Umfang des Übergangs von Unterhaltsansprüchen auf den Träger der Sozialhilfe
Entscheidungsgründe:
Die klagende Gemeinde (im folgenden: Klägerin) macht als Sozialhilfeträger Ansprüche aus übergegangenem Recht geltend, weil
sie der geschiedenen Ehefrau des Beklagten - die Ehe wurde durch Urteil des AG Bonn vom 7. April 1994 geschieden - im Zeitraum
vom 1. Mai 1994 bis zum 31. Dezember 1994 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt hat. Aus der Ehe des Beklagten mit ...
ging ein Kind hervor, ..., geboren am ... April 19... .
Das Amtsgericht gab der Klage überwiegend statt. Dagegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der die Klage insgesamt
abgewiesen haben möchte.
Die Berufung hat in vollem Umfang Erfolg; die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin macht Ansprüche aus übergegangenem Recht auf nachehelichen Unterhalt geltend (§§ 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG,
1570
BGB). Dies setzt zum einen das Bestehen eines bürgerlichrechtlichen Anspruchs (vgl. etwa die Empfehlungen des Deutschen Vereins
für öffentliche und private Fürsorge für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger in der Sozialhilfe, Vorbemerkung 2, FamRZ
1995, 1327), zum anderen den Übergang dieses Anspruchs voraus.
Beide Voraussetzungen liegen nicht vor.
1.
Die Klägerin hat nicht ausreichend substantiiert den Unterhaltsanspruch von ... vorgetragen. Dieser Anspruch kann zwar vom
Grundsatz her bestehen, weil ... das fünfjährige Kind ... betreut (§
1570
BGB). Es ist aber offen, ob sie nicht selbst in der Lage war, ihren sich aus den ehelichen Lebensverhältnissen (§
1578 Abs.
1 Satz 1
BGB) ergebenden Unterhaltsbedarf zu decken, denn dieser Bedarf lässt sich nach dem Vortrag der Klägerin nicht feststellen.
Es kann nicht unterstellt werden, der Bedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen stimme mit dem sozialhilferechtlichen
Bedarf überein, wie er von der Klägerin dargelegt ist. Dies schon deshalb nicht, weil hier nur ein Bedarf zugrundegelegt ist,
der ab Mai 1994, also nach der Scheidung bestand, im Übrigen aber auch nach völlig anderen Grundsätzen ermittelt wird als
der Unterhaltsbedarf.
Ebenso wenig kann von einem Mindestbedarf - etwa in Höhe des notwendigen Eigenbedarfs nach der Düsseldorfer Tabelle - ausgegangen
werden. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs(zuletzt bestätigt in BGH, FamRZ 1995, 346), der der Senat in ständiger Rechtsprechung folgt, maßgebend, was konkret als verteilungsfähiges Einkommen bis zur Scheidung
für Unterhaltszwecke verwendet werden konnte. Dazu hat die Klägerin nicht ansatzweise ausreichend vorgetragen, obwohl bereits
in der Berufungsbegründung auf diese Notwendigkeit hingewiesen wurde.
... betrieb während der Ehe ein Transportunternehmen, in dem der Beklagte als Fahrer angestellt war bei einem monatlichen
Bruttolohn von 1.700,00 DM und freier Kost und Logis. Daneben war für die wirtschaftlichen Verhältnisse maßgebend, was das
Unternehmen abwarf. Dazu, welche Einnahmen im Betrieb erwirtschaftet wurden, welche Belastungen vorhanden waren und ob und
wie sie zurückgeführt wurden, fehlt jeglicher Vortrag. Es ist ungeklärt, was den Eheleuten während der Ehe zum Konsum zur
Verfügung stand. Dies wäre jedoch zur Ermittlung des Unterhaltsanspruchs erforderlich.
