Sonstiges Schulrecht, Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII): Jugendhilfe, Eingliederungshilfe, Gestützte Kommunikation, Kommunikationshelfer, Schulbegleiter, angemessene Schulbildung
Gründe:
Die Beschwerde hat überwiegend Erfolg. Zu Unrecht hat es das Verwaltungsgericht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen
Anordnung zur Weitergewährung und Ausdehnung der bis Ende des Schuljahrs 2001/2002 gewährten Eingliederungshilfe zu verpflichten.
Der Antragsteller hat einen dahingehenden Anordnungsanspruch sowie einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§
123 Abs.
1 Satz 2, Abs.
3 VwGO i.V.m. §
920 Abs.
2 ZPO). Nicht glaubhaft gemacht ist allerdings, dass als Schulbegleiter nur eine medizinisch-pädagogisch geschulte Fachkraft in
Betracht komme; es genügt ein in der Methode der "gestützten Kommunikation" unterwiesener Schulbegleiter. Insoweit muss der
Beschwerde daher der Erfolg versagt werden.
1. Der Antragsteller leidet an frühkindlichem Autismus ("Kanner-Syndrom") und ist damit nicht nur vorübergehend erheblich
behindert. Er hat daher dem Grunde nach Anspruch auf Eingliederungshilfe. Der Senat geht davon aus, dass es sich im Schwerpunkt
um eine seelische Behinderung handelt, so dass vorrangig Leistungen der Jugendhilfe - und nicht der Sozialhilfe - in Betracht
kommen (§ 10 Abs. 2 Satz 2, § 35a SGB VIII).
2. Zu den Leistungen der Eingliederungshilfe gehören auch Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, vor allem im Rahmen der
allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu (§ 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG). Die im vorliegenden Falle begehrte Hilfe soll dem Antragsteller den stundenweisen Besuch der Realschule ermöglichen. Zu
Unrecht haben der Antragsgegner und das Verwaltungsgericht bezweifelt, dass dieser stundenweise Besuch der Realschule eine
dem Antragsteller angemessene Schulbildung vermittle.
Ob der Besuch einer allgemeinen Schule die für ein behindertes Kind angemessene Schulbildung vermittelt, hat nicht der Träger
der Jugend- oder der Sozialhilfe zu beurteilen. Dies richtet sich vielmehr allein nach Schulrecht. Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Halbsatz 2 BSHG bleiben nämlich die Bestimmungen (des Schulrechts) über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht
unberührt. Nach dem Schulgesetz ist die Schulpflicht durch den Besuch einer allgemeinen Schule zu erfüllen, es sei denn die
Schulaufsichtsbehörde hat die Sonderschulpflicht des Schülers festgestellt (§ 82 Abs. 2 Satz 1 SchG). Umgekehrt hat die Schulaufsichtsbehörde
zu entscheiden, ob die Sonderschulpflicht endet, weil der Schüler (wieder) mit Erfolg am Unterricht der allgemeinen Schule
teilnehmen kann (§ 83 Nr. 3 SchG). Schließlich obliegt auch allein der Entscheidung der Schulverwaltung, ob ein sonderschulpflichtiger
Schüler im Wege der integrativen Beschulung ganz oder teilweise an einer allgemeinen Schule unterrichtet werden oder aber
zum Zwecke der Erprobung einer Umschulung zunächst stundenweise am Unterricht einer allgemeinen Schule teilnehmen soll. Soweit
hiernach dem behinderten Kind schulrechtlich der Besuch einer allgemeinen Schule offensteht, kann der Träger der Jugendhilfe
nicht geltend machen, dass dieser Schulbesuch dem Kind keine angemessene Schulbildung im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BSHG vermittle (Senat, Beschluss vom 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -).
Der Antragsteller ist zwar sonderschulpflichtig; er nimmt aber mit ausdrücklicher Zustimmung des Staatlichen Schulamts stundenweise
am Unterricht der Regelschule teil (Staatliches Schulamt Freudenstadt, Schreiben vom 22.11.1999). Damit steht fest, dass diese
Schulbildung angemessen ist. Das hat das Verwaltungsgericht wohl im Grundsatz ebenso gesehen. Es hat allerdings angenommen,
dieser stundenweise Besuch einer allgemeinen Schule diene der Erprobung, ob der Antragsteller auf Dauer und vollständig in
die allgemeine Schule umgeschult werden könne; hierfür könne aufgrund der gemachten Erfahrungen heute keine günstige Prognose
mehr gestellt werden. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Ob der nur stundenweise Besuch einer allgemeinen Schule auf Dauer
berechnet ist - etwa im Sinne einer lernzielverschiedenen integrativen oder teilintegrativen Beschulung des behinderten Kindes
- oder lediglich der Erprobung einer vollständigen Umschulung dient, hat, wie gezeigt, allein die Schulverwaltung zu entscheiden.
