Ausländer- und Auslieferungsrecht - Aufenthaltsbefugnis, Asylbewerber, Bleiberecht, Familie, langjähriger Aufenthalt
Tatbestand:
Hinsichtlich des Sachverhaltes nimmt das Gericht zunächst Bezug auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, dessen Feststellungen
es sich in vollem Umfang zu eigen macht (§
130b Satz 1
VwGO).
Das Urteil des Verwaltungsgerichts wurde der Klägerin am 3. Januar 2001 zugestellt. Auf den am 30. Januar 2001 gestellten
Antrag der Klägerin ließ der Senat mit Beschluss vom 26. April 2001 die Berufung zu.
Zur Begründung der zugelassenen Berufung verweist die Klägerin auf den Inhalt des vorgenannten Senatsbeschlusses sowie auf
ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Sie beantragt sinngemäß,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 29. Dezember 2000 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides
vom 16. September 1998 und des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Darmstadt vom 2. August 1999 zu verpflichten,
den Antrag der Klägerin vom 23. April 1997 auf Erteilung einer Aufenthaltsgenehmigung unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichtes neu zu bescheiden.
Die Beklagte hat sich im Berufungsverfahren nicht mehr zur Sache geäußert. Sie hat auch keinen Antrag gestellt.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter des Senats ohne mündliche Verhandlung
einverstanden erklärt.
Dem Gericht liegen die das Verfahren betreffenden Gerichtsakten und die Behördenakten der Beklagten, die Klägerin betreffend
(ein Band, Seite 1 - 61 ), vor.
Entscheidungsgründe:
Die von dem Senat zugelassene und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin, über die im Einverständnis der Beteiligten
der Berichterstatter des Senats ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 87a Abs.
2 und
3,
101 Abs.
2 VwGO), ist begründet und führt unter Aufhebung des Urteils erster Instanz und der angefochtenen Bescheide der Beklagten und der
Widerspruchsbehörde zur Verpflichtung der Beklagten, den Antrag der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
neu zu bescheiden.
Die von der Klägerin auf eine Neubescheidung beschränkte Verpflichtungsklage ist zulässig und begründet und hätte von dem
Verwaltungsgericht nicht abgewiesen werden dürfen.
Nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung hat die Klägerin Anspruch auf Erteilung
einer Aufenthaltsgenehmigung in der Form der Aufenthaltsbefugnis nach § 32 AuslG in Verbindung mit den Erlassen des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 22. November 1999 und 20. Januar
2000, Geschäftszeichen jeweils: - II A 4-23d (Altfall 99) -, und dem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und
-senatoren der Länder vom 18./19. November 1999 über das Bleiberecht für ausländische Familien und Alleinstehende mit langjährigem
Aufenthalt.
Soweit in den ablehnenden Bescheiden die Versagung der Aufenthaltsgenehmigung auf das Fehlen eines Passes gestützt wurde,
ist dieser Versagungsgrund (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 3 AuslG) nunmehr entfallen. Der Klägerin wurde nach ihren von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben zwischenzeitlich ein syrischer
Reisepass ausgestellt.
Die Klägerin erfüllt entgegen der Ansicht der Vorinstanz auch die Voraussetzungen der oben genannten Altfallregelung für ausländische
Familien und Alleinstehende mit langjährigem Aufenthalt.
Nach Nr. 3.1 des Beschlusses der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 18./19. November 1999
kann Asylbewerberfamilien und abgelehnten Vertriebenenbewerbern mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern der weitere
Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet werden, wenn sie vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, seitdem ihren Lebensmittelpunkt
im Bundesgebiet gefunden und sich in die hiesige wirtschaftliche, soziale und rechtliche Ordnung eingefügt haben. Dabei muss
der Ausländer mit mindestens einem minderjährigen Kind in häuslicher Gemeinschaft leben, das sich seit dem 1. Juli 1993 oder
seit seiner Geburt im Bundesgebiet aufhält. In die Regelung können auch die während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet volljährig
gewordenen Kinder einbezogen werden, die eine Ausbildung durchlaufen, die zu einem anerkannten Bildungs- bzw. Ausbildungsabschluss
führt, oder die bereits beruflich eingegliedert sind.
