Sozialhilferecht: Vorrang im Hinblick auf Maßnahmen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG im Verhältnis zu anderen Leistungen der Jugendhilfe
Tatbestand:
Das klagende Land begehrt von dem beklagten Landkreis ab dem Zeitpunkt 25. Mai 1994 gemäß § 89c des Achten Buches des Sozialgesetzbuches
(i.d.F d. Bek. vom 15.3.1996, BGBl. I S. 477, geänd. d. Gesetz zur Reform des Sozialhilferechtes vom 23.7.1996, BGBl. I S. 1088 - SGB VIII 1996 -) die Erstattung von Kosten für Jugendhilfemaßnahmen, die es für das Kind ab dem genannten Zeitpunkt aufgewandt hat.
Das am 23. März 1992 als nichteheliches Kind in Berlin geborene Kind leidet seit seiner Geburt an einem Langdon-Down-Syndrom/Trisomie
21. Es wurde daher zunächst stationär im Kinderkrankenhaus Lindenhof in (Ost-) Berlin behandelt und hielt sich dort von seiner
Geburt an bis zum 24. Mai 1992 auf.
Die Kindesmutter, die sich nach eigenen Angaben (Antrag vom 7. April 1992 an das Bezirksamt Lichtenberg von Berlin), "aufgrund
der Behinderung" ihres "Kindes... mit seiner Betreuung und Erziehung überfordert" fühlte, wollte ihr Kind zunächst zur Adoption
freigeben. Hierzu kam es aber nicht. Daraufhin stellte die (sorgeberechtigte) Kindesmutter, da auch der Kindesvater nicht
zur Erziehung und Betreuung des Kindes bereit war, für das Kind unter dem 7. April 1992 beim Bezirksamt Lichtenberg von Berlin
Anträge auf Gewährung von Jugendhilfe in Form der Hilfe zur Erziehung sowie der Unterbringung des Kindes in einem Heim oder
einer Familienpflegestelle. Im Antragsverfahrens wurde in einer "psychosozialen Diagnose" des Bezirksamtes von April/Mai 1992
die Auffassung vertreten, daß das Kind nach seiner bevorstehenden Entlassung aus dem Kinderkrankenhaus nach Möglichkeit nicht
in einem Heim untergebracht werden sollte, vielmehr eine Unterbringung in einer (Kurz-) Pflegestelle auch im Hinblick darauf
zu empfehlen sei, daß die Kindeseltern ihre ablehnende Haltung gegenüber ihrem Kind - einer Haltung, die eher auf einem schockähnlichen
Zustand als einer verfestigten Grundhaltung beruhen könnte - überwinden könnten. Das Bezirksamt veranlaßte daher, daß nach
der Entlassung aus dem Kinderkrankenhaus, und zwar ab dem 25. Mai 1992, in einer Pflegestelle bei den Eheleuten, Landkreis
untergebracht wurde. Über die Unterbringung wurde zwischen dem Bezirksamt und den Eheleuten unter dem 4. Juni 1992 ein "Pflegevertrag"
geschlossen, mit dem sich die Eheleute als Pflegepersonen verpflichteten, ab dem 25. Mai 1992 in ihrem Haushalt aufzunehmen,
zu erziehen, zu versorgen und zu beaufsichtigen, auch verpflichtete sich das Bezirksamt (als Jugendamt), an die Pflegepersonen
"nach Maßgabe des § 39 KJHG" ab dem 25. Mai 1992 für den Lebensbedarf des Kindes ein monatliches Pflegegeld in Höhe von (zunächst) 693,-- DM (ab dem
1. Juli 1992 von 722,-- DM) sowie für die Kosten der Erziehung ein "besonderes Erziehungsgeld für heilpädagogische Pflegestellen"
in Höhe von (zunächst) monatlich 600,-- DM (ab dem 1. Juli 1992 von 669,-- DM - abzüglich Kindergeld -) zu zahlen.
Der Kindesmutter wurde auf ihren Antrag vom 7. April 1992 vom Bezirksamt mit Bescheid vom 25. Juni 1992 für ihr Kind "Hilfe
zur Erziehung gemäß § 27 in Verbindung mit § 33" SGB VIII (i.d.F. d. Gesetzes vom 26.6.1990, BGBl. I S. 1163 - SGB VIII 1990 -) ab dem 25. Mai 1992 in der Pflegestelle der Familie gewährt.
Zuvor, und zwar mit einem am 12. Juni 1992 beim Beklagten eingegangenen Schreiben hatte das Bezirksamt dem Jugendamt des Beklagten
mitgeteilt, daß seit dem 25. Mai 1992 bei den Eheleuten in einer "Dauerpflegestelle" lebe und daß es - das Bezirksamt - gemäß
§ 85 SGB VIII 1990 "die Betreuung und die finanziellen Leistungen... in den folgenden zwei Jahren übernehmen" werde; außerdem bat es "um
die Zusage der Übernahme der Kosten nach den zwei Jahren". Eine Äußerung des Beklagten auf dieses Schreiben erfolgte nicht.
