Sozialhilferecht: Verbot der "Umetikettierung" der Art der Hilfe
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Art der der Klägerin zu gewährenden Hilfe.
Die am 14. Mai 1975 geborene Klägerin ist körperlich wesentlich behindert. Ihr Schwerbehinderten-Ausweis trägt die Merkzeichen
G, aG, H und RF. Der Grad der Behinderung beträgt 100. In der sozialhygienischen Stellungnahme vom 16. Mai 1995 sind als Fachbefunde
festgehalten: Frühgeburt; im Alter von vier Monaten Diagnose eines Hydrocephalus, Anlage eines Ventils; im Vorschulalter Hirnhautentzündung;
1987 kinderpsychiatrischer Befundbericht; seit Februar 1995 erneute Vorstellung mit nachfolgender Betreuung durch Studenten
der Sozialpädagogik; neurochirurgische Beobachtung ca. alle ein bis zwei Jahre; im Alter von 8 Jahren Hüftgelenksoperation
links; 1985 Fußoperation links und 1987 erneute Operation am linken Fuß; im selben Jahr Sehnenverlängerung am rechten Kniegelenk
mit nachfolgender Peronäusbeschädigung (i. e. Beeinträchtigung der Unterschenkelmuskulatur - Spitzfußstellung -); im Kleinkindalter
Schieloperation. Als Untersuchungsergebnisse werden festgehalten: Rollstuhlfahrerin; Sehvermögen mit Glas beidseits 1,0; Hörvermögen
Flüstersprache beidseits 5 m; reizlose Narbe am Hinterkopf nach Hydrocephalusoperation; leichte Skoliose der Wirbelsäule;
Zentralnervensystem: linksbetonte beinbetonte Tetraparese; Linkshänderin, Gebrauch der rechten Hand als Stützhand. Die zusammenfassende
diagnostische Beurteilung lautet: Spastische Lähmung der Extremitäten, Rollstuhlpflicht, funktionelle Linkshändigkeit mit
Gebrauch der rechten Hand als Stützhand, gut ventilversorgter Hydrocephalus, Zustand nach Kniebeugesehnenverlängerung, Arthrodese
des rechten Sprunggelenks (i. e. operative Gelenkversteifung zur Beseitigung eines zerstörten Gelenks), neurotische Konfliktverarbeitung.
Seit dem 12. August 1995 besucht die Klägerin den Arbeitsbereich einer Werkstatt für Behinderte. Hierfür wurde auf den Antrag
der Beklagten vom 1. Juni 1995 vom Niedersächsischen Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben - NLSZA - unter dem 30. Juni
1995 ein Grundanerkenntnis erteilt. Nach diesem Grundanerkenntnis gehört die Klägerin zum Personenkreis der körperlich wesentlich
Behinderten im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG infolge Beeinträchtigung des Stütz- oder Bewegungssystems gemäß § 1 Nr. 1 der VO zu § 47 BSHG. Bei der gewährten Hilfeart handelt es sich ausweislich des Grundanerkenntnisses um Eingliederungshilfe gemäß § 39 BSHG in Verbindung mit § 40 BSHG.
Unter dem 2. November 1995 beantragte die Heilpädagogische Hilfe O. für die Klägerin, ihr die Kosten für ein Probewohnen in
der Einrichtung "Haus B." zu bewilligen. Um die Aufnahme in eine Körperbehindertengruppe hatte die Klägerin gemeinsam mit
ihren Eltern gebeten, weil ihr daran gelegen war, möglichst selbständig zu leben. Nach damaliger Einlassung war es ihr besonders
wichtig, mit anderen Menschen zusammen zu leben, deren intellektuelle Einschränkungen nicht sehr wesentlich sind, sondern
bei denen - wie bei - ihr die Körperbehinderung im Vordergrund steht. Wegen dieses Aufnahmewunsches bat die Beklagte unter
dem 8. September 1995 (mit dem Betreff "Eingliederungshilfe für") ihr Gesundheitsamt um eine ärztliche Stellungnahme. Diese
kam unter dem 20. November 1995 zu dem Ergebnis, die Aufnahme in die Einrichtung diene dem Zweck der Eingliederung der dauerhaft
wesentlich Behinderten. Eine weitere ärztliche Stellungnahme des Gesundheitsamtes der Beklagten vom 12. Dezember 1995 kam
zu den gleichen Feststellungen. Unter dem 24. November 1995 beantragte die Beklagte beim NLSZA, ein Grundanerkenntnis zu erteilen,
ordnete die Klägerin dem Personenkreis der körperlich wesentlich Behinderten im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 1 BSHG zu und gab als Hilfeart. "Eingliederungshilfe nach §§ 39, 40 BSHG" an. Als Ort der Hilfegewährung wurde "Stationäre Einrichtung" und als Einrichtungstyp wurde "Wohngruppe an Wohnheim" angegeben.
Unter dem 4. Dezember 1995 erteilte das NLSZA antragsgemäß ein Grundanerkenntnis und gab dabei als Hilfeart: "Eingliederungshilfe
gemäß § 39 BSHG in Verbindung mit § 40 BSHG" und als Ort der Hilfe: "Stationäre Einrichtung für körperlich Behinderte (Wohngruppe an Wohnheim)" an. Entsprechend wurde
der Klägerin mit Bescheid vom 11. Dezember 1995 durch die Beklagte Eingliederungshilfe für die Zeit vom 3. bis zum 17. Dezember
1995 bewilligt. Als Umfang der Kostenübernahme wurde ein Tagessatz von seinerzeit 116,40 DM angegeben.
