Sozialhilferecht: Umfang der Kürzung des Pflegegeldes
»1. § 69c Abs. 2 Satz 2 BSHG lässt eine Kürzung des Pflegegeldes nach § 69a BSHG allenfalls um bis zu 2/3 zu, keinesfalls aber dessen vollständige Streichung.
2. Auch im Falle einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung eines Schwerstpflegebedürftigen durch einen professionellen Pflegedienst
aufgrund von Leistungen nach § 69b Abs. 1 BSHG oder von gleichartigen Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften darf das Pflegegeld nicht völlig eingestellt werden; es
dient insoweit der Abdeckung behinderungsbedingter Aufwendungen, die zusätzlich zu einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung entstehen.«
Gründe:
Der Antrag, die Berufung zuzulassen, ist unbegründet. Weder bestehen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen
Urteils noch kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zu.
Soweit eine Grundsatzbedeutung i.S.d. §
124 Abs.
1 Nr.
3 VwGO überhaupt hinreichend dargelegt wurde, lässt sich die entscheidungserhebliche Frage, ob der Kläger ein anteiliges Pflegegeld
neben der Erstattung seiner Aufwendungen für eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch professionelle Pflegekräfte beanspruchen
kann, aufgrund der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG beantworten, und zwar mit dem Ergebnis, zu dem das Verwaltungsgericht gelangt ist. Richtigkeitszweifeln i.S.d. §
124 Abs.
1 Nr.
1 VwGO begegnet das Urteil daher ebenso wenig.
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass das Pflegegeld nach § 69 a BSHG allenfalls um bis zu 2/3 gekürzt, keinesfalls aber völlig gestrichen werden darf, wenn -- wie hier -- daneben Leistungen
nach § 69 b Abs. 1 BSHG oder gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften gewährt werden. Dies ergibt sich unmissverständlich aus dem
Wortlaut des § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG. Gegen diese Auslegung wendet der Beklagte ohne Erfolg ein, aus gesetzessystematischen Gründen komme im Falle einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung
durch einen professionellen Pflegedienst ein gekürztes pauschaliertes Pflegegeld deshalb nicht in Betracht, weil eine solche
Versorgung sowohl die Körperpflege als auch die Ernährung sowie hauswirtschaftliche Verrichtungen und die Mobilität umfasse
und somit für den mit dem Pflegegeld verbundenen Zweck, die unentgeltliche Pflegebereitschaft Dritter aufrechtzuerhalten,
begrifflich kein Raum sei. Dieser Auffassung ist der Kläger bereits in seiner Klagebegründung entgegengetreten, indem er Aufwendungen
bezeichnet hat, die ihm trotz seiner Rund-um-die-Uhr-Betreuung behinderungsbedingt entstehen und die er mit dem Pflegegeld
bis zu dessen Einstellung durch den Beklagten bestritten hat. Die von dem Beklagten befürwortete einschränkende Auslegung
des § 69 c Abs. 2 Satz 2 BSHG muss darüber hinaus an dem Umstand scheitern, dass die gleichzeitige Gewährung von Leistungen nach § 69 b Abs. 1 BSHG oder gleichartiger Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften sowie eines gekürzten Pflegegeldes vom Gesetzgeber offenbar
bewusst normiert wurde. Im Zusammenhang mit der Einfügung des früheren § 69 Abs. 5 BSHG, der dem derzeit geltenden § 69 c Abs. 2 BSHG vergleichbaren Vorschrift, heißt es in den Gesetzesmaterialien, bei dem einzelnen Pflegebedürftigen könne ein über die Leistungen
des
SGB XI hinausgehender Bedarf bestehen, der bei Bedürftigkeit durch die Sozialhilfe abgedeckt werden müsse; der Anspruch auf ein
gekürztes Pflegegeld werde in den Fällen, in denen Aufwendungen für eine besondere Pflegekraft entstehen, wenn auch in gekürzter
Form, beibehalten; er diene der Aufrechterhaltung der ambulanten Pflegebereitschaft in den Fällen, in den Bedürftigkeit nach
dem BSHG bestehe (Bundestagsdrucksache 12/5262, Einzelbegründung zu Art. 15 Nr. 3 (§ 69), S. 167 f.). Dementsprechend hat das Oberverwaltungsgericht Hamburg (Beschluss vom 26. Februar 1991, FEVS 42, 69 (72)) zu
der Bestimmung des § 69 Abs. 5 a.F. entschieden, dass eine 24-Stunden-Pflege einen weiteren Pflegebedarf nicht ausschließe,
der durch das gekürzte Pflegegeld abgedeckt werden könne. Auch in der sozialhilferechtlichen Kommentarliteratur wird einhellig
die Ansicht vertreten, dass dem Hilfesuchenden mindestens 1/3 des Pflegegeldes verbleiben muss, auch wenn sein pflegerischer
Bedarf durch die Leistungen nach § 69 b Abs. 1 BSHG voll gedeckt ist (Krahmer in LPK-BSHG, 5. Aufl. 1998, § 69 c Rdnr. 7 f.; Mergler/Zink, BSHG, Stand 8/1999, § 69 c Rdnr. 27; Lachwitz in: Fichtner, BSHG, Kommentar, 1999, § 69 c Rdnr. 10 f.; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, Kommentar, 15. Aufl. 1997, § 69 c, Rdnr. 14).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
154 Abs.
2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß §
188 Satz 2
VwGO nicht erhoben.