Heranziehung zur Leistung von Aufwendungsersatz - Umdeutung in Rechtswahrungsanzeige
Entscheidungsgründe:
Der klagende Landkreis (im Folgenden: Kläger) gewährt der getrennt lebenden Ehefrau des Beklagten, die seit dem 30. November
1994 in einem Alten- und Pflegeheim untergebracht ist, ab 1. August 1995 Hilfe zur Pflege in Einrichtungen gemäß § 68
BSHG. Er macht im vorliegenden Verfahren Unterhaltsansprüche der Ehefrau für die Zeit vom 1. August bis zum 31. Dezember 1995
aus übergegangenem Recht geltend. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers,
mit der er seinen erstinstanzlichen Klageantrag (10.070,90 DM) in Höhe von 4.448,70 DM weiterverfolgt.
Das Rechtsmittel des Klägers ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden und führt auch in der Sache im vollen
Umfang zum Erfolg.
Der getrennt lebenden Ehefrau des Beklagten steht für den hier maßgeblichen Zeitraum ein Unterhaltsanspruch gegen diesen aus
§
1361 Abs.
1
BGB, der nach § 91 Abs. 1 Satz 1 BSHG auf den Kläger übergegangen ist, in dem in der Berufungsinstanz noch geltend gemachten Umfang zu, weil sie unstreitig nicht
in der Lage war, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, Tand sie auch ansonsten nicht über eigene Einkünfte verfügte, aus denen
sie ihren Lebensbedarf in vollem Umfang selbst hätte bestreiten können.
Der Unterhaltsbedarf der getrennt lebenden Ehefrau des Beklagten bestimmt sich nach den Lebensverhältnissen und den Erwerbs-
und Vermögensverhältnissen der Ehegatten, wobei diese an der Entwicklung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
bis zur Scheidung gemeinschaftlich teilhaben, denn bis dahin besteht die Ehe fort. Danach stand der getrennt lebenden Ehefrau
in dem hier maßgeblichen Zeitraum ein Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten mindestens in Höhe der vom Kläger geltend gemachten
Unterhaltsbeträge zu; der Beklagte war auch in dieser Höhe leistungsfähig.
Seine Einkommensverhältnisse stellen sich im Einzelnen wie folgt dar:
Ausweislich der vorliegenden Versorgungsmitteilung der Pfälzischen Pensionsanstalt vom 20. November 1995 hatte der Beklagte
im Gesamtjahr 1995 eine Pension bezogen in Höhe
von 46.688,43 DM
abzüglich Lohnsteuer 2.088,64 DM
Kirchensteuer 178,92 DM
Solidaritätszuschlag 98,40 DM
bleiben 44.322,47 DM
- eine etwa in diesem Jahr für das Jahr 1994
erfolgte Steuererstattung ist hierbei
noch nicht berücksichtigt -
Auf den Monat umgelegt ergibt sich ein
Einkommen von 3.693,54 DM
abzüglich Kranken- und Pflegeversicherung 249,38 DM
bleiben gerundet 3.444,00 DM.
Hinzu zu rechnen ist das mietfreie wohnen
im lastenfreien Haus; unter Berücksichtigung
der damit verbundenen Kosten (106,93 DM) hält
der Senat insoweit den Ansatz einer ersparten
Wohnungsmiete von noch 500,00 DM
für angemessen.
Berücksichtigungsfähiges Einkommen damit insgesamt 3.944,00 DM.
Neben seiner getrennt lebenden Ehefrau war der Beklagte auch gegenüber seiner damals studierenden Tochter unterhaltsverpflichtet.
Deren Bedarf von 950,00 DM war gar allerdings durch das an sie weitergeleitete Kindergeld von 70,00 DM sowie die erhaltenen
Leistungen nach dem BAFÖG in Höhe von 870,00 DM - insoweit spielt keine Rolle, dass das BAFÖG als Darlehen geleistet wurde
(vgl. BGH, FamRZ 19825, 916) -
bis auf einen Restbetrag von 10,00 DM
vollständig gedeckt (wenn der Beklagte
tatsächlich mehr gezahlt haben sollte,
kann er dies seiner getrennt lebenden
Ehefrau nicht entgegenhalten), so dass
dem Beklagten ein Betrag verblieb von 3.934,00 DM.