Mit Schreiben vom 20. und 24. Juni 1994 wies das Bezirksamt den Beklagten (unter Übersendung der betreffenden Akten) darauf
hin, daß nach seiner - des Bezirksamtes - Ansicht ab 25. Mai 1994 ein Wechsel in der örtlichen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII (i.d.F. d. Bek. vom 3.5.1993, BGBl. I S. 637 - SGB VIII 1993 -) eingetreten sei, auch bat es, den Vorgang ab 1. Juli 1994 zur weiteren Betreuung zu übernehmen. Der Beklagte, der
der vom Bezirksamt vertretenen Auffassung widersprach, sandte schließlich mit Schreiben vom 17. August 1994 die Akten wieder
nach Berlin zurück und führte aus, er habe seine (örtliche) Zuständigkeit bisher nicht, auch nicht mit Schreiben vom 26. Juli
1994, in dem er lediglich für eine Prüfung um die Übersendung weiterer Unterlagen gebeten habe, anerkannt; er bezweifle, ob
er - der Beklagte - zuständig sei, weil es sich bei nach seiner Einschätzung um ein Kind mit einer schweren geistigen Behinderung
handele, welches sich deshalb in einer heilpädagogischen Pflegestelle befinde, die auch geeignet sei, die Art der Behinderung
"aufzufangen"; mithin sei dem Kind bei richtiger Betrachtung Eingliederungshilfe nach den § 39 ff. BSHG gewährt worden, für diese Hilfe seien aber die Berliner Behörden nach "§ 97 Abs. 1 Satz 2 BSHG" zuständig, zumal die Eingliederungshilfe gemäß § 10 Abs. 2 SGB VIII 1993 gegenüber der Jugendhilfe vorrangig sei.
Da der Beklagte mit einem weiteren Schreiben vom 13. September 1994 seinen Standpunkt bekräftigte, indem er ergänzend darauf
hinwies, sei mit der ihm gewährten Familienpflege die falsche Hilfeart zugewandt worden, und eine Anerkennung seiner Zuständigkeit
endgültig ablehnte, wurde im beiderseitigen Einvernehmen die Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten für die Länder Bremen
und Niedersachsen beim Landkreis Goslar mit dem Antrag des klagenden Landes auf Kostenerstattung befaßt. Die Spruchstelle
entschied durch Schiedsspruch vom 16. November 1995, daß der Beklagte verpflichtet sei, dem klagenden Land "die seit dem 25.05.1994
entstandenen und weiter entstehenden Kosten zu erstatten". Hierzu führte die Spruchstelle u.a. aus, es sei erforderlich gewesen,
dem Kleinkind durch Unterbringung in eine Pflegefamilie Leistungen der Jugendhilfe zuzuwenden, mithin sei der Beklagte gemäß
§ 86 Abs. 6 SGB VIII 1993 seit dem 25. Mai 1994 der zuständige örtliche Träger der Jugendhilfe, gegen den das klagende Land einen Erstattungsanspruch
mit Erfolg geltend machen könne. Der Beklagte legte gegen die Entscheidung der Spruchstelle Berufung ein, über die aber nicht
mehr entschieden wurde, weil das klagende Land mit Wirkung zum 31. Dezember 1995 die Fürsorgerechtsvereinbarung, mit der eine
Zuständigkeit der Spruchsstellen auch für das Land Berlin begründet worden war, gekündigt hatte.
Das klagende Land hat, da der Beklagte weiterhin eine Kostenerstattung abgelehnt hat, am 5. Juli 1996 Klage erhoben und zur
Begründung seiner Klage unter Bekräftigung seines im vorprozessualen Schriftwechsel eingenommenen Standpunkt ergänzend geltend
gemacht:
Eine Jugendhilfemaßnahme diene einem umfassenden erzieherischen Zweck, der u.a. auch darin bestehe, in einer "defizitären
Erziehungssituation" Hilfe zu leisten. Dieser Zweck habe bei im Vordergrund gestanden; denn die leiblichen Eltern hätten sich
völlig überfordert gefühlt, ihr unter einer schweren geistigen Behinderung leidendes Neugeborenes in ihrer Familie aufzunehmen,
zu versorgen, zu betreuen und zu erziehen. Daß neben dem somit bestehenden Erziehungsdefizit bei dem Kind noch eine wesentliche
geistige Behinderung vorgelegen habe, sei unerheblich. Habe es sich aber bei der gewährten Hilfe um eine Maßnahme der Jugendhilfe
gehandelt, so habe diese gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII 1996 Vorrang vor der Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff. BSHG. Selbst wenn bei zunehmenden Alter des Kindes auch Maßnahmen der Eingliederungshilfe aus dem Katalog des § 40 BSHG notwendig werden sollten, bliebe die "Hauptrichtung" der Maßnahme die Beseitigung des Erziehungsdefizits im Elternhaus und
die Aufrechterhaltung der dem Wohl des Kindes förderlichen Erziehungsmaßnahmen in der Pflegefamilie. Maßnahmen der Eingliederungshilfe
würden dann von § 27 SGB VIII 1996 miterfaßt. Da sich der an sich nach § 86 Abs. 6 SGB VIII 1993/1996 seit dem 25. Mai 1994 örtlich zuständig gewordene und damit zur Kostenübernahme verpflichtete Beklagte geweigert habe, die
Hilfegewährung (nach dem Jugendhilferecht) fortzusetzen, sei es - das beklagte Land - in Vorlage getreten und habe die Jugendhilfemaßnahmen
fortgesetzt. Die hierdurch seit dem 25. Mai 1994 entstandenen Kosten habe der Beklagte daher nach § 89 c Abs. 1 SGB VIII 1996 zu erstatten. Soweit dem Beklagten möglicherweise ein Kostenerstattungsanspruch aus § 89 a SGB VIII 1996 zustehen sollte, stehe dieser neben dem geltend gemachten Erstattungsanspruch aus § 86 Abs. 6 SGB VIII 1996. Es - das klagende Land - habe im übrigen einen Anspruch aus § 89 a SGB VIII 1996 auch nicht anerkannt, weil insoweit im Schreiben vom 2. August 1994 zur Bedingung gemacht worden sei, daß der Beklagte
ab 1. September 1994 die Jugendhilfemaßnahmen fortsetze, dies aber nicht geschehen sei.
