Sozialhilferecht: Rechtsnatur der Aufrechnungsverfügung, § 25a BSHG
Gründe:
Der rechtliche Ausgangspunkt der Entscheidung des VG, daß es sich bei der von der Antragsgegnerin verfügten Aufrechnung um
einen Verwaltungsakt im Sinne des § 31 SGB X handelt, wird auch von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt. Auch der Senat hat keine durchgreifenden rechtlichen
Zweifel daran, daß einer in Anwendung des § 25a BSHG erklärten Aufrechnung der Charakter einer die konstituierenden Merkmale eines Verwaltungsaktes im Sinne von § 31 SGB X ausfüllenden Regelung nicht abgesprochen werden kann. Davon geht auch der 24. Senat des beschließenden Gerichts aus,
vgl. OVG NW, Beschluß vom 3.4.1997 - 24 B 2202/96 -.
Bei einer Entscheidung nach § 25a BSHG handelt es sich im Sinne des § 31 SGB X um eine (hoheitliche) Verfügung, die die zuständige Sozialhilfebehörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des
öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Daß die Aufrechnung nach § 25a BSHG ein Verwaltungsakt ist, kommt auch darin zum Ausdruck, daß sie vom Gesetzgeber der Regelung des auch für die Verwaltungstätigkeit
der Sozialhilfebehörden geltenden § 24 SGB X unterworfen worden ist, der bestimmt, daß einem Beteiligten vor Erlaß eines in seine Rechte eingreifenden Verwaltungsaktes
grundsätzlich Gelegenheit zur Äußerung zu geben ist. Dies ist aus der Regelung des § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X herzuleiten. Diese gestattet ein Absehen von der Anhörung, wenn gegen Ansprüche oder mit Ansprüchen von weniger als 100,-
DM aufgerechnet (oder verrechnet) werden soll; das läßt den Schluß zu, daß der Gesetzgeber die Aufrechnung als belastenden
Verwaltungsakt im Sinne der Regelungen über das Verwaltungsverfahren ansieht, denn mit den durch die Regelung des § 24 Abs. 2 SGB X erfaßten Fallgestaltungen werden nur Ausnahmen von der grundsätzlich bestehenden Anhörungspflicht zugelassen,
vgl. dazu auch OVG NW, Beschluß vom 3.4.1997 - 24 B 2302/96 -.
Angesichts dessen bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des VG insoweit, als dieses
der von der Antragstellerin erhobenen Klage eine aufschiebende Wirkung gemäß §
80 Abs.
1 Satz 1
VwGO beigemessen hat.
Ebensowenig bestehen ernstliche Zweifel daran, daß die aufschiebende Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage der Antragstellerin
nicht gemäß §
80 Abs.
2 VwGO entfällt. Denn keiner der in §
80 Abs.
2 VwGO geregelten gesetzlichen Ausnahmefälle liegt vor. Davon geht letztlich auch die Antragsgegnerin aus, die sich allerdings auf
eine gesetzliche Regelungslücke beruft, die nach ihrer Auffassung unter Zugrundelegung von Sinn und Zweck der Vorschrift des
§ 25a BSHG durch die entsprechende Anwendung des § 8 AG-
VwGO auszufüllen sei.
Eine solche gesetzliche Regelungslücke besteht jedoch nicht. Sie läge nur im Falle einer planwidrigen Unvollständigkeit des
Gesetzes vor, die die Übertragung einer für einen bestimmten Tatbestand im Gesetz getroffenen Regelung auf einen anderen vom
Gesetz nicht ausdrücklich geregelten rechtsähnlichen Tatbestand aus verfassungsrechtlichen (z.B. aus Gründen der Gleichbehandlung
nach Art.
3 Abs.
1 GG oder im Hinblick auf Art.
20 Abs.
3 GG) oder aus anderen rechtlichen Gründen gebietet,
vgl. OVG NW, Urteil vom 6.2.1996 - 8 A 2866/93 -, FEVS 47, S. 118 (120) m.w.N. zur Rechtsprechung des BVerfG, u.a. Urteil vom 3.4.1990 - 1 BvR 1186/89 -, NJW 1990, S. 1593 f. m.w.N.; BGH, Urteil vom 28.11.1975 - V ZR 127/74 -, BGHZ 65, 300 (302).
