VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 06.09.1990 - 6 S 725/90
Sozialhilferecht: Überleitung eines bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruches auf den Sozialhilfeträger
»1. Die Überleitung eines bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruches auf den Sozialhilfeträger nach § 90 BSHG und die sozialhilferechtliche Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen nach § 91 BSHG sind zwei im Ermessen der Behörde stehende Entscheidungen, die in einem formellen Bescheid zusammengefaßt werden können,
aber nicht müssen.
2. Bei der Überleitung von Unterhaltsansprüchen hat auch der Drittschuldner ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie
Ermessensausübung. Bei der Ausübung seines Ermessens darf der Sozialhilfeträger im Regelfall davon ausgehen, daß die Überleitung
den Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe verwirklicht und daher geboten ist; er muß lediglich prüfen, ob ausnahmsweise
eine Situation vorliegt, die ein Absehen von der Überleitung rechtfertigen könnte.
3. Zu den Anforderungen an die Begründung einer Überleitungsentscheidung.«
Fundstellen: NJW 1991, 2922, NVwZ 1991, 1208, VBlBW 1991, 70
Normenkette: BSHG § 90 § 91
,
SGB X § 35 § 41
Vorinstanzen: VG Stuttgart 01.02.1990 9 K 3341/89
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich gegen die Überleitung von Unterhaltsansprüchen ihrer Tochter ... gegen sie gemäß §§ 90, 91 BSHG.
Die Klägerin ist am 09.01.1914, der Kläger am 08.09.1909 geboren. Ihre Kinder sind Frau ... (geboren 1942), ... (geboren 1944),
... (geboren 1950), ... (geboren 1953) und ... (geboren 1955). Wegen der Gebrechlichkeit der Kläger ist ihr Sohn ... seit
einigen Jahren zum Gebrechlichkeitspfleger bestellt worden. Die Tochter ... der Kläger bezog in den Jahre 1979 bis 1989 von
der Beklagten Sozialhilfeleistungen im Gesamtbetrag von 3 567,60 DM.
Am 15.01.1988 schlossen die Kläger vor dem Notariat S mit ihren Söhnen ... und ... einen "Übergabevertrag", in welchem sie
ihre gesamten Grundstücke, einschließlich des von ihnen bewohnten Hofgrundstücks ... in S an ihre Söhne übergaben. Das Grundvermögen
ohne Gebäude allein hat einen Schätzwert von etwa 600 000,-- DM. Die beiden Söhne räumten den Klägern bezüglich des Hofgrundstücks
ein lebenslanges Wohnrecht ein. Weiter verpflichteten sie sich, die öffentlichen Grundstückslasten zu übernehmen sowie für
die ordnungsgemäße Instandhaltung des Bauwerks zu sorgen. In zeitlich beschränktem Umfang verpflichteten sie sich auch zur
Wartung und Pflege der Kläger.
Mit Schreiben vom 06.04.1989 teilte die Beklagte den Klägern gemäß § 91 Abs. 2 BSHG mit, daß ihre Tochter ... seit 28.03. 1989 bis auf weiteres laufende Hilfe zum Lebensunterhalt beziehe. Zugleich bat sie
um Mitteilung, ob und in welchem Umfang die Kläger in der Lage seien, ihre Unterhaltspflicht zu erfüllen, und wies sie auf
ihre Auskunftspflicht hin. Mit Schreiben vom 18.04. 1989 teilte der Kläger der Beklagten mit, daß er eine Angestelltenrente
von 653,-- DM sowie eine Altenhilfe für Landwirte von 555,-- DM für sich und die Klägerin beziehe. Mit gleichzeitigem Schreiben
vom 18.04.1989 wies der Pfleger der Kläger die Beklagte zusätzlich auf den schlechten Gesundheitszustand der Kläger hin. Deren
Pflege werde von den Söhnen und deren Frauen übernommen; außerdem sei eine Krankenschwester angestellt. Die Kosten betrügen
monatlich zwischen 1 000,-- und 1 200,-- DM und würden von den beiden Söhnen privat bezahlt. Die Tochter ... habe lediglich
im Jahre 1986 zwei Monate lang für die Eltern die täglichen Haushaltsarbeiten verrichtet, eine weitere Hilfe jedoch abgelehnt.