Die Klägerin erfüllt die im letzten Satz von Nr. 3.1 des Beschlusses vom 18./19. November 1999 enthaltene erweiternde Regelung
für während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet volljährig gewordene Kinder u.a. von Asylbewerbern, denn sie hat, nachdem sie
Anfang 1990 mit ihrer Mutter nach Deutschland gekommen ist und hier erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen hat, im Bundesgebiet
das 18. Lebensjahr vollendet. Sie ist zwischenzeitlich auch beruflich eingegliedert, denn sie ist seit April 1999 dauerhaft
berufstätig und in der Lage, ihren Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten. Dass sie nicht mit einem vor dem 1. Juli 1993
oder seit seiner Geburt im Bundesgebiet in Deutschland lebenden minderjährigen Kind in häuslicher Gemeinschaft lebt, ist unerheblich.
Die entsprechende Bestimmung in Nr. 3.1, 2. Satz des Beschlusses vom 18./19. November 1999 ist auf Ausländer, die - wie die
Klägerin - nach dem letzten Satz der vorgenannten Bestimmung in die Regelung einbezogen werden, nicht anwendbar (vgl. Erlass
des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 20. Januar 2000).
Der Erteilung der Aufenthaltsbefugnis an die Klägerin steht auch nicht die Regelung in Nr. 3.2 a) des Beschlusses vom 18./19.
November 1999 entgegen, wonach der Lebensunterhalt der Familie einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes durch
legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel zu dem in Nr. 3.2, 1. Satz genannten Stichtag 19. November 1999 gesichert
sein muss. Die Beklagte und die Vorinstanz sind davon ausgegangen, dass diese Voraussetzungen der Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis
an die am vorgenannten Stichtag wirtschaftlich selbständige Klägerin deshalb entgegensteht, weil der Lebensunterhalt ihrer
Familie an dem besagten Stichtag durch die Mutter und den Bruder der Klägerin nicht ohne Inanspruchnahme von Mitteln der Sozialhilfe
habe gesichert werden können. Der Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren vom 19. November 1999
setze - so die Vorinstanz in ihrer Entscheidung - in Nr. 3.2 für die Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis für einen Asylbewerber
mit langjährigen Aufenthalt unter anderem voraus, dass der Lebensunterhalt der Familie durch legale Erwerbstätigkeit ohne
zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert sei. Abzustellen sei hiernach darauf, ob die gesamte Familie ohne Sozialhilfeleistungen
auskommen könne. Dass ein volljährig gewordenes Kind, das unter Bezugnahme auf den Beschluss der Innenministerkonferenz eine
Aufenthaltsbefugnis erlangen wolle, ohne Sozialhilfe seinen Lebensunterhalt bestreite, reiche nicht aus. Wie sich aus Nr.
3.1 des Beschlusses entnehmen lasse, solle unter gewissen Voraussetzungen Asylbewerberfamilien der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet
ermöglicht werden. Hinsichtlich der Frage der Sozialhilfebedürftigkeit sei dementsprechend auf die Familie abzustellen, wie
sich im Übrigen auch aus den Wortlaut von Nr. 3.2. a) des Beschlusses entnehmen lasse.
Dieser Ansicht folgt das Gericht nicht. Es folgt vielmehr der Rechtsauffassung der Klägerin, dass sich aus den Regelungen
des Beschlusses über die Einbeziehung volljährig gewordener Kinder von Asylbewerbern und ehemaligen Vertriebenenbewerbern
ergebe, dass diese Ausländer als eigenständige Personen zu betrachten und in ihrer aufenthaltsrechtlichen Position nicht mehr
von dem Erfordernis der wirtschaftlichen Existenzsicherung der gesamten Familie abhängig sein sollen.
