Pflicht zur Bestellung eines Verfahrenspflegers - Mitwirkungspflicht des Jugendamts gegenüber dem Familiengericht
Entscheidungsgründe:
I.
Die Parteien sind die Eltern der Kinder F., geb. am.1995 und L., geb. am.1998. Die Eheleute lebten seit dem Frühjahr 2005
zunächst innerhalb der Ehewohnung getrennt, sind dort zwischenzeitlich aber beide ausgezogen.
Da sie sich wegen des Aufenthalts ihrer Söhne nicht verständigen konnten und wechselseitige Anträge zum Aufenthaltsbestimmungsrecht
gestellt haben, hat das Amtsgericht zunächst im Wege der einstweiligen Anordnung durch Beschluss vom 19.07.2005 und abschließend
durch Beschluss vom 19.05.2006 das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf den Vater übertragen.
Das Amtsgericht hatte die Kinder und die Parteien zweimal angehört. Das beteiligte Jugendamt hat sich mit Schreiben vom 20.
Februar 2006 geäußert.
Die Antragsgegnerin begehrt mit ihrer Beschwerde die Abänderung der Entscheidung des Amtsgerichts mit dem Ziel, dass ihr das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Söhne übertragen wird.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 621 e Abs. 1
ZPO zulässig und führt zur Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht Stuttgart, denn das Verfahren leidet
daran, dass der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt ist.
Bei einem Verfahren, das die Regelung der elterlichen Sorge betrifft, gelten letztlich die Vorschriften des Gesetzes über
die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Nach § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet
erscheinenden Beweise aufzunehmen (Keidel/Kuntze/Weber, FGG 15. Aufl., § 64 Rn. 36b). Es ist dabei weder an Beweisanträge der Beteiligten gebunden noch verpflichtet, alle Beweisanträge zu berücksichtigen,
doch es muss von Amts wegen die entscheidungserheblichen Umstände aufklären, soweit das Vorbringen der Beteiligten oder der
Sachverhalt dazu Anlass bietet.
Für die am Kindeswohl zu orientierende Entscheidung ist es von besonderer Bedeutung, dass die Interessen der Kinder in einer
Weise in das Verfahren eingebracht werden, die ihrer grundrechtlichen Position hinreichend Rechnung trägt (Keidel/Kuntze/Engelhardt
a. a. O., § 50 Rn. 1).
Das Amtsgericht hat unter Beachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes die Kinder angehört, in den hierzu verfassten Niederschriften
vom 13.07.2005 und 05.04.2006 aber eindrucksvoll zum Ausdruck gebracht, in welch angespannter und auch verschlossener Gemütsverfassung
beide Kinder, vor allem aber der 11-jährige F. waren. Da F. bei beiden Anhörungen geäußert hat, dass er bei seinem Vater leben
möchte, ist dieser Wille ein Indiz für die Bindungen des Kindes und auch Ausdruck einer eigenen und bewussten Entscheidung
zwischen seinen getrennt lebenden Eltern. Ob diese Äußerungen aber dem wirklichen Willen des Kindes entsprechen oder nur Ausdruck
eines für das Kind nicht lösbaren Konfliktes sind, bleibt offen.
Das gilt erst recht für den 3 1/2 Jahre jüngeren L.. Während sich dieser in der ersten Anhörung noch positioniert hat (wenngleich
nach dem Eindruck des Amtsgerichts in Anlehnung an seinen älteren Bruder), hat er bei der 2. Anhörung betont, dass er beide
Eltern mag und vor allem deshalb gerne in V. lebe, da seine Oma dort in unmittelbarer Nähe lebe.
Dieser Erkenntnisstand hätte nach der Überzeugung des Senats die Bestellung eines Verfahrenspflegers erfordert (§ 50 Abs. 2 Nr. 1 FGG). Weshalb hiervon abgesehen worden ist, wurde in der angefochtenen Entscheidung nicht begründet (§ 50 Abs. 2 S. 2 FGG). Ein Verfahrenspfleger kann in der für die Kinder vertrauten Umgebung ohne die Belastung eines Gerichtstermins mit den Kindern
ins Gespräch kommen und die Wünsche, die konkreten Lebensumstände und Nöte der Kinder erfassen und danach den Kindeswillen
authentisch vortragen. Das Amtsgericht wird so - bestenfalls - in die Lage versetzt, sich ein umfassenderes Bild über die
Kinder zu machen, als dies nach einer gerichtlichen Anhörung möglich ist, die im vorliegenden Fall unzweifelhaft belastet
war. Auch die erkennbar einfühlsame Befragung durch das Gericht spiegelt in den Antworten der Kinder auch ihre Schwierigkeiten
wieder, unbefangen und spontan zu antworten. Der Senat sieht daher weiteren Aufklärungsbedarf.
Dies gilt auch deshalb, weil der Bericht des Jugendamts vom 20.02.2006 keine geeignete Grundlage für eine Sorgerechtsentscheidung
ist.
Das Amtsgericht hat unter Beachtung der Anhörungspflicht gemäß § 49a Abs. 1 Nr. 7 FGG das zuständige Jugendamt angehört. Das Jugendamt hat insoweit nicht nur die erforderlichen Ermittlungen anzustellen und die
ermittelten Tatsachen dem Gericht mitzuteilen, sondern soll auf Grund seiner besonderen Erfahrung alle für das konkrete Verfahren
maßgebenden Aspekte zur Geltung bringen und dem Gericht einen bestimmten Entscheidungsvorschlag unterbreiten. Der Bericht
eines Jugendamts stellt grundsätzlich dann keine geeignete Grundlage für eine Sorgerechtsentscheidung dar, wenn die örtlichen
Verhältnisse sowie das Umfeld beider Elternteile nicht durch einen Hausbesuch geklärt worden sind (Keidel/Kuntze/Engelhardt
a.a.O., § 49 Rn. 5 m.w.N.).
Diesen Anforderungen genügt der Jugendamtsbericht nicht. Der Bericht erschöpft sich in einer Inhaltsangabe der mit den Parteien
und den Kindern geführten Gespräche. Eine Auseinandersetzung mit den Vorstellungen der Eltern und den Belangen der Kinder
findet nicht statt. Auch beschreibt der Bericht weder die häusliche Situation der Eltern, noch deren soziales Umfeld in einer
nachvollziehbaren Weise.
Bei der vom Amtsgericht als gleichwertig angesehenen Erziehungseignung der Eltern wäre ebenfalls eine umfassendere Aufklärung
notwendig gewesen, nicht nur hinsichtlich des Willens beider Kinder, sondern auch hinsichtlich der Betreuungskonzepte beider
Eltern.
Des weiteren wird auch die Bindungstoleranz der Eltern zu prüfen sein, also ihre Bereitschaft und Fähigkeit, den Kontakt des
Kindes zum anderen Elternteil zu unterstützen.
Die Sache war daher zur weiteren sachlichen Aufklärung und zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens,
an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
III.
Von der Erhebung der Gerichtsgebühr wird nach § 131 Abs. 3 KostO abgesehen. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§§ 621 e Abs. 2,
543 ZPO). Den Geschäftswert bemisst der Senat nach § 30 Abs. 2 KostO.