Ebenso hat nur sie zu befinden, ob und wann ein probeweiser Besuch einer allgemeinen Schule erfolgreich oder aber gescheitert
ist und beendet werden soll. Eine derartige Entscheidung hat die Schulverwaltung hier aber nicht getroffen. Der Jugendhilfeträger
kann sie nicht vorwegnehmen.
3. Der Antragsgegner kann dem Hilfeanspruch auch nicht entgegensetzen, dass der Antragsteller sich die begehrte Hilfe auch
selbst beschaffen könne. Der Senat hält es zwar für angängig, den behinderten Schüler bzw. seine Eltern darauf zu verweisen,
auf den Besuch der allgemeinen Schule zu verzichten und mit dem Besuch einer Sonderschule einverstanden zu sein, in der die
nötige Hilfe von Seiten der Schule ohnehin geleistet wird. Dieser Einwand kommt jedoch nur in Betracht, wenn dem jeweiligen
Schüler auch mit dem Besuch einer Sonderschule eine angemessene Schulbildung vermittelt werden kann (Senat, Beschluss vom
14.01.2003 - 9 S 2268/02 -). Im vorliegenden Falle ist glaubhaft gemacht, dass eine geeignete Sonderschule, welche der Begabung des Antragstellers
gerecht wird, nicht zur Verfügung steht. In der Sonderschule für Geistigbehinderte ist er offenkundig unterfordert; vielmehr
konnte und kann er dem Unterricht der Grundschule und heute der Realschule folgen (vgl. Schulbericht der Realschule vom 12.09.2002),
und in ärztlichen Stellungnahmen wird sogar eine Hochbegabung vermutet (Prof. Dr. xxxxxxxxxxxxx/Dr. xxxxxxxxxxx vom 07.08.1999;
Dr. xxxxxxxx vom 13.08.2002; Dr. xxxxxxx vom 25.11.2002). Und eine Sonderschule für autistische Kinder fehlt.
4. Der Antragsteller hat auch hinreichend glaubhaft gemacht, dass die begehrte Hilfe ihrer Art nach zu seiner Eingliederung
geeignet und erforderlich ist (§ 35a Abs. 3 SGB VIII i.V.m. § 39 Abs. 3 BSHG sowie § 40, § 47 BSHG, § 12 Nr. 1 EinglVO).
Dass die begehrte Schulbegleitung erforderlich ist, um am Unterricht der Realschule teilzunehmen, steht außer Frage; ohne
eine derartige Kommunikationshilfe vermag der Antragsteller dort nicht zu bestehen. Der Antragsgegner zieht jedoch die Eignung
der Schulbegleitung und insgesamt der Methode der "gestützten Kommunikation" in Zweifel. Damit dringt er nicht durch.
a) Ob die "gestützte Kommunikation" und die hierzu erforderliche Schulbegleitung mit dem Unterricht an der allgemeinen Schule
verträglich ist, hat wiederum allein die Schulverwaltung zu entscheiden. Hält sie im übrigen den Besuch einer allgemeinen
Schule zwar für angemessen, setzt dieser Besuch aber nach ihrer Einschätzung die Verwendung der Methode der "gestützten Kommunikation"
voraus, so steht damit auch für den Jugendhilfeträger fest, dass die hierzu erforderlichen Maßnahmen zur Ermöglichung oder
Erleichterung des Schulbesuchs im Sinne von § 12 Nr. 1 EinglVO erforderlich und geeignet sind (Senat, Beschluss vom 14.01.2003
- 9 S 2268/02 -). Dem Jugendhilfeträger verbleibt die Prüfung, ob die Aufgabe der Eingliederungshilfe generell - unabhängig vom Schulbesuch
- erfüllt werden kann (§ 39 Abs. 3 BSHG), ob also die Folgen der autistischen Behinderung auf diesem Wege überhaupt - ohne Rücksicht auf die Besonderheiten gerade
des Schullebens -beseitigt oder gemildert werden können.