Abgesehen davon, dass die Voraussetzungen des bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruchs nicht hinreichend dargelegt sind,
ist ein solcher Anspruch, wenn er bestand, nicht auf die Klägerin übergegangen.
a. Die privatrechtliche Abtretungsvereinbarung vom 28. Dezember 1995 ist unwirksam. Dem Sozialhilfeträger stehen zur Durchsetzung
des Prinzips des Nachrangs der Sozialhilfe detaillierte öffentlich-rechtliche und daher zwingende Regelungen zur Verfügung
(vgl. §§ 90,91 BSHG ), die ein in sich abgeschlossenes System bilden. Daneben kann er sich nicht beliebig bürgerlich-rechtlicher Gestaltungsformen
bedienen (vgl. BGH, FamRZ 1994, 829, 830). Ist ein Aufwendungsersatz im Wege des gesetzlichen Forderungsübergangs ausgeschlossen, so kann Ersatz auch nicht im
Wege der Abtretung erlangt werden (BVerGE 41, 216, noch für den Fall der Überleitung). ob außerdem die Abtretung auf eine
nachträgliche Umwandlung der Sozialhilfe in ein Darlehen hinausliefe (BGH, aaO.), was sie auch im Hinblick auf § 32
SGB I unwirksam machen würde, wonach privatrechtliche Vereinbarungen dann nichtig sind, wenn sie zum Nachteil
des Leistungsberechtigten von den Vorschriften "dieses Gesetzes" abweichen oder ob die Abtretung auch wegen einer unzulässigen
Umgehung der, Schuldnerschutzvorschriften des § 91
BSHG unwirksam ist, kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.
b. Ein Anspruchübergang nach § 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist ausgeschlossen; er scheitert an § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG, wonach der Übergang nur insoweit stattfindet, als der Verpflichtete Einkommen und Vermögen nach den Bestimmungen des 4.
Abschnitts des BSHG (mit Ausnahme von § 84 Abs. 2 und § 85 Nr. 3 Satz 2) einzusetzen hätte, wenn er selbst Hilfeempfänger wäre. Das bedeutet im Ergebnis: er darf durch die Inanspruchnahme
nicht selbst sozialhilfebedürftig werden (vgl. Seetzen, Sozialhilfeleistungen im Unterhaltsprozess, NJW 1994, 2505, 2508; vgl. auch die "Empfehlungen des Deutschen Vereins", aaO., Ziff. 24, 143 ff., Brudermüller, Anwendungsprobleme des
§ 91
BSHG, FUR 1995, 17 ff.).
Der den Unterhaltsanspruch geltendmachende Sozialhilfeträger hat dies im einzelnen darzulegen, regelmäßig durch Vorlage einer
öffentlich-rechtlichen Vergleichsberechnung (vgl. Schellhorn, Öffentlich-rechtliche Vergleichsberechnung beim Übergang von
Unterhaltsansprüchen nach § 91
BSHG, FuR 1995, 10 ff., Brudermüller, aaO., 20 f.). Daran fehlt es hier.
Unabhängig davon bezog der Beklagte selbst unstreitig vom 1. Juni 1994 bis zum 31. Dezember 1994 Sozialhilfe. Im Monat Mai
hatte er aus dem verkauf von Trödel auf Flohmärkten Einnahmen von rund 300,00 DM bis 400,00 DM und wurde zusätzlich von seinen
Eltern mit 500,00 DM unterstützt. Für Wohnungsmiete musste er 210,00 DM einschließlich Nebenkosten zahlen. Dies hat er glaubhaft
im einzelnen in der mündlichen Verhandlung dargelegt.