Im Januar 1996 forderte die Beklagte die Klägerin unter Hinweis auf das zum 1. April 1995 in Kraft getretene Leistungsrecht
des
SGB XI auf, Leistungen der Pflegeversicherung bei ihrer Pflegekasse zu beantragen, weil die Pflegekassen bislang nicht bereit seien,
die Voraussetzungen für die Leistungsgewährung in Behinderteneinrichtungen zu schaffen und die Ansprüche der betroffenen Behinderten
bzw. die darauf basierenden Erstattungsansprüche der Sozialhilfeträger anzuerkennen. Unter dem 28. Mai 1996 forderte das NLSZA
den Träger der Einrichtung auf, mit den Pflegekassen einen Versorgungsvertrag abzuschließen, und führte dazu aus: Aus seiner
Sicht sei bei Ziel und Inhalt der Leistungen in der Wohngruppe für Körperbehinderte der Schwerpunkt der Pflege deutlicher
herauszustellen. Mit der Vereinbarung oder Abrechnung eines Entgelts von 250,- DM pro Pflegetag in der Wohngruppe sei es,
das Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben, nicht einverstanden. Nach Abschluss eines Versorgungsvertrages
könne ergänzende Sozialhilfe gewährt werden.
Unter dem 2. Dezember 1996 forderte das NLSZA die Beklagte auf, entsprechend seiner Auffassung durch Bescheide klarzustellen,
dass als Hilfeart Hilfe zur Pflege gewährt werde. Soweit in erteilten Grundanerkenntnissen nach Inkrafttreten der zweiten
Stufe der Pflegeversicherung noch Eingliederungshilfe als Hilfeart angegeben worden sei, sei ein neues Grundanerkenntnis zu
beantragen. Die in die geplante Wohngruppe für Körperbehinderte in R. aufzunehmenden Personen sollten wegen der vorrangigen
Ansprüche aus §
43 SGB XI auf die Leistungsverpflichtung der Pflegekassen verwiesen werden.
Unter dem 10. Februar 1997 beantragte die Einrichtung bei der Beklagten, die Kosten für die geplante Aufnahme der Klägerin
in die Körperbehindertengruppe R. ab dem 24. Februar 1997 zu übernehmen. Die Beklagte weigerte sich mit Schreiben vom 20.
Februar 1997, die Kosten hierfür zu tragen, und verwies darauf, zwischen den Pflegekassen und dem Einrichtungsträger sei ein
Versorgungsvertrag nicht abgeschlossen worden.
Gegen den Bescheid vom 20. Februar 1997 legte die Klägerin unter dem 20. am 21. März 1997 Widerspruch ein und machte im wesentlichen
geltend: Es gehe ihr darum, sich von ihrem Elternhaus zu lösen und Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu erlangen. Dies erfordere
wegen ihrer Körperbehinderung einen besonderen Rahmen und besondere Förderungsmöglichkeiten. Sie sei sicher, dass sie in der
Lage sei, gerade aufgrund ihres Alters, eine echte Eingliederung in die Gesellschaft erreichen zu können. Dazu benötige sie
aber geeignete Maßnahmen der Förderung und des Trainings. Die Wohngruppe für Körperbehinderte der Heilpädagogischen Hilfe
in O. sei die einzige Einrichtung im Einzugsbereich, die diesen Bedarf adäquat befriedigen könne. Die Hilfen, die sie im Bereich
der Pflege benötige und erhalte, seien nach ihrem Charakter in einer vorrangigen Beziehung zu dem Zweck der Eingliederungshilfe
zu sehen. Sie dienten dazu, sie so weit wie möglich unabhängig von Hilfe zu machen, insbesondere auch durch den Einsatz technischer
Hilfsmittel, deren Handhabung zunächst gelernt werden müsse.
Unter dem 30. Juni 1997 bat die Beklagte das NLSZA um Mitteilung, ob das Grundanerkenntnis vom 4. Dezember 1995 auch als Grundlage
der Kostenübernahme für die Wohnheimaufnahme am 24. Februar 1997 in Anspruch genommen werden könne, und verwies darauf, dass
das Verwaltungsgericht O. in einem gleichgelagerten Fall (Wohngruppe am Wohnheim B.) durch einstweilige Anordnung entschieden
habe, dass der Landkreis O. Eingliederungshilfe durch Übernahme der im Wohnheim entstehenden Unterbringungskosten zu gewähren
habe. Dem Schreiben legte die Beklagte u.a. die weitere ärztliche Stellungnahme des Gesundheitsamtes vom 12. Dezember 1995
bei, die zu der Beurteilung gelangt, die Eingliederung der Klägerin in eine Wohngruppe für körperbehinderte Menschen sei vom
Bewegungsapparat her möglich und erscheine auch insgesamt sinnvoll. Ausweislich eines Vermerks vom 11. Juli 1997 bestand das
NLSZA darauf, dass für die Klägerin ein neues Grundanerkenntnis für Leistungen nach § 68 BSHG zu beantragen sei. In dem von der Beklagten genannten Verfahren vor dem Verwaltungsgericht O. wies das NLSZA den Landkreis
O. unter dem 16. Juni 1997 an, gegen den Beschluss Beschwerde nicht einzulegen, weil diese aussichtslos sei. Die Kosten der
Betreuung in der Wohngruppe B. sollten weiterhin vorläufig nach §
43 SGB I übernommen werden. Weisungsgemäß bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15. Juli 1997 Hilfe zur Pflege in
der Wohngruppe für Körperbehinderte in R. ab dem Aufnahmetag (24.2.1997) bis auf Weiteres als vorläufige Leistung gemäß §
