Sozialhilferecht: Kostenerstattung im Rahmen des § 121 BSHG
Tatbestand:
Der Beklagte als überörtlicher Träger der Sozialhilfe wird von der Universität U als Trägerin ihrer medizinischen Einrichtungen
(Klägerin) auf Erstattung der durch die stationäre Behandlung des aidskranken B. entstandenen Aufwendungen in Anspruch genommen.
Dieser wurde am 3.4.1994 in die Klinik eingeliefert. Am 11.4.1994 erfuhr der örtliche Träger der Sozialhilfe durch Anzeige
der Klägerin von der erfolgten Notaufnahme. Auf ihren Antrag hin übernahm der Beklagte die in der Zeit vom 3. bis 10. April
1994 entstandenen Behandlungskosten. Die Erstattung der für den anschließenden Zeitraum bis zur Entlassung am 15.4.1994 angefallenen
Kosten lehnte er ab. B verstarb am 16.5.1994. Klage und Berufung blieben erfolglos.
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Übernahme der noch offenen Pflegekosten für die stationäre Behandlung
des Herrn B. in der Zeit vom 11.4. 1994 bis zum 15.4.1994.
Als Rechtsgrundlage kommt zunächst § 121 BSHG in Betracht, dessen Voraussetzungen jedoch nicht vorliegen. Ein Anspruch auf Erstattung des noch ungedeckten Kostenaufwands
kann vorliegend schon deswegen nicht auf § 121 BSHG gestützt werden, weil der Träger der Sozialhilfe zu dieser Zeit Kenntnis vom Hilfefall hatte.
Der Mangel der Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe von der Notlage ist Tatbestandsmerkmal des § 121 S. 1 BSHG ("...bei rechtzeitiger Kenntnis..."). Im Zusammenhang damit steht das Wort "erstatten", mit dem ausgedrückt ist, dass es
sich um in der Vergangenheit entstandene Aufwendungen handelt, nicht aber um solche, die gegenwärtig entstehen oder erst noch
entstehen werden. Dabei werden "Gegenwart" und "Zukunft" durch den Zeitpunkt des Bekanntwerdens des (möglichen) Hilfefalles
bei dem Träger der Sozialhilfe bestimmt. Den Anspruch auf die Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz hat der Hilfebedürftige. Das Sozialrechtsverhältnis, innerhalb dessen es um die Verwirklichung dieses Anspruchs geht, wird
nicht durch Stellen eines Antrags (im materiellen, konstitutiven Sinne) begründet, sondern dadurch, dass dem Träger der Sozialhilfe
(oder - wie hier - einer von ihm beauftragten Stelle) das Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe bekannt
wird.
Vgl. BVerwG, Urteile vom 2.4.1987 - 5 C 67.84- , BVerwGE 77, 181 = FEVS 36, 361 = DÖV 1988, 523 = NDV 1987, 363 und vom 3.12.1992 - 5 C 32.89 -, FEVS 44, 89 (92).
Im Verhältnis dazu ist in § 121 BSHG eine Ausnahme insofern geregelt, als unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen die Gewährung der Hilfe schon zu dem
Zeitpunkt einsetzt, in dem der Träger der Sozialhilfe von der Notlage noch keine Kenntnis hat.
Ständige Rechtsprechung des BVerwG, Urteile vom 15.1. 1981 - 5 C 2.80 -, FEVS 29, 177 (180), vom 9.2.1984 - 5 C 22.83 -, FEVS 33, 358, vom 2.4.1987, a.a.O., und vom 3. 12.1992, a.a.O.
Daraus folgt zwingend, dass von einer Lage, auf die die Ausnahmeregelung des § 121 BSHG zutrifft, nicht (mehr) die Rede sein kann, sobald zwischen dem (möglicherweise) Hilfebedürftigen und dem Träger der Sozialhilfe
das Sozialrechtsverhältnis mit der Folge entsteht, dass allein der Hilfebedürftige seinen Anspruch geltend zu machen berechtigt
und allein der Träger der Sozialhilfe zur Regelung des Sozialhilfefalles nach Maßgabe der im Bundessozialhilfegesetz bestimmten sachlichen und örtlichen Zuständigkeiten verpflichtet ist. Da diese Regelungskompetenz eine ausschließliche ist,
ist für eine gleichzeitige, konkurrierende Kompetenz eines "jemand" (im Sinne von § 121 BSHG) kein Raum.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 2.4.1987, a.a.O.