Bereits der Wortlaut der vorgenannten Regelung in Nr. 3.2. a) des Beschlusses vom 19. November 1999 spricht gegen eine Einbeziehung
der nicht mehr bei ihren Eltern lebenden volljährigen und erwerbstätigen Kinder. Zwar umfasst der in der Bestimmung verwendete
Begriff "Familie" grundsätzlich sämtliche Familienangehörige unabhängig von der Form und der Intensität des zwischen ihnen
bestehenden familiären Kontaktes. Diese Begriffsbestimmung liegt der Regelung in Nr. 3.2. a) des Beschlusses vom 19. November
1999 aber offensichtlich nicht zugrunde. Vielmehr bezieht sich das Erfordernis, dass der Lebensunterhalt der Familie mit Einschluss
des ausreichenden Krankenversicherungsschutzes durch legale Erwerbstätigkeit ohne zusätzliche Mittel der Sozialhilfe gesichert
sein muss, erkennbar auf die Situation der in familiärer Lebensgemeinschaft zusammenlebenden und von dieser Gemeinschaft unter
anderem auch wirtschaftlich abhängigen Familienangehörigen. Dies wird zum einen daraus deutlich, dass die in der Bestimmung
geregelten Ausnahmefälle sämtlich das Zusammenleben von wirtschaftlich aufeinander angewiesenen und abhängigen Familienmitgliedern
betreffen und auch die weiteren in Nr. 3.2. b) des Beschlusses vom 19. November 1999 geregelten weiteren Integrationsvoraussetzungen
("Die Familie verfügt über ausreichenden Wohnraum" und "schulpflichtige Kinder erfüllen die Schulpflicht") die Situation des
Zusammenlebens in familiärer Lebensgemeinschaft kennzeichnen.
Auch Sinn und Zweck der erwähnten Altfallregelungen über die Einbeziehung von zwischenzeitlich erwachsen gewordenen Kindern
von Asylbewerbern oder ehemaligen Vertriebenenbewerbern sprechen dagegen, auf diese Personen die Voraussetzungen über die
Sicherung des Lebensunterhaltes der Familie in Nr. 3.2. a) des Beschlusses vom 19. November 1999 anzuwenden. In dem Beschluss
der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder vom 19. November 1999 und in dem ergänzenden Erlass des
Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 20. Januar 2000 wird zu erkennen gegeben, dass die Erteilung von Aufenthaltsbefugnissen
an Kinder von Asylbewerbern und abgelehnten Vertriebenenbewerbern, die als Minderjährige zusammen mit ihren Eltern in das
Bundesgebiet eingereist sind, nicht daran scheitern soll, dass sie während des Aufenthaltes im Bundesgebiet volljährig geworden
sind, soweit ihre Integration im Hinblick auf die Absolvierung einer Ausbildung oder eine bereits vollzogene berufliche Eingliederung
gesichert erscheint. Dieser durch die Erlassregelungen ausdrücklich anerkannten Eigenständigkeit der Kinder aus Asylbewerber-
bzw. Vertriebenenbewerberfamilien würde es zuwiderlaufen, wenn die Gewährung eines Aufenthaltsrechtes für sie weiterhin an
die Existenzsicherung der gesamten Familie geknüpft wäre. Für eine solche Abhängigkeit besteht zumindest dann kein nachvollziehbarer
Grund, wenn der Ausländer - wie im vorliegenden Fall die Klägerin - nicht mehr mit ihren Eltern in familiärer Lebensgemeinschaft
zusammenlebt, zwischenzeitlich einer eigenen Erwerbstätigkeit nachgeht und infolgedessen in der Lage ist, den Lebensunterhalt
aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Es gibt schließlich auch keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass durch die Altfallregelung
das Aufenthaltsrecht volljährig gewordener Kinder von Asylbewerbern oder ehemaligen Vertriebenenbewerbern deshalb an die Sicherung
des Lebensunterhaltes der gesamten Familie geknüpft werden sollte, weil das volljährige Kind nach Erreichen der Eigenständigkeit
nunmehr selbst zum Lebensunterhalt seiner Eltern oder anderer wirtschaftlich abhängiger Familienangehöriger beitragen sollte.
Die Kosten des gesamten Verfahrens einschließlich der Kosten des Zulassungsverfahrens hat die Beklagte als unterliegender
Teil zu tragen (§
154 Abs.
1 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wegen der Kosten und der Abwendungsbefugnis folgt aus §
167 VwGO i. V. m. §§
708 Nr. 10,
711 ZPO in entsprechender Anwendung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
132 Abs.
2 VwGO nicht vorliegen.