Das klagende Land hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, dem Land Berlin die seit dem 25. Mai 1994 entstandenen und weiterhin entstehenden Kosten für
die Jugendhilfemaßnahmen für das Kind zu erstatten.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat erwidert:
Ein Erstattungsanspruch (aufgrund eines Zuständigkeitswechsels nach § 86 Abs. 6 SGB VIII 1996) bestehe nicht, weil dem Kind durch das klagende Land rechtswidrigerweise Leistungen der Jugendhilfe zugewandt worden
seien (und weiterhin zugewandt würden); denn eine Hilfegewährung nach Jugendhilferecht widerspreche hier § 10 Abs. 2 SGB VIII 1996. sei nämlich geistig wesentlich behindert, weshalb nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 Leistungen der Eingliederungshilfe nach den §§ 39 ff. BSHG (bzw. ein bestehender Anspruch hierauf) Hilfen nach Jugendhilferecht vorgingen. Mit dem Inkrafttreten des ersten Änderungsgesetzes
zum Achten Buch des Sozialgesetzbuches im Jahre 1993 sei durch die Aufnahme des § 35 a SGB VIII 1993 in das Gesetz und die Abänderung des § 10 Abs. 2 SGB VIII 1996 klargestellt worden, daß nur die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche in den Katalog der
Jugendhilfemaßnahmen aufzunehmen sei. Demgegenüber sei für körperlich und geistig behinderte Kinder die Eingliederungshilfe
vorrangig der Sozialhilfe zugewiesen worden. Da bei Aufnahme in die Pflegefamilie noch nicht schulpflichtig gewesen sei und
er sich auch bei den Eheleuten in einer sog. heilpädagogischen Pflegefamilie befunden habe, hätte ihm richtigerweise von Anfang
an, aber auch noch nach dem 24. Mai 1994 Eingliederungshilfe als heilpädagogische Maßnahme nach § 40 Abs. 1 BSHG iVm § 11 der Eingliederungshilfeverordnung gewährt werden müssen; diese Hilfe hätte gemäß § 27 Abs. 3 BSHG auch die Kosten des Lebensunterhaltes für das Kind umfaßt. Schließlich sei darauf hinzuweisen, daß, sollte dem Kind entgegen
der hier vertretenen Ansicht zu Recht Jugendhilfe gewährt worden sein und sollte es nach § 86 Abs. 6 SGB VIII 1993/1996 zu einem Zuständigkeitswechsel gekommen sein, er - der Beklagte - seinerseits gegen das Land Berlin einen Kostenerstattungsanspruch
nach § 89 a Abs. 1 SGB VIII 1996 habe; diesen Anspruch habe das klagende Land im übrigen auch mit Schreiben vom 2. August 1994 ab dem 1. September 1994
anerkannt.
Das Verwaltungsgericht hat (ohne mündliche Verhandlung) mit Urteil vom 16. Dezember 1996 - den Beteiligten am 19. Dezember
1996 zugestellt - der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im wesentlichen angeführt,
der Erstattungsanspruch des klagenden Landes sei nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 begründet. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe hier ein die Kostenerstattungspflicht auslösender Zuständigkeitswechsel
stattgefunden. Gemäß § 86 Abs. 1 SGB VIII 1996 sei derjenige Träger für die Gewährungen von Leistungen der Jugendhilfe örtlich zuständig, in dessen Bereich die Eltern
eines Kindes, dem Leistungen erbracht würden, ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten. Danach sei zunächst das klagende Land
(örtlich) zuständig gewesen. Nach § 86 Abs. 6 SGB VIII 1996 werde aber abweichend von Abs. 1 der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich die Pflegeperson ihren gewöhnlichen Aufenthalt habe, wenn ein Kind zwei
Jahre bei einer Pflegeperson lebe und sein Verbleib bei dieser Pflegeperson auf Dauer zu erwarten sei. Da sich das Kind seit
dem 25. Mai 1992 in der heilpädagogischen Pflegestelle der Eheleute Hermsdorf in Achim befunden habe, sei der Beklagte gemäß
§ 86 Abs. 6 SGB VIII 1993 am 25. Mai 1994 zuständig geworden. Demgegenüber könne der Beklagte nicht einwenden, ein Zuständigkeitswechsel habe
nicht stattgefunden, weil dem Kind in Wirklichkeit ein Anspruch auf Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz und nicht die gewährte Jugendhilfe zugestanden habe; denn die Frage, ob ein Anspruch auf eine bestimmte Leistung bestehe,
könne nicht entscheidend für die Frage der örtlichen Zuständigkeit sein. Vielmehr müsse zunächst geprüft werden, wer für einen
vorliegenden Antrag sachlich und örtlich zuständig sei, erst nach dieser Prüfung könne über den materiellen Rechtsanspruch
von dem ermittelten zuständigen Träger entschieden werden. Ein Antrag auf Hilfegewährung, und zwar seitens der Mutter des,
liege beim Beklagten, dem die Akten durch das Land Berlin übersandt worden seien, vor, ohne daß der Beklagte hierüber entschieden
habe. Somit seien die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für den Erstattungsanspruch nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 erfüllt. Für diesen Anspruch komme es nicht darauf an, ob die bisher gewährte Hilfe rechtmäßig gewährt worden sei. Der
Beklagte hätte nach Übergang des Falles in seinem Zuständigkeitsbereich entweder die wirtschaftliche Leistung weiter gewähren
oder diese ablehnen können, weil er in eigener Zuständigkeit zu dem Ergebnis hätte kommen können, es bestehe nur ein Anspruch
auf Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz. Diese Entscheidung habe aber andererseits das klagende Land auch nach Rückgabe der Akten durch den Beklagten nicht mehr
treffen können, weil das Land gemäß § 86 Abs. 6 SBG VIII 1993/1996 unzuständig geworden sei und nur noch gemäß § 86 c SGB VIII 1993/1996 Leistungen weiter hätte erbringen können, bis der Beklagte den Fall aufgenommen hätte.