Diese Voraussetzung ist entgegen der Ansicht des Antragsgegners nicht nur bei Maßnahmen erfüllt, die therapeutisch wirksam
sind, die also den Behinderten im Laufe der Zeit in den Stand setzen, zunehmend ohne sie auszukommen. Auch Maßnahmen, die
keine Besserung der Behinderung oder ihrer Erscheinungsweisen bewirken, können gleichwohl die Folgen der Behinderung gegenüber
der umgebenden Gesellschaft beseitigen oder mildern und den behinderten Menschen damit in die Gesellschaft eingliedern. Dass
eine Maßnahme der Eingliederungshilfe auf unabsehbare Dauer nötig sein werde, schließt ihre Eignung zur Eingliederung des
behinderten Menschen in die Gesellschaft nicht aus. Das liegt für Brillen, Rollstühle und vergleichbare technische Hilfen
auf der Hand. Es gilt gleichermaßen für Methoden zur Überwindung von Kommunikationsstörungen.
Ebensowenig kommt es darauf an, ob über die generelle Eignung der Methode der "gestützten Kommunikation" in der zuständigen
Fachwissenschaft Einigkeit oder aber Streit besteht. Auch in der Wissenschaft umstrittene Methoden können Gegenstand der Eingliederungshilfe
sein. Entscheidend hierfür ist allein, ob die fragliche Methode im konkreten Einzelfall geeignet erscheint, die Folgen der
Behinderung zu beseitigen oder zu mildern (vgl. BVerwG, Urt. vom 30.05.2002 - 5 C 36.01 -, FEVS 53, 499 >503<). Ist die Eignung auch im konkreten Einzelfall zweifelhaft, so darf der Jugendhilfeträger eine genaue
Begutachtung verlangen und gegebenenfalls die Maßnahme zunächst erproben, ehe er sie auf Dauer stellt. Bleibt die Methode
im Einzelfall zwar nicht wirkungslos, ist sie aber nur von geringem Nutzen oder ist sie mit Nachteilen für den Behinderten
verbunden, so darf er die Gewährung der Hilfe von einer Abwägung der Vor- und Nachteile abhängig machen. Das hat auch das
Bundesverwaltungsgericht jedenfalls für den Bereich der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung anerkannt (BVerwG, Urt.
vom 22.10.1992 - 5 C 11.89 -, BVerwGE 91, 114 >115<).
b) Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller glaubhaft gemacht, dass die Methode der "gestützten Kommunikation" geeignet
ist, ihm die aktive Kommunikation mit seinen Mitmenschen zu ermöglichen und damit die Folgen seiner autistischen Behinderung
zu überwinden. Das ergibt sich aus einer Mehrzahl von ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen (zuletzt Dr. xxxxxxxx vom 09.10.2002,
Dr. xxxxxx vom 25.11.2002) sowie namentlich aus den vorliegenden Schulberichten sowohl der Sonderschule für Geistigbehinderte
als auch der Realschule (Schulbericht vom 12.09.2002). Auch der Antragsgegner selbst hat die konkrete Eignung in mehreren
Hilfeplanfortschreibungen stets bejaht. Es gibt keinen Beleg, der an dieser konkreten Eignung für den Antragsteller zweifeln
ließe. Namentlich wurde bislang von keinem der beteiligten Lehrer bezweifelt, dass die "gestützten" Äußerungen nicht von dem
Antragsteller selbst, sondern von seiner "Stützerin" stammten (vgl. im Gegenteil Dr. xxxxxxx vom 21.07.1999). Im übrigen wäre
ein derartiger Sachverhalt Anlass für die Schulaufsichtsbehörde, die schulspezifische Eignung dieser Methode im Sinne von
§ 12 Nr. 1 EinglVO zu überprüfen (vgl. Senat, Beschluss vom 14.01.2003 - 9 S 2268/02 -). Soweit der Antragsgegner die Eignung der Methode der "gestützten Kommunikation" bestreitet, beruft er sich ausschließlich
auf skeptische Stimmen in der wissenschaftlichen Fachdiskussion. Diese aber behaupten im wesentlichen nur, dass diese Methode
überschätzt werde, also in deutlich weniger Fällen hilfreich sei als von ihren Befürwortern angenommen; sie behaupten nicht,
dass die Methode in keinem denkbaren Falle hilfreich sein könne (vgl. auch Dr. xxxxxxx vom 06.02.2000). Im übrigen stehen
diesen skeptischen Stimmen in der Wissenschaft auch befürwortende gegenüber. Dem Antragsgegner ist zwar unbenommen, die Eignung
der Methode der "gestützten Kommunikation" im Falle des Antragstellers fortlaufend und gegebenenfalls genauer als bislang
überprüfen zu lassen (vgl. § 36 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2, Abs. 3 SGB VIII, § 20 SGB X, §§
60 ff.