43 Abs.
1 SGB I. Als Tagessatz wurde ein Betrag von 118,50 DM eingesetzt.
In der Heranziehung der Klägerin zu einem Kostenbeitrag durch Bescheid vom 16. Juli 1997 handelte für die Beklagte weiterhin
das Sozialamt/"Eingliederungshilfe", das im Betreff auch die Gewährung von "Eingliederungshilfe nach den §§ 39 und 40 BSHG" nannte und in dem benutzten Vordruck lediglich im Text das Wort "Eingliederungshilfe" handschriftlich durch die Worte "Hilfe
zur Pflege" ersetzte.
Die für die Klägerin als Pflegekasse zuständige BKK bewilligte ihr mit Bescheid vom 16. Mai 1997 einen Pauschbetrag in Höhe
von 10 v. H. des maßgeblichen Heimentgelts, maximal 500,- DM monatlich. Dabei legte sie die Einstufung der Klägerin in der
Pflegestufe II zugrunde.
Unter dem 30. Juli 1997 erteilte das NLSZA ein Grundanerkenntnis und gab als Hilfeart: "Hilfe zur Pflege gemäß § 68 BSHG" und als Ort der Hilfe eine stationäre Einrichtung für körperlich Behinderte (Wohnheim an Werkstätten für Behinderte) an.
Ein entsprechendes Kostenanerkenntnis, durch das der Bescheid vom 15. Juli 1997 ersetzt wurde, gab die Beklagte gegenüber
der Klägerin unter dem 20. Oktober 1997 ab. Der Tagessatz wurde darin mit 255,01 DM angegeben. Zu einer Einigung über diesen
Pflegesatz kam es dann auch im Schiedsstellenverfahren nach § 94 BSHG. Der Antrag des Einrichtungsträgers vom 5. Februar 1997 war auf einen Tagespflegesatz von 255,01 DM als Eingliederungshilfe
gerichtet. Ihm waren ein Konzept der Wohngruppe beigefügt und die Weigerung der Pflegekassen, mit dem Einrichtungsträger für
die Einrichtung einen Versorgungsvertrag abzuschließen. Das Verfahren endete durch Vergleich vom 8. Dezember 1998, worin sich
das NLSZA verpflichtete, den beantragten Betrag als Pflegesatz anzuerkennen, der Einrichtungsträger aber offenbar davon abrückte,
diesen gerade als Eingliederungshilfe verlangen zu können.
Gegen den Bescheid der Beklagten vom 20. Oktober 1997 legte die Klägerin unter dem 11. November 1997 Widerspruch ein, weil
sie meinte, die ihrem individuellen Hilfebedarf entsprechende Hilfeart sei nicht Hilfe zur Pflege, sondern Eingliederungshilfe
gemäß §§ 39, 40 BSHG. Das NLSZA wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 31. März 1998, der Klägerin zugestellt am 2. April 1998, zurück.
Die Klägerin hat unter dem 30. April am 4. Mai 1998 hiergegen beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Sie hat vorgetragen:
Die Wohngruppe in R. sei eine Einrichtung der Behindertenhilfe im Sinne des §
71 Abs.
4 SGB XI. Bei den Hilfeleistungen stehe der Gesichtspunkt der Eingliederung im Vordergrund. Sie sei in die Pflegestufe II eingeordnet
worden; einen Widerspruch habe sie hiergegen nicht eingelegt. Mit den Pflegekassen sei ein Versorgungsvertrag nicht abgeschlossen
worden. Materiell werde in der Einrichtung Eingliederungshilfe gewährt; das ergebe sich aus dem individuellen Hilfeplan und
den zu leistenden Hilfen im täglichen Ablauf; insbesondere sei eine Krankenschwester zwar mit Pflegeaufgaben betraut worden,
sie leite aber die Gruppe nicht. Entsprechend hätten die Pflegekassen den Abschluss des Versorgungsvertrages deshalb abgelehnt,
weil es sich nicht um eine Pflegeeinrichtung handele.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 20. Oktober 1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
des Niedersächsischen Landesamtes für Zentrale Soziale Aufgaben vom 31. März 1998 zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 24.
Februar 1997 bis 31. März 1998 Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten ihrer Betreuung in der Wohngruppe für Körperbehinderte
in R. zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert: Die Klägerin werde durch die Umstellung der gewährten Hilfeart nicht beschwert. Der Eingliederungshilfebedarf
bestehe nur wegen der Trennung vom Elternhaus und sei deshalb vorübergehender Natur. Auch die aktivierende Pflege umfasse
die Erhaltung und Förderung vorhandener Fähigkeiten sowie die Anleitung zur richtigen Nutzung von technischen Hilfsmitteln.
