Zur Erstattung von Betreuungskosten aus dem Nachlass bei unbekannten Erben
Entscheidungsgründe:
Die Erbfolge nach der im Jahre 2002 verstorbenen Betreuten ist derzeit ungeklärt, nachdem mehrere in Betracht kommende Erben
die Erbschaft ausgeschlagen haben. Die Staatskasse nimmt aus dem vorhandenen Nachlass die unbekannten Erben - vertreten durch
die vom Nachlassgericht bestellte Nachlasspflegerin - auf Erstattung von Kosten gem. §
1836e BGB in Anspruch, die für die Betreuung der Erblasserin entstanden sind. Das Landgericht ist der Ansicht, eine Kostenfestsetzung
im Verfahren der § 56g Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 69e FGG gegen die unbekannten Erben sei nicht zulässig, da andernfalls deren Rechte auf persönliche Haftungsbeschränkung verkürzt
würden. Hinsichtlich der Darstellung des Sachverhalts und der für die Entscheidung des Landgerichts maßgebenden Gründe wird
auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
1. Im Rahmen der vom Landgericht zugelassenen sofortigen weiteren Beschwerde (§ 56g Abs. 5 S. 2 FGG) beantragt der Bezirksrevisor Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und Zurückweisung der Erstbeschwerde. Nach seiner Auffassung
ist die im Wege des §
1836e BGB auf die Staatskasse übergegangene Forderung gegen die Nachlasspflegerin als Vertreterin der unbekannten Erben festsetzbar.
Die Interessen letzterer hätten gegenüber denen der Staatskasse zurückzustehen, insbesondere da sonst nach Ablauf einer Frist
von drei Jahren das Erlöschen der übergegangenen Ansprüche zum Nachteil der Staatskasse drohe (§
1836e Abs.
1 S. 3
BGB a.F. i.V.m. § 92c Abs. 4 S. 1 BSHG).
2. Die zulässige Beschwerde hat vorläufig Erfolg.
a) Das Landgericht hält rechtsfehlerhaft die Voraussetzungen einer Festsetzung der zu erstattenden Betreuerkosten (§§ 56g
Abs. 1, Abs. 3, 69e FGG) gegenüber den unbekannten Erben für nicht erfüllt. Zwar ist es zutreffend, dass mangels Kenntnis der Identität der Erben
die Frage einer subjektiven - auf die Person des Erben zugeschnittenen - gesetzlichen Haftungsbeschränkung (§
1836e Abs.
1 S. 3
BGB a.F. i.V.m. § 92c Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3 BSHG) sich derzeit einer Überprüfung entzieht (eine gleich lautende Vorschrift enthält das seit 01.01.2005 geltende SGB XII in
§
102 Abs.
3, auf das §
1836e Abs.
1 S. 3
BGB n.F. verweist). Gleichwohl steht dieser Umstand jedenfalls einer unter den Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung gestellten
Festsetzung nicht entgegen.
b) Die abweichende Ansicht des Landgerichts ist mit den Bestimmungen der §
1961 i.V.m. §
1960 Abs.
1 S. 2
BGB nicht vereinbar. Danach kann ein Nachlasspfleger bestellt werden, wenn der Erbe unbekannt oder wenn ungewiss ist, ob er die
Erbschaft annimmt. Der Nachlasspfleger hat in diesen Fällen die gerichtliche Geltendmachung eines gegen den Nachlass gerichteten
Anspruchs in Vertretung der unbekannten Erben je nach Berechtigung der Forderung abzuwehren oder dieser nachzukommen. Hinsichtlich
des Anspruchs der Staatskasse auf Kostenersatz nach §
1836e Abs.
1 S. 3
BGB a.F. gegenüber den unbekannten Erben gelten insoweit keine Besonderheiten. Auch in einer solchen Konstellation kann ein Nachlasspfleger
bestellt werden, dem ein im Verfahren nach § 56g Abs. 3 FGG ergangener Beschluss zugestellt werden kann, worin die Regressforderung gegen den unbekannten Erben festgesetzt ist (vgl.
