Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, Berücksichtigung eines Kraftfahrzeugs als Vermögen
Gründe:
I.
Streitig ist im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Bewilligung von Arbeitslosengeld ohne vorherige Verwertung
eines Pkw als Vermögensgegenstand.
Der am E. geborene Antragsteller ist alleinstehend und bezog bis einschließlich 13.02.2005 Arbeitslosengeld beim Arbeitsamt
F. Zuvor arbeitete er als Lagerarbeiter, Gartenbauhelfer und Sortierer. Am 24.01.2005 beantragte er im Hinblick auf den auslaufenden
Leistungsbezug bei dem Antragsgegner die Gewährung von Arbeitslosengeld II. Als Vermögen gab er u.a. einen Bausparvertrag
mit einem Guthaben von 2.081,27 Euro, eine Kapitallebensversicherung mit einem Auszahlungswert von 1,347 Euro sowie einen
Pkw Marke Skoda Octavia (Erstzulassung 27.06.2003, 1595 ccm und 102 PS) an, den er im Juni 2003 als Neufahrzeug für 17.100
Euro gekauft hatte. Der Wert dieses Fahrzeugs belief sich im Zeitpunkt der Antragstellung ausweislich eines beigefügten Bewertungsbogens
der Firma Fahrzeughaus G. auf 9.900 Euro. Die Gemeinde H. lehnte den Antrag mit Bescheid vom 03.02.2005 ab, da der Antragsteller
nicht bedürftig sei. Unter Berücksichtigung eines Grundfreibetrags von 6.800 Euro sowie eines Freibetrags für notwendige Anschaffungen
in Höhe von 750 Euro ergebe sich, dass die beim Antragsteller vorhandenen Vermögenswerte den Freibetrag von 5.878,27 Euro
überschritten. Der Antragsteller legte dagegen Widerspruch ein und führte aus, ein angemessenes Kraftfahrzeug sei kein verwertbares
Vermögen und müsse unberücksichtigt bleiben. Dies sei für ihn besonders wichtig, da er in der Vergangenheit oft als Saisonkraft
beschäftigt sei und angesichts der unzulänglichen Infrastruktur an seinem Wohnort, insbesondere der fehlenden öffentlichen
Verkehrsmittel für die Stellensuche ebenso wie für die Aufnahme einer Arbeit eine Pkw benötige. Über den Widerspruch ist -
soweit ersichtlich - bis zum heutigen Tage noch nicht entschieden worden.
In seinem am 14.02.2005 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beruft sich der Antragsteller
auf seine Ausführungen in der Widerspruchsbegründung und beantragt,
den Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten ihm Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende
gemäß SGB II für den Zeitraum ab 14.02.2005 in gesetzlicher Höhe und Laufzeit zu bewilligen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.
Er führt aus, entgegen der Begründung im angefochtenen Bescheid sei nicht der gesamte Wert des Fahrzeugs (9.900 Euro) anzurechnen,
sondern ein möglicher Verkaufserlös von 9.900 Euro abzüglich 5.000 Euro mithin 4.900 Euro. Dadurch ergäbe sich anhand der
durchgeführten Gesamtberechnung ein einzusetzendes Vermögen von lediglich 821,27 Euro. Er ist weitergehend der Auffassung,
der Pkw sei von der Berücksichtigung als Vermögen nicht ausgeschlossen, da bei einem Verkaufserlös von mehr als 5.000 Euro
keine Angemessenheitsprüfung mehr vorzunehmen sei. Im Übrigen sei angesichts der vorausgegangenen saisonal eingeschränkten
und wenig qualifizierten Tätigkeiten allenfalls ein Pkw der unteren Klasse angemessen. Die Unterkunftskosten seien ungeklärt,
da der Antragsteller am 01.04.2004 von seinem Vater eine Wohnung im elterlichen Haus gemietet habe, für die der Nachweis regelmäßiger
Mietzahlungen aber nicht geführt sei.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte des Antragsgegners beigezogen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt. Wegen der
weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten ergänzend Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und inhaltlich begründet.
Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht,
das durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich
erschwert werden könnte (§
86 b Abs.
2 Satz 1
SGG). Der Anordnungsanspruch, also die Rechtsposition, deren Durchsetzung im Hauptsacheverfahren beabsichtigt ist, sowie der
Anordnungsgrund, die Eilbedürftigkeit der begehrten vorläufigen Regelung, sind glaubhaft zu machen (§
86 Abs.
2 SGG i.V.m. §
920 Abs.
3 ZPO). Für beide Voraussetzungen reicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit aus (vgl. Krodel, Die Begründetheit des Antrags auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung, NZS 2002, 234 ff., Grieger, Vorläufiger Rechtsschutz in Angelegenheiten der Sozialhilfe und der Grundsicherung für Arbeitsuchende, ZFSH/SGB
10/2004, S. 579 ff).
