Sozialhilferecht: Umfang des Pflegegeldes bei medizinisch notwendiger Begleitung des Hilfesuchenden
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Höhe des dem Kläger zu gewährenden Pflegegeldes.
Der Kläger ist am 2. März 1947 in der Ukraine geboren. Zusammen mit seiner Ehefrau reiste er im Jahre 1995 in die Bundesrepublik
Deutschland ein und erhielt hier als Kontingentflüchtling eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Seit 1996 lebt er in H.
und erhält seitdem ebenso wie seine Ehefrau von der Beklagten laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Er ist nicht kranken- und
pflegeversichert.
Im Dezember 1995 musste dem Kläger, der bereits einen Herzinfarkt erlitten hatte, wegen eines Infektes, der als Folge eines
langjährigen insulinpflichtigen Diabetes mellitus mit Angiopathie entstanden war, der linke Oberschenkel amputiert werden.
Er ist mit einer Oberschenkelprothese versorgt. Der Kläger leidet zudem unter einer Sehbehinderung des linken Auges. Vom Versorgungsamt
H ist er inzwischen als Schwerbehinderter anerkannt (GdB: 100).
Auf Antrag des Klägers gewährte die Beklagte ihm ab 14. Juni 1996 Pflegegeld gemäß § 69 a Abs. 1 BSHG in Höhe von 400,-- DM (Pflegestufe I), wobei sie das Pflegegeld für die Zeit des Einsatzes eines Pflegedienstes in der Zeit
bis Ende September 1996 kürzte. Seit dem 1. Oktober 1996 erhält der Kläger, der seither allein von seiner Ehefrau gepflegt
wird, das volle Pflegegeld in Höhe von 400,-- DM.
Den Widerspruch des Klägers, mit dem dieser einen täglichen Pflegeaufwand von mindestens 3,5 bis 4 Stunden geltend machte
und ein Pflegegeld der Stufe II in Höhe von 800,-- DM monatlich begehrte, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.
Dezember 1996 zurück.
Mit der bei dem Verwaltungsgericht erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Das Verwaltungsgericht hat
durch Einholung eines Gutachtens Beweis darüber erhoben, ob der Kläger die Voraussetzungen für die Pflegestufe II erfüllt.
Gestützt auf das Gutachten der Pflegefachkraft T. vom 28. November 1998 hat das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom
18. Mai 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:
Die Klage sei nicht begründet. Der Kläger habe nicht Anspruch auf Pflegegeld nach § 69 a Abs. 2 BSHG.
Schwerpflegebedürftigkeit liege vor bei Pflegebedürftigen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für
mehrere Verrichtungen mindestens dreimal täglich zu verschiedenen Tageszeiten der Hilfe bedürften und zusätzlich mehrfach
in der Woche bei der hauswirtschaftlichen Versorgung Hilfe benötigten. Es sei unstreitig, dass der Kläger Hilfe bei der Körperpflege
und der Mobilität sowie bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötige. Der Umfang der erforderlichen Hilfe erreiche jedoch
in zeitlicher Hinsicht nicht den Umfang, der für die Annahme für Schwerpflegebedürftigkeit erfüllt sein müsse. Das wäre nämlich
nur dann der Fall, wenn die erforderlichen Hilfestellungen im Tagesdurchschnitt mindestens drei Stunden bei einem eindeutigen
Übergewicht des pflegerischen gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand erfordert hätten.
Zwar habe der Gesetzgeber diese zeitliche Dimension nicht in § 69 a Abs. 2 BSHG mit aufgenommen. Nach § 68 Abs. 6 BSHG fänden jedoch für die nähere Bestimmung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit und zur Abgrenzung der Pflegegelder nach § 69 a BSHG die Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen nach §
17 SGB XI entsprechende Anwendung. Nach diesen sogenannten Pflegebedürftigkeitsrichtlinien (PflRi) vom 7. November 1994 (NDV 1995,
34 ff.) müsse der wöchentliche Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger, Nachbar oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete
Pflegeperson für alle für die Versorgung des Pflegebedürftigen nach Art und Schwere seiner Pflegebedürftigkeit erforderlichen
Leistungen der Grundpflege, hauswirtschaftlichen Versorgung und pflegeunterstützenden Maßnahmen benötige, im Tagesdurchschnitt
mindestens drei Stunden betragen, wobei der pflegerische Aufwand gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand eindeutig das
Übergewicht haben müsse. Damit sei ein zeitlicher Mindestaufwand verbindlich definiert, ohne den zumindest im Regelfall Schwerpflegebedürftigkeit
im Sinne des § 69 a Abs. 2 BSHG nicht vorliege.
