Sozialhilferecht: Wahl des Sozialhilfeträgers bei Zuständigkeitsstreit
Tatbestand:
Wegen des Tatbestandes wird gemäß §
130 b Satz 1
VwGO in der Fassung des 6.
VwGO-Änderungsgesetzes vom 1. November 1996 auf das angefochtene Urteil vom 25. September 1996 Bezug genommen. Auf S. 4 in der
1. Zeile ist infolge eines offensichtlichen Schreibfehlers das Schreiben der Beklagten vom 22. Juli 1991 mit einem unrichtigen,
aber nach dem Gesamtzusammenhang unmißverständlichen Datum wiedergegeben.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Urteil vom 25. September 1996 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Den mit
der Klage verfolgten Anspruch auf Gewährung einer einmaligen Leistung in Höhe von 12.007,32 DM für den rollstuhlgerechten
Ausbau seiner Wohnung habe der Kläger nicht gegen die Beklagte, weil sie für diese Hilfe örtlich nicht zuständig sei. Nach
§ 97 Abs. 1 Satz 1 BSHG richte sich die örtliche Zuständigkeit nach dem tatsächlichen Aufenthalt des Hilfesuchenden. Weil Sozialhilfe zur Behebung
einer gegenwärtigen Notlage bestimmt sei, sei maßgeblich der Zeitpunkt, in dem die aktuelle Notlage des Hilfesuchenden entstanden
sei und der Sozialhilfeträger hiervon Kenntnis erlangt habe. Als der Kläger im Juli 1991 die streitige Eingliederungshilfe
beantragt habe, habe er sich im Bereich des Beigeladenen aufgehalten. Dort sei ein (gegenwärtiger) Bedarf an einer behindertengerecht
ausgestatteten Wohnung entstanden, der allerdings nicht dort, sondern in O habe behoben werden sollen; schon damals seien
Art und Umfang der erforderlichen Arbeiten bekannt und die Hilfebedürftigkeit des Klägers für den Beigeladenen zu überprüfen
gewesen. Wie im Falle der Renovierung einer Wohnung anläßlich des bevorstehenden Einzugs in sie sei auch im Falle des Klägers
der Bedarf schon vor dem Umzug entstanden und zu decken gewesen. Der Rechtsfolge, daß deshalb der Beigeladene als der seinerzeit
ortsnahe Sozialhilfeträger zur Prüfung und Deckung dieses Bedarfs örtlich zuständig (gewesen) sei, stehe es nicht entgegen,
daß die Wohnung in O gelegen habe und der Kläger später dorthin umgezogen sei. Die Beklagte habe eine Kostenübernahme zugunsten
des Klägers auch nicht zugesichert, indem sie der den Ausbau ausführenden Firma erklärt habe, die Kosten gemäß deren Angebot
würden im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen; diese Erklärung sei erkennbar nicht auf den Kläger (oder andere Interessenten
für die anderen Wohnungen des Hauses) bezogen gewesen. Die Beklagte sei schließlich auch nicht zur Übernahme der Umbaukosten
als vorläufige Leistung im Sinne des §
43 Abs.
1 SGB I verpflichtet gewesen, denn sie sei nicht der "zuerst angegangene Leistungsträger" im Sinne dieser Vorschrift, weil der Kläger
gleichzeitig bei der Beklagten und dem Beigeladenen dieselbe Leistung beantragt habe.
Gegen das, dem Kläger am 1. Oktober 1996 zugestellte, Urteil hat er am 4. Oktober 1996 Berufung eingelegt. Er kritisiert insbesondere,
daß das Verwaltungsgericht einen Anspruch auf vorläufige Leistungen gemäß §
43 Abs.
1 SGB I verneint hat.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung nach dem Klageantrag zu erkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Beigeladene stellt einen Antrag nicht.
Er wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen dazu, daß der Bedarf des Klägers, solange dieser sich im Bereich des Beigeladenen
aufgehalten habe, noch nicht umfassend bekannt und überprüfbar gewesen sei, und meint im Hinblick auf die Eigenart des Bedarfs,
den behindertengerechten Umbau der Wohnung daß die Beklagte stets am ehesten in der Lage gewesen sei, eine Entscheidung zu
treffen, und deshalb der für diesen Fall zuständige, ortsnahe Träger der Sozialhilfe sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge
ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist zulässig und begründet. Der Kläger hat Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung der beantragten Beihilfe
- jedenfalls - als vorläufige Leistung gemäß §
43 Abs.
1 SGB I. Es bedarf weder im einzelnen einer Prüfung der Voraussetzungen des vom Kläger verfolgten Anspruches auf Hilfe zur Beschaffung
einer Wohnung im Rahmen der Eingliederungshilfe, weil diese unstreitig erfüllt sind, noch einer Entscheidung der - zwischen
den Beteiligten streitigen - Frage, ob die Beklagte oder der Beigeladene für die begehrte Hilfe örtlich zuständig ist (siehe
