschuss gewährt, darf durch Geltendmachung des Unterhaltsanspruches gegen den Schuldner nicht dazu beitragen,
dass dieser sozialhilfebedürftig wird. Deshalb findet ein Übergang des Unterhaltsanspruches nach § 7 Abs. 1
UVG nicht statt, wenn dem Schuldner bei Zahlung des Unterhalts weniger als der Bedarf nach Sozialhilferecht verbleiben würde
(vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 99, 1020, 1021; Wendl/Scholz, Unterhaltsrecht, 4. Aufl., § 6 Rdn. 576).
Es ist also eine sozialhilferechtliche Vergleichsberechnung durchzuführen und in deren Rahmen auf das effektive Einkommen
des Schuldners, hier die vom Beklagten bezogene Arbeitslosenhilfe in Höhe von 254,59 DM pro Woche und das Gehalt im Monat
Juli 1999 in Höhe von 1.384,65 DM und im August 1999 in Höhe von 1.517,73 DM abzustellen. Insgesamt errechnen sich unter Einbeziehung
des in den Monaten Juli und August 1999 erzielten Verdienstes durchschnittliche Einnahmen in Höhe von 1.151,00 DM pro Monat.
Als sozialhilferechtlicher Bedarf müssen dem Beklagten im Jahr 1999 der Regelsatz nach § 22
BSHG in der für Nordrhein-Westfalen maßgeblichen Höhe von 540,00 DM verbleiben, ferner 20 % des Regelsatzes als Pauschale für
einmalige Leistungen mit 108,00 DM sowie der Mietaufwand von 540,00 DM, insgesamt also 1.188,00 DM. Da das durchschnittliche
Einkommen des Beklagten unter dem sozialhilferechtlichen Bedarf liegt, ist kein Unterhaltsanspruch nach § 7 Abs. 1
UVG auf das Land übergegangen. Dieses Ergebnis folgt auch im Januar 2000, in dem der Beklagte lediglich Arbeitslosenhilfe bezogen
hat; seit Februar 2000 erhält der Beklagte selbst Sozialhilfe, so dass insoweit kein Unterhaltsanspruch übergehen konnte.
Gleiches gilt für den Übergang auf den Sozialhilfeträger gemäß § 91 Abs. 2
BSHG.
4.
Der Unterhaltsbedarf der beiden Kinder beträgt gemäß Einordnung in die zweite Altersstufe der Hammer Leitlinien jeweils 424,00
DM bis Juni 1999 und 431,00 DM ab Juli 1999. Da die Klägerin für ihre beiden Kinder keinen höheren Bedarf geltend macht, muss
sie das Einkommen des Beklagten entgegen seiner Ansicht nicht näher darlegen. Denn das Kind hat lediglich das anrechnungsfähige
Nettoeinkommen des Barunterhaltspflichtigen für die jeweilige Einkommensgruppe darzulegen, wenn es einen höheren Bedarf als
den aus der ersten Gruppe begehrt. Im Übrigen muss der Verpflichtete seine behauptete Leistungsunfähigkeit nachweisen.
Der Beklagte ist zur Zahlung des Mindestunterhalts ohne Gefährdung seines notwendigen Selbstbehalts leistungsfähig. Vorliegend
ist dem Beklagten fiktiv ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 2.500,00 DM zuzuordnen, denn er hat sich nicht ernsthaft
um eine vollschichtige Erwerbstätigkeit bemüht.
Der Beklagte ist während der Arbeitslosigkeit im Hinblick auf seine gesteigerte Erwerbsobliegenheit gegenüber den minderjährigen
Kindern verpflichtet, sich ernsthaft um eine vollschichtige Erwerbstätigkeit zu bemühen. Zusätzlich zur Meldung beim Arbeitsamt
bedarf es persönlicher Bewerbungen durch Vorsprachen und schriftliche Bewerbungen, nötigenfalls auch über den örtlichen Bereich
hinaus. Insgesamt ist eine bestmögliche Privatinitiative zu entfalten.
