Sozialhilferecht: Berücksichtigung der Kosten für die Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs für die Fahrt zur Arbeit
Tatbestand:
Die Beteiligten stritten um die gesonderte Absetzbarkeit der Kfz-Haftpflichtversicherungsprämie und der Kfz-Steuer von dem
bei der Sozialhilfegewährung zu berücksichtigenden Einkommen. Die Klägerin stand mit ihrem Sohn im ergänzenden Hilfebezug
des Beklagten, weil die von ihr bezogene Vergütung als Praktikantin (Sozialarbeiterin im Anerkennungsjahr) den Hilfebedarf
nicht deckte. Um ihre Arbeitsstätte zu erreichen, benutzte sie ein eigenes Kraftfahrzeug (VW-Bus). Die Fahrt zur Arbeit verband
sie damit, ihren Sohn bei einer Tagesmutter abzusetzen bzw. abzuholen. Der beklagte Sozialhilfeträger berücksichtigte die
Kosten der Benutzung des Kraftfahrzeugs zur Fahrt zwischen dem Wohnort und der 15 km entfernten Praktikantenstelle bei der
Bemessung des Hilfeanspruchs dergestalt, dass er einen monatlichen Pauschbetrag in Höhe von 150,- DM (10, - DM x 15 Entfernungskilometer)
vom erzielten Einkommen der Klägerin absetzte. Die Klägerin verlangte klageweise darüber hinaus die Berücksichtigung der Kfz-Haftpflichtversicherungsprämie
und der Kfz-Steuer als Absetzungsbeträge. Das VG gab der Klage statt. Die Berufung des Beklagten führte zur Abweisung der
Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf weitere Hilfe zum Lebensunterhalt für die streitbefangenen Monate.
Der Beklagte hat in diesem Zeitraum die Beiträge zur Kfz-Versicherung und die Kfz-Steuer weder nach § 76 Abs. 2 Nr. 4 BSHG noch nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG gesondert vom Einkommen der Klägerin abzusetzen.
Dieser Aufwand ist, soweit er eine mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige Ausgabe ist, bereits durch die Absetzung
der Fahrtkostenpauschale nach § 3 Abs. 6 Nr. 2 Buchstabe a) DVO zu § 76 des BSHG abgegolten.
Mit § 3 Abs. 6 Nr. 2 Buchstabe a) DVO zu § 76 BSHG liegt eine abschließende Bestimmung für alle Aufwendungen vor, die dem Hilfeempfänger durch die Benutzung eines Kraftfahrzeugs
für die Fahrt zur Arbeit entstehen (ebenso VGH Bad. Württ., Urteil vom 12.6.1991 - 6 S 1182/90 -, FEVS 43, 200; Rehnelt, ZfF 1969, 280 (282); Fichtner (Hrsg.), BSHG, 1999, Rdnr. 29 zu § 76; zu dieser Ansicht neigend, aber offen gelassen: BVerwG, Urteil vom 4.6.1981 - 5 C 12.80 -, FEVS 29, 372 (375)).
Nach dieser Vorschrift ist bei der (notwendigen) Benutzung eines Kraftwagens für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte
ein monatlicher Pauschbetrag in Höhe von 10,- DM für jeden vollen Kilometer, den die Wohnung von der Arbeitsstätte entfernt
liegt, abzusetzen.
Bereits mit der Verwendung des Begriffs "Pauschbetrag" macht der Verordnungsgeber deutlich, dass die Gesamtheit der Ausgaben,
die mit der Fahrt zur Arbeit verbunden sind, erfasst sind. Die angeordnete "Kilometerpauschale" ist Ausdruck einer Typisierung
und Generalisierung, bei der der tatsächliche Aufwand im Einzelfall außer Betracht bleiben soll.
Die Absetzung von Fahrtkosten, die sich der Höhe nach in einer Vielzahl von Hilfefällen nur unwesentlich unterscheiden und
deren Ermittlung im Einzelfall gleichwohl aufwendig sein kann, wird dadurch durchgreifend erleichtert. Das gilt für die Sozialhilfebehörden,
aber auch für Hilfeempfänger bzw. Einkommensempfänger, denen der Einzelnachweis ihrer Aufwendungen erspart bleibt.
Es kommt hinzu, dass Hilfeempfänger, die einer nichtselbständigen Tätigkeit im Sinne von § 3 DVO zu § 76 BSHG nachgehen, ein Kraftfahrzeug typischerweise nicht allein oder überwiegend für berufliche Zwecke (Fahrten zur Arbeit), sondern
daneben auch für private Zwecke einsetzen. Die verbrauchsunabhängigen Kosten der Kraftfahrzeughaltung, insbesondere die Kfz-Versicherungsbeiträge
und die Kfz-Steuer, besitzen damit einen Mischcharakter. Sie dienen sowohl der privaten Lebensführung des Hilfeempfängers
als auch der Erzielung von Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit.