Auch die Klägerin selbst halte sich für schwer pflegebedürftig. Die Leitung der Gruppe sei einer Pflegefachkraft übertragen,
aber eine Anerkennung als Pflegeeinrichtung habe der Einrichtungsträger nie angestrebt.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage durch Urteil vom 17. Juni 1999 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Im Falle des "Umetikettierens" der Hilfeart sei ein Rechtsschutzbedürfnis bereits deshalb gegeben, weil wahres Motiv des überörtlichen
Trägers hierfür sein könne, dass dem Hilfeempfänger angesonnen werden solle, aus der Einrichtung der Behindertenhilfe in eine
Pflegeeinrichtung im Sinne des §
71 Abs.
2 SGB XI zu wechseln, damit der überörtliche Sozialhilfeträger durch die dann zu erwartenden Leistungen der Pflegekasse nach §
43 SGB XI stärker als durch die Pauschalleistung nach §
43 a SGB XI entlastet werde. Der Klägerin stehe aber Eingliederungshilfe zu, weil sie glaubhaft dargelegt habe, dass sie während des
Aufenthaltes in der Wohngruppe pädagogische und heilpädagogische Förderung, insbesondere Hilfestellung bei allen lebenspraktischen
Dingen, bei der Gestaltung der Freizeit sowie Unterstützung bei der selbständigen Wahrnehmung persönlicher, sozialer und kultureller
Angelegenheiten erfahre. Allein aus dem Umfang der erforderlichen Pflege folge nicht, dass die vorliegenden Hilfeleistungen
als Hilfe zur Pflege zu qualifizieren seien. Eingliederungshilfe sei aber zu gewähren, sofern die Aufgabe dieser Hilfeart
auch nur teilweise durch die gewährten Leistungen erreicht werden könne. Während die Eingliederungshilfe auf eine Minimierung
der Auswirkungen der Behinderung gerichtet sei, habe die Hilfe zur Pflege mehr einen bewahrenden Charakter im Sinne von Hilfestellungen
bei der Verrichtung des täglichen Lebens. Im Zweifel sei der umfassenderen Hilfe der Vorzug zu geben, die in der Regel die
Eingliederungshilfe sei. Im vorliegenden Fall diene die Betreuung der Klägerin einer Milderung der Behinderung und ihrer Eingliederung
in die Gesellschaft. Pflegerische Maßnahmen träten demgegenüber in den Hintergrund. Das ergebe sich bereits aus der Art der
Einrichtung, in der die Klägerin betreut werde. Auch § 39 Abs. 3 Satz 2 BSHG regele, dass zur Aufgabe der Eingliederungshilfe vor allem gehöre, den Behinderten "soweit wie möglich" unabhängig von Pflege
zu machen. Durch diese Worte werde deutlich, dass Eingliederungshilfe auch dann in Betracht komme, wenn durch sie der Behinderte
von Pflege nicht unabhängig werde.
Gegen das ihr am 5. Juli 1999 zugestellte Urteil hat die Beklagte unter dem 2. am 19. August 1999 beantragt, die Berufung
zuzulassen. Der Senat hat durch Beschluss vom 4. Januar 2000 - nach Wiedereinsetzung in die versäumte Antragsfrist - die Berufung
wegen besonderer tatsächlicher und rechtlicher Schwierigkeiten zugelassen.
Zur Begründung ihrer Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend: Für die vorliegende Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis,
weil die Kosten in voller Höhe übernommen würden. Mit dem Einrichtungsträger bestehe ein Vertrag über Hilfe zur Pflege im
Sinne des § 68 BSHG. Der Klägerin könne bereits deshalb nicht angesonnen werden, aus einer Einrichtung der Behindertenhilfe in eine Pflegeeinrichtung
zu wechseln, weil sie schon in einem Pflegeheim betreut werde. Materiell handele es sich bei der dort gewährten Hilfe nicht
um Eingliederungshilfe. Diese werde der Klägerin im Rahmen der Betreuung in der Werkstatt für Behinderte zuteil. Nach Inkrafttreten
der 2. Stufe des
SGB XI könne die Unterscheidung zwischen Pflege- und Eingliederungshilfe nicht mehr wie in der bisherigen Form vorgenommen werden.
Auch das
SGB XI verfolge vorrangig das Ziel, den Hilfeempfänger von Pflege unabhängig zu machen, zum Beispiel durch die Aktivierung des Pflegebedürftigen,
die darauf abziele, vorhandene Fähigkeiten zu erhalten und verlorene zurückzugewinnen. Seit der Begriff der Pflege im BSHG und
SGB XI identisch sei, verfolgten beide Gesetze mit den Leistungen auch dieselben Ziele.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 17. Juni 1999 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist ergänzend auf das Rundschreiben 16/99 des NLSZA, mit dem dieses
die Regelungen über die Abgrenzung von Leistungen der Eingliederungshilfe für Behinderte nach dem BSHG von Leistungen der Pflegeversicherung gegenüber dem Rundschreiben 10/99 aufgehoben und neu geregelt hat.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten
und des NLSZA Bezug genommen, sie sind in ihren wesentlichen Bestandteilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
Dem Begehren der Klägerin fehlt es nicht etwa deshalb am Rechtsschutzbedürfnis, weil die Kosten ihrer Unterbringung in der
Wohngruppe in R. der Höhe nach als Hilfe zur Pflege vom Sozialhilfeträger übernommen wird. Der Senat hat in seiner Entscheidung
vom 26. Januar 1998 (4 O 530/98, FEVS 48, 460) hervorgehoben, dass ein "Umetikettierungsbescheid" zur Vorbereitung eines Verlangens, aus einer stationären