dazu die später folgende Anmerkung). Denn jedenfalls ist die Beklagte gemäß §
43 Abs.
1 SGB I verpflichtet, die beantragte Leistung vorläufig zu erbringen.
Die Voraussetzungen für eine vorläufige Leistung im Sinne des §
43 Abs.
1 SGB I sind in dem angefochtenen Urteil zutreffend wiedergegeben, so daß hierauf verwiesen werden kann. Die Annahme des Verwaltungsgerichts,
die Beklagte sei nicht der "zuerst angegangene" Leistungsträger im Sinne dieser Vorschrift, weil die Anträge des Klägers -
unstreitig - am selben Tag bei ihr und bei der für den Beigeladenen handelnden Samtgemeinde eingegangen seien, sich also nicht
feststellen lasse, wer von ihnen der "zuerst angegangene" Leistungsträger sei, beruht möglicherweise auf dem - unrichtigen
- Verständnis des Begriffes des "zuerst angegangenen" Leistungsträgers. Das ist nämlich nicht derjenige, bei dem ein Antragsschreiben
des Hilfesuchenden zuerst eingegangen ist, sondern derjenige, an den sich der Hilfesuchende zuerst gewandt hat. Das verdeutlicht,
daß nicht Zufälligkeiten des Eingangs des Antrags bei der Behörde für die Gewährung vorläufiger Leistungen nach §
43 Abs.
1 SGB I entscheidend sind, sondern die Auswahlentscheidung des Hilfesuchenden. Die Auslegung dieses Begriffes durch das Verwaltungsgericht
wird auch dem Sinn der Vorschrift nicht gerecht. Infolge der Vielzahl von Sozialleistungsträgern, der starken Differenzierung
der Leistungsvoraussetzungen und der Überschneidungen der Leistungsbereiche sind Kompetenzkonflikte unvermeidbar (Freischmidt,
in: Hauck/Freischmidt/Steinbach/Klattenhoff,
SGB I, Stand: September 1996, §
43 Rdnr. 1). Sinn und Zweck der Regelung in §
43 SGB I ist es demzufolge, einen Hilfesuchenden vor Zuständigkeitsstreitigkeiten zwischen mehreren Leistungsträgern zu schützen,
diese Streitigkeiten vielmehr in Erstattungsverfahren nach den §§ 102 ff. SGB X austragen zu lassen. Daraus folgt, daß der Hilfesuchende die Wahl, an welchen von mehreren in Betracht kommenden Leistungsträgern
er sich zuerst wenden will, auch und erst recht noch treffen kann, wenn ein Zuständigkeitsstreit erst später offenbar wird,
nachdem sein Antrag (zufällig) am selben Tage bei beiden Leistungsträgern eingegangen ist (ebenso Bayer. VGH, Beschluß v. 29.1.1996, NDV-RD 1997, 19). Die gegenteilige Auslegung dieser Vorschrift durch das Verwaltungsgericht widerspricht auch Art.
3 Abs.
1 GG, da ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung beider Fallgruppen nicht ersichtlich ist.
Danach ist die im Verwaltungs- und bisherigen Gerichtsverfahren vorrangig streitig gewesene Frage, ob für die vom Kläger begehrte
Leistung die Beklagte oder der Beigeladene örtlich zuständig ist, für die Entscheidung dieses Streits ohne Bedeutung. Der
Senat merkt aber, damit ein Erstattungsstreitverfahren nach den §§ 102 ff. SGB X möglichst vermieden werden kann an, daß er zu dieser Frage die vom Verwaltungsgericht vertretene Auffassung teilt, daß für
die begehrte Hilfe der Beigeladene und nicht die Beklagte örtlich zuständiger Träger der Sozialhilfe ist. Wegen der Einzelheiten
wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen. Ausschlaggebend ist, daß der die Notlage des Klägers begründende
Bedarf an einer behindertengerecht ausgestatteten Wohnung schon vor Durchführung der Umbauarbeiten entstand und dem Beigeladenen
bekannt wurde, also nicht erst, als der Umbau abgeschlossen war, der Kläger und seine Familie umgezogen waren und die Kosten
für den Umbau von ihm verlangt wurden. Die Interessenlage ist vergleichbar derjenigen bei der Einzugsrenovierung oder Erstausstattung
einer Wohnung vor deren Bezug. In solchen Fällen ist es regelmäßig möglich und geboten, Notwendigkeit und Umfang der erforderlichen
Arbeiten vor deren Beginn zu überprüfen oder vom ortsnahen Sozialhilfeträger im Wege der Amtshilfe überprüfen zu lassen. Auch
vor Beginn einer - aufwendigen - (zahn-) ärztlichen Behandlung ist es regelmäßig geboten, dem Sozialhilfeträger Gelegenheit
zu geben, Notwendigkeit und Umfang der Behandlung anhand eines dafür aufgestellten Heil- und Kostenplanes zu prüfen, und dessen
Entscheidung abzuwarten, bevor mit der Behandlung begonnen wird und Kosten entstehen (vgl. BVerwGE 90, 154).
Die Kostenentscheidung folgt aus §§
154 Abs.
1,
188 Satz 2
VwGO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §
167 VwGO in Verbindung mit §§
708 Nr.
10,
711 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach §
132 Abs.
2 VwGO sind nicht gegeben.