Die normative Festlegung von Fahrtkostenpauschalen enthebt die Sozialhilfeverwaltung der für sie kaum zu bewältigenden Aufgabe,
in jedem Einzelfall den Umfang der beruflichen Nutzung des Kraftfahrzeugs zu ermitteln, um daraus den Anteil absetzbarer Aufwendungen
zur Einkommensbereinigung zu bemessen.
Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, dass der vom Verordnungsgeber bestimmte Pauschalbetrag allein die "variablen Kosten",
insbesondere Kraftstoffverbrauch und Öl, erfasst,
so aber das Gutachten vom 26.4.1971, II-1, 119/71, 2430 des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, in: Gutachten
zum Sozial- und Jugendhilferecht V, Kleinere Schriften des Deutschen Vereins, Heft 54, Eigenverlag des Deutschen Vereins,
1975, S. 31, bzw. die Kfz-Haftpflichtversicherungsprämie und/oder die Kfz-Steuer davon ausgenommen ist (so aber Nds. OVG,
Beschluss vom 15.12.1988 - 4 B 373/88-, FEVS 39, 419 (420) unter Bezugnahme auf ein Urteil des dortigen Senats vom 10.3.1987 - 4 A 119/86 - ; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl. 1997, Rdnr. 37 zu § 76).
Der Wortlaut des § 3 Abs. 6 Nr. 2 Buchstabe a) DVO zu § 76 BSHG lässt dafür einen Anhaltspunkt nicht erkennen.
Aus dem Regelungszusammenhang wird deutlich, dass der Verordnungsgeber dem Hilfeempfänger mit der Fahrtkostenpauschale - anders
als bei der Arbeitsmittelpauschale in § 3 Abs. 5 DVO zu § 76 BSHG - keine Wahlmöglichkeit zwischen dem Einzelnachweis von Aufwendungen, etwa anhand von Versicherungsrechnungen und Steuerbescheiden,
und der "Inanspruchnahme" des vorgesehenen Pauschbetrags einräumt.
Der beschriebene Abgeltungscharakter des § 3 Abs. 6 Nr. 2 Buchstabe a) DVO zu § 76 BSHG wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. Die Bundesregierung hat mit ihr im Jahre 1962, vgl. Verordnung
zur Durchführung des § 76 BSHG vom 28.11. 1962 (BGBl. I S. 692), die im Jahr zuvor mit § 6 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG eingeführten monatlichen Pauschbeträge für die Fahrt zur Arbeit in das Sozialhilferecht übernommen (vgl. die Begründung des
Regierungsentwurfs zu § 3 der DVO zu § 76 BSHG: "Die Bestimmung entspricht den Regelungen der Verordnung zu § 33 Abs. 2 BVG.", abgedruckt in ZfSH 1963, 17).
Diese mit der auszulegenden Vorschrift im Wesentlichen inhaltsgleiche Regelung beseitigte die vor ihrem Inkrafttreten bestehende
Rechtsunsicherheit über die Art und Weise des Einkommensabzugs von Aufwendungen für die Fahrt zur Arbeit mit dem eigenen Kraftfahrzeug
(vgl. Schickel-Aichberger, BVG mit Verwaltungs- und Durchführungsvorschriften, 1951, Teil: B, S. 57).
Mit den eingeführten Pauschbeträgen, wie sie auch hier in Rede stehen, sah man dort nicht nur die reinen Fahrtkosten, sondern
auch "alle weiteren Aufwendungen" für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als abgegolten an (vgl. Wilke, BVG, 2. Auflage 1965, Erläuterungen zur VO zu § 33 BVG, XI, Nr. 5, Zu § 6 VO Buchstabe b), (S. 255)).
Dass die Absicht des Verordnungsgebers mit § 3 Abs. 6 DVO zu § 76 BSHG ebenfalls auf dieses Ergebnis gerichtet war, zeigt die Begründung der Regierungsentwurfs. Darin heißt es:
"Absatz 6 regelt aus dem Gesamtkomplex der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte nur die Kosten eines
zu diesem Zweck benutzten Kraftfahrzeuges. Fahrtkosten anderer Art (z. B. auch die Kosten für die Haltung eines Fahrrades)
müssen individuell ermittelt werden."
Eine "individuelle Ermittlung" der Fahrtkosten durch Einzelnachweis sollte demnach künftig nur außerhalb von § 3 Abs. 6 DVO zu § 76 BSHG noch in Betracht kommen.
Für eine gesonderte Absetzbarkeit von Kfz-Haftpflichtversicherungsbeiträgen wegen der Benutzung eines Kraftfahrzeugs für Fahrten
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bliebe hiernach nur Raum, wenn die normierten Pauschbeträge die insoweit entstehenden Kosten
auch bei der gebotenen typisierenden Betrachtung nicht mehr deckten. Dann wäre § 3 Abs. 6 Nr. 2 Buchstabe a) DVO zu § 76 BSHG von der Ermächtigungsgrundlage des § 76 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 Nr. 4 BSHG nicht mehr gedeckt. Unter anderem ausgehend davon, dass die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben
abzusetzen sind, kann die Bundesregierung hiernach mit Zustimmung des Bundesrates Näheres über die Berechnung des Einkommens
bestimmen.