Mit Formularbescheid vom 28.06.1989 leitete die Beklagte gemäß §§ 90, 91 BSHG die Unterhaltsansprüche von Frau ... gegen die Kläger auf sich über. Mit Schreiben vom 07.07.1989 erhoben die Kläger durch
ihren Pfleger Widerspruch und wiesen zur Begründung auf ihr geringes Renteneinkommen und ihren Krankheitszustand hin, der
auch eine besondere Kost und den Verbrauch von viel Pflegematerial erfordere. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.1989 wies
der Landkreis O den Widerspruch des Pflegers als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt: Die Übergabe des Grundbesitzes
der Kläger an ihre Söhne ... und ... stelle zumindest eine Teilschenkung im Sinne des bürgerlichen Rechts dar. Nach § 528 BGB habe ein Schenker Anspruch auf Rückgabe des Geschenks, wenn er innerhalb von zehn Jahren nach der Schenkung außerstande sei,
unter anderem die ihm gegenüber seinen Verwandten bestehende Unterhaltspflicht zu erfüllen. Es sei daher möglich, daß die
Kläger aus ihrem Grundbesitz in der Lage gewesen wären, Unterhaltsleistungen zu erbringen. Sie könnten deshalb das Recht haben,
die verschenkten Grundstücke wieder wegen der Unterhaltsverpflichtung gegenüber Frau ... zurückzufordern. Ob diese Unterhaltspflicht
tatsächlich bestehe, sei im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen. Es sei jedoch festzustellen, daß eine Unfähigkeit zur
Unterhaltsleistung nicht offensichtlich bestehe. Sonstige Gründe, die einen Verzicht auf die Überleitung der Unterhaltsansprüche
rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich. Das Sozialamt habe somit zu Recht von der Ermessensermächtigung in § 90 BSHG Gebrauch gemacht und die Unterhaltsansprüche von Frau ... gegenüber den Klägern, ihren Eltern, auf sich übergeleitet.
Gegen den am 20.09.1989 an den Pfleger der Kläger zugestellten Widerspruchsbescheid haben die Kläger am 20.10.1989 Klage erhoben.
Sie haben beantragt, die Überleitungsanzeige der Beklagten vom 28.06.1989 in der Form des Widerspruchsbescheids des Landratsamts
O vom 14.09.1989 aufzuheben. Zur Begründung haben sie ausgeführt: Sie seien schon aufgrund ihrer nachgewiesenen Einkommens-
und Vermögensverhältnisse nicht in der Lage, Frau ... Unterhalt zu leisten. Seit 1986 seien sie absolute Pflegefälle: Der
Kläger leide seit dieser Zeit an Prostatakrebs und habe einen künstlichen Ausgang; er müsse deshalb täglich gewaschen, angekleidet
und auch sonst total versorgt werden. Zu eigenen Handlungen sei er nicht mehr in der Lage. Gleiches gelte für die Klägerin,
die ebenfalls einen künstlichen Ausgang habe und nach einem Oberschenkel-Halsbruch im November 1986 auf Krücken gehen müsse;
diese sei auch noch geistig behindert. Seit vielen Jahren seien deshalb die Söhne ... und ... mit ihren Ehefrauen bei der
Versorgung der Kläger eingesprungen. Wegen deren Überforderung hätten noch Dritte zumindest teilweise mit der Pflege und Versorgung
beauftragt werden müssen. Da die Kläger nicht mehr in der Lage gewesen seien, ihren Lebensabend aus eigener Kraft zu sichern,
hätten sie ihren kleinen Bauernhof im Wege der vorzeitigen Erbfolge auf die Kinder ... und ... übertragen mit der Verpflichtung,
den Lebensabend der Kläger zu sichern. Die anderen Kinder, einschließlich von Frau ..., hätten entweder gleichzeitig oder
schon zuvor ihren Erbanteil erhalten. Ein Rückforderungsanspruch nach § 528 BGB stehe den Klägern gegen ihre Söhne nicht zu, weil sie durch die Hofübergabe einer sittlichen Pflicht genügt hätten, um im
Gegenzug ihren Lebensabend gesichert und eine umfassende Versorgung gewährleistet zu erhalten. Es sei ihnen schon gar nicht
zumutbar, die Übertragung des Hofes rückgängig zu machen, um hierdurch einen angeblichen Unterhaltsanspruch von Frau ... zu
gewährleisten. Überdies wäre der Rückforderungsanspruch nach § 529 BGB ausgeschlossen, da Frau ... ohne weiteres selbst in der Lage gewesen wäre, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Sie und ihr
Ehemann hätten es jedoch strikt abgelehnt, irgendetwas zu arbeiten, obwohl ihnen bereits mehrfach Beschäftigung, insbesondere
eine Teilnahme an der Versorgung der Kläger, angeboten worden sei. Aufgrund dieses Verhaltens bestehe auch nach den §§ 1601 ff. BGB kein Unterhaltsanspruch, insbesondere greife § 1611 BGB ein, weil Frau ..., die in erheblichem Umfang dem Alkohol zuspreche, durch sittliches Verschulden bedürftig geworden sei.
Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und zur Begründung auf die Gründe des Widerspruchsbescheids Bezug genommen.
Mit Urteil vom 01.02.1990 hat das Verwaltungsgericht die Überleitungsanzeige der Beklagten vom 28.06.1989 und den Widerspruchsbescheid
des Landkreises O vom 14.09.1989 aufgehoben. In den Entscheidungsgründen heißt es: Ob der Träger der Sozialhilfe eine Überleitung
bewirke, stehe in seinem pflichtgemäßen Ermessen, und zwar unabhängig von der im Rahmen der Inanspruchnahme maßgeblichen allgemeinen
Härteregelung des § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG, die von der hier zu beurteilenden Überleitung dem Grunde nach zu trennen sei. Die angefochtenen Bescheide litten indessen
unter Ermessensfehlern. Denn vorliegend seien aufgrund der besonderen Verhältnisse des Einzelfalls Gesichtspunkte gegeben,
die es gerechtfertigt hätten, von der Überleitung abzusehen. Bereits vor Ergehen des Ausgangsbescheides und später auch im
Widerspruchsverfahren sei auf die besondere persönliche Situation der Kläger und deren Verhältnisse hingewiesen worden. Schon
im Hinblick auf das Alter der Kläger und ihren Gesundheitszustand sowie unter Berücksichtigung der Tatsache, daß offensichtlich
zwischen ihnen und ihren Söhnen weitgehend intakte Familienverhältnisse gegeben seien, sei es unverkennbar gewesen, daß die
mit dem Erlaß der Überleitungsanzeige zwangsläufig verbundene Notwendigkeit, den möglicherweise bestehenden Schenkungsrückforderungsanspruch
gegenüber den Söhnen geltend zu machen und äußerstenfalls auch zwangsweise durchsetzen zu müssen, eine erhebliche und möglicherweise
unzumutbare Belastung der Kläger und einen weitgehenden Eingriff in die Familienverhältnisse habe bedeuten können. Eine detaillierte,
abwägende Auseinandersetzung mit diesen Beeinträchtigungen für die Kläger und den familiären Folgen einer Überleitung hätte
zumindest der Widerspruchsbescheid leisten müssen. Dies sei jedoch nicht im Ansatz geschehen. Der Widerspruchsbescheid erschöpfe
sich hinsichtlich der Ermessensausübung in der Darlegung, daß eine Unterhaltsverpflichtung nicht offensichtlich ausgeschlossen
werden könne. Im übrigen beschränke er sich auf die lapidare Äußerung, daß sonstige Gründe, die einen Verzicht auf die Überleitung
rechtfertigen würden, nicht ersichtlich seien. Solche Gründe lägen aber im vorliegenden Falle auf der Hand.