In diesem Fall hat der Beklagte nicht dargelegt, dass er sich ernsthaft um eine Arbeitsstelle bemüht hat. Die von ihm mitgeteilten
Bewerbungen reichen bei weitem nicht aus, um den an ihn gestellten Anforderungen zu genügen. Schriftliche Bewerbungen fehlen
völlig. Bislang hat der Beklagte auch nicht dargetan, dass er eine Beschäftigung bei ausreichenden Bemühungen nicht erhalten
hätte. Aus diesem Grund muss sich der Beklagte an einem Gehalt festhalten lassen, das er mit der Qualifikation als Maschinenführer
hätte erzielen können. Ausweislich der vorgelegten Bescheide des Arbeitsamtes über die Gewährung von Arbeitslosenhilfe hat
dieses bei der Berechnung des Leistungsbetrages ein Bemessungsentgelt von wöchentliche 700,00 DM angenommen, was einen monatlichen
Betrag von 3.000,00 DM entspricht. Ausgangspunkt dieser Bemessungsgrundlage ist das um die gesetzlichen Abzüge verminderte
gewöhnlich anfallende Arbeitsentgelt. Bei Einbeziehung dieser Grundlagen hält es der Senat für möglich, dass der Beklagte
bei einem entsprechendem Bemühen eine Arbeitsstelle mit einem monatlichen Nettoverdienst von 2.500,00 DM hätte bekommen können.
Allein die Arbeitslosigkeit über einen Zeitraum von 7 Jahren belegt noch nicht, dass der Beklagte bei gehöriger Anstrengung
nicht eine Arbeitsstelle mit einem ausreichenden Einkommen hätte finden können. Denn die fehlende Beschäftigung ist auf eine
Arbeitsunlust des Beklagten zurückzuführen.
Der Beklagte kann sich ebenfalls nicht mit Erfolg auf seine Tätigkeit bei der Firma ... in den Monaten Juli und August 1999
berufen: In Anbetracht des geringen Verdienstes bei diesem Arbeitgeber wäre der Beklagte gehalten gewesen, sich weiter um
eine Arbeit mit einem Einkommen zu bemühen, das ihn in die Lage versetzt hätte, wenigstens den Mindestunterhalt seiner beiden
minderjährigen Kinder sicher zu stellen. Darüber hinaus wäre der Beklagte in Anbetracht der minderjährigen Kinder verpflichtet
gewesen, die Arbeitskraft gesteigert auszunutzen. Angesichts der die Eltern treffenden gesteigerten Erwerbsobliegenheit sind
ihnen zusätzliche Anstrengungen zuzumuten. Sie müssen notfalls Überstunden leisten oder Nebenbeschäftigungen aufnehmen, um
den Mindestunterhalt ihrer minderjährigen Kinder zu decken. Dem gemäß hätte der Beklagte neben seiner Beschäftigung bei der
Firma ... noch einen Nebenjob annehmen müssen. Insgesamt ist der Beklagte deshalb an einem Verdienst fiktiv festzuhalten,
den er als Maschinenführer hätte erhalten können. Im Hinblick auf die Bemessungsgrundlage des Arbeitsamtes ist mithin ein
Gehalt von 2.500,00 DM netto im Monat anzunehmen.
Von diesem Einkommen kann der Beklagte nicht seine Schulden bei der ... abziehen. Grundsätzlich sind Schulden berücksichtigungswürdig,
die bereits die ehelichen Lebensverhältnisse der Eltern geprägt haben, denn die Kinder sind wirtschaftlich unselbstständig
und von den Einkommensverhältnissen der Eltern und deren Konsumverhalten abhängig. Zu beachten ist aber, dass minderjährige
Kinder bei Vorhandensein einer erheblichen Verschuldung auf jeden Fall den Regelunterhaltsbedarf erhalten. Insoweit fällt
entscheidend ins Gewicht, dass bei minderjährigen Kindern zumindest bis zum Ende der Schulpflicht von vornherein jede Möglichkeit
ausscheidet, durch eigene Anstrengungen zur Deckung des notwendigen Unterhaltsbedarfes beizutragen, so dass sie besonders
schutzwürdig sind. Außerdem haben Kinder im Gegensatz zu Ehegatten keinen Einfluss auf die Entstehung der Schulden.