Im vorliegenden Fall endete demnach mit Ablauf des 10.4. 1994 der Eilfall bzw. das Erstattungsverhältnis zwischen der Klägerin
und dem Beklagten.
Mit der am 11.4.1994 bei dem örtlichen Träger der Sozialhilfe eingegangenen "vorsorglichen Anmeldung des Behandlungsfalles"
unter Hinweis auf einen möglicherweise bestehenden Anspruch ihres Patienten auf Krankenhilfe vermittelte die Klägerin die
Kenntnis von Umständen, die nach der erforderlichen Prüfung der Sach- und Rechtslage von diesem Zeitpunkt an (möglicherweise)
die Gewährung der Übernahme der Behandlungskosten aus Sozialhilfemitteln zu Gunsten von Herrn B. gerechtfertigt hätten.
Das ergibt sich aus der in § 5 BSHG - in der hier maßgeblichen Fassung der Vorschrift bis zum 1.8.1996 - enthaltenen Regelung, die das Gesetz zur Reform des
Sozialhilferechts vom 23.7.1996 (BGBl. I S. 1088) ohne Änderung in § 5 Abs. 1 BSHG übernommen hat (§ 5 BSHG a.F. /§ 5 Abs. 1 BSHG).
Zwar wäre nicht der eingeschaltete örtliche Träger der Sozialhilfe, sondern der Beklagte als überörtlicher Träger zur Erbringung
dieser Leistung sachlich zuständig gewesen. (Wird ausgeführt.)
Indes ist die Frage nach der (formellen) Zuständigkeitsordnung von derjenigen nach der (materiellen) Begründung eines Sozialrechtsverhältnisses
zu unterscheiden. Das Entstehen eines Hilfeanspruchs richtet sich ausschließlich nach § 5 BSHG a.F./§ 5 Abs. 1 BSHG.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 13.1.1983 - 5 C 98.81- , FEVS 32, 221 (224), m.w.N.
Danach genügt es für das Einsetzen der Sozialhilfe, wenn der Hilfefall statt dem an sich zuständigen Träger der Sozialhilfe
einer von ihm - wie hier - "beauftragten Stelle" bekannt wird, vgl. § 5 BSHG a.F./§ 5 Abs. 1 BSHG.
Im Hinblick auf die spezielle Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Nothelfern und Trägern der Sozialhilfe in § 121 BSHG ist ein Rückgriff auf allgemeine Ausgleichsbestimmungen, insbesondere die Regeln der öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung
ohne Auftrag, ausgeschlossen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.12.1992, a.a.O.
Die Klägerin kann den Ersatz ihrer Aufwendungen ferner nicht daraus ableiten, dass die in Rede stehenden Pflegekosten aller
Wahrscheinlichkeit nach auch Gegenstand eines unerfüllt gebliebenen Sozialhilfeanspruchs des verstorbenen Patienten gewesen
sind. Sie kann diesen etwaigen Anspruch weder als Nothelfer noch aus einer anderen Rechtsposition heraus geltend machen.
Stirbt ein (möglicherweise) Hilfebedürftiger, bevor sein Anspruch auf Sozialhilfe bestandskräftig festgestellt worden ist,
dann erlischt der (vermeintliche) Hilfeanspruch, weil er grundsätzlich nicht vererblich ist.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 10.5.1979, - 5 C 79.77 -, FEVS 27, 353.