Der Unterhaltsbedarf der Ehefrau beträgt
die Hälfte hiervon, mithin 1.967,00 DM.
Den - geringeren - geltend gemachten
Bedarfsbetrag von monatlich 889,74 DM
kann der Beklagte zweifelsfrei leisten.
Der Unterhaltsanspruch ist in der genannten Höhe auf den Kläger übergegangen, da dieser in dem maßgeblichen Zeitraum durchgehend
höhere Leistungen an die getrennt lebende Ehefrau des Beklagten erbracht hat. Die für die Unterbringung angefallenen Kosten
betrugen nach Abzug der Beihilfeleistungen von monatlich 592,78 DM nämlich zwischen 2.637,22 DM und 2.831,52 DM (einschließlich
eines Taschengeldes von monatlich 158,00 DM).
Die damit kraft Gesetzes auf den Kläger übergegangenen Unterhaltsansprüche in Höhe von monatlich 889,74 DM kann dieser rückwirkend
für die Zeit ab dem 1. August 1995 (Beginn der Hilfegewährung) geltend machen. Nach § 91 Abs. 3
BSHG in der bis zum 31. Juli 1996 geltenden Fassung wirkt der gesetzliche Forderungsübergang auf den Beginn der Hilfegewährung
zurück, wenn dem Unterhaltspflichtigen der Bedarf unverzüglich nach Kenntnis des Sozialhilfeträgers hiervon schriftlich mitgeteilt
wird (vgl. Oestreicher/Schelter/Kunz, BSHG, § 91 Rdnr. 155). Daneben ist eine Inverzugsetzung nach bürgerlichem Recht nicht erforderlich (vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl., § 91 Rdnr. 108; Fichtner/Schaefer, BSHG, §
91 Rdnr. 64; Palandt-Diederichsen,
BGB, 59. Aufl., Einf. vor §
1601 Rdnr. 41). Die damit allein vorzunehmende schriftliche Mitteilung ist mit dem Bescheid des Klägers vom 4. September 1995,
gerichtet an den Beklagten als Ehemann der Hilfeempfängerin, erfolgt. Zwar ist der Beklagte mit diesem Schreiben auch aufgefordert
worden, einen monatlichen Aufwendungsersatz gemäß § 29
BSHG in Höhe von 889,74 DM für seine Ehefrau zu zahlen, da dem Kläger nicht bekannt war, dass die Eheleute bereits seit Februar
1995 getrennt lebten. Dies hindert jedoch nicht, in diesem Schreiben auch eine "Rechtswahrungsanzeige" im Sinne des § 91 Abs. 3
BSHG zu sehen. Denn die in § 91 Abs. 3
BSHG vorgeschriebene schriftliche Mitteilung stellt - anders als der nach dem bis zum 22. Juni 1993 geltenden Recht den Übergang
des Anspruchs überhaupt erst bewirkende Überleitungsbescheid - keinen Verwaltungsakt dar (vgl. Oestreicher/Schelter/Kunz,
a.a.O., § 91 Rdnr. 155; Schellhorn/Jirasek/Seipp, a.a.O., § 91 Rdnr. 108; Fichtner Schaefer, a.a.O., § 91 Rdnr. 65). Schon
aus diesem Grund ist die vom Beklagten und ihm folgend vom Amtsgericht herangezogene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
(Urteil vom 29. September 1971, BVerwGE 38, 302, 306) nicht einschlägig. Der Rechtswahrungsanzeige kommt lediglich die Funktion einer Mahnung zu. Sie hat den Sinn, dem Unterhaltspflichtigen
Gelegenheit zu geben, sich rechtzeitig einen Überblick über seine Verpflichtungen zu verschaffen und seinen Unterhaltspflichten
selbst nachzukommen und so die Sozialhilfe (teilweise) entbehrlich werden zu lassen. obwohl die Rechtswahrungsanzeige quasi
einen Verzug des Unterhaltspflichtigen begründet, sind an sie keine Bestimmtheitsanforderungen wie etwa an eine zivilrechtliche
Mahnung nach §
1613
BGB zu stellen. Die Rechtswahrungsanzeige muss lediglich die Mitteilung darüber enthalten, dass und an wen Sozialhilfe gezahlt
wird (vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, a.a.O., § 91 Rdnr. 109). Diesen Anforderungen wird der Bescheid des Klägers vom 4. September
1995 gerecht, denn dort ist dem Beklagten angezeigt worden, dass seiner Ehefrau ab 1. August 1995 Hilfe zur Pflege nach §
68
BSHG (Pflegesatz 1 b) sowie ein Barbetrag zur persönlichen Verfügung in bestimmter Höhe gewährt wird; darüber hinaus beziffert
der Bescheid sogar den Betrag, der vom Beklagten aus seinem Einkommen an den Träger der Sozialhilfe monatlich zu zahlen ist.