Der Beklagte hat am 17. Januar 1997 Berufung eingelegt, die er wie folgt begründet:
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes stehe dem klagenden Land der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch aus
§ 89 c SGB VIII 1996 nicht zu, weil mit der Gewährung von Jugendhilfe an das Kind, welches sich weiterhin bei der Pflegefamilie befinde,
das Nachrangprinzip des § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 mißachtet worden sei. Dem Kind hätten nämlich vorrangig Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz gewährt werden müssen. Gerade die Behinderung des Kindes sei alleiniger Grund für die Fremdunterbringung bei den Eheleuten
gewesen. Die Bestimmung des § 10 Abs. 2 SGB VIII 1996 stelle für körperlich und geistig Behinderte eine "absolute Sperrvorschrift" dar. Hätte es dem Willen des Gesetzgebers
(des ersten Änderungsgesetzes zum Achten Buch des Sozialgesetzbuches) entsprochen, dem Personenkreis der körperlich und geistig
behinderten jungen Menschen auch Leistungen nach Jugendhilferecht zu gewähren, so hätte es des Ausschlusses dieses Personenkreises
nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 nicht bedurft. Nur für die seelisch Behinderten hätte der Gesetzgeber mit dem erwähnten Änderungsgesetz bestimmt, daß
diese jungen Menschen Leistungen der Jugendhilfe erhalten sollen. Hätte er - der Gesetzgeber - eine Erstreckung für den Personenkreis
der körperlich und geistig Behinderten beabsichtigt, so hätte es der Regelung des § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 nicht bedurft. In diesem Zusammenhang müsse auch bedacht werden, daß Gesetze anwendbar bleiben, gerichtliche Streitigkeiten
mithin vermieden werden sollten. Wenn man aber § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 nicht als "absolute Sperrvorschrift" - wie hier vertreten - auffasse, sei Auseinandersetzungen zwischen den Hilfeträgern
zur Frage der Hilfeart (nach Jugendhilferecht oder nach Sozialhilferecht) Tür und Tor geöffnet; denn es lasse sich trefflich
darüber streiten, welche Motive etwa die Person eines Sorgeberechtigten dazu bewegt haben könnten, sein Kind nicht selbst
zu erziehen, und welche Hilfeart überwiegend die Fremdunterbringung zum gegenwärtigen Zeitpunkt bedinge. Handele es sich aber
bei § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 um eine Norm mit "absoluter Sperrwirkung" und sei daher (auch) seit dem 25. Mai 1994 an eine falsche Leistung, und zwar
eine Leistung nach Jugendhilferecht erbracht worden, so könne dies entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtes nicht
zu einem Zuständigkeitswechsel und damit auch nicht zu einem Kostenerstattungsanspruch gegen ihn - den Beklagten - führen.
Dies folge auch daraus, daß nach § 89 f SGB VIII 1996 ein Kostenerstattungsanspruch - hier nach § 89 c SGB VIII 1996, wie er vom klagenden Land geltend gemacht werde - nur dann bestehen könne, wenn nach dem Jugendhilferecht rechtmäßig
Leistungen erbracht worden seien. Dies sei aber - wie ausgeführt - gerade nicht der Fall.
Der Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichtes vom 16. Dezember 1996 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Das klagende Land beantragt sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Es erwidert:
Durch die an das Kind gewährten Jugendhilfeleistungen sei der Grundsatz des Nachranges aus § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 nicht verletzt worden, wie dies auch die Spruchstelle für Fürsorgestreitigkeiten und das Verwaltungsgericht im angefochtenen
Urteil zutreffend festgestellt hätten. Hieraus ergebe sich zugleich, daß der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch auch
nicht nach § 89 f SGB VIII 1996 ausgeschlossen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge
des klagenden Landes (Beiakten A und B) sowie des Beklagten (Beiakte C) verwiesen; diese Akten sind Gegenstand der Entscheidungsfindung
gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, sie bedarf insbesondere nicht einer Zulassung nach §
124 Verwaltungsgerichtsordnung (i.d.F. d. Bek. vom 19.3.1991, BGBl. I S. 686, zuletzt geändert durch Gesetz vom 1.11.1996, BGBl. I S. 1626 -
VwGO -); denn das angefochtene Urteil vom 16. Dezember 1996, welches ohne mündliche Verhandlung ergangen ist, ist an die Beteiligten
zum Zwecke der Zustellung vor dem 1. Januar 1997 herausgegeben worden (Art. 10 Abs. 1 Nr. 2 des Änderungsgesetzes vom 1. November
1996, aaO).