Der Kläger sei, gemessen an diesen Maßstäben, im hier maßgeblichen Zeitraum nicht schwerpflegebedürftig gewesen. Dies habe
bereits die im Laufe des Klageverfahrens eingeholte Stellungnahme des Amtsärztlichen Dienstes der Beklagten vom 25. November
1997 ergeben, wonach der zeitliche Umfang des Pflegebedarfs täglich maximal 90 Minuten betrage. Die vom Gericht mit der Erstellung
eines Gutachtens beauftragte Pflegefachkraft T. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen sei in ihrem
Gutachten vom 28. November 1998 zu dem Ergebnis gekommen, dass der notwendige Hilfebedarf des Klägers im Bereich der Körperpflege
und der Mobilität bei 70 Minuten pro Tag liege, der notwendige Hilfebedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung
bei mehr als 60 Minuten pro Tag. Bedenken gegen die Würdigung des Pflegebedarfs durch die Gutachterin bestünden nicht. Darauf,
dass der Kläger selbst seine Pflegebedürftigkeit höher einschätze und seine Ehefrau tatsächlich einen höheren zeitlichen Aufwand
dafür erbringe, könne es nicht ankommen. Maßgeblich seien lediglich die erforderlichen Leistungen der Grundpflege, zu denen
weder die Hilfen beim Verabreichen der Insulinspritzen noch Hilfestellungen bei Spaziergängen gehörten.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner von dem erkennenden Senat mit Beschluss vom 12. Januar 2000 -- 4 L 2860/99 -- zugelassenen Berufung. Er trägt vor: Die Gutachterin des Verwaltungsgerichts sei bereits von einem unzutreffenden Sachverhalt
ausgegangen. Sie habe bei der Begutachtung im November 1998 nicht berücksichtigt, dass er, der Kläger, bis Dezember 1997 in
einer anderen Wohnung gewohnt habe, die in pflegerischer Hinsicht wesentlich ungünstiger gewesen sei (Lage im 2. Stockwerk,
Fehlen eines Aufzugs von der Wohnetage bis in den Keller).
Die Gutachterin habe ferner nicht berücksichtigt, dass er bei Arztbesuchen auf Hilfe angewiesen sei. Er könne die Treppen
zu den Arztpraxen nicht ohne Hilfe bewältigen. Im maßgeblichen Zeitpunkt hätten er und seine Ehefrau auch nicht über ein Auto
verfügt; im übrigen könne er wegen der Blindheit auf einem Auge auch nicht allein mit dem Auto fahren. Der für die Arztbesuche
erforderliche Pflegebedarf habe im maßgeblichen Zeitpunkt im Tagesdurchschnitt etwa 42 Minuten betragen. Schließlich habe
die Gutachterin den zeitlichen Umfang der notwendigen Hilfeleistungen zum Teil zu gering angesetzt, insbesondere auch die
gemäß dem ärztlichen Attest des Dr. med. von R. vom 4. April 2000 aus medizinischer Sicht notwendigen täglichen Spaziergänge
nicht angerechnet.
Der Kläger beantragt,
das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern, die Beklagte zu verpflichten, ihm für die Zeit vom 14. Juni bis
17. Dezember 1996 Pflegegeld nach § 69 a Abs. 2 BSHG zu gewähren und den Bescheid der Beklagten vom 7. November 1995 und ihren Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 1996 aufzuheben,
soweit sie dem entgegenstehen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angegriffene Urteil.
Der Senat hat über den Umfang der Pflegebedürftigkeit des Klägers Beweis erhoben durch Vernehmung seiner Ehefrau, Frau T.
B., als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12. April 2000 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts, des Vorbringens der Beteiligten und der Gründe des Urteils des Verwaltungsgerichts
wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers ist begründet. Er hat für die Zeit vom 14. Juni bis 17. Dezember 1996 einen Anspruch auf die Gewährung
von Hilfe zur Pflege unter Berücksichtigung eines Pflegegeldes von 800,-- DM (Pflegestufe II).