Behinderteneinrichtung im Sinne des §
71 Abs.
4 SGB XI in eine stationäre Pflegeeinrichtung (ein Pflegeheim) im Sinne des §
71 Abs.
2 SGB XI zu wechseln, dienen könnte und damit bereits die Rechtsposition des Hilfeempfängers verschlechtere. An dieser Rechtsprechung
ist auch für die Fälle festzuhalten, in denen sich der Hilfesuchende tatsächlich in einer Einrichtung aufhält, die der Sozialhilfeträger
als "Pflegeheim" bezeichnet, die der Hilfesuchende, der Einrichtungsträger und die Pflegekassen aber als Behinderteneinrichtung
ansehen. Die Möglichkeit einer Rechtsgutbeeinträchtigung, auf die abzustellen ist, wenn die Zulässigkeit eines Rechtsschutzbegehrens
unter dem Gesichtspunkt des Rechtsschutzbedürfnisses geprüft wird, kann nämlich nicht davon abhängen, dass Maßnahmen eines
bestimmten Inhalts schon konkret (aktuell) weitere rechtserhebliche Folgen nach sich ziehen. Die Rechtsprechung des Senats
hierzu erweist sich auch deshalb als richtig, weil nach der gewährten Hilfeart auch zu entscheiden sein kann, ob und in welchem
Umfang dem Hilfesuchenden zuzumuten ist, vorhandenes Vermögen zur Deckung seines sozialhilferechtlichen Bedarfs einzusetzen
(vgl. § 88 Abs. 3 Satz 3 BSHG und dazu Beschluß d. Sen. v. 15.12.1999 - 4 O 4292/99 -).
Der Klägerin steht nach den §§ 39, 40 BSHG ein Anspruch auf Eingliederungshilfe zu, der sich auch auf die Übernahme der Kosten ihrer Betreuung in der Wohngruppe in
R. erstreckt. Die Abgrenzung zwischen Hilfe zur Pflege und Eingliederungshilfe hängt grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalles
ab. Sie hat sich daran zu orientieren, welchem Ziel die konkrete Hilfe dient. So hat die Hilfe zur Pflege in erster Linie
einen bewahrenden Charakter, der in den Hilfestellungen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens zum Ausdruck kommt, und
zwar unbeschadet dessen, dass insbesondere die aktivierende Pflege auch darauf auszurichten ist und der Pflegebedürftige daran
mitzuwirken hat, seine körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte wiederzugewinnen oder zu erhalten und die Pflegebedürftigkeit
zu überwinden, zu mindern oder eine Verschlimmerung zu verhindern (§§
2 Abs.
1 Satz 2, 6 Abs.
2 SGB XI). Demgegenüber zielt die Eingliederungshilfe primär zukunftsgerichtet auf eine Behebung oder Milderung der Folgen der Behinderung
und auf die Eingliederung des Behinderten in die Gesellschaft. Die Grundsätze zur Abgrenzung der Hilfearten untereinander
hat das Verwaltungsgericht zutreffend hervorgehoben; der Senat wiederholt sie deshalb nicht, sondern verweist auf die angefochtene
Entscheidung, §
122 Abs.
2 Satz 3
VwGO. Diese grundsätzliche Unterscheidung ist auch nach Inkrafttreten der 2. Stufe der Leistungen der Pflegeversicherung als maßgebliches
Kriterium aufrecht zu erhalten. Während nämlich der Gesetzentwurf der Bundesregierung ausschließlich das Inkrafttreten der
stationären Leistungen der Pflegeversicherung am 1. Juli 1996 zum Inhalt hatte, sollten mit dem Entwurf eines Ersten Gesetzes
zur Änderung des Elften Buches Sozialgesetzbuch (1.
SGB XI ÄndG) auch Regelungen geschaffen werden, die sich auf die Abgrenzung von Pflegeeinrichtungen und Behinderteneinrichtungen
bezogen (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BT-Drs. 13/3696 S. 11). Hierzu sollte in der Neufassung des §
71 Abs.
4 SGB XI eine klare Trennung von Pflegeeinrichtungen und Einrichtungen, in denen zwar im Einzelfall auch Hilfen bei den Verrichtungen
des täglichen Lebens zur Verfügung gestellt werden, die jedoch von ihrer Grundausrichtung her einem anderen Zweck als der
Pflege dienen, geschaffen werden. Hierunter sollten insbesondere Krankenwohnungen, Werkstätten für Behinderte und Wohnheime
für Behinderte fallen. Diese Ergänzung wurde Teil der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung (BT-Drs.
13/4091 S. 10). In der Anrufung des Vermittlungsausschusses (Unterrichtung durch den Bundesrat, BT-Drs. 13/4521) trat der
Bundesrat im weiteren Verfahren der Ausgrenzung von Behinderten in stationären Einrichtungen entgegen (Anlage zur BT-Drs.
13/4521 S. 2) und führte dazu aus: Durch den vorliegenden Gesetzentwurf würden Einrichtungen der Behindertenhilfe abgehalten,
ein Versorgungsvertrag mit den Pflegekassen abzuschließen und diesen zur Grundlage der Abrechnung von Pflegeleistungen zu
machen. Es würden aber in sehr vielen Einrichtungen sowohl Leistungen der Hilfe zur Pflege als auch Leistungen der Eingliederungshilfe
für Behinderte erbracht. Könnten Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz nur in "reinen" Pflegeeinrichtungen abgerechnet
werden, führte die vorgesehene Regelung für pflegebedürftige Behinderte zu einem Einrichtungswechsel. Das Ziel einer umfassenden
Ausgabenbegrenzung im Bereich der Pflegeversicherung sei über die Ausgrenzung von Einrichtungen, in denen Maßnahmen der Eingliederungshilfe
durchgeführt würden, in der Praxis nicht zu erreichen. Eine Umwidmung vieler Einrichtungen nach den Vorschriften der §§
71 ff.