Gegen das der Beklagten am 05.03.1990 zugestellte Urteil hat diese am 26.03.1990 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt
sie vor, die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils seien mehr durch gefühlsbetonte als durch rechtliche Argumentation
gekennzeichnet. Die Kläger hätten ihr gesamtes Grundvermögen, dessen Wert ohne Wohngebäude bei vorsichtiger Schätzung etwa
600 000,-- DM betrage, auf ihre beiden gutsituierten Söhne übertragen, wohingegen die in Sozialhilfe stehende Tochter nicht
einmal in Höhe des Pflichtteilergänzungsanspruchs berücksichtigt worden sei. Eine solche Handlungsweise widerspreche jeglichem
Familiensinn. Die Überleitung mache deshalb nur einen atypischen, mit dem Anschein der Rechtsmißbräuchlichkeit behafteten
Vorgang rückgängig. Da die bisher aufgewendeten Sozialhilfeleistungen 3 567,60 DM nicht überstiegen, stelle die Rückforderung
von den Brüdern der Hilfeempfängerin weder für die Kläger noch für deren Söhne eine unzumutbare Belastung dar, sondern entspreche
lediglich dem, was in einer Familie ohnedies normal und selbstverständlich sei. Dagegen sei es viel eher unzumutbar, die Allgemeinheit
mit den Kosten der Sozialhilfe zu belasten. Außerdem habe es den Anschein, daß das gerichtliche Verfahren nicht von den völlig
hilflosen Klägern, sondern von den beiden Söhnen in Gang gesetzt worden sei. Da die Kläger von diesen offensichtlich nicht
die erforderliche Pflege erhielten, sei absehbar, daß das Sozialamt sich bald auch um die Kläger zu kümmern habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 01.02.1990 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung tragen sie vor, das erstinstanzliche Urteil sei in keiner Weise fehlerhaft, wohingegen die Berufungsbegründung
den Vortrag der Klägerseite nicht berücksichtige und keinerlei Ermessenserwägungen enthalte. Es sei unzutreffend, daß die
Hilfeempfängerin aus dem Vermögen ihrer Eltern keinen Anteil erhalten habe, sie habe das Erhaltene vielmehr verschleudert.
Zudem sei es nicht atypisch, daß Eltern ihr Vermögen an diejenigen Kinder übertrügen, die ihr Vertrauen genössen und die sich
bereit erklärt hätten, ihren Lebensabend zu sichern. Die Hilfeempfängerin habe hingegen die Pflege ihrer Eltern abgelehnt.
Von Rechtsmißbräuchlichkeit der Übertragung könne keine Rede sein, weil der Grundbesitz nicht zu dem Zweck übertragen worden
sei, den Zugriff des Sozialamts zu vereiteln. Vielmehr sei er längst vor Inanspruchnahme von Sozialhilfe durch Frau ... und
zum alleinigen Zweck der Sicherung des Lebensabends der Kläger übertragen worden. Daß die Kläger nicht ausreichend gepflegt
würden, sei ebenfalls unzutreffend; vielmehr kümmerten sich deren Söhne und ihre Ehefrauen aufopferungsvoll um sie.
Dem Senat liegen außer den Akten des Verwaltungsgerichts die einschlägigen Akten der Beklagten und der Widerspruchsbehörde
vor.
Entscheidungsgründe:
Im Einverständnis der Beteiligten konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht die angefochtenen Bescheide
aufgehoben. Denn sie beruhen auf fehlerhafter Ermessensausübung; zumindest aber sind sie unzureichend und damit verfahrensfehlerhaft
begründet worden.
Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung ist hier allein die Überleitung eines gegen die Kläger gerichteten Unterhaltsanspruchs
ihrer Tochter .... Zutreffend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, daß die öffentlich-rechtliche Entscheidung über
den -- privatrechtsgestaltenden, einen Gläubigerwechsel bewirkenden -- Verwaltungsakt der Überleitung von gesetzlichen Unterhaltsansprüchen
nach §§ 90, 91 BSHG, der nicht identisch ist mit der ebenfalls öffentlich-rechtlichen Entscheidung über die Inanspruchnahme des Unterhaltspflichtigen
nach § 91 Abs. 2, 3 BSHG (vgl. BVerwGE 34, 219, 223; 58, 209, 211; OVG Bremen, FEVS 24, 369, 377; BayVGH, FEVS 24, 321, 324 f.; Atzler, ZfF 1989, 73, 76) und der zivilrechtlichen Realisierung des Anspruchs (Atzler a.a.O.), im Ermessen des überleitenden Sozialhilfeträgers
steht ("kann bewirken") (allg. M.). Da die Entscheidung über die Inanspruchnahme ebenfalls im Ermessen des Sozialhilfeträgers
steht, ist das Ermessen möglicherweise mehrmals bzw. in "zwei Ebenen" (Atzler, a.a.O., S. 73, 75) zu betätigen. Beide Entscheidungen
können in einem (formellen) Verwaltungsakt zusammengefaßt werden, müssen es aber nicht. Der hier angefochtene Überleitungsbescheid
vom 28.06.1989 enthält die Klarstellung, daß hier Regelungsgegenstand lediglich die Überleitung selbst sein soll. Denn es
heißt dort wörtlich: "Der von Ihnen zu entrichtende Unterhaltsbeitrag wird Ihnen noch mit besonderem Schreiben mitgeteilt".