Die Höhe der monatlichen Kilometerpauschale, die (seit 1976) auf 10,- DM pro Entfernungskilometer festgesetzt ist, mithin
bei 20 Arbeitstagen den (einfachen) Kilometer mit 25 Pfennig in Ansatz bringt, wird hingegen dieser inhaltlichen Vorgabe der
Ermächtigungsgrundlage jedenfalls für den entscheidungserheblichen Zeitraum (1. 7. bis 24.10.1996) noch gerecht.
Ob und in welcher Höhe die Kilometerpauschale an die gestiegenen Kosten der Kraftfahrzeughaltung anzupassen ist, unterfällt
angesichts der Befugnis zur Typisierung und Pauschalierung dem Einschätzungsspielraum und Gestaltungsspielraum des Verordnungsgebers.
Dass er durch das Unterlassen einer Erhöhung des 1976 festgesetzten Pauschsatzes die ihm gezogenen rechtlichen Grenzen im
Jahre 1996 überschritten hätte, ist nicht ersichtlich.
Hierbei sind insbesondere folgende Gesichtspunkte in Rechnung zu stellen: Abschreibung und Rücklagen für eine Ersatzbeschaffung
sind sozialhilferechtlich nicht zu berücksichtigen. Zwischen den Nutzungskosten der verschiedenen Fahrzeuge und Fahrzeugtypen
gibt es z.T. große Unterschiede. Vor diesem Hintergrund für die Festsetzung des Pauschbetrages an den unteren Bereich der
Kostenskala anzuknüpfen, ist sozialhilferechtlich nicht nur vertretbar, sondern wohl auch geboten. Zwar sind die Kraftstoffpreise
in der Zeit von 1976 bis 1996 gestiegen. Jedoch sind die Fahrzeuge in dieser Zeit auch verbrauchsärmer geworden, ohne dass
indessen dadurch eine volle Kompensation eingetreten wäre. Schließlich ist es aufgrund der auch gegebenen Privatnützigkeit
des PKW nicht zu beanstanden, die Kfz-Versicherungsbeiträge und die Kfz-Steuer nur zu einem geringen Teil im Pauschsatz zu
berücksichtigen.
Ob gegenwärtig angesichts des inzwischen starken Anstiegs der Kraftstoffpreise eine Erhöhung des Pauschsatzes geboten wäre,
braucht der Senat nicht zu entscheiden. Insoweit sei nur auf die Höhe der Kosten hingewiesen, die der ADAC für den Betrieb
eines Kleinstwagens der Marke VW Typ Lupo (Stand 31.3.2000, Kraftstoffpreis 2,- DM - Super -) in Ansatz bringt. Danach betragen
bei einer Jahreskilometerleistung von 15. 000 km die monatlichen Gesamtkosten für ein derartiges Fahrzeug 553,- DM. Wenn man
den sozialhilferechtlich nicht anzuerkennenden Wertverlust des Neuwagens von 201, - DM pro Monat, die Pauschale von 500,-
DM pro Jahr für Wagenwäsche/Pflege abzieht sowie die vom ADAC angesetzten "allgemeinen Kosten" (z.B: Parkgebühren, Landkarten,
Hauptuntersuchung / Abgasuntersuchung usw.) auf 200,- DM halbiert, bleibt eine Monatsbelastung von (aufgerundet) 294,- DM.
Dies entspricht einer Kostenbelastung von (aufgerundet) 24 Pfennig pro Kilometer, die durch die Kilometerpauschale nach §
3 Abs. 6 Nr. 2 Buchstabe a) DVO zu § 76 BSHG abgedeckt wird (monatl. 10,- DM pro Entfernungskilometer ergeben bei 20 Arbeitstagen einen Kilometersatz von 25 Pfennig).
Die Klägerin kann eine Absetzung der Kfz-Versicherungsbeiträge und der Kfz-Steuer auch nicht nach § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG aufgrund der Fahrten zur Tagesmutter verlangen. Da diese Fahrten nur wegen der Ausübung der Erwerbstätigkeit erforderlich
waren, waren nicht sie, sondern ausschließlich die Fahrten zur Arbeitsstätte eine relevante Ursache für die Kfz-Haltung und
damit für die Entstehung der Pflichten zur Entrichtung der Kfz-Versicherungsbeiträge und der Kfz-Steuer. Damit scheiden die
Fahrten zur Tagesmutter als "angemessener Grund" im Sinne des § 76 Abs. 2 Nr. 3 BSHG aus.