Hinsichtlich der rechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes der Pflegestufe II (§ 69 a Abs. 2 BSHG) verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil und wiederholt
diese nicht (§
130 b Satz 1
VwGO). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts erforderten die notwendigen Leistungen der Grundpflege, hauswirtschaftlichen
Versorgung und pflegeunterstützenden Maßnahmen aber in dem hier maßgeblichen Zeitraum im Tagesdurchschnitt mindestens drei
Stunden bei eindeutigem Überwiegen des pflegerischen Aufwandes gegenüber dem hauswirtschaftlichen Aufwand. Das ergibt sich
daraus, dass zusätzlich zu dem von dem Verwaltungsgericht berücksichtigten Aufwand auch die Erschwernisse durch die im Jahre
1996 noch ungünstigere Wohnsituation des Klägers, der Betreuungsaufwand für Arztbesuche und die Betreuung bei Spaziergängen
in den Pflegeaufwand mit einzurechnen sind.
a) Zur Wohnsituation:
Der Kläger hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die von dem Verwaltungsgericht beauftragte Gutachterin bei der Erstellung
ihres Gutachtens im November 1998 die zu dieser Zeit aktuelle Wohnsituation des Klägers zugrunde gelegt hat -- offenbar in
Unkenntnis dessen, dass der Kläger und seine Ehefrau erst im Dezember 1997 in diese Wohnung eingezogen waren und es hier maßgeblich
auf die Lebenssituation des Klägers im 2. Halbjahr des Jahres 1996 ankommt --. Wie der Kläger unwidersprochen vorträgt, haben
er und seine Ehefrau damals in einer Wohnung im 2. Stockwerk gewohnt. Über einen Aufzug hat das Haus nicht verfügt. Die Frau
des Klägers hat bei ihrer Vernehmung als Zeugin glaubhaft dargelegt, dass sie dem Kläger regelmäßig dabei hat helfen müssen,
die Treppen hinauf- und hinunterzugehen. Auch den Rollstuhl hat sie stets über die Treppe tragen müssen. Da der Kläger wegen
seiner Behinderung das Treppensteigen nur sehr langsam und mit wiederholten Pausen hat bewältigen können, hat nach ihren Angaben
das Treppensteigen und das Transportieren des Rollstuhls jeweils 10 bis 15 Minuten gedauert. Die insoweit von der Ehefrau
geleistete Hilfe gehört unstreitig zum pflegerischen Bedarf des Klägers. Sie ist deshalb zusätzlich zu dem von dem Verwaltungsgericht
seiner Entscheidung zugrunde gelegten Pflegebedarf zu berücksichtigen.
b) Zu den Arztbesuchen:
Die Zeiten, während derer eine Begleitung und Betreuung des Klägers bei den Arztbesuchen erforderlich war, sind ebenfalls
bedarfserhöhend zu berücksichtigen. Im Bereich der Mobilität gehören nach Ziff. 3.4.1 PflRi zu den zu berücksichtigenden Hilfeleistungen
u. a. Hilfen beim Treppensteigen (Nr. 14) und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (Nr. 15). Erläuternd bestimmen
die PflRi unter Ziff. 3.4.2:
"Unter Gehen ist das Bewegen im Zusammenhang mit den Verrichtungen im Bereich der Körperpflege, der Ernährung und der hauswirtschaftlichen
Versorgung zu verstehen. Aufstehen und Treppensteigen (lfd. Nr. 13 und 14) kommen nur im Zusammenhang mit diesen Verrichtungen
in Betracht.
Beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung (lfd. Nr. 15) sind nur solche Verrichtungen außerhalb der Wohnung bei der Begutachtung
zu berücksichtigen, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen
des Pflegebedürftigen erfordern. Weiterer Hilfebedarf, z. B. bei Spaziergängen oder Besuch von kulturellen Veranstaltungen,
bleibt unberücksichtigt."
Soweit der Pflegebedürftige die Wohnung für Arztbesuche notwendigerweise verlassen muss, sind die beim Verlassen und Wiederaufsuchen
der Wohnung erforderlichen Hilfeleistungen danach jedenfalls berücksichtigungsfähig. Bei solchen Anlässen erforderliche Hilfeleistungen,
die anfallen, sobald der Pflegebedürftige sich außerhalb seines Hauses/Grundstücks befindet, sind ebenfalls berücksichtigungsfähig.