Unter Beachtung dieser Grundsätze liegt ein Anordnungsanspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vor.
Rechtsgrundlage sind § 19 SGB II i.V.m. §§ 9 Abs. 1 und 12 SGB II. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als Arbeitslosengeld
II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung sowie unter
den Voraussetzungen des § 24 einen befristeten Zuschlag. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt
nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder
Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer
Sozialleistungen erhält. Als Vermögen sind dabei alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen (§ 12 Abs. 1 SGB
II), nicht zu berücksichtigen ist u.a. ein angemessenes Kraftfahrzeug (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 2 SGB II). Für die Angemessenheit
sind die Lebensumstände während des Bezugs der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende maßgebend (§ 12 Abs. 3 Satz
2 SGB II).
An der Erwerbsfähigkeit des Antragstellers bestehen nach Aktenlage keine Zweifel. Der Antragsteller ist mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit auch hilfebedürftig. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist dabei der Pkw des Antragstellers nicht
als Vermögen zu berücksichtigen.
Bei dem Begriff "angemessen" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. In der Begründung des Regierungsentwurfs
findet sich zur Ausfüllung dieses Begriffs lediglich der Hinweis, maßgebliches Kriterium sei die aktuelle Lebenssituation
des Bezugs einer staatlichen Fürsorgeleistung und nicht der vorherige Lebenszuschnitt (vgl. BT-Drucks. 15/1516, S. 53), was
letztlich in § 12 Abs. 3 Satz 2 SGB II seinen Niederschlag gefunden hat. Nach der Verwaltungspraxis der Bundesanstalt für
Arbeit zu der wortgleichen Regelung in § 1 Abs. 3 Ziffer 2 Arbeitslosenhilfe-Verordnung ist ein Kraftfahrzeug geschützt, das abzüglich ggf. bestehender Kreditverbindlichkeiten einen Verkaufserlös von maximal 5.000
Euro hat. In der Kommentarliteratur wird die Auffassung vertreten, dass es sich dabei um eine Untergrenze handele und die
Schmerzgrenze bei einem Mittelklassewagen liegen dürfe; gerade zu Beginn der Arbeitslosigkeit seien auch Kraftfahrzeuge angemessen,
für die ein höherer Verkaufserlös erreichbar ist (Brühl in LPK-SGB II, Rdn. 36 zu § 12). Ein bereits vor der Arbeitslosigkeit
vorhandener Wagen sei wegen seines altersbedingten Wertverlustes in der Regel nicht mehr unangemessen (Ebsen in Gagel, Kommentar
zum
SGB III, Rdn. 151 zu § 193).
Nach Auffassung des erkennenden Gerichts kann es keine starre Wertgrenze für das Kriterium angemessen geben. Entscheidende
Bedeutung kommt dem Sinn und Zweck der Vorschrift zu. Historisch ist es so gewesen, dass ein Kraftfahrzeug im Bereich des
BSHG in der Regel einsetzbares Vermögen war (vgl. Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, Rdn. 9 zu § 12 SGB II).
In der Arbeitslosenhilfe war ein Kraftfahrzeug bis zum 31.12.2001 nur dann vor der Verwertung geschützt, wenn es zur Aufnahme
oder Fortsetzung der Berufsausbildung oder der Erwerbstätigkeit unentbehrlich war (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2 Ziffer 4 der bis
zum 31.12.2001 gültigen Arbeitslosenhilfeverordnung vom 07.08.1974, zuletzt geändert durch Artikel 26 des Gesetzes vom 26.06.2001
- BGBl I, 1310 -). Wohl aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Praktikabilität (vgl. Ebsen in Gagel, Kommentar zum
SGB III, Rdn. 150 zu § 193) war ab dem 01.01.2002 auch in der Arbeitslosenhilfe ein angemessenes Kraftfahrzeug generell nicht mehr als Vermögen zu berücksichtigen
(§ 1 Abs. 3 Ziffer 2 der Arbeitslosenverordnung 2002 vom 13.12.2001 - BGBl I, 3734 -). Diese Regelung wurde auch für das SGB
II übernommen.
Der Gesetzgeber hat damit der Tatsache Rechnung getragen, dass im Zuge der allgemein gestiegenen Mobilität der Arbeitnehmer
und der gestiegenen Zumutbarkeitsanforderungen (vgl. §
121 Abs.
4 SGB III und § 10 Abs. 2 Ziffer 3 SGB II) immer mehr Arbeitnehmer weitere Strecken zurücklegen müssen, um ihre Arbeitsstelle zu erreichen. Da gleichzeitig
der öffentliche Personenverkehr, nicht zuletzt bedingt durch die leeren Kassen der öffentlichen Haushalte insbesondere im
ländlichen Raum immer weiter eingeschränkt wurde, ist die Benutzung des Pkw in vielen Fällen eine Notwendigkeit geworden,
zumal viele Betriebe in Gewerbegebieten, Stadtrandlagen und ähnlichen schlecht durch den öffentlichen Personenverkehr erschlossenen
Regionen angesiedelt sind. Dem wollte der Gesetzgeber ersichtlich Rechnung tragen, indem er nicht nur im Falle einer im konkreten
Einzelfall nachgewiesenen Erforderlichkeit (wie in der bis zum 31.12.2001 gültigen Arbeitslosenhilfe-Verordnung), sondern generell ein Kraftfahrzeug von der Anrechnung als Vermögen ausgenommen hat.