Die Berufung, über die der Senat nach Anhörung der Beteiligten (§
130 a Satz 2 i.V.m. §
125 Abs.
2 VwGO) einstimmig durch Beschluß entscheidet (§
130 a Satz 1, 1. Altern.
VwGO), ist auch begründet; denn das Verwaltungsgericht hat dem klagenden Land zu Unrecht ein Erstattungsanspruch gegen den Beklagten
zugesprochen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung für die Prüfung der Rechtmäßigkeit
des auf die Bestimmung des § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 gestützten Erstattungsanspruches nicht offenbleiben kann, ob vom klagenden Land ab 25. Mai 1994 Maßnahmen der Eingliederungshilfe
nach dem Bundessozialhilfegesetz oder Maßnahmen nach dem Jugendhilferecht zugewandt worden sind; denn der Erstattungsanspruch nach § 89c SGB VIII 1996, der seinerseits an Zuständigkeiten nach den Achten Buch des Sozialgesetzbuches anknüpft, setzt voraus, daß - zu Recht
- Maßnahmen nach Jugendhilferecht gewährt worden sind. Sollte dies nämlich nicht der Fall gewesen sein und sollte das klagende
Land als Sozialhilfeträger zuständig gewesen sein, so würde dies einen Erstattungsanspruch (nach Jugendhilferecht) ausschließen,
weil das klagende Land dann keine Leistungen nach Jugendhilferecht erbracht hätte. Ob die Kindesmutter einen Antrag auf Gewährung
von Jugendhilfemaßnahmen an den Beklagten gerichtet hat oder nicht, ist dabei, weil es um die Geltendmachung eines Erstattungsanspruches
nach Jugendhilferecht gegenüber dem Beklagten geht, unerheblich.
Daß dem klagenden Land der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch (aus § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996) nicht zusteht und daher die Berufung des Beklagten Erfolg haben muß, ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, daß
- so aber der Beklagte - bei geistig (wesentlich) behinderten Kindern wie dem Kind, der seit seiner Geburt an einem Langdon-Down-Syndrom/Trisomie
21 leidet, nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 Leistungen der Jugendhilfe stets ausgeschlossen sind, insoweit also für alle diese Leistungsberechtigten allein aufgrund
ihrer Erkrankung und unabhängig von dem jeweiligen Leistungsspektrum ein (absoluter) Vorrang der Eingliederungshilfe nach
dem Bundessozialhilfegesetz bestünde. Die Abgrenzung danach, welche Leistungen - auch - geistig (wesentlich) behinderten Kindern zu gewähren sind und
welcher Träger (der Jugendhilfe oder der Sozialhilfe) für die Leistungsgewährung an ein unter dieser Erkrankung leidendes
Kind zuständig (und damit leistungspflichtig) ist, hat nämlich nicht abstrakt, sondern konkret, und zwar nach den jeweiligen
Umständen des Einzelfalles zu erfolgen.
Entscheidend für die Auslegung des § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 ist, daß sich aus der Entstehungsgeschichte sowie nach Sinn und Zweck dieser Norm ergibt, daß der (Bundes-)Gesetzgeber
das Verhältnis zwischen der Jugendhilfe und der Eingliederungshilfe (nach den §§ 39 ff. BSHG) nicht absolut, also nicht in dem Sinne geregelt hat, daß bereits das bloße Vorliegen einer - wesentlichen - geistigen (oder
körperlichen) Behinderung bzw. des Drohens einer derartigen Behinderung den absoluten Vorrang der Eingliederungshilfe und
damit von Leistungen der Sozialhilfe begründet. Den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 11/5948, S. 53 - deutlicher der Entwurf
vom 5. August 1988, S. 29) ist nämlich zu entnehmen, daß der (Bundes-)Gesetzgeber in § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII nur eine generelle Abgrenzung im Hinblick auf Maßnahmen der Eingliederungshilfe hat vornehmen wollen, die konkrete Abgrenzung
der Maßnahmen aber angesichts umstrittener Abgrenzungskriterien dem jeweiligen Einzelfall und damit der Praxis überlassen
hat. Gegen eine abstrakte Betrachtungsweise spricht auch, daß häufig bei Kindern und Jugendlichen, die körperlich oder geistig
behindert oder von dieser Behinderung bedroht sind, eine Gemengelage bezüglich des Erfordernisses, Maßnahmen zur Abwehr eines
drohenden bzw. eingetretenen Erziehungsdefizites und ihrer Behinderung zu ergreifen, besteht, wobei das eine (Erziehungsdefizit)
durch das andere (Behinderung) bedingt sein kann. Hätte aber der Gesetzgeber den geistig oder körperlich - wesentlich - Behinderten
(bzw. von einer solchen Behinderung Bedrohten) nur die eine oder die andere Leistungsart (nach dem Bundessozialhilfegesetz bzw. nach dem Jugendhilferecht) zubilligen wollen, so hätte er dies (im Sinne einer gewollten klaren Abgrenzung) im Gesetz
- sei es im Achten Buch des Sozialgesetzbuches, sei es im Bundessozialhilfegesetz - zum Ausdruck gebracht. Dies ist aber nicht geschehen. Hat der Gesetzgeber somit (bewußt) bei den geistig behinderten bzw.