Das daraus und aus der Alternativität zwischen den Ansprüchen des Nothelfers und denjenigen der in Not geratenen Person,
vgl. BVerwG, Urteil vom 2.4.1987, a.a.O.,
resultierende, aber gleichwohl unerwünschte Ergebnis, dass Personen, die Bedürftigen die erforderliche Hilfe vor deren Tod
haben angedeihen lassen, "leer ausgehen", hat zur Fortentwicklung der Rechtsprechung und zur Änderung des Gesetzes geführt,
ohne dass die Klägerin allerdings darauf ihren Anspruch stützen kann.
Zum einen sind Sozialhilfeansprüche nach der neueren Rechtsprechung des BVerwG nach Maßgabe der §§
56,
58,
59 SGB I vererblich, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung
von Sozialhilfe vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Träger der Sozialhilfe nicht rechtzeitig geholfen oder die Hilfe
abgelehnt hat. Hat dagegen der Hilfesuchende den Bedarf aus eigenem Einkommen oder Vermögen gedeckt, zu deren Einsatz er sozialhilferechtlich
nicht verpflichtet war, kommt ein Anspruchsübergang nicht in Betracht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 5.5.1994 - 5 C 43.91- , FEVS 45, 221.
Diese Voraussetzungen bedürfen vorliegend keiner näheren Betrachtung, da die Klägerin erkennbar weder zum Kreis der "Sonderrechtsnachfolger"
nach §
56 Abs.
1 SGB I noch zu demjenigen der Erben nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches gehört.
Zum anderen hat der Gesetzgeber mit Artikel 1 Nr. 14 b) des Gesetzes zur Reform des Sozialhilfegesetzes vom 23.7. 1996 (BGBl.
I, S. 1088) § 28 BSHG um einen zweiten Absatz erweitert. Danach steht nunmehr der Anspruch des Berechtigten auf Hilfe in einer Einrichtung oder
auf Pflegegeld, soweit die Leistung dem Berechtigten gewährt worden wäre, nach seinem Tode demjenigen zu, der die Hilfe erbracht
oder die Pflege geleistet hat.
Nach Artikel 17 S. 2 des vorgenannten Gesetzes zur Reform des Sozialhilferechts ist § 28 Abs. 2 BSHG am 1.8. 1996 in Kraft getreten. Der hier streitbefangene Sachverhalt aus dem Jahr 1994 liegt demnach weit vor diesem Zeitpunkt.
Eine rückwirkende Geltung der Norm hat der Gesetzgeber nicht angeordnet.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13.10.1999 - 24 A 851/97 -.
Rechtsschutzformbezogene Argumente, mit denen die Klägerin vorliegend die Anwendbarkeit von § 28 Abs. 2 BSHG begründen will, rechtfertigen keine andere Sichtweise.
Das unbefriedigende Ergebnis fehlender Aufwendungsersatzansprüche des Nothelfers, das dann entsteht, wenn der Erstattungsanspruch
nach § 121 BSHG mit dem Bekanntwerden des Hilfefalles nach § 5 BSHG a.F. /§ 5 Abs. 1 BSHG endet und der Sozialhilfeanspruch des Hilfebedürftigen - aus welchen Gründen auch immer - nicht realisiert wird, hat dem
Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages (14. Ausschuss) im Rahmen der Beratungen des Regierungsentwurfs zur Reform
des Sozialhilferechts Veranlassung gegeben, eine entsprechende Novellierung des § 121 BSHG zu empfehlen,
vgl. BT-Drucks. 13/3904: "Dem § 121 wird folgender Satz angefügt: 'Mit Zustimmung des Leistungsberechtigten sind die Aufwendungen
auch für den Zeitraum bis zur Entscheidung über die Gewährung von Sozialhilfe zu erstatten; die Zustimmung wird vermutet,
wenn der Leistungsberechtigte die Leistung vor der Entscheidung nicht selbst bei dem zuständigen Träger der Sozialhilfe in
Anspruch nimmt.'"; dazu Hammel, Zur Übernahme von Bestattungskosten gemäß § 15 BSHG bei einer Antragstellung nach vollzogener Beerdigung, Teil 2, ZfSH/SGB 1998, 643 (647).
Dem ist der Gesetzgeber im Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom 23.7.1996 nicht gefolgt. Daran ist das angerufene Gericht
gebunden.