Das Kriterium der Angemessenheit ist vor dem Hintergrund dieses Verwendungszwecks auszulegen. Das Kraftfahrzeug wird nicht
als Vermögensgegenstand, sondern als Verkehrsmittel geschützt. Angemessen ist damit ein Kraftfahrzeug, das ein zuverlässiger,
möglichst wenig reparaturanfälliger, sicherer und arbeitstäglich benutzbarer Gebrauchsgegenstand ist, der weder übertriebenen
Luxus, noch eine deutlich über dem Durchschnitt liegende Motorleistung aufweist. Vor diesem Hintergrund ist in aller Regel
ein Mittelklassefahrzeug, das bereits definitionsgemäß nicht als Luxusgegenstand eingestuft wird, mit mittlerer Motorisierung
als angemessen anzusehen. Dies gilt jedenfalls für Fahrzeuge, die sich bereits vor der Arbeitslosigkeit und damit auch bevor
sich ein reduzierter Lebensstandard abzeichnete im Besitz der Betroffenen befanden.
Dem aktuellen Fahrzeugwert kommt demgegenüber keine entscheidende Bedeutung zu. Einmal abgesehen davon, dass es generell nicht
sinnvoll erscheint und vom Gesetzgeber mangels gegenteiliger Anhaltspunkte auch nicht beabsichtigt war, die Leistungsberechtigten
des SGB II zu veranlassen ein solides, zuverlässiges und ihnen bekanntes Auto gegen ein geringwertigeres, damit im Zweifel
aber auch reparaturanfälligeres und mit dem Risiko unbekannter Mängel behaftetes Kfz einzutauschen, relativiert sich das Wertproblem
durch die weitere Entwicklung. Findet der Leistungsberechtigte kurz nach Beginn des Alg-II-Bezuges wieder eine Arbeit, wäre
die vorgenommene Verwertung und der Umstieg auf ein geringwertigeres Fahrzeug unwirtschaftlich gewesen. Bleibt er hingegen
längerfristig arbeitslos, ist das Kfz einem - gerade in der Anfangszeit erheblichen - Wertverlust ausgesetzt, so dass sich
der "zu hohe" Wert in überschaubarer Zeit verbraucht. Auch unter Billigkeitsgesichtspunkten ist es sachgerecht, in der ersten
Phase des ALG II - Bezuges einen höheren Wert für angemessen zu erachten, als in späteren Phasen. Eine starre Wertgrenze wird mithin dem
Begriff der Angemessenheit nicht gerecht.
Angemessen ist daher ein Mittelklassewagen ohne besonderen Luxus und mit durchschnittlicher Motorisierung, der sich bereits
vor der Arbeitslosigkeit im Eigentum des Arbeitslosen befand, ohne dass es auf den aktuellen Marktwert ankäme.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines Skoda Octavia und damit eines Fahrzeugs, dass eindeutig der Mittelklasse zuzuordnen
ist. Das Fahrzeug hat - soweit ersichtlich - keinen besonderen Luxus und mit 102 PS nach aktuellen Vergleichsmaßstäben auch
noch keine übertriebene Motorleistung. Der Erwerb erfolgte im Juni 2003 und damit vor der aktuellen, im Herbst 2004 eingetretenen
Arbeitslosigkeit. Es ist daher als angemessen anzusehen und von der Verwertung ausgenommen.
Unter Berücksichtigung des von dem Antragsgegner errechneten Freibetrages verbleibt mithin kein einzusetzendes Vermögen, so
dass dem Antragsteller dem Grunde nach Arbeitslosengeld II nach §§ 19 ff. SGB II zu gewähren ist. Die Bedenken des Antragsgegners
hinsichtlich der Unterkunftskosten teilt das Gericht nicht. Zumindest im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist die Vorlage
des Mietvertrages und eines Beleges über die Zahlung einer Monatsmiete ausreichend. Der Behörde bleibt es unbenommen vor Entscheidung
über den Widerspruch weitere Ermittlungen anzustellen und dem Antragsteller den lückenlosen Nachweis der Mietzahlung aufzugeben,
was bislang nicht geschehen ist.
Ein Anordnungsgrund ergibt sich bereits daraus, dass der Antragsteller seinen Lebensunterhalt nach Aktenlage nicht auf andere
Weise sicherstellen kann, so dass die von ihm erstrebte Regelung auch eilbedürftig ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.