Die einer Rechtswahrungsanzeige inne wohnende Warnfunktion ist damit gegeben. Die Mitteilung vom September 1995 ist schriftlich
erfolgt und dem Beklagten unstreitig auch noch im Laufe des Monats September 1995 zugegangen und damit bekannt gegeben worden;
eine förmliche Zustellung war nicht erforderlich (vgl. Oestreicher/Schelter/Kunz, a.a.O., § 91 Rdnr. 155).
Die Rechtswahrungsanzeige ist "unverzüglich" nach Kenntnis des Sozialhilfeträgers vom Bedarf des Hilfeempfängers ergangen.
Die Mitteilung ist zeitgleich (4. September 1995) mit dem Bescheid über die Hilfegewährung als solche (gerichtet an den Beklagten
als Bevollmächtigten seiner Ehefrau) ergangen. Sozialhilfe wurde ab 1. August 1995 gewährt. Eine Unterrichtung bis zum Ende
des nächsten Monats (September 1995) ist in jedem Fall noch als unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes zögern erfolgt anzusehen
(vgl. Oestreicher/Schelter/Kunz, a.a.O., § 91 Rdnr. 156; BGH, FamRZ 1989, 1054, 1055).
Die spätere Aufhebung der Bescheide vom 4. September 1995 beseitigt nicht deren Mahnungswirkung. Denn die Parteien hatten
zwar am 30. März 1999 im Wege des Vergleichs vor dem Verwaltungsgericht vereinbart, dass die "alten" Bescheide aufgehoben
werden sollten, zugleich sollte aber über den Hilfeantrag der Ehefrau neu entschieden werden. Mithin war Sinn dieser Vereinbarung
lediglich, die Bescheide vom 4. September 1995 durch neue Bescheide zu ersetzen; an den zugrunde liegenden Tatsachen (Hilfebedürftigkeit
der Ehefrau, Hilfegewährung durch den Kläger) hatte sich nichts geändert. Hinzu kommt, dass der Kläger bereits am 4. Dezember
1998 - mithin vor dem Abschluss des Vergleichs und der dort erfolgten Aufhebung der Bescheide vom 4. September 1995 - vorsorglich
nochmals - diesmal unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 91 Abs. 3
BSHG - dem Beklagten eine schriftliche Mitteilung über die Hilfegewährung hatte zukommen lassen. Der Beklagte war damit durchgehend
in Verzug gesetzt.
Damit kann der Kläger den auf ihn kraft Gesetzes übergegangenen Unterhaltsanspruch der Ehefrau des Beklagten ab dem Beginn
der Hilfegewährung gegen den Beklagten geltend machen. Die nach § 91 Abs. 2
BSHG erforderliche sozialhilferechtliche Vergleichsberechnung liegt vor und führt zu keinem anderen Ergebnis.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
91,
92 Abs.
1
ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht aus §§
708 Nr. 10,
713
ZPO.
Beschluss:
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.448,70 DM festgesetzt.