SGB I). Solange dies aber keine neuen gegenteiligen Erkenntnisse gebracht hat, ist dem Senat glaubhaft, dass die bislang einhellig
angenommene konkrete Eignung fortbesteht.
Ernster zu nehmen ist der Hinweis des Arztes Dr. xxxxxxx (vom 21.07.1999 und vom 06.02.2000), die Anwendung der Methode der
"gestützten Kommunikation" könne im Einzelfall zu Überforderungen des behinderten Kindes führen. Das liefe dem Ziel der Eingliederungshilfe
entgegen, weshalb der Jugendhilfeträger derartige Nachteile seiner Hilfe stets im Auge behalten muss. Indes ist nicht erkennbar,
dass die bislang gewährte Hilfe im Falle des Antragstellers aus diesem Grunde eingestellt werden könnte. Zwar hatte sich eine
gewisse Überforderung abgezeichnet, als der zunächst auf 2 bis 3 Schulstunden täglich bemessene Besuch der allgemeinen Schule
ab dem Besuch der Realschule Ende Januar 2002 auf 4 bis 5 Schulstunden täglich ausgeweitet worden war. Jedoch haben die beteiligten
Schulen hierauf reagiert und den Besuch der Realschule wieder auf den ursprünglichen Umfang reduziert (vgl. Bericht xxxxx/xxxxxxxxxxxxx
vom 18.06.2002; Fortschreibung des Hilfeplans vom 26.07.2002). Dass nunmehr auch dieser geringere Umfang noch die Gefahr einer
Verfehlung der Eingliederungsaufgabe mit sich bringen könnte, lässt sich den vorliegenden Berichten nicht entnehmen.
5. Der Antragsgegner kann die Weitergewährung der Eingliederungshilfe nicht mit der Begründung ablehnen, der Antragsteller
habe es an der gebotenen Mitwirkung fehlen lassen. Der Antragsteller hat vom Antragsgegner verlangte fachärztliche Gutachten
bislang stets in zumutbarer Zeit beigebracht. Und ein sonderpädagogisches Gutachten, wie es namentlich Dr. xxxxxxx (im Schreiben
an die Mutter des Antragstellers vom 15.07.2002) angeregt hat, hat der Antragsgegner bislang nicht verlangt.
6. Schließlich ist auch glaubhaft gemacht, dass die Hilfe von - wie bislang - 23 Wochenstunden (nämlich 20 Stunden "Stützung"
im Unterricht und bei den Hausaufgaben zuzüglich 3 Stunden Vor- und Nacharbeit) auf 30,5 Stunden auszuweiten ist. Die Mehrstunden
entfallen auf Fahrzeiten, die - in der Folge des Umzugs der Familie und ihres nachvollziehbaren Anliegens, die beiden Söhne
nicht dieselbe Realschule besuchen zu lassen - für die täglichen Fahrten zwischen der Familienwohnung, der Sonderschule für
Geistigbehinderte und der Realschule anfallen. Dem Antragsgegner bleibt unbenommen zu prüfen, ob er nach den Regeln über die
Schülerbeförderungskosten bei einem anderen Kostenträger insoweit Rückgriff nehmen kann.
7. Nicht glaubhaft gemacht ist hingegen, weshalb als Schulbegleiter lediglich eine medizinisch-pädagogisch geschulte Fachkraft
in Betracht käme. Als Begleitperson geeignet erscheint dem Senat nach dem beiderseitigen Sachvortrag jeder, der in der Methode
der "gestützten Kommunikation" unterwiesen wurde.
8. Ein Anordnungsgrund besteht. Ein Aussetzen der seit längerer Zeit gewährten Hilfe bis zum Ergehen einer vollziehbaren Entscheidung
im Hauptsacheverfahren hätte für den Antragsteller unzumutbare Folgen. Namentlich würde der bislang bereits erreichte Eingliederungserfolg
ernstlich in Frage gestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
154 Abs.
1 und
2, §
155 Abs.
1 Satz 3
VwGO. Das Verfahren ist gemäß §
188 VwGO gerichtskostenfrei.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.