Eine Entscheidung über die Inanspruchnahme, die sich in der Regel in der Benennung eines Unterhaltsbeitrages ausdrückt, ist
sonach hier erkennbar nicht getroffen worden. Auch Erwägungen zur Härteentscheidung nach § 91 Abs. 3 Satz 1 BSHG fehlen. Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung ist sonach nur die auf die eigentliche Überleitung gerichtete
Ermessensentscheidung.
Ist der Drittschuldner unterhaltspflichtig und wird ein gegen ihn gerichteter Unterhaltsanspruch übergeleitet, so hat er nach
h. M. ein subjektiv-öffentliches Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung auch ihm gegenüber (Atzler, a.a.O., S. 73; LPK-BSHG, 2. Aufl., RdNr. 26 zu § 90; Gottschick/Giese, BSHG, 9. Aufl., RdNr. 12 zu § 90). Der Sozialhilfeträger hat abzuwägen, ob er den Unterhaltsanspruch überleiten will oder nicht. In diese Abwägung hat auf
der einen Seite das Gebot sparsamer Bewirtschaftung öffentlicher Mittel und der grundsätzliche Vorrang der Selbsthilfe vor
der Sozialhilfe nach § 2 BSHG einzugehen, der die Überleitung als Regelfall erscheinen läßt (Mergler/Zink, BSHG, RdNr. 15, 16 zu § 90; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 13. Aufl., RdNr. 16 zu § 90). Auf der anderen Seite ist im Interesse des Drittschuldners abzuwägen, ob bei ihm ausnahmsweise eine Situation vorliegt,
die ein Absehen von der Überleitung rechtfertigen könnte (Mergler/Zink, a.a.O., RdNr. 18; Schellhorn/Jirasek/Seipp, a.a.O.,
RdNr. 17; Knopp/Fichtner, BSHG, 6. Aufl., RdNr. 6 zu § 90). Hierbei ist auch der sozialhilferechtliche Grundsatz der familiengerechten Hilfe (§ 7 BSHG) zu beachten, wonach bei Gewährung von Sozialhilfe die besonderen Verhältnisse in der Familie des Hilfesuchenden berücksichtigt
werden sollen (Satz 1) und die Sozialhilfe die Kräfte der Familie zur Selbsthilfe anregen und den Zusammenhalt der Familie
festigen soll (Satz 2) (BVerwGE 34, 219, 224; LPK-BSHG, RdNr. 27 zu § 90; Mergler/Zink, a.a.O., RdNr. 17).
Wie jede Ermessensentscheidung im Sozialrecht unterliegt auch die Entscheidung über die Überleitung der Begründungspflicht
nach der Muß-Vorschrift des § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X (vgl. BVerwG, FEVS 36, 309, 318; Schellhorn/Jirasek/Seipp, a.a.O., RdNr. 20 zu § 90; LPK-BSHG, a.a.O., RdNr. 38; SHR RdNr. 90.27). In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen,
die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben (§ 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Die Begründung von Ermessensentscheidungen muß auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung
ihres Ermessens ausgegangen ist (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Nach der Senatsrechtsprechung zu dieser Vorschrift bedarf es um so mehr einer Verlautbarung der maßgeblichen Interessenabwägung,
einschließlich einer Auseinandersetzung mit den in die Ermessensausübung einzustellenden privaten Interessen des Betroffenen,
je mehr der Sachverhalt dazu Anlaß bietet (vgl. Senatsurt. v. 31.07.1990 -- 6 S 2062/88 -- und v. 01.03.1990 -- 6 S 3067/88 --, SenatsBeschluß v. 22.06.1988 -- 6 S 2845/87 --). Umgekehrt ist ein bloßer Hinweis, daß Gründe für eine andere Entscheidung nicht ersichtlich seien, jedenfalls dann ausreichend,
wenn sich schutzwürdige Belange des Betroffenen auch bei objektiver Würdigung nicht erkennen lassen, also nach Sachlage nur
noch ein Ergebnis der Ermessensausübung denkbar ist; die Behörde ist dann nicht verpflichtet, gleichsam Selbstverständliches
auszubreiten (vgl. Senatsurt. v. 08.08.1990 -- 6 S 3809/88 -- und v. 12.07.1989 -- 6 S 1002/88 --).