Unter diesen Voraussetzungen blieb zunächst ab Juni 1994 kein Raum für einen Anspruchsübergang, weil der Beklagte ohnehin
schon Sozialhilfe erhielt. Für Mai 1994 verblieb ebenfalls kein offener Betrag mehr. Geht man nämlich unter Berücksichtigung
der Zuwendungen der Eltern (die im Hinblick auf § 78 Abs. 2
BSHG durchaus zweifelhaft sein kann) von einem Gesamteinkommen von 850,00 DM (350,00 DM + 500,00 DM ) aus und setzt davon den
Regelsatz mit 520,00 DM, den Freibetrag für Erwerbstätige nach § 76 Abs. 2 a Nr. 1
BSHG, weil der Beklagte nur teilweise erwerbstätig war, mit lediglich 120,00 DM und die Mietkosten mit 210,00 DM ab, bleibt auch
aus sozialhilferechtlicher Sicht kein Einkommen mehr, das eingesetzt werden könnte.
c.
Dem Beklagten kann schließlich sozialhilferechtlich - im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin - kein fiktives Einkommen zugerechnet
werden, was nach der rein unterhaltsrechtlichen Betrachtungsweise grundsätzlich möglich wäre. § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG stellt ausdrücklich darauf ab, ob nach den Bestimmungen des 4. Abschnitts des BSHG Einkommen oder Vermögen einzusetzen sind. Die Berücksichtigung fiktiver Einkünfte ist hier nicht vorgesehen. Nach § 25 Abs. 2
BSHG kann zwar unter bestimmten Voraussetzungen, die hier nicht vorliegen, die Hilfe auf das zum Lebensunterhalt unerlässlich
notwendige maß eingeschränkt werden. Dies heißt aber nicht, dass dem Hilfsbedürftigen ein fiktives Einkommen zugerechnet wird,
und erst recht nicht, dass dieses über den Anwendungsbereich von § 25
BSHG hinaus im Verhältnis zum Beklagten geschehen könnte.
Soweit das OLG-Karlsruhe (FamRZ, 1995, 615, 616) ohne nähere Begründung, lediglich auf die "gebotene einheitliche unterhaltsrechtliche Betrachtungsweise" abstellend,
dem Verpflichteten ein fiktives Einkommen zurechnet, vermag das den Senat nicht zu überzeugen. Unterhaltsrecht und Sozialhilferecht
haben verschiedene Zielsetzungen. § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG soll dem Unterhaltspflichtigen den gleichen Schutz gewähren, den ein Hilfeempfänger in seiner Lage hätte (Brudermüller, aaO.,
20 m.w.N.). Wenn also § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG als Schutzvorschrift zugunsten des Unterhaltsschuldners ausgestaltet ist, kann nicht auf eine einheitliche unterhaltsrechtliche
Betrachtungsweise abgestellt werden, es sind vielmehr beide Bereiche auseinander zu halten, um den angestrebten Schutz auch
sicherzustellen.
Die Vergleichsberechnung ist daher allein nach Maßgabe des Sozialhilferechts anzustellen und löst sich völlig vom Unterhaltsrecht
ab (Schellhorn, aaO., 11). Die Zurechnung fiktiver Einkünfte kommt aus diesem Grunde vorliegend nicht in Frage (vgl. auch
Fröhlich, Zur Höhe des nach § 91
BSHG übergegangenen Unterhaltsanspruchs, FamRZ 1995, 72, 73; Scholz in Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 3. Aufl., Rdn. 6, 530).
Ob für zukünftige Ansprüche eine andere Bewertung geboten ist (so Brudermüller, aaO., S. 21, Scholz, aaO., Rdn. 6, 557), kann
hier dahinstehen, denn es geht ausschließlich um einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§
91,
708 Nr. 10,
711, 713
ZPO.
Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen im Hinblick auf die Frage, ob im Rahmen des § 91 Abs. 2 Satz 1 BSHG fiktive Einkünfte des Unterhaltsschuldners zu berücksichtigen sind. Die vorliegende Entscheidung ist nicht von der Beantwortung
dieser Frage abhängig, was Voraussetzung für eine Zulassung der Revision nach §
546 Abs.
1 Nr.
1
ZPO wäre, denn es fehlt, wie oben ausgeführt, bereits an der schlüssigen Darlegung des Unterhaltsanspruchs.
Streitwert: 7.086,72 DM