Aus diesem Grund führt die nach Billigkeitsgrundsätzen vorzunehmende Abwägung der berechtigten Interessen des Verpflichteten
und der minderjährigen Kinder zu keiner Berücksichtigung der Schulden.
6.
Trotz des fehlenden Überganges des Unterhaltsanspruches auf die Träger des Unterhaltsvorschusses und der Sozialhilfe sind
die erbrachten Sozialleistungen nicht bedarfsdeckend. Der Grundsatz der Subsidiarität des Unterhaltsvorschusses und der Sozialhilfe
wird nicht davon berührt, ob und in welchem Umfang im Einzelfall ein Unterhaltsanspruch nach der Gewährung von Sozialleistungen
von einem nach bürgerlichem Recht Unterhaltsverpflichteten übergeht. Da das bürgerlich-rechtliche Unterhaltsverhältnis durch
das Unterhaltsvorschussgesetz und das Bundessozialhilfegesetz nicht berührt wird, haben die Leistungen nach diesen Gesetzen keinen Einfluss auf den Inhalt und Umfang des Unterhaltsanspruches
und der Unterhaltsverpflichtung. Die Gewährung von Unterhaltsvorschuss und von Sozialhilfe ist dem gemäß im Rechtssinn nicht
als unterhaltsrechtlich bedarfsdeckende Leistung zu behandeln. Es besteht auch kein sachlich gerechtfertigter Grund, diese
Rechtslage anders zu beurteilen, soweit aus sozialhilferechtlichen Gründen ein Übergang des Unterhaltsanspruches auf die Träger
des Unterhaltsvorschusses und der Sozialhilfe ausscheidet (vgl. BGH, NJW 99, 2365, 2368).
Aus diesen Gründen ist die Klägerin nicht gehindert, die Ansprüche selbst gegenüber dem Beklagten geltend zu machen. Angesichts
der unterschiedlichen Zielsetzung und des Mangels inhaltlicher Übereinstimmung von Unterhalts- und Sozialrecht steht diesem
Ergebnis auch die Schuldnerschutzvorschrift des § 91 Abs. 2
BSHG nicht entgegen (vgl. BGH, aaO.).
In dem vorliegenden Fall hält es der Senat im Rahmen des §
242
BGB nicht für angezeigt, den Beklagten von seiner Unterhaltsverpflichtung zumindest für die Vergangenheit zu befreien. Denn der
Unterhaltsschuldner wird nicht mit derartig hohen Forderung aus der Vergangenheit belastet, dass es ihm voraussichtlich auf
Dauer unmöglich gemacht würde, diese Schulden zu tilgen und daneben noch seinen laufenden Verpflichtungen nachzukommen. Insoweit
sind bis zur Zustellung der Klageschrift als entscheidenden Zeitpunkt im Mai 1999 lediglich Rückstände von 2 Monaten aufgelaufen.
7.
Unter Berücksichtigung des hälftigen Kindergeldes kann die Klägerin für ihre beiden Kinder bis zum Juni 1999 einen Unterhalt
von jeweils 299,00 DM, für die Zeit von Juli bis Dezember 1999 von jeweils 306,00 DM und ab Januar 2000 in Höhe von jeweils
296,00 DM verlangen.
8.
Der Kostenausspruch folgt aus §§
97 Abs.
1,
92 Abs.
1
ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§
708 Nr. 10,
711, 713
ZPO.