Bei der Überleitung gesetzlicher Unterhaltsansprüche ist, wie dargelegt, für die Anforderungen an die Begründungspflicht davon
auszugehen, daß der Nachrang der Sozialhilfe den Regelfall bildet. In diesem Regelfall braucht die Begründung lediglich erkennen
zu lassen, daß überhaupt Ermessen ausgeübt wurde und daß für die Annahme eines Ausnahmefalles nichts spricht. Anders ist es,
wenn der Sachverhalt besonderen Anlaß für eine Anwendung des § 7 BSHG bietet und die Ermessensausübung sich daran auszurichten hat. Dann muß auch aus der Begründung hervorgehen, aus welchen Gründen
die Behörde unter Würdigung des Grundsatzes der familiengerechten Hilfe gleichwohl die Überleitung für geboten hält.
Im vorliegenden Falle waren, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, hinreichende Anhaltspunkte für die Annahme
vorhanden, daß es sich hier um einen atypischen Ausnahmefall handelte, der eine Abwägung unter Heranziehung des § 7 BSHG gebot. Denn wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist, sind die Kläger nur dann als unterhaltsfähig anzusehen, wenn
sie ihrerseits gegen ihre beiden Söhne, darunter auch gegen ihren Gebrechlichkeitspfleger, einen Anspruch nach § 528 BGB geltend machen, mag dieser sich auch nur auf eine Geldleistung in Höhe des Bedarfs des Schenkers richten (BGHZ 94, 141). Es wird also nicht, wie in vielen Fällen, ein Herausgabeanspruch nach § 528 BGB selbst auf den Sozialhilfeträger übergeleitet, sondern ein Unterhaltsanspruch gegen unterhaltspflichtige Eltern, die sich
erst durch die Geltendmachung des Anspruchs aus § 528 BGB unterhaltsfähig machen sollen. Zu diesem Zweck müßte zunächst für sie ein Ergänzungspfleger nach § 1909 BGB bestimmt werden, der den Anspruch gegenüber den Söhnen durchzusetzen hätte, ein Vorgang, der für sich schon in die Familienverhältnisse
gravierend eingreifen würde, erst recht aber, wenn er nur den Zweck hat, einem Familienmitglied zugutezukommen, dem gegenüber
die Beschenkten an sich nicht unterhaltspflichtig sind und die -- nach Auffassung der Beschenkten -- ihren Anteil am Familiengut
verschleudert hat. Schon diese Konstellation reicht über die bei Überleitungen ohnehin zu erwartenden Beeinträchtigungen familiärer
Beziehungen hinaus; verstärkt wird sie aber noch durch die hohe Gebrechlichkeit der Kläger, welche die Frage der Zumutbarkeit
oder Unzumutbarkeit einer rechtlichen Auseinandersetzung mit ihren beiden Söhnen als wesentlichen Bezugspersonen zumindest
als abwägungsbeachtlich erscheinen läßt. Der Sachverhalt der Pflegebedürftigkeit der Kläger und der bereits angeordneten Gebrechlichkeitspflegschaft
war der Beklagten bekannt. Auch die Regelung des Familiengutes mit Rücksicht auf diese Umstände war ihr bekannt. Der Pfleger
hatte auf den Zustand der Kläger bereits nach der Rechtswahrungsanzeige hingewiesen. Gleichwohl läßt sich weder bei der Beklagten
noch bei der Widerspruchsbehörde eine nähere Auseinandersetzung mit diesen Umständen erkennen. Die Begründung des Widerspruchsbescheides
enthält, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat, keinerlei inhaltliche Bezugnahme auf die Gebrechlichkeit
und die Familiensituation der Kläger als abwägungsbeachtlicher Umstände. Der entsprechende Sachvortrag im Klage- und Berufungsverfahren
kann diese Lücke schon nach der gesetzlichen Regelung des § 41 SGB X nicht mehr schließen. Es fehlt daher, wenn nicht gar an einer hinreichenden Ermessensausübung, so doch jedenfalls an einer
den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Begründung der angefochtenen Bescheide. Die Berufung der Beklagten konnte deshalb
keinen Erfolg haben.
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