SGB XI sei durch die Einstellung von Fachkräften der Alten- und Krankenpflege möglich. Die damit verbundenen Umstrukturierungen
ignorierten die bewährte Form der ganzheitlicher Versorgung pflegebedürftiger Behinderter durch Heilerzieher und Heilerziehungspfleger.
Gleichzeitig werde der in den vergangenen Jahren erreichte qualitative Standard der Versorgung und Betreuung behinderter Menschen
gefährdet. Deshalb solle eine pauschale Abgeltung der Pflegekosten in vollstationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe
von mindestens 20 v. H. der Kosten für die Gesamtleistung abzüglich der Kosten für Unterkunft und Verpflegung mit den Investitionskosten
vorgesehen werden. Diese Forderung ist in der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses (BT-Drs. 13/4688 S. 3) zwar
auf eine Berücksichtigung von Aufwendungen in Höhe von 10 v. H. des Heimentgelts - maximal 500,- DM - reduziert worden; die
Einführung dieser Regelung als §
43 a SGB XI und des im Wesentlichen unveränderten §
71 Abs.
4 SGB XI zeigt jedoch, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der stationären Leistungen der Pflegeversicherung und dem 1.
SGB XI ÄndG - wie schon in §
13 Abs.
3 Satz 2
SGB XI, der die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem BSHG und dem SGB VIII unberührt lässt - von den geprägten Begriffen der Hilfe zur Pflege und der Eingliederungshilfe ausgegangen ist und seinerseits
anerkennt, dass die Hilfearten nicht beziehungslos nebeneinander stehen, sondern auch der Eingliederungshilfeberechtigte in
nicht unerheblichem Umfang auf Hilfe bei den Verrichtungen des täglichen Lebens - und damit materiell auf Hilfe zur Pflege
- angewiesen sein kann, ohne dass dies den materiellen Gehalt der Hilfeleistung zum Zwecke der Eingliederung veränderte (s.a.
den ersten Bericht der Bundesregierung vom 19.12.1997 über die Entwicklung der Pflegeversicherung, BT-Drs. 13/9528 S. 34 ff.,
36).
Ob im konkreten Einzelfall mit der gewährten Hilfe Zwecke der Eingliederungshilfe verfolgt werden (§ 35 Abs. 3 BSHG) oder eine bestehende Behinderung (lediglich) Pflegeleistungen erforderlich macht, ist nach Auffassung des Senats im konkreten
Einzelfall regelmäßig anhand folgender Kriterien zu beurteilen:
1. Welchen Inhalt haben ärztliche Stellungnahmen bei der Einleitung der Hilfe?
2. Welches Konzept liegt der Einrichtung zugrunde?
3. Welche Leistungen schuldet der Einrichtungsträger nach dem Inhalt des
Heimvertrages?
4. Auf welchen Betrag beläuft sich das nach dem Heimvertrag geschuldete
Entgelt?
5. Wie verhält sich die Pflegekasse (werden Beträge nach §
43 SGB XI oder nach
§
43 a SGB XI gezahlt; ist mit dem Träger der Einrichtung ein
Versorgungsvertrag abgeschlossen worden)?
6. In welche Pflegestufe ist der Hilfesuchende eingestuft?
Zu 1:
Maßgebliche Bedeutung für die Unterscheidung der in Betracht kommenden Hilfearten ist den ärztlichen Stellungnahmen bei Einsetzen
der Hilfe beizumessen. Aus diesen ergibt sich in fachkundiger Weise die Prognose für die zu erwartende Entwicklung des Hilfesuchenden
oder das Ausmaß der erforderlichen Pflege. Kommen die ärztlichen Stellungnahmen zu einer zukunftsgerichteten Prognose, nach
der die Gewährung von Eingliederungshilfe erforderlich ist, rückt dieser Zweck bei der Gewährung der Hilfeleistung in den
Vordergrund.
Zu 2:
Das Konzept der Einrichtung spielt deshalb eine Rolle, weil danach geprüft werden kann, ob lediglich bewahrende Unterstützungen
möglich sind oder eine auf Besserung der gegebenen Situation abzielende Versorgung erreicht werden soll und kann.
Zu 3:
Der Inhalt des Heimvertrags ist für die Abgrenzung der Hilfearten deshalb von Bedeutung, weil aus ihm der individuelle Anspruch
des Hilfesuchenden gegenüber dem Einrichtungsträger entspringt. So mag es möglich sein, dass nach der Konzeption der Einrichtung
grundsätzlich pflegerische Leistungen im Vordergrund stehen, einem einzelnen Hilfesuchenden aber aufgrund einzelvertraglicher
Vereinbarung Leistungen zufließen, die die ihm gewährte Hilfe insgesamt oder doch zumindest vorrangig als Eingliederungshilfe
erscheinen lassen.