von einer derartigen Behinderten bedrohten jungen Menschen darauf verzichtet, einen absoluten Vorrang der Leistungen nach
dem Jugendhilferecht oder dem Bundessozialhilfegesetz - bezeichnenderweise haben Bestrebungen, mit Ausnahme der seelisch behinderten jungen Menschen alle übrigen Kinder und Jugendlichen
der Zuständigkeit der Sozialhilfeträger zuzuweisen, im Gesetzgebungsverfahren keine Mehrheit gefunden (siehe dazu den Bericht
des Ausschusses für Frauen und Jugend, BT-Drucks. 12/3711, abgedr. bei Bernzen, in Jans/Happe/Saurbier, Kinder- und Jugendhilferecht,
3. Aufl., Stand: März 1997, Erl. 3 zu § 10 Art. 1 KJHG, S. 7 f.) - vorzuschreiben, so konnten und können einem geistig (wesentlich) behinderten, noch nicht schulpflichtigen Kind
wie grundsätzlich Leistungen nach dem Achten Buch des Sozialgesetzbuches als auch nach den § 39 ff. BSHG (iVm der Eingliederungshilfeverordnung) zustehen (vgl. Mainberger, in: Hauck, SGB VIII, Stand: 1.1.1997, Rdnr. 29 zu § 10). Die Nachrangvorschrift des § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 kann daher ihre Wirkung nur insoweit entfalten, als bei einer konkret als Eingliederungshilfemaßnahme (nach dem Bundessozialhilfegesetz) gewährten Maßnahme bzw. einem Anspruch hierauf (weitere) Maßnahmen nach dem Jugendhilferecht für diese Maßnahme ausscheiden.
Die Nachrangvorschrift ist aber nicht in dem Sinne zu verstehen, daß bei einem geistig (wesentlich) behinderten Kind Leistungen
der Jugendhilfe von vornherein ausgeschlossen sind. Vielmehr ist, steht die Einordnung von konkret gewährten Leistungen für
ein Kind wie hier im Streit, zu fragen, ob das Schwergewicht der Maßnahme im Sozialhilferecht (Eingliederungshilfemaßnahme)
oder im Jugendhilferecht (Behebung oder Abwehr eines Erziehungsdefizits) liegt (ebenso: BayVGH, Urt. 6.4.1995 - 12 B 92.1768
-, FEVS 46, 185 (191)). Liegt der Schwerpunkt im Jugendhilferecht, geht es also etwa darum, einen Anspruch des Kindes auf
Erziehung und Sicherstellung seines notwendigen Lebensunterhaltes zu gewährleisten, so ist auch nach der Nachrangsvorschrift
des § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 die Anwendung des Jugendhilferechtes auf diese Maßnahme nicht ausgeschlossen (vgl. hierzu auch Nds. OVG, Beschluß v.
5.12.1994 - 4 M 4924/94 -, FEVS 46, 62 (66)). Anders verhält es sich nur, wenn sich die streitige Maßnahme allein als Eingliederungshilfemaßnahme
darstellt, die isoliert oder neben Jugendhilfemaßnahmen zu gewähren ist.
Für eine differenzierte Betrachtungsweise, wie sie hier vertreten wird, spricht im übrigen, daß andernfalls, d.h. bei einer
generellen Zuordnung zum Sozialhilferecht (Eingliederungshilfe) das vom Jugendhilferecht auch verfolgte Ziel, die Trennung
zwischen Behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen zu überwinden - wie dies u.a. in § 35 a SGB VIII 1996 zum Ausdruck kommt -, zu einem wesentlichen Teil wieder rückgängig gemacht würde (vgl. den Bericht des Ausschusses für
Frauen und Jugend, BT-Drucks. 12/3711, aaO).
Soweit der Beklagte demgegenüber einwendet, Gesetze müßten für die Verwaltung praktikabel und handhabbar sein, weshalb angesichts
schwieriger Angrenzungsprobleme in der Praxis § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1996 eine "absolute Sperrwirkung" beigemessen werden müsse, kann dies zu keiner anderen Beurteilung führen. Der Beklagte
beachtet bei dieser Argumentation nicht hinreichend, daß es der Bewertung des Gesetzgebers obliegt, ob dieser durch eine gesetzliche
Bestimmung einen Sachverhalt wie bei der Abgrenzung zwischen Sozialhilfe- und Jugendhilferecht ggfs. unter Verwendung von
Typisierungen regelt oder ob er die Anwendung (und damit auch Anwendungsprobleme) der Verwaltung und ggfs. den Gerichten überläßt.