Münchener Kommentar-Wagenitz,
BGB, 4. Aufl., §
1836e Rn. 20; Soergel/Zimmermann,
BGB, 13. Aufl., §
1836e Rn. 19).
c) Im Übrigen vermag der Ansatz des Landgerichts auch deshalb nicht zu überzeugen, weil er zu sachlich nicht begründbaren
Nachteilen für die Staatskasse führt. Denn nach §
1836e Abs.
1 S. 3
BGB a.F. i.V.m. § 92c Abs. 4 S. 1 BSHG erlischt der Anspruch der Staatskasse auf Kostenersatz in drei Jahren nach dem Tod des Betreuten. Kann die Erbfolge innerhalb
dieser Frist nicht geklärt werden, könnte die Staatskasse eines an sich begründeten Anspruchs verlustig gehen, obwohl das
Auffinden eines Erben und die Klärung einer Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft häufig längere Zeit in Anspruch nimmt
und von Umständen abhängen kann, die das Gericht nicht oder nur begrenzt zu beeinflussen vermag. Gerade auch um solche unbilligen
Ergebnisse zu vermeiden, kennt das Gesetz das Rechtsinstitut der Nachlasspflegschaft. Den unbekannten Erben bleibt dennoch
die Möglichkeit erhalten, eine subjektive Haftungsbeschränkung nachträglich geltend zu machen (hierzu nachfolgend 4.).
Danach stehen einer Festsetzung des Regressanspruchs zugunsten der Staatskasse derzeit weder verfahrensrechtliche noch materiellrechtliche
Hindernisse entgegen.
3. Inwieweit die sonstigen Voraussetzungen einer Festsetzung des Erstattungsanspruchs in objektiver Hinsicht vorliegen, ist
nach Aktenlage offen. Die Sache ist insoweit derzeit nicht entscheidungsreif.
a) Nach §
1836e Abs.
1 S. 3. 1. Halbs.
BGB a.F. haftet der Erbe für den Regressanspruch der Staatskasse nur mit dem Wert des im Zeitpunkt des Erbfalls vorhandenen Nachlasses.
Die Rechtspflegerin des Amtsgerichts Nordhausen hat in dem Festsetzungsbeschluss vom 15.10.2004 ohne nähere Erläuterung ein
zu berücksichtigendes Vermögen von 11.968,67 EUR zuzüglich eines nicht benannten Wertes für ein Wohnhaus in Ansatz gebracht
(vgl. Bl. 134 d.A.). Hiervon hat sie den Freibetrag des § 92c Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 81 Abs. 1 BSHG abgezogen. Weder aus diesem Beschluss noch aus dem darin in Bezug genommenen Anhörungsschreiben vom 22.06.2004 (vgl. Bl.
132 d.A.) ergibt sich, wie der Nachlasswert ermittelt wurde bzw. aus welchen Einzelvermögensgegenständen er sich zusammensetzt.
Das Landgericht hat - aufgrund seines Rechtsstandpunkts konsequent - ebenfalls keine Feststellungen zum Nachlassbestand getroffen.
Insbesondere hat es nichts dazu ausgeführt, welche Grundflächen in welcher Größe und welcher Nutzungsart hierzu gehören. Lediglich
auf S. 4 des angefochtenen Beschlusses findet sich ein Hinweis auf zugrunde gelegte katasteramtliche Richtwerte, die das Landgericht
wohl der Nachlassakte entnommen hat.
b) Die Zurückverweisung gibt dem Landgericht Gelegenheit, die gebotenen tatrichterlichen Feststellungen zum Umfang des Nachlasses
und damit zur Höhe des Regressanspruchs der Staatskasse nachzuholen. Dabei wird es sich mit der Begründung der Erstbeschwerde
auseinanderzusetzen haben, mit der die Nachlasspflegerin den vom Amtsgericht zugrunde gelegten Wert beanstandet hat bzw. dem
Nachlass jeglichen faktischen Vermögenswert abgesprochen hat. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass die
pauschale Behauptung der Nachlasspflegerin, die Grün- und Ackerflächen seien allenfalls zu einem "symbolischen" Wert veräußerbar,
allerdings nicht ohne weiteres geeignet ist, die Vermutung der Richtigkeit amtlicher Richtwerte für landwirtschaftlich bzw.
forstwirtschaftlich nutzbare Flächen zu entkräften. Insoweit wird es maßgeblich darauf ankommen, ob die Nachlasspflegerin
substantiiert darzulegen vermag, welche konkreten Gründe einer marktgerechten Veräußerung der Grundflächen entgegen stehen.