Zu 4:
Die Höhe des Entgelts kann deshalb ein Gesichtspunkt dafür sein, ob materiell tatsächlich Eingliederungshilfe oder Hilfe zur
Pflege gewährt wird, weil typischerweise die Aufwendungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe in Einrichtungen mit einem
höheren Aufwand verbunden sind. In der Höhe des Entgelts spiegelt sich der kalkulierte Tagespflegesatz wieder, der seinerseits
maßgeblich von den Personalkosten bestimmt wird. Wird in einer Einrichtung nur oder überwiegend Eingliederungshilfe gewährt,
ist typischerweise der Anteil an sozialpädagogischen Fachkräften hoch und damit ein höherer Pflegesatz erforderlich, um die
Kosten des Trägers zu decken.
Zu 5:
Das Verhalten der Pflegekasse kann unter zwei Gesichtspunkten als Indiz für die Abgrenzung der gewährten Hilfearten berücksichtigt
werden: Gewährt die Pflegekasse Leistungen lediglich in Höhe des in §
43 a SGB XI vorgesehenen Betrages, geht sie erkennbar davon aus, dass es sich bei der Einrichtung, in der sich der Pflegeversicherte
aufhält, um eine Einrichtung der Behindertenhilfe handelt, bei der der Aufwand für Pflegeleistungen hinter den verfolgten
Zweck der Eingliederung eines Behinderten zurück tritt. Schließt sie mit dem Einrichtungsträger einen Versorgungsvertrag nach
§
72 SGB XI ab, gibt sie damit zugleich zu erkennen, dass sie die Einrichtung insgesamt für eine Pflegeeinrichtung hält.
Zu 6:
Die Einstufung des Hilfesuchenden in eine Pflegestufe kann demgegenüber allenfalls Indizwirkung haben. Diese mag dahin gehen,
dass die Hilfe zur Pflege an Bedeutung gewinnt, je höher die Pflegebedürftigkeit des Hilfesuchenden ist. Ausschlaggebend kann
dieser Umstand aber schon deshalb nicht sein, weil (wie auch das Verwaltungsgericht zutreffend betont) § 39 Abs. 3 Satz 2 BSHG als Aufgabe der Eingliederungshilfe hervorhebt, dass der Hilfesuchende so weit wie möglich unabhängig von Pflege gemacht
werden soll und damit auf seine individuelle Förderungsfähigkeit abhebt (s.a. den bereits erwähnten ersten Pflegebericht der
Bundesregierung, BT-Drs. 13/9528 S. 36: "Keine Umstellung von der Eingliederungshilfe für Behinderte auf Hilfe zur Pflege
nach dem BSHG aus Altersgründen oder aufgrund der Zuordnung zur Pflegestufe III"). Dieser Gesichtspunkt wird durch die Regelung des § 39 Abs. 4 BSHG ergänzt und verstärkt, wonach Eingliederungshilfe gewährt wird, wenn und so lange nach der Besonderheit des Einzelfalles,
vor allem nach Art und Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden
kann.
Eine derartig untergeordnete Bedeutung misst offensichtlich auch des Niedersächsische Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben
der Einstufung eines Eingliederungshilfeberechtigten in eine Pflegestufe bei: Sein Rundschreiben 10/1999 - Gültliste 4358/14
- vom 27. Juli 1999, nach dem anzunehmen sein sollte, dass ein Behinderter, der in Pflegestufe I oder II eingestuft ist, in
einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe Eingliederungshilfe gewährt erhält, bei höher eingestuften jedoch davon
ausgegangen werden sollte, dass die Pflege im Vordergrund des Hilfebedarfs stehe, ist durch das Rundschreiben 16/1999 - Gültliste
4358/15 - vom 17. Dezember 1999 aufgehoben und durch maßgeblich veränderte Regelungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe
an Behinderte ersetzt worden. Diese neuen Verwaltungsvorschriften führen nach Auffassung der Beklagten nur deshalb nicht dazu,
auch die Klägerin im anhängigen Verfahren klaglos zu stellen, weil sie sich nicht in einer so bezeichneten Einrichtung der
Behindertenhilfe, sondern nach dem im Pflegesatzverfahren abgeschlossenen Vergleich in einem "Pflegeheim" aufhält. Es ist
aber bereits dargelegt worden, dass es nicht auf eine solche - möglicherweise vom Vertragspartner aufgedrängte - Bezeichnung,
sondern auf das Konzept der Einrichtung und die nach dem Heimvertrag tatsächlich erbrachten Leistungen ankommt.
Als Kriterium unzulässig ist der Gesichtspunkt der beim Sozialhilfeträger verbleibenden Kostenlast - auch im Hinblick auf
die Beteiligung von anderen Sozialleistungsträgern, insbesondere der Pflegekassen, an den entstehenden Kosten. Zur Kostenlast
hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt (Urt. v. 31. Aug. 1966 - BVerwG V C 185.65 -; BVerwGE 25, 28 -31-): Hilfe in besonderen Lebenslagen solle nicht lediglich eine finanzielle Entlastung des Hilfesuchenden ermöglichen.