Für den hier zu entscheidenden Fall folgt aus den soeben dargestellten Grundsätzen, daß es bei den ab dem 25. Mai 1994 gewährten
Maßnahmen (Aufnahme und Betreuung in der Pflegefamilie), für die der Erstattungsanspruch nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 geltend gemacht wird, um Maßnahmen der Jugendhilfe und nicht um solche der Eingliederungshilfe (nach Sozialhilferecht)
handelt. Dem Kind sind nämlich nach Entlassung aus dem Kinderkrankenhaus, d.h. ab Mai 1992 vornehmlich zur Behebung eines
Erziehungsdefizites Leistungen in Form der Unterbringung, Betreuung und Erziehung (einschließlich der Unterhaltsgewährung),
also Hilfen nach den § 27 ff. SGB VIII 1990/1993/1996 zugewandt worden; denn ausschlaggebend für die Aufnahme in die Pflegefamilie war nicht, daß dem Kind als Behinderten
nach § 40 Abs. 1 Nr. 2 a iVm § 11 der Eingliederungshilfeverordnung (vom 27.5.1964, BGBl. I S. 339 i.d.F. d. Verordnung vom 1.2.1975, BGBl. I S. 433) etwa Maßnahmen sprachtherapeutischer Behandlung oder die Betreuung in einer Sondergruppe eines Kindergartens (vgl. Brühl,
in: LPK - BSHG, 4. Aufl. 1994, Rdnr. 19 zu § 40) gewährt werden mußten. Vielmehr war die Aufnahme in die Pflegefamilie dadurch notwendig geworden, daß die sorgeberechtigte
Kindesmutter (und auch der Kindesvater) sich geweigert hatte, dem Kind Unterhalt zu gewahren sowie für das Kind zu sorgen,
es zu betreuen und es zu erziehen; die Kindesmutter hatte aufgrund einer prinzipiellen Ablehnung ursprünglich sogar eine Adoptionsfreigabe
erreichen wollen. Die Aufnahme in die Pflegefamilie erfolgt daher vornehmlich, weil die Eltern für die Betreuung, die Erziehung
und für den Unterhalt des Kindes nicht in Betracht kamen, insoweit also ein Erziehungs- und Betreuungsdefizit bestand. Daß
die ablehnende Haltung der Eltern durch die Behinderung ihres Kindes ausgelöst worden war, spielt somit für die Qualifizierung
der in der Pflegefamilie - auf Antrag seiner Mutter - zugewandten Leistungen als Maßnahmen der Jugendhilfe keine Rolle. Vielmehr
ist es für die zu gewährenden staatlichen Hilfen unerheblich gewesen, welche Motive die an sich zur Unterhaltsgewährung, zur
Erziehung und zur Betreuung des Kindes Berechtigten und Verpflichteten bewogen haben, sich ihrem Erziehungs- und Betreuungsauftrag
zu verweigern (weshalb an die Stelle der Eltern staatliche Maßnahmen - hier die Bereitstellung einer Vollzeitpflege in einer
Pflegefamilie - treten mußten). Entscheidend für die Einordnung der Maßnahme ist allein, daß ein Betreuungs- und Erziehungsdefizit
ausgeglichen werden mußte, welches aufgrund der Weigerung der Eltern bestand. Daß Maßnahmen zur Betreuung und Erziehung des
Kindes bei den hier zu betrachtenden Maßnahmen im Vordergrund gestanden haben, ergibt sich auch daraus, daß es sich bei bei
Aufnahme in die Pflegefamilie um ein Kleinkind gehandelt hat, bei dem ohnehin die Betreuung und die Sicherstellung seines
Unterhalts wie bei einem nichtbehinderten Kind zunächst im Vordergrund gestanden haben. Ob insoweit aufgrund der Behinderung
ein gesteigerter Betreuungsaufwand von den Pflegeeltern zu leisten war oder zumindest jetzt bei dem nunmehr fünfjährigen Kind
zu leisten ist, bedarf nach dem oben Ausgeführten keiner näheren Aufklärung und Erörterung; denn selbst wenn dies zumindest
jetzt der Fall sein sollte, würde damit der Charakter der Maßnahmen als Maßnahmen der Jugendhilfe nicht in Zweifel zu ziehen
sein, weil auch dann die Maßnahme nicht durch Elemente geprägt wäre, die es rechtfertigen könnten, sie als Eingliederungshilfemaßnahmen
(nach Sozialhilferecht) zu qualifizieren. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, daß die Jugendhilfe auch therapeutische Leistungen
umfassen kann (s. § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII 1996).
Lag (und liegt) aber zumindest das Schwergewicht der zu betrachtenden Maßnahmen (Unterbringung in der Pflegefamilie) im Jugendhilferecht
und bestand für die hier interessierende Maßnahme somit ein Nachrang nach § 10 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII 1990/1993 nicht, so trat gemäß § 86 Abs. 6 Satz 1 SBG VIII 1993 am 25. Mai 1994 dem Grunde nach ein Zuständigkeitswechsel in der Weise ein, daß (grundsätzlich) der Beklagte zuständig
wurde, wie dies das Verwaltungsgericht insoweit zutreffend erkannt hat. Es ist nämlich weder vorgetragen noch ersichtlich,
daß einer anderen Pflegefamilie oder einem Heim zugewiesen worden ist (das Kind soll sich vielmehr nach dem Kenntnisstand
des Beklagten, ohne daß das klagende Land dem widersprochen hätte, weiterhin in der Pflegefamilie befinden). Ist es aber nach
§ 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII 1993 zu einem Zuständigkeitswechsel gekommen und hat der bisherige Träger der Jugendhilfe weiter Leistungen an das Kind durch
Zahlung des Pflegegeldes an die Pflegeeltern erbracht, so steht diesem an sich nach § 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 ein Erstattungsanspruch zu. Dieser Erstattungsanspruch setzt aber voraus, daß es infolge des Zuständigkeitswechsels
auch zu einem Übergang der Leistungspflicht auf den nunmehr örtlich zuständig gewordenen Träger der Jugendhilfe gekommen ist.