Verbleiben hiernach Zweifel, kann ggf. die Einholung eines Verkehrswertgutachtens geboten sein, wobei allerdings aus Sicht
der Staatskasse die Weiterverfolgung des Regressanspruchs, gemessen am Aufwand und Ertrag einer solchen Maßnahme, kritisch
geprüft werden sollte.
Ergeben danach die Überprüfungen des Landgerichts, dass ein den Freibetrag des § 92c Abs. 3 Nr. 1 BSHG übersteigendes Nachlassvermögen - bezogen auf den Zeitpunkt des Erbfalls - vorhanden ist, wird es den von den unbekannten
Erben zu erhebenden Regressanspruch in entsprechender Höhe festzusetzen haben.
4. Hinsichtlich der weiteren Verfahrensbehandlung sieht sich der Senat vorsorglich zu folgenden Hinweisen veranlasst.
a) Mit der vorläufigen Festsetzung des Regressanspruchs wird den berechtigten Interessen der Staatskasse insofern Rechnung
getragen, als ein Anspruchsuntergang durch bloßen Zeitablauf vermieden wird. Es muss jedoch andererseits sicher gestellt werden,
dass den unbekannten Erben die gesetzliche Möglichkeit, eine subjektive Haftungsbeschränkung geltend zu machen, nicht abgeschnitten
wird. Wie bereits ausgeführt, kommen dem Erben gem. §
1836e Abs.
1 S. 3
BGB a.F. die in seiner Person liegenden Haftungserleichterungen des § 92c Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3 BSHG zugute, wonach etwa eine Inanspruchnahme im Falle einer besonderen Härte zu unterbleiben hat. Der Umstand, dass derzeit die
Identität des oder der Erben nicht feststeht, kann entgegen der Auffassung des Bezirksrevisors nicht dazu führen, dass die
Berücksichtigung persönlicher Belange ersatzlos entfällt. Ein sachlicher Grund für eine solche Benachteiligung ist nicht ersichtlich.
Reicht der Wert des Nachlasses aus, einen Erstattungsanspruch gegen die unbekannten Erben festzusetzen, wird ihnen deshalb
in entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens der §§
305,
780 ZPO die nachträgliche Geltendmachung einer subjektiven Haftungsbeschränkung nach § 92c Abs. 3 Nr. 2, Nr. 3 BSHG vorzubehalten sein. Dieser Vorbehalt ist der Klarstellung halber bzw. um spätere Divergenzen hinsichtlich der Rechtskraft
eines zu erlassenden Festsetzungsbeschlusses zu vermeiden, ausdrücklich in den Tenor der Entscheidung aufzunehmen.
b) Die nach § 56g FGG festgesetzten Ansprüche werden gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4b JBeitrO nach den Bestimmungen der Justizbeitreibungsordnung beigetrieben. Nach § 8 Abs. 2 S. 1 JBeitrO gelten für die Einwendungen einer beschränkten Erbenhaftung (§§ 781ff
ZPO) die Vorschriften der §§
767,
769,
770 ZPO sinngemäß. Sollte die Staatskasse vor Ermittlung der Erben Beitreibungsmaßnahmen vornehmen, wäre es Sache der Nachlasspflegerin,
durch geeignete Anträge beim Vormundschaftsgericht einen Vollstreckungsaufschub zu erwirken bzw. im Wege der Vollstreckungsgegenklage
(§
767 ZPO i.V.m. § 8 Abs. 2 S. 2 JBeitrO) Einwendungen zu erheben. Selbst nach dem förmlichen Abschluss eines Beitreibungsverfahrens käme in entsprechender Anwendung
des §
767 ZPO ggf. noch die Erhebung einer sog. verlängerten Vollstreckungsgegenklage - in Gestalt einer Leistungsklage wegen ungerechtfertigter
Vollstreckung - in Betracht (vgl. BGHZ 83, 278, 280; BGHZ 99, 292, 294; Münchener Kommentar-Schmidt,
ZPO, 2. Aufl., §
767 Rn. 21 mit weit. Nachw.).