Zu dem Umfang, in dem sie zu berücksichtigen sind, hat das Bundessozialgericht zu einer gleichartigen Problematik bei der
Anwendung des §
14 Abs.
4 Nr.
3 SGB XI ausgeführt (Urt. v. 29. April 1999 -- B 3 P 7/98 R -- < RdLH 1999, 163>):
"... Nur die notwendige Begleitung der Klägerin auf dem Hin- und Rückweg, nicht aber die Wartezeit der Mutter in der Praxis
hat das LSG dem Pflegebedarf zugerechnet. Das entspricht zwar den BRi < Begutachtungsrichtlinien> (Abschn. D Teil 5.3
Ziff. 15). Der Senat hat aber bereits entschieden, dass die Ausklammerung notwendiger Wartezeiten der Pflegeperson bei außerhäuslichen
Verrichtungen rechtswidrig ist, wenn die Pflegeperson während dieser Zeit keiner anderen sinnvollen Tätigkeit, die auch ohne
die Wartezeit zu erledigen wäre, nachgehen kann (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr. 6). ...
Zwar sind Besuche beim Arzt und beim Krankengymnasten Verrichtungen, die "für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause
unumgänglich sind und das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen" und deshalb bei der Verrichtung des
Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung grundsätzlich zu berücksichtigen sind (BR-Drucks. 505/93, S. 97). Dies gilt aber
nicht uneingeschränkt. Verrichtungen, die seltener als regelmäßig mindestens einmal pro Woche anfallen, zählen nicht zum berücksichtigungsfähigen
Pflegeaufwand. Das Gesetz stellt in §
15 Abs.
3 SGB XI mit hinreichender Deutlichkeit klar, dass bei der Ermittlung des für die Pflege erforderlichen Zeitaufwandes auf die Woche
abzustellen ist. Aus dem gesamten in einer Woche anfallenden Pflegeaufwand ist der Tagesdurchschnitt zu ermitteln. Dies schließt
es aus, bei der Feststellung des zeitlichen Pflegebedarfs auch Verrichtungen einzubeziehen, die seltener als regelmäßig mindestens
einmal wöchentlich anfallen. ..."
Eine ähnliche Erwägung findet sich in den "Empfehlungen der Spitzenverbände der Pflegekassen für ein System zur Vergütung
von Leistungen der häuslichen Pflege nach dem
SGB XI" (Stand: 08.11.1996), wo es zum Leistungskomplex 15 (Begleitung bei Aktivitäten -- Grundpflege --) heißt: "Es ist zu gewährleisten,
dass der Pflegebedürftige unter ständiger Betreuung der Begleitperson steht. Das gilt auch für eventuelle Wartezeiten in Arztpraxen
oder Behörden."
Wegen der Gleichartigkeit der Sachverhalte können diese Kriterien (Notwendigkeit der Begleitung, notwendiger zeitlicher Umfang
der Begleitung, Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Anlasses) nach Auffassung des Senats ohne weiteres auf die Pflege nach dem
BSHG übertragen werden. Aufgrund der Vernehmung der Ehefrau des Klägers als Zeugin steht zur Überzeugung des Senats fest, dass
der Kläger in dem maßgeblichen Zeitraum im 2. Halbjahr 1996 regelmäßig etwa drei- bis viermal in der Woche einen Arzt aufgesucht
hat (u. a. Arzt für Allgemeinmedizin, Augenarzt, Kardiologe sowie ambulante Behandlung im Krankenhaus). Alle Arztpraxen befanden
sich so weit von der Wohnung des Klägers und seiner Ehefrau entfernt, dass für die Bewältigung der Wege Busse oder U-Bahnen
in Anspruch genommen werden mussten. Der zeitliche Aufwand der Untersuchungen bzw. Behandlungen betrug bis zu 3 oder 4 Stunden
(z. B. beim Kardiologen). Der Kläger war für die Bewältigung der Wege zu den Arztpraxen und zurück nach Hause auf die Unterstützung
seiner Ehefrau angewiesen. Sie ist auch während der Untersuchungen und Behandlungen anwesend geblieben und hat ihm beim An-
und Ausziehen oder beim Hinlegen und Wiederaufstehen geholfen. Nach dem Gesamtbild der Behinderung des Klägers hält der Senat
es für glaubhaft, dass der Kläger auf eine solche Unterstützung angewiesen war. Seine Ehefrau als Pflegeperson konnte deshalb
die Wege-, Warte- und Behandlungszeiten auch nicht in irgendeiner Form anderweitig nutzen. Damit entsprachen die Zeiten der
Arztbesuche des Klägers auch den Zeiten der notwendigen Begleitung durch seine Ehefrau und sind bei der Bestimmung des gesamten
pflegerischen Aufwandes zu berücksichtigen.