Da die Sozialhilfe auch ohne besonderen Antrag einsetzen solle, die Eingliederungshilfe besonders auch dem Zweck der Eingliederung
des Behinderten in das Gemeinschaftsleben diene, entspreche sie nicht lediglich einem Verlangen nach finanzieller Unterstützung,
sondern biete namentlich dem Behinderten die hilfreiche Hand der Gemeinschaft, damit er in seinem eigenen, aber auch im Interesse
der Allgemeinheit die Folgen der Behinderung so gut wie irgend möglich überwinde, mit anderen Worten: Gerade bei der Eingliederungshilfe
stehe die Wirksamkeit der Hilfe, nicht die möglichste Schonung der öffentlichen Finanzen, im Vordergrund. Diese Erwägungen,
denen der Senat beitritt, gelten auch für den hier maßgeblichen Vorrang der Eingliederungshilfe gegenüber der Hilfe zur Pflege.
Auch wenn die vorstehende Aufzählung nicht beansprucht, alle erheblichen und untereinander zu gewichtenden Kriterien für die
Abgrenzung von Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege im konkreten Einzelfall erschöpfend aufzuzählen, folgt unter diesen
Gesichtspunkten für den vorliegenden Fall zwingend, dass die Klägerin Anspruch auf Eingliederungshilfe hat und die ihr gewährten
Leistungen Eingliederungshilfe sind und nicht in solche der Hilfe zur Pflege "umetikettiert" werden dürfen, um höhere Leistungen
der Pflegekasse nach §
43 SGB XI zu ermöglichen:
Die ärztlichen Stellungnahmen des Gesundheitsamtes der Beklagten vom 20. November 1995 und 12. Dezember 1995 empfehlen, der
Klägerin Eingliederungshilfe in der Wohnanlage bzw. Wohngruppe zu gewähren. Auch die sozialhygienische Stellungnahme vom 16.
Mai 1995 hebt eine vermehrte Ablenkbarkeit und einen Mangel an Ausdauer der Klägerin hervor und betont eine neurotische Konfliktverarbeitung.
Auch dies sind Umstände, die Hilfen über die zur Pflege hinaus zum Zwecke der Eingliederung in die Gesellschaft geboten erscheinen
lassen.
Nach dem Konzept der Einrichtung ist von einer ganzzeitlichen Betreuung auszugehen. Die - unter Berücksichtigung der Behinderung
- angestrebte Verselbständigung erstreckt sich danach auf Verrichtungen im häuslichen und außerhäuslichen Bereich.
Nach dem Inhalt des Heimvertrages stehen überwiegend Leistungen im Vordergrund, die die Eingliederung der Behinderten fördern
und die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft stärken sollen. Lediglich die unter Ziff. 2.7 geregelte Pflege spricht dafür,
dass auch Hilfe zur Pflege erbracht wird. Sie tritt aber hinter den übrigen vertraglich geschuldeten Betreuungsleistungen
nach Umfang und Gewicht zurück.
Die Höhe des beim Wechsel in die Wohngruppe R. vereinbarten Entgelts von 255,01 DM spricht dafür, dass es sich um Leistungen
der Eingliederungshilfe handelt. Die Beklagte war zunächst lediglich bereit, Zahlungen in Höhe von 116,- DM bzw. 118,- DM
zu erbringen. Im Schiedsstellenverfahren hat das NLSZA dann der wesentlich höheren Forderung nachgegeben. Interessant ist
in diesem Zusammenhang auch der Vermerk unter der Organisationsbezeichnung 21.3 vom 8. Dezember 1998: Danach haben sich die
Parteien im Schiedsstellenverfahren verglichen, eine Vereinbarung über Hilfe zur Pflege für die Wohngruppe für Körperbehinderte
in Bad R. abzuschließen. Das zu vereinbarende Entgelt sollte dem der "vergleichbaren Wohngruppe B." entsprechen. Für die Betreuung
der Klägerin in eben dieser Wohngruppe B. hatte das NLSZA aber seinerseits auf entsprechende Anträge der Beklagten Grundanerkenntnisse
abgegeben, die die Leistung als Eingliederungshilfe kennzeichnen (Grundanerkenntnis vom 4. Dez. 1995). All diese Umstände
sprechen eindeutig dafür, dass die der Klägerin in der Einrichtung zuteil werdende Hilfe, die geeignet, aber auch erforderlich
ist, ihren tatsächlich bestehenden Bedarf zu decken, als Eingliederungshilfe anzusehen ist.
Die Pflegekasse hat bislang einen Betrag von 500,- DM nach §
43 a SGB XI als pauschalierte Abgeltung der Pflegeleistungen in der Einrichtung gezahlt. Sie hat sich bislang geweigert, mit der Einrichtung
einen Versorgungsvertrag abzuschließen, weil sie diese als Einrichtung der Behindertenhilfe und nicht als eine Pflegeeinrichtung
ansieht.
Die Einstufung der Klägerin in die Pflegestufe II schließt - wie ausgeführt - die Gewährung von Eingliederungshilfe nicht
aus. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass diese Einstufung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse anhand der Pflegerichtlinien
und des typisierten Pflegeaufwandes nach dem Katalog des §
14 SGB XI erfolgt. Ein Bedarf an Hilfe zur Eingliederung in die Gesellschaft bleibt dabei im Wesentlichen unberücksichtigt. Ihn festzulegen
ist nicht Ziel der Einstufung.
Nach allem ist der Klägerin Eingliederungshilfe zu gewähren, die sie in der Einrichtung, in der sie im hier maßgeblichen Zeitraum
betreut worden ist, auch tatsächlich erhalten hat (und weiterhin erhält).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
154 Abs.
1,
188 Satz 2
VwGO.
Ein Grund, die Revision zuzulassen (§
132 VwGO), ist nicht ersichtlich.