Dies ist hier aber beim Beklagten nicht der Fall, weshalb entgegen der im angefochtenen Urteil vertretenen Auffassung dem
klagenden Land der geltend gemachte Erstattungsanspruch nicht zusteht.
Allerdings sieht das Achte Buch des Sozialgesetzbuches grundsätzlich vor, daß unter den in § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII 1993/1996 beschriebenen Voraussetzungen für die hier interessierenden Leistungen bei Pflegekindern in Abkehr von der üblicherweise
nach § 86 Abs. 1 SGB VIII 1996 geltenden Zuständigkeitsregelung ein Zuständigkeitswechsel zu dem örtlich nahen Jugendhilfeträger, hier dem Beklagten
stattfindet. Dieser Zuständigkeitswechsel tritt aber letztlich nicht im vollen Umfang ein. Um nämlich zu verhindern, daß gerade
in der Umgebung von Großstädten die dortigen, für das Umland zuständigen örtlichen Träger der Jugendhilfe kostenmäßig in zu
starkem Maße durch Pflegekinder, für die ein anderer (großstädtischer) Träger ursprünglich zuständig gewesen ist, belastet
würden (vgl. den Entwurf der Bundesregierung zum Ersten Änderungsgesetz, BT-Drucks. 12/2866, abgedr. bei Jans/Happe/Saurbier,
aaO, Erl. 2 zu § 89 a Art. 1 KJHG), hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen - § 89 a SGB VIII wurde durch das Erste Gesetz zur Änderung des Achten Buches des Sozialgesetzbuches vom 16. Februar 1993 (BGBl. I S. 239) in das Gesetz eingefügt -, durch einen Kostenerstattungsanspruch den Zuständigkeitswechsel hinsichtlich der hier interessierenden
Kosten der Erziehung in Vollzeitpflege letztlich nicht eintreten zu lassen, wenn der zuständig gewordene Jugendhilfeträger
- wie hier der Beklagte - seinerseits einen Kostenerstattungsanspruch nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 geltend macht (der Beklagte hat durch die Schriftsätze vom 27. August 1996 und vom 8. Oktober 1997 den Erstattungsanspruch
nach § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 geltend gemacht und gegenüber dem Erstattungsanspruch des klagenden Landes aus § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII auch hier im Prozeß zur Aufrechnung gestellt). Hat aber der Beklagte seinerseits gegen das klagende Land aus § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 einen Erstattungsanspruch, hat also der Gesetzgeber damit deutlich gemacht, daß die Kosten der Erziehung in Vollzeitpflege
bei dem ursprünglich zuständig gewesenen Jugendhilfeträger verbleiben sollen (Stähr, in: Hauck, aaO, Rdnr. 1 zu § 89 a, spricht
in diesem Zusammenhang zu Recht von einem "kostenmäßigen Ausgleich"), wenn der Erstattungsanspruch nach § 89 a SGB VIII 1996 geltend gemacht wird, so hat das klagende Land trotz des Zuständigkeitswechsels nach § 86 Abs. 6 Satz 1 SGB VIII 1993 am 25. Mai 1994 ab diesem Datum mit der Zahlung des Pflege- und Erziehungsgeldes an die Pflegeeltern letztlich nicht
eine fremde Leistung (für den Beklagten), sondern eine eigene Leistung erbracht, weshalb das klagende Land im Sinne des §
89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 nicht an die Stelle des Beklagten getreten ist, mithin für diesen nicht vorläufig Leistungen erbracht hat. Dieser Umstand
ist entgegen der Auffassung des beklagten Landes auch bereits bei der Prüfung des Bestehens des Erstattungsanspruches nach
§ 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 (und damit in diesem Prozeß) zu berücksichtigen, wenn sich der nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 in Anspruch genommene Jugendhilfeträger - wie hier der Beklagte - seinerseits auf einen ihm zustehenden Erstattungsanspruch
aus § 89 a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 beruft; denn die dann gebotene Zusammenschau der Erstattungsansprüche nach § 89 a und § 89 c SGB VIII 1993/1996 führt dazu - wie soeben dargelegt -, daß das klagende Land auch noch nach dem 24. Mai 1994 kostenmäßig eine eigene Leistung
und nicht die eines anderen, an sich auch kostenmäßig zuständigen Trägers der Jugendhilfe erbracht hat.
Mußte schon aus den dargestellten Erwägungen ein Erstattungsanspruch des klagenden Landes gegenüber den Beklagten nach § 89 c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII 1996 verneint werden, so kommt es nicht darauf an, ob, was im übrigen zwischen den Beteiligten umstritten ist, das klagende
Land einen Erstattungsanspruch nach § 89 a SGB VIII 1996 bereits von sich aus anerkannt hat oder nicht.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§
154 Abs.
1,
188 Satz 2
VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §
167 VwGO iVm §
708 Nr.
11 ZPO. Gründe, die Revision nach §
132 Abs.
2 VwGO zuzulassen, liegen nicht vor.