c) Zu den Spaziergängen:
Hilfestellung bei Spaziergängen kann entsprechend den Pflegerichtlinien regelmäßig nicht als pflegerischer Bedarf berücksichtigt
werden. Hierzu hat der Senat in seinem Urteil vom 29. April 1998 (4 L 5876/96, FEVS Bd. 49 S. 175) ausgeführt, dass zwar grundsätzlich nur solche Hilfen im Bereich der Mobilität der pflegebedürftigen
Person im Sinne des § 69 a Abs. 2 BSHG erforderlich seien, die im Zusammenhang mit den sonstigen Verrichtungen des täglichen Lebens stünden und die demgemäß regelmäßig
innerhalb der Wohnung stattfänden, dass Ausnahmen aber in dem Maße zulässig seien, in dem die (weitere) Bewegung wegen der
jeweiligen Behinderung (medizinisch) geboten sei. Hieran hält der Senat fest. Der Kläger hat hierzu ein ärztliches Attest
des Dr. med. von R. vom 4. April 2000 vorgelegt, in dem es heißt: "Im Rahmen des Diabetes mellitus, der bei Herrn B. seit
langen Jahren bekannt ist, besteht neben anderen schwerwiegenden Komplikationen eine periphere arterielle Durchblutungsstörung
am verbliebenen rechten Bein. Hieraus ergibt sich die medizinische Indikation zu täglichen, längeren Spaziergängen (länger
als 40 Minuten täglich), um die Durchblutung durch Gehtraining zu verbessern." Wie die Ehefrau des Klägers bei ihrer Vernehmung
als Zeugin bekundet hat, hat sie den Kläger in dem hier maßgeblichen Zeitraum regelmäßig mit dem Rollstuhl in den Park gefahren.
Dort hat sie ihm aus dem Rollstuhl geholfen. Er ist dann mit der Prothese gegangen, musste sich aber nach 5 bis höchstens
10 Minuten wieder ausruhen. Sie hat ihn beim Gehen unterstützt. Auf dem Rückweg hat sie ihn wieder im Rollstuhl geschoben.
Diese Zeiten des aus medizinischer Sicht für den Kläger notwendigen "Spazierengehens" gehören unter diesen Umständen mit zum
notwendigen Pflegebedarf.
Zusammengefasst (a, b und c) ergibt sich damit zusätzlich zu dem von dem Verwaltungsgericht festgestellten Hilfebedarf im
Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung von mehr als 60 Minuten täglich und im Bereich der Körperpflege und der Mobilität
von 70 Minuten täglich ein weiterer pflegerischer Bedarf. Selbst wenn der Kläger nur einmal am Tag das Haus verlassen hat,
ergab sich für die Hilfe beim Treppensteigen ein weiterer Bedarf von mindestens 20 Minuten täglich. Für die Hilfe auf den
Wegen außerhalb des Hauses zum Arzt und zurück und die Hilfeleistungen in der Praxis -- durchschnittlich jedenfalls einmal
werktäglich -- ist ein täglicher Zeitaufwand von nicht unter einer Stunde anzusetzen. Das Gleiche gilt für die medizinisch
notwendigen Spaziergänge (40 Minuten zuzüglich Wegezeiten für Hin- und Rückweg zum/vom Park). Damit ergibt sich ein weiterer
regelmäßiger täglicher Pflegebedarf des Klägers von mindestens 60 Minuten täglich, so dass er Anspruch auf Pflegegeld der
Stufe II (bei mindestens 180 Minuten Pflege täglich), also in Höhe von 800,-- DM monatlich hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
154 Abs.
1,
188 Satz 2
VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§
167 VwGO in Verbindung mit §§
708 Nr.
10,711
ZPO. Gründe für eine Zulassung der Revision (§
132 Abs.
2 VwGO) liegen nicht vor.