Dabei ist davon auszugehen, daß die nach §
80 Abs.
1 VwGO für den Regelfall vorgeschriebene aufschiebende Wirkung von Widerspruch und anfechtender verwaltungsgerichtlicher Klage nach
der ständigen Rechtsprechung des BVerfG eine angemessene, sachgerechte Ausprägung der in Art.
19 Abs.
4 Satz 1
GG gewährleisteten verfassungsrechtlichen Garantie effektiven Rechtsschutzes ist, vgl. dazu u.a. BVerfG, Beschluß vom 21.3.1985
- 2 BvR 1642/83 -, NVwZ 1985, 409 m.w.N.; Beschluß vom 16.3.1993 - 2 BvR 202/93 -, NJW 1993, 3190; Beschluß vom 12.9.1995 - 2 BvR 1179/95 -, NVwZ 1996, 58 f. m.w.N.; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg.),
Verwaltungsgerichtsordnung, 1996, Vorbemerkung zu §
80 Rdnr. 11 ff. m.w.N..
Allerdings gewährleistet Art.
19 Abs.
4 Satz 1
GG die aufschiebende Wirkung der Rechtsbehelfe im Verwaltungsprozeß nicht schlechthin. Überwiegende öffentliche Belange können
es rechtfertigen, den Rechtsschutzanspruch des Grundrechtsträgers einstweilen zurückzustellen, um unaufschiebbare Maßnahmen
im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Dies muß jedoch die Ausnahme bleiben. Für die sofortige
Vollziehung eines Verwaltungsaktes ist daher nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ein besonderes öffentliches Interesse
erforderlich, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt. Der Rechtsschutzanspruch des
Bürgers ist dabei umso stärker und darf umso weniger zurückstehen, je schwerwiegender die ihm auferlegte Belastung ist und
je mehr die Maßnahmen der Verwaltung Unabänderliches bewirken,
vgl. u.a. BVerfG, Beschluß vom 12.9.1995, aaO., S. 59 m.w.N.
Im Hinblick darauf muß nicht nur der Gesetzgeber eine Regelung vorsehen, auf deren Grundlage die Gerichte vorläufigen Rechtsschutz
gewähren können. Auch die Gerichte, die diese Regelung auszulegen und anzuwenden haben, sind gehalten, so zu verfahren, daß
der besonderen Bedeutung der jeweils betroffenen Grundrechte und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes genügt
wird,
vgl. BVerfG, Beschluß vom 25.10.1988 - 2 BvR 745/88 -, BVerfGE 79, 69 (74) = NJW 1989, 827; Beschluß vom 16.3.1993, aaO., S. 3190.
Nach der in §
80 VwGO erfolgten Regelung ist von der in Übereinstimmung mit der verfassungsrechtlichen Garantie des Art.
19 Abs.
4 Satz 1
GG getroffenen Entscheidung des Gesetzgebers auszugehen, daß Widerspruch und Anfechtungsklage (stets) aufschiebende Wirkung
haben (§
80 Abs.
1 Satz 1
VwGO), soweit sich nicht aus §
80 Abs.
2 ff.
VwGO Ausnahmen davon ergeben. Sofern keiner dieser im Gesetz geregelten Ausnahmefälle eingreift, bleibt es bei der in §
80 Abs.
1 VwGO geregelten Rechtsfolge der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage. Aufgrund dieser differenzierenden
gesetzlichen Regelung ist eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes nicht ersichtlich.
Sofern die Antragsgegnerin im Hinblick auf die gesetzliche Zielsetzung des § 25a BSHG und die Besonderheiten des konkreten Einzelfalles der Auffassung war, daß eine sofortige Vollziehung ihrer Aufrechnungsverfügung
im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten geboten war, stand es ihr frei, ggf. nach Maßgabe
des §
80 Abs.
2 Satz 1 Nr.
4 VwGO die sofortige Vollziehung anzuordnen und das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung gemäß §
80 Abs.
3 VwGO schriftlich zu begründen. Ausweislich des dem Senat vorliegenden Bescheides und des Widerspruchsbescheides ist eine solche
Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht erfolgt, so daß es bei der aufschiebenden Wirkung gemäß §
80 Abs.
1 